Journalist F. arbeitet zwar fieberhaft an einer Verlängerung meines Vertrags im Amt ohne Wiederkehr. Ob es etwas nützt erfahre ich erst am Freitag. Ich muss offen gestehen, dass ich den Job, dem ich anfangs so ambivalent gegenüber gestanden habe, lieben gelernt habe. Noch bin ich vom Siegestaumel der Kleinkunstwoche geblendet. Das Anstrengende aber Spannende liegt mir offenbar besser, als das Geruhsame aber Langweilige. Wer weiß, wie ich nächste Woche sinneswandele, wenn wieder bürokratischer Unsinn sich ausbreitet.

++Freitags lagen fein säuberlich geschnittene neue Namenschilder auf meinem Schreibtisch. Diesmal stimmte alles: neues Stadtlogo, Format und sogar die CI-Farben. Fein säuberlich hatte Frau M. sie mit dem Skalpell ausgeschnitten, ein Hauch ihres Parfüms lag in der Luft, aber als ich sie gegen 14 Uhr anrufen wollte, um mich zu bedanken und ein wenig über das feine Herbstwetter zu plaudern, nahm niemand mehr den Hörer ab. Stimmt ja auch: freitags nach 12 ist von der Rathausbande niemand mehr da. Nur die armen Kulturfuzzies schuften.

++Der OB hatte eine Mail ohne Betreff geschrieben, in der er die traurige Mitteilung machte, dass Ortsvorsteher T. frühmorgens gestorben war. Der Mann, den ich am Tag zuvor auf dem Pflaster hatte liegen sehen.

++Völlig aufgelöst begegnete mir Hausmeister H. vor der Stadthalle: „Ich mach‘ den Laden dicht. Ich werfe sie alle raus. Sie missachten die Hallenordnung. So kann ich nicht arbeiten.“ Die Fernsehleute hatten ihm und seinem Co-Hausmeister M. offenbar mächtig zugesetzt. Ziemlich knifflig, den Streit zu schlichten und die Veranstaltung zu retten. Mir ist sehr wohl bewusst, wer die Macht hat in diesem Land: die Hausmeister. Deshalb war ich in höchster Alarmbereitschaft, vermied laute Worte und ließ die beiden Herrscher der Welt das guter Hausmeister böser Hausmeister Spiel mit mir spielen. Auch dies gehört zu den Aufgaben eines Veranstaltungsorganisators, sich wagemutig zwischen die Fronten zu werfen und deeskalierend zu wirken, das Antibiotikum des Bühnenmanagements. Hallenverordnung hin, Hallenverordnung her.

++Kollege N. ist mir auf die Schliche gekommen mit einigen meiner Web-Aktivitäten. Offenbar hat er meinen Namen recherchiert und fragte mich über meine Webseiten aus. Auf dieses Blog sprach er mich jedoch nicht an. Es taucht zum Glück nicht auf den ersten Seiten einer Suchmaschinenabfrage auf. Dennoch: irgendwann kriegen sie dich, Mister Nestbeschmutzer Irgendlink Sir.

Mitten in einem PlusPlusText hängend mich etwas mit Bloggen ablenken. Kurz vor 12. Noch eine Stunde, dann beginnt der finale Lauf zur Kleinkunst. Letzter Tag. Gestern fiel die übliche Horde Fernsehleute über die Stadthalle her, installierte Traversen und Licht, entfernte Werbebanner. Gut 30 Menschen, eine alte römische Kohorte, wuselten durchs Haus und verbreiteten operative Hektik. Vorm Restaurant in der Stadthalle war ein Mann zusammengebrochen, Rettungsdienst, Blaulicht. Ich schlenderte auf Dientgang vorbei, suchte Frau M. vom regionalen Fernsehsender, damit sie mir als Ansprechpartner die Hölle heiß machen kann. Tat sie nicht. Nette Frau M. Der Mann lag nackten Oberkörpers auf dem Pflaster und ein Sanitäter knetete das stillstehende Herz. Für einen Moment wurde mir klar, wie seiden der Faden ist, an dem auch mein Leben hängt. Auf den stählernen Bänken unter den uralten Bäumen neben dem Restaurant saßen zwei zerlumpte Gestalten und starrten in seichte Sonne. Ein lauer Wind wehte von Nordost, ungewöhnlich lau wie ich fand, aber das gönnte ich den Gestalten. Wie Hitchcocks Vögel würden es vielleicht immer mehr werden. Am Anfang, also am gestrigen Tag, würde niemand etwas bemerken, aber im Laufe der Geschichte, die noch geschrieben werden muss über den beschaulichen Marktplatz im kleinen Städtchen S., würden nach und nach die Bettler das Regiment übernehmen, eine unschlagbare Armee geballten Scheiterns und in alkoholische Larmoyanz Verfallens.

Die Trüben Gedanken, die mich befielen, als ich neben dem Sterbenden stand und bei seiner Wiederbelebung zuschaute, verflogen, als ich Frau M. traf und wir den Ablaufplan für die heutige Fernsehaufzeichnung besprachen. Nun pulst das Leben und das Herz schlägt schnell aber stabil. Der Zusammengebrochene, sei ein Ortsvorsteher gewesen, flüsterte jemand. Der Rettungswagen fuhr mit Blaulicht davon, was kein schlechtes Zeichen ist.

Im Amt ohne Wiederkehr gingen im Minutentakt Anfragen ein für Eintrittskarten am heutigen Freitag. Aber die Veranstaltung ist seit Wochen ausverkauft. Da nützt es auch nichts, wichtig zu sein oder ein Ortsvorsteher oder der Freund eines Freunds eines Freunds …

++Zittrig erwacht am heutigen Morgen. Mir ist nach Herzstillstand. Die Hände wollen nicht, was ich will. Widerwillig führen sie die Kaffeetasse zum Mund. Hirn glaubt, etwas vergessen zu haben, bloß was? Im Kopf eine Hochstressmarke für 18:30 Uhr gesetzt. Das ist der Moment am heutigen Veranstaltungsabend, an dem für mich und Journalist F. der größte Stress besteht. Dann müssen wir nämlich auf diplomatische Art ein paar Sitzplatzprobleme für die Misters und Mistresses Oberwichtig in der viel zu kurzen ersten Reihe lösen. Die beiden Hausmeister der Stadthalle, welche Journalist F. seit Tagen gezielt bauchpinselt, weigern sich noch immer ein paar Extrastühle aus dem Hut zu zaubern und sie irgendwo da vorne direkt vor der Bühne aufzustellen. Vehement berufen sie sich auf die geänderten Hallenvorschriften und das Fernsehen braucht genau 1.23 Meter Raum, um mit der Kamera durch die Stuhlblöcke zu driften.

++Oh Herr, verlängere bitte nicht meinen Arbeitsvertrag im vermaledeiten Amt ohne Wiedertkehr, auf Knien will ich vom einsamen Gehöft bis zum Jakobusgrab pilgern …

++Oder tackern bis an mein bitteres Ende

++Dennoch hat Herr Irgendlink alles in die Wege geleitet, falls am nächsten Freitag, seinem letzten Arbeitstag, der werte Oberbürgermeister ihn einen zweiten Amtseid schwören lässt … kaufe Auto Haus, Frau und Kind und werde endlich in Echt echt.

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nachtrag. undeutlich ausgedrückt wohl: das Passwort heißt passwort und ich habe es gesetzt, weil der artikel unkorrigiert ist, aber gelesen werden darf aber nicht einfach so durch suchmaschine ausgespuckt werden soll

Wie ich lernte das Amt ohne Wiederkehr zu lieben – StammleserInnen werden sich erinnern, dass Mister Oberpientz Irgendlink die letzten Monate wieder und wieder den seltsamen Job als Kulturorganisator in Frage stellte – jetzt, zwei Wochen bevor der Arbeitsvertrag endet, weint er bittere Tränen.

Die Kleinkunstwoche, deren Organisation meine Hauptaufgabe war, ist zur Hälfte absolviert. Nur noch Heute und Morgen und am Freitag sind Veranstaltungstage. Danach wird sich wieder ein Büroalltag einstellen. Am gestrigen „pfannefreien“ Tag rief ich Herrn S. von der Personalstelle an, ob er mir etwas über eine gegebenenfallse Vertragsverlängerung sagen könne, „ja, nein, vielleicht?“ – „Vielleicht“, sagte er. Kollege B. hatte mir die Zeitvertragsproblematik im Rathaus der Stadt S. einmal wie folgt erklärt: „Bis zum letzten Arbeitstag hängst du vollkommen in der Luft, aber dann werden sie dich zum OB rufen und dir einen Folgevertrag anbieten. So war es bei mir, so war es beim Kollegen L. und die gute Miss E. hat das Spiel ganze sechs Jahre mitgespielt, bis sie endlich einen unbefristeten Vertrag in der Hand hatte.“ Ouh yeah, was sind wir anderes als die willigen Leiharbeiter der modernen Bürokratie.

Keine Ahnung, warum ich so sentimental werde nun, da ggf. das Ende meiner Lebensphase in Lohn und Brot bevor steht. Ich habe weißgott genug Geld, um die nächsten fünf Jahre mit Nichtstun zu verbringen. Vielleicht ist es die Angst vor der Eigenverantwortlichkeit? Ich müsste dann ja wieder Kunst schaffen oder ein Buch schreiben oder verreisen.

++Gegen 15 Uhr loggte ich einen Dienstgang und schlenderte in aller Gemütsruhe quer über den Marktplatz des Städtchens S. Rathaus mittschiffs voraus, die Stadthalle an Steuerbord, Sonne lullte mich ein und ein eigenartiger Herbstgeruch lag in der Luft. Auf dem Spielplatz vor der Schule, welche sich direkt neben der Stadthalle befindet, quietschte rythmisch die Schaukel. Kinderstimmen. Ein schmutziger Bettler hatte sich auf einer der stählernen Bänke ausgestreckt und schnarchte, als ob dies das letzte Jahr seines Lebens wäre. Seine Plastiktüte war umgefallen und ein Brot lag im Schmutz der Straße. Wie ich ihn beneidete, einerseits, andererseits aber: ist es nicht prima, Irgendlink, in Amt und Würden zu sein, dies alles nicht selbst erleben zu müssen – eine verschmutzte Unterhose, die man vielleicht einmal im Monat waschen kann und die obendrein die einzige ist, die man besitzt ist kein schönes Körpergefühl. Ein Jucken von Bart, sechs Wochen unrasiert lag in der Luft. Ist es nicht besser, die Dinge nur zu beobachten, das Bild im Kopf zurecht zu rücken und es einfach nur aufzuschreiben? Das immersaubere Klo mit Waschbecken und frischer Seife im Amt ohne Wiederkehr just hier am Marktplatz im Haus U. würde für diesen Bettler sicher ein verzaubertes Traumbild sein. Er wird es nie zu sehen bekommen. So schlenderte ich auf Dienstgang über den Marktplatz und überlegte, Frau M. in der Personalstelle zu besuchen, um mich an ihrer Schönheit zu laben. Sicher würde sie mit dem Skalpell akribisch die neuen Namensschilder der mehrhundertköpfigen Rathausbesatzung schneiden und sicher würde sie wieder stöhnen über die viele anstrengende Arbeit und dass ja schon Dienstag ist und die Woche so gut wie rum. Ich traf die Hausmeister der Stadthalle, wie sie scherzend mit den Männern vom Rundfunk in der Sonne standen. Sie fragten, was ich denn hier wolle. „Ich habe mein Hirn vergessen“, sagte ich und ging in den Kassenraum der Stadthalle, um die zu stornierenden Eintrittskarten des dritten Festivaltages zu bergen. Da ich die Männer vom Rundfunk schon erwähne an dieser Stelle noch eine prima Geschichte über die Leichtigkeit eines Menschenarbeitslebens: Zu Beginn der Kleinkunstwoche parkt der Rundfunk seinen Ü-Wagen hinter der Stadthalle, strippt hunderte Meter Kabel und richtet Funkstrecken ein. Der Ü-Wagen ist offenbar so wertvoll, dass er Tag und Nacht von einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Eine volle Woche lang wird das teure Utensil nicht von der Stelle bewegt. Aber es gibt dennoch einen Fahrer. Und der, jetzt kommts, steht sage und schreibe acht Stunden am Tag neben dem Ü-Wagen herum und leistet seine Lenkzeit. Kurios, nicht wahr?