Wer sich in Sicherheit begibt, kommt darin um

Andreas Altmann, „Sucht nach Leben“, (Dumont Verlag). Zitat aus der sechsten Leseprobe auf Altmanns Website. Der Autor gibt sich bei einem Versicherungsunternehmen als treusorgender Vater aus, der für seinen Sohn eine sichere Anlage für die Zukunft sucht. Altmann zeigt, dass es nicht immer Geld sein muss, was die Zukunft sichert.

Die Versicherungs-Menschen „gehören in die umtriebige Berufsgruppe der “Fessler“. Die uns fesseln, anbinden, festzurren, uns zum Sitzen und Sitzen bleiben verführen. Nun denn, gebiert Sesshaftigkeit tatsächlich Intoleranz? Geistigen Müßiggang? Nicht unbedingt, nicht immer, aber es schafft das nötige Biotop, die bleierne Temperatur, das muffige Klima. Denn wer sich bewegt, fortbewegt Richtung Fremde, der riskiert, dass seine Urteile und Vorurteile auf der Strecke bleiben und Erfahrungen über ihn kommen, die ihn reicher machen, geistreicher allemal, ja ihn irgendwann dazu überreden, den anderen – was für ein Scheißwort – zu “tolerieren“, zu dulden. Dennoch, angesichts der wild wuchernden Hirnlosigkeit auf Erden wäre das ein Fortschritt.

Absurde Träume. Statt einen 14-Jährigen (und seinen Vater) mit der Peitsche zurück auf die Straße – in die Welt – zu jagen, richten sie ihn zum Frühgreis ab. Um in einem […]-Häuschen – gebuckelt von Hypotheken und Ratenzahlungen – seine Restzeit abzusitzen. Wie soll der Mensch da Zeit finden für die Welt? Für Weltwachheit? Für eigenmächtig denken? Für Entwürfe jenseits der eigenen Schädeldecke? Wie noch Geld haben fürs Wandern in verborgene Länder? Hin zu Männern und Frauen, die so verdächtig anders sind als er?

Wer sich in Sicherheit begibt, kommt darin um.“

Mach' das was du machst, weil du es machen willst

Meinem Schreibtipp im Eintrag untendrunter folgend, krame ich in der Erinnerung, was denn heute ein besonderes Ereignis war, an dem ich mich festbeißen könnte, es ausformulieren und hier bloggen. Mancheiner wird sagen: Pah, Alltag, da passiert doch nichts. Nichts ist es Wert, in einem herkömmlichen Menschenleben, besonders beleuchtet zu werden und auf die Bühne der Literatur gebracht zu werden.

Das stimmt nicht. Ich glaube, fast alles kann beschrieben werden. Sowohl Kloputzen, als auch Geschirrspülen kann mit einiger Phantasie in ein schönes Schriftwerk verwandelt werden.

Die Künstler auf dem Jazzfest kochen auch nur mit Wasser. Vielleicht beherrschen sie ihre Instrumente ein bisschen besser, als Hobbymusiker. Das heißt aber nicht, dass es keine Hobbymusiker gibt, die nicht genauso gut sein können. Im Rampenlicht stehen ist nichts besonderes. Somit ist es für eine Geschichte auch nichts besonderes, wenn sie aufgeschrieben wird und dadurch erst eine Geschichte wird.

Alleine die Feuerwehrmänner, die immer um 18 Uhr auftauchen und die Halle inspizieren, damit auch keine Brandgefährdung herrscht, sind einen Satz wert: sie drehen ihre Runde, befummeln den Bühnenvorhang, starren auf die Feuerlöscher, heben sie hoch, stellen sie wieder hin, flanieren durch die Stuhlreihen und peilen mit dem Daumen, ob die Abstände groß genug sind. Manchmal bleiben sie vor einer Säule stehen und starren zur Decke, so dass ihre Mützen einen 45 Grad Winkel zum Boden bilden. Ein Bild wie aus einem kubistischen Gemälde.

Während des Soundchecks der Bigband aus dem hohen Norden, setzte ich mich in den Zuschauerraum. Ich war müde. Neben mir saß der Betreuer der Sanitären Anlagen, Herr M., den sie alle nur M. nennen. Nie nennt ihn jemand Herr M., oder gar beim Vornamen, F. Ich bin der Einzige der es tut und ich vermute, dass ich auch der Einzige bin, der seinen Vornamen kennt. Ich dachte über die verschiedenen Typen nach, die hier arbeiten. Allen voran den Caterer. Caterer scheinen mir eine Art moderne Rosstäuscher zu sein. Der Caterer hatte mich kurz zuvor abgewiesen, als das Essen zur Neige ging und ich für die Künstler etwas nachbestellen wollte: „Wir liefern nichts mehr“, sagte er kühl, „mehr war nicht bestellt“. Caterer catern nicht, damit die Leute satt werden und zufrieden sind, sie tun es, um sich die Taschen vollzustopfen. Da kam mir in den Sinn, dass ich einmal geschrieben habe, die Putzfrau putzt nicht, um etwas sauber zu machen, sie tut es, um Geld zu verdienen. Damals fabulierte ich, dass kaum ein Mensch eine Sache um ihrer selbst willen tut, sondern in der Vielschicht der Gründe fast immer ein Grund dominiert: das Geld.

Wie groß war das Gelächter, als Klomann F. sagte, er putze die Klos gerne. Das konnte niemand von den Kollegen verstehen. Klomann F. wird natürlich bezahlt. Obendrein stellt er im Sanitärbereich ein Körbchen auf einen Tisch, in dem, so sagte er letzten Sonntag, doch tatsächlich 36 Euro lagen. Guter Schnitt. Ich mag den Mann. Er hat mir letztes Jahr ein Feuerzeug mit Prägung geschenkt.

So dudeln in meinem Kopf diese Gedanken, warum so wenige Menschen die Dinge machen, die sie machen, weil sie sie tun möchten.

Irgendlink gibt sich selbst einen Schreibtipp

„Nimm ein Ereignis vom jeweiligen Tag, konzentriere dich. Beschreibe es. Ist das ein Weg? Sicher. Aber ist das mein Weg? Die Zeit verschwimmt. Ich bin gleichzeitig in den Neunzigern und heute und hier, aber in gewisser Weise auch schon viele Jahre voraus.

Machs so, dass die Anderen das verstehen und dass sie Freude daran haben.

Tja Leute, und das ist die Kunst. Und dafür muss man konzentriert sein und die Dinge auf den Punkt bringen.“

Gefunden in meinen Archiven im Oktober 2007.

Europenner-Rennaissance

Vierter Tag Jazzfest. Heute kommt eine Bigband aus dem hohen Norden. Etwa 25 Musiker. Das wird eine einfache Sache. Ich muss den Backstagebereich nicht partitionieren; sie können sich nach Herzenslust in den Garderoben verteilen und im großen Gemeinschaftsraum. Ich bin gespannt, wie der Backstagebereich heute aussieht. Er ist eine Baustelle. Der Architekt hatte letzte Woche gesagt, dass an den drei jazzfreien Tagen weiter gearbeitet wird. Der Backstagebereich war letzte Woche sehr zugig. Man hatte notdürftig Stoff in die Türöffnungen gehängt und die Fenster mit Plastikfolie zugetackert. Die Heizung war noch nicht angeschlossen und die Decke noch nicht abgehängt. Ein Gebläse, welches 20 Liter Diesel pro Stunde verbrennt, sorgte für Wärme. Im Aufzugsschacht, den man mit einem Brett vernagelt hatte, damit niemand hinein fällt, hatte ein Witzbold  mit Bleistift Tasten auf den Beton gemalt: E wie Erdgeschoss, 1, 2, 3 und 4. Dabei hat das Bauwerk nur zwei Stockwerke. Ich erzählte allen, das seien Sensortasten, die auf die Wärme der menschlichen Finger reagierten. Nur Ätherophonistin B. und der Posaunist der Bigband aus G., Österreich, konnten sich darüber herzlich amüsieren. Besagter Posaunist war es auch, der mir und einem Kollegen einen frühen Experimentalfilm von Roman Polanski erzählte. Wir schleppten gerade einen Tisch in einen staubigen Raum, in dem eine Podiumsdiskussion aufgezeichnet werden sollte, da redete er zwischen Tür und Angel: „Fällt mir dieser Polanski-Kurzfilm ein. Zwei Männer kommen aus der Ostsee und tragen einen Schrank an Land. Sie gehen von Dorf zu Dorf und von Haus zu Haus, um den Schrank abzustellen. Zwei Möbellieferanten aus den Tiefen des Meeres. Überall, wo sie hinkommen werden sie verprügelt.“ Ich bat den Kollegen, sich zu beeilen: „Die Stimmung ist hier so mies, das könnte uns auch blühen“, grinste ich und fragte den Posaunisten: „Haben sie es geschafft?“ „Natürlich nicht. Nachdem man sie hundertmal verkloppt hatte, verschwanden sie mit ihrem Schrank wieder im Meer“.

Der Posaunist und die Ätherophonistin sind die Einzigen aus der großen Band, die ich auf der Straße wieder erkennen würde. Mit Geschichten und mit Ungewöhnlichem schreiben wir uns in die Erinnerung unserer Mitmenschen.

15 Uhr gehts los heute. Dann kommen die Musiker. Dann muss ich da sein. Die Jazzarbeit ist unregelmäßig. Tag wird Nacht und Nacht wird Tag. Letzten Sonntag habe ich es mir nicht nehmen lassen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Nachts zurück haben mir die 25 km früher (bei anderen Jazzfesten im Städchen S., habe ich die Radlervariante auch schon probiert) stets ein wenig Sorge bereitet. Ich muss durch einen dunklen, unheimlichen Wald und die letzten 5 km hinauf zum einsamen Gehöft führen zwischen angsteinflößenden Feldern hindurch. Diesesmal war es ein Klacks. Das harte Training den ganzen Winter über zur Tackerwerkstatt, hat aus mir ein Tier gemacht. Ich glaube, ich könnte ohne Probleme losradeln mit Gepäck und den Kontinent in 100-km-Etappen durchqueren. Habe ich diesen Winter insgeheim an einer Europenner-Rennaissance gearbeitet?

Nur vier Tage bis Dijon. Verlockend

Die Lohnarbeit ist das Größte, was die Gesellschaft hervorgebracht hat. Man kann darüber nörgeln, soviel man will, aber ihre Vorteile überwiegen bei Weitem die Nachteile. Sie ist das Rundum-glücklich-Paket des modernen Menschen. Der moderne Mensch kämpft, im Gegensatz zum antiken Menschen mit weit weniger Problemen. Eingebettet in ein soziales System mit Krankenversicherung und Notfallversorgung, dürfte er sich eigentlich überhaupt nicht beschweren. Selbst Erwerbslosen geht es im Vergleich zu den Menschen vor tausenden von Jahren bestens. Unser großes Los ist natürlich eine Festanstellung: der Chef (Owner), meldet einen bei der Sozialversicherung an, und monatlich überweist er das Gehalt aufs Konto. Alles, was der Erwerbstätige tun muss, ist konsumieren. Konsumieren ist unser Beitrag, den Kreislauf des Wirtschaftslebens aufrecht zu halten.

Kürzlich betrachtete ich die Truppe um Veranstaltungstechniker Ro. (Teufel). Drei vier griesgrämige Typen, mit denen ich im Leben nicht zusammenarbeiten möchte. Da wurde mir klar, wie gut es beim Ex-Owner doch war. Es hat einfach alles gestimmt. Gutes Klima. Gute Kollegen, tolle Arbeit. Zudem rundum glücklich bei Versicherungen gemeldet und das Geld kam auch fast immer pünktlich. Ich weiß noch, dass ich vor ein zwei Monaten klagte, kann das immer so weiter gehen? Tagein tagaus das selbe Ding. Wo ist der Künstler in dir? Hast du denn gar keine Pläne? Was macht das Leben bunt? Wenn du es gerne bunter haben würdest, was würdest du tun? Du könntest ewig weiter tackern (Möbel bauen) und nichts würde sich ändern. „Das nennt man Sicherheit“, würde Konzeptkünstler R. sagen,“ ein natürlicher menschlicher Impuls, dem man bereit ist zu folgen, aber Sicherheit schläfert ein“.

Nun, da die Firma insolvent ist, stellt sich die Frage nicht mehr, ob ich immer so weiter machen würde. Vermutlich hätte ich es getan. Jetzt kehrt der Künstler zurück. Vier Optionen:

  • neue Arbeit, neuer Owner, neue Sicherheit, rundum glücklich
  • freischaffend, wie die letzten 15 Jahre (Kopfproblem)
  • erstmals seit langem Zeit und Geld auf einem Fleck – brisant!
  • das Unbekannte, noch immer größer als das Bekannte (etwas wird passieren, dadurch, dass du dich so und so verhältst und da und da hin gehst – lehne dich zurück und lasse dich überraschen. Eine Tür ist es allemal.

Warum dieses Loblied auf die Werktätigkeit? Das letzte Jahr war so unglaublich einfach. Ich habe mich damals, als ich noch Künstler war, immer davor gehütet, zu behaupten, der normale Mensch habe es leicht, sein Leben sei unbeschwert und sorglos, ich Künstler jedoch würde den schweren Weg gehen, weil ich ein unkonsistentes Einkommen habe, und jeden Moment könne sich etwas ändern. Ich habe das deshalb nie gesagt, weil ich versucht habe, mich von außen zu betrachten und folgendes Bild vorfand: das ist ein Typ, der sich die Zeit einteilen kann, wie er gerade möchte, der um zwölf Uhr aufsteht, oder gar nicht, wenn er keine Lust hat, der in Urlaub fährt, wann immer und wohin immer er will, der sich das Leben so unglaublich leicht macht und im übrigen ein ganz schrecklicher Nichtsnutz ist. Nichts von Alldem ist wahr! Ich behaupte, selbst der größte Müßiggänger, von außen betrachtet, der tagein, tagaus nur auf Wiesen liegt und in den Himmel starrt, macht sich das Leben nicht leicht. Wir dürfen uns nicht anmaßen, anderer Leute Leben zu beurteilen, weil wir es nie nie nie von Innen sehen.

Nur wer ein Leben lebt, kann es wirklich beurteilen. Nur wer der ist, der er ist, kann den beurteilen, der er ist.

Ich habe beide Leben ein bisschen gelebt: das legere Künstlerleben und das Werktätigenleben. Das Werktätigenleben hat mehr Vorteile. Das Künstlerleben ist abwechslungsreicher.