Opportunitätskosten

Nehmen wir mal an, der Owner erhielte zwei Aufträge für Möbel, die morgen Abend fertig sein müssen. So viele Möbel, dass Kollege T. und ich nur einen Auftrag erledigen können. So müsste sich der Owner für einen der beiden Aufträge entscheiden. Der andere Auftrag taucht dann in Form von Opportunitätskosten in einer nicht fixierbaren Bilanz im Kopf des Owners auf: Dadurch dass du eine Sache machst, kannst du eine andere nicht tun. Wer ins Kino geht, kann nicht gleichzeitig in die Sauna gehen. Wer bloggt, kann nicht am Roman schreiben. Wer glotzt kann sowieso nichts schreiben.

Soweit die Theorie.

Der Owner ist natürlich fein raus. Er nimmt beide Aufträge an und lächelt süß, ihr macht das schon. Geschickte Zeitkomprimierung und Mitarbeiterpotenzierung. Gut, wenn man zwei Supertacker zur Umgehung von Opportunitätskosten bei der Hand hat.

Irgendlink wider die Blogvernichtung

Okayokay. Nimm die Fäden wieder auf. Ich habs ein wenig schleifen lassen mit der Bloggerei. Zum einen die Sinnfrage, die mich daran hinderte. Zum anderen waren die letzten Arbeitstage ziemlich zermürbend. Ich habe das zunächst nicht bemerkt. Aber insbesondere vor dem Wochenende legten Kollege T. und ich die Messlatte, wieviele Loungemöbel man an einem Tag bauen kann so hoch wie nie zuvor. Der Owner ahnt leider nicht im Geringsten, wie runinös solch eine Hektik ist. Ich glaube sogar, er dachte – als ich ihm gestand, wir haben die Arbeit, die wir sonst in 10 Stunden machen, in sieben erledigt – was haben die im letzten Jahr getan? Wieso kann das nicht immer so schnell gehen? Dabei ist die Antwort so einfach: wenn du das eine Woche so machst, bist du tot. Schreibs groß TOT!!! und noch paar Ausrufezeichen dahinter. Wäre, als würde man zwei Tour de Frances hintereinander fahren und gewinnen. Es ist schlicht unmöglich. Nur in Ausnahmefällen kann der Mensch über seine Grenze gehen, wohl wissend, dass er am nächsten Tag dafür bezahlt: mit Schmerz, mit Erschöpfung, mit einer inneren geistigen Leere von unglaublichem Ausmaß.

Kurzum: das Wochenende musste zur Erholung herhalten.

Geschätzte Frau Wildgans hat mir einen interessanten Artikel-Link geschickt: Buschheuer-Interview bei Spiegel-Online über das Beenden ihres Blogs „weil du dir manchmal ähnliche Gedanken machst“, schreibt die Wildgans.

Stimmt. Gedanken wie:

  • was ist der Sinn dieses Weblogs?
  • blockiert die Bloggerei nicht andere, größere Projekte?
  • verliere ich mich selbst?
  • ist doch alles zu intim.
  • irgendwann spricht dich jemand auf der Straße an – bist du Irgendlink? – und rammt dir ein Messer in den Bauch.
  • kann man damit Geld verdienen?
  • wenn ja, darf man es?
  • Bloggen als Genre der Literatur; wird das jemals möglich? Und wenn ja, kriege ich dafür den Nobelpreis?

Frau Buschheuer äußert in dem Interview, Bloggen sei wie viele kleine Fehlgeburten. Markantes Wort. Klingt gut. Wäre aber Schwachsinn, es auf das eigene Blog zu beziehen. Im Irgendlink-Blog gibt es nur zwei Fehlgeburten. Und die sind, wie das bei Fehlgeburten so ist, klammheimlich verschleiert in den Privateinträgen: Sie heißen Le Courant und Europenner. Zwei Buchansätze, bei denen ich leider nicht über die ersten Zeichen hinaus kam. Es wäre dennoch vermessen, sie als Fehlgeburten zu bezeichnen, denn im Kopf arbeite ich ja immer noch an dem geistigen Gut. Das Weblog ist jedenfalls nicht schuld, wenn etwas anderes liegen bleibt, sondern einzig der Mangel an Disziplin und die scheinbare Aussichtslosigkeit der Perspektive.

Das Bloggen ist für mich, als Schreib-Anfänger, eine Methode, zwanglos zu üben, Techniken auszuprobieren und an der komplizierten Statik größerer Geschichten zu frickeln.

Die Sinnfrage habe ich, wie im Prinzip alle Fragen in der obigen Liste, beantwortet:

  • Sinn ist nicht wichtig
  • ja, blockiert anderes in Form simpler Opportunitätskosten und das sind Kosten, die man immer in Kauf nimmt. Größeres wird dennoch kommen und würde nie kommen, ohne vorher gebloggt zu haben (schließlich könnte ich auch nicht die Anden einfach so per Rad überqueren, ohne vorher zu trainieren).
  • Selbstverlieren kommt vor Selbstfinden
  • Nichts ist intim genug
  • wird nicht funktionieren, da ich Fremden auf der Straße immer sage, „ich heiße Schmidt, sie müssen mich verwechseln.“
  • Ja, kanns ne Menge Asche mit machen.
  • Ja, aber bleib elegant, sonst begibst du dich auf das Niveau anderer Kleinkrämer.
  • Ich wollte schon immer mal die schöne Nina in Stockholm besuchen.

Kurzum: Dieses Blog ist als Langzeitexperiment zu sehen. Ich kann meine Forschungsarbeit nicht einfach aufgeben. Würde kein ernsthafter Wissenschaftler tun.

PS: mein nächster Aufsatz soll von der Bloggosphäre als gesamtem, schützenswertem Gedankenraum handeln und die Hintergründe der Wechselwirkung zwischen Bloggern, Kommentierenden und Lesenden behandeln. (hehe, vielleicht eine weitere Fehlgeburt, die ich in den Privateinträgen versenke, denn das Thema ist kompliziert).

Dieses rumorige Schweigen kann ich ja selbst kaum ertragen. Wieder gingen einige Paletten Loungemöbel durch meine Finger; freitags sogar ein Übermaß, so dass ich samstags bewegungsunfähig erwachte, bis halb 12 im Bett dümpelte und dann die tolle T. anrief, wir müssen radfahren, und das taten wir denn auch auf einer wunderbaren Runde durch die lieblichen Bachtäler dieser Gegend. Wieder im Gleichtakt, auch wenn er sich dieses Mal nicht durch Trittfrequenz manifestierte, sondern durch Worte wie: „Sieh mal, was für eine schöne Parkbank.“ – „Du sprichst mir aus der Seele.“ So fläzten wir an diesem sonnigen Tag von Picknick zu Picknick.

Heute bei Twitter angemeldet. Zunächst war ich ja strikt dagegen, diesen Modeschnickschnack mitzumachen. Konzeptkünstler R. honepipelt: „Twitter ist das englische Wort für Geseier oder Gesabbel. Also dahin gerotzte Nichtigkeiten im SMS-Format. Es projiziert die gesamte Wertlosigkeit menschlichen Seins auf einem einzigen Internetportal.“

R. stand um die Jahrtausendwende auch dem Medium Weblog sehr kritisch gegenüber.

Ich bin da anders. Um mir ein Urteil zu bilden, muss ich die Dinge austesten. Beim Blog hat es ja auch geklappt, und ich habe in den Millionen Weblogs, die es gibt auf der Welt schon über 50 Stück gefunden, die das Format rechtfertigen. Ha! Ich könnte sogar vorneweg zwei Weblogs nennen, die das Twitterformat quasi erfunden (und zwar schon vor fünf, bzw. neun Jahren) haben und wenn sie bei Twitter auftreten würden, schlügen sie ein wie eine Bombe.

Konzeptkünstler R. rechtfertigt: „Mit solchen Internetportalen ist es eigentlich wie mit Sodom. Zehn Rechtschaffene rechtfertigen die Existenz allen anderen Mists. Du hast schon zwei. Finde noch acht und ich revidiere meine Meinung.“

  • arglos über das Leben schreiben
  • den Alltag zelebrieren
  • schone dich nicht
  • schone nie die Anderen
  • sag immer die Wahrheit
  • beuge sie, wenn nötig, denn die Wahrheit ist eine weiche Masse
  • vergiss, nachdem du gedacht
  • geh‘ nach Vorne, gehe weiter, halte niemals an

Für immer Dein

Der arglose Van Helsing, wie er in der letzten Szene von Roman Polanskis Tanz der Vampire auf seinem Schlitten durch die eiskalte transylvanische Nacht gleitet. „In dieser Nacht ahnte Professor van Helsing nicht, dass er das Böse in die Welt bringt,“ sagt eine Stimme aus dem Off.

Nicht anders, als der Owner. Er ahnt nicht im Geringsten, dass er aus Kollege T. und mir kleine, fiese Kampfmaschinen züchtet. War unser Arbeitsweg im letzten Jahr nur 30 km pro Tag lang und wir radelten täglich hinüber in die Loungemöbelwerkstatt, so ist er nun, auf der neuen Arbeitsstelle 50 km lang. Noch immer radeln wir, denn wir sind arme Schlucker, geizig, sportbegeistert und ein paar Stunden Radfahren am Tag hat noch niemand geschadet. Heute spürte ich die Fitness, wie sie durch den Körper sickert, alles durchdringt, sich festsetzt. Wenn ich nicht auf dem Arbeitsweg sterbe, werde ich als machtvolle Person aus der Sache hervor gehen. Genauso T. Da wir nun eine halbe Tagesetappe, die man als Langstrecken-Radreisender normaler Weise zurück legt, einfach so erledigen und zwischendrin 8 Stunden arbeiten, werden wir zu ganz gefährlichen Typen, denen irgendwann nichts mehr einen Schrecken einjagen kann.

Wenn wir das ein Jahr lang so machen, werden wir 15.000 km geradelt haben und etwa 60.000 m Höhe überwunden haben. Gut sechs Mal den Mount Everest rauf.

Es ist anzunehmen, dass das so passiert, denn in der Loungmöbelszene kennt man Worte wie Urlaub, Freizeit oder Wochenende nicht.

„Für immer Dein“, kritzelte vor einem halben Jahr Kollege T. auf ein Pappband und legte es mir um den Arm. Eine wunderbar ironische Hommage an den Owner.