Manchmal kommt es mir so vor, als wäre die Kunst nur die Fortsetzung der Landwirtschaft mit anderen Mitteln. September ist ein Fluch. Erntemonat. Eine Ausstellung hetzt die andere. Seit halb sechs wach. Kaffee. Kälte kriecht ins Kreuz. Ich bin zu faul, den Ofen in der Künstlerbude anzuschüren. Sonne komm‘ endlich!
Ein Kunstereignis jagt das nächste und über allem gaukelt das Offene Atelier in zwei Wochen. Muss noch Bilder bestellen, Tinte, Papier und obendrein habe ich mir noch das Mittelrhein-Projekt zur Chefsache erklärt, sprich, ich blogge mir innerlich die Finger wund :-). Die Freunde vom Mainzer Kunstverein Walpodenstraße trudeln heute Nachmittag ein und dann wird es für drei Tage ziemlich stressig hier auf dem einsamen Gehöft. Das Atelier ist Austragungsort der elften Kunstzwergfestivals. So spaßig die Sache wird, so schwierig ist es auch für mich. Das Organisationsteam beansprucht die Künstlerbude. Ich habe dann keine Privatsphäre mehr, weil ja die Künstlerbude ein katarktisch fraktales Konstrukt ist, das man am ehesten als Einraumstudio bezeichnen könnte. Sessions bis drei Uhr nachts. Die Suffnasen werden nonstop am Tresen lungern und labern labern labern. Nicht dass ich nicht auch Freude daran hätte, ab und zu, aber doch nicht drei Tage am Stück! Gestern diagnostiziere ich eine Art Autismus, der sich darin äußert, dass ich ruckzuck das Interesse verliere an Gesprächen. Sei es noch so interessant. Irgendwann erreichen Situationen einen Wendepunkt, ab dem es weh tut, zu kommunizieren, bzw. das Gegenüber kommunizieren zu lassen. Unermüdliche Wordbucket-Challenge. Ich selbst verfalle in eine schweigende Starre, die das Gegenüber nur noch mehr zum Reden, reden, reden anstachelt. Meine Schwester besucht uns nachmittags und berichtet über eine Bande von Taubstummneppern auf einem Supermarktparkplatz, die nur so taten, als könnten sie nicht reden und sammelten Unterschriften, baten um Spenden. Wenn es die Situation erlaubt, durchwühlen sie die Taschen ihrer Opfer nach Geld. Die Schwester redet und redet und wiederholt sich. Wendekreis des Schmerzes: ich lasse sie zusammen mit meiner Mutter stehen und als ich ein paar Minuten später zurückkehre ins Haupthaus, redet sie immer noch.
Die Schwester trifft keine Schuld, klar. Ich vermute, das Problem liegt darin, dass wir im weltweiten aufblähungs- und immer-mehr-Wahn verlernen, was Stille ist, was Stillstand und Rückschritte sind. Hand in Hand geht der große Bruder Wachstum mit seinen Geschwistern aus allen Bereichen des Lebens. Die Menschen verlernen, Leerräume zu lassen. Und je mehr man selbst Leerräume lässt, zum Beispiel im Zwiegepräch, desto mehr werden sie von anderen vereinnahmt.
Halb neun jetzt. Keine Sonne. Klamm sind die Finger. Ich überlege, ob ich diesen Artikel ebenso wie den vorigen in die Privatschleife des Blogs schicken soll … ach, seis drum, es muss auch mal wieder Alltagstexte geben, gewürzt mit der Bitternis eines guten Schusses Larmoyanz, sonst verliert man ja jegliche Leutseligkeit … schaut mal vorbei beim Kunstzwerg.
Und jetzt raus, schuften.