„Runter in die Stadt“. Ich weiß nicht, wieviele Einträge mit diesem Claim markiert sind. Fast wäre es eine Rubrik wert. Die Runter-in-die-Stadt-Passagen sind grobe Situationsbeschreibungen eines hastig durch die Welt Schreitenden, der irgendetwas will. Einkaufen, Bank, Post etc.. Bestandsaufnahmen, en Passant geschrieben und gewürzt mit einer Prise Wehmut über das Dahintrudeln der Gesellschaft. Die steilste Straße der Stadt ist wie ausgestorben. Der hinaufkeuchende Typ schaut mich verduzt an, als ich ihn grüße. Grüßen ist eine Frage der Richtung, in die man sich bewegt. Und der Größe der Ortschaft, in der man sich befindet (siehe hierzu: Diesseits und jenseits des Grüezigrabens). In der Stadt grüßt man nicht, auf dem Dorf ist es hingegen üblich. Ich phantasiere über ein gravitatives Problem des Grüßens, wonach, je dichter die Bevölkerung zusammenlebt, desto unüblicher das Grüßen. Ist wie Schwarzes Loch: die Stadt schluckt jede Höflichkeit, jede Nähe und jede Herzwärme. Nach einem Treffen mit den KünstlerkollegInnen radele ich durch den Augustabend zurück, im ZickZack, Plakate und Flyer für das Kunstzwergfestival verteilend. Die Verdrossenheitsallee in der Schillerstraße ist übervölkert mit Schluckspechten, zeternden Frauen, Humden. Zwischen uralten klapprigen Fahrrädern und rostigen Kleinwagen lungern jede Menge seltsame Typen in den Feierabend. Verdrossenheitsklientel, oder nur arbeitende Schicht, die sich freitags zum Feierabendbier versammelt? Ich weiß es nicht. Wäre es ein Wochentag um halb zwei nachmittags, müsste ich die Diagnose, Gesellschaft geht vor die Hunde stellen, aber freitags um sieben sind das nur seltsame Typen, die an einem verpissten Ort im Stadtkern Bier trinken. Ich radele am Schwarzbach entlang und fabuliere ein Endzeitszenario, in dem nach und nach alle, die gerade eben noch den Fuß in der Tür der Mittelschicht hatten, abrutschen. Der Typ mit dem Golden Retriever da vorne, gassie gehend, wird schon bald seinen Job verlieren und nie wieder einen finden. Knapp fünfzig mag er sein. Nach und nach werden alle Ersparnisse verbraucht sein, das Auto kann nicht mehr repariert werden. Ein Krachen im Getriebe seiner, die wohlige Ruhe in der Mitte der Gesellschaft gewöhnten Familie. Kurzum, schon bald wird er vielleicht da hinten bei den anderen krakeelend auf eine Mäuerchen in der Verdrossenheitsallee hocken. Eine Sportlergruppe steht schwätzend, Muskeln und Sehnen dehnend auf dem – ich nenne es – Fitnessstrich an der Schwarzbachallee. Auch sie nur einige wenige Schritte vorm Abgrund? Düstere Gedanken an den Niedergang der Gesellschaft durch Ausbluten der hart arbeitenden Schicht. Die Bilder, die ich gesehen habe, könnten trügen. Vielleicht ist ja doch alles in Ordnung? Ich bilde mir das nur ein. Bin hysterisiert durch entsprechende Berichterstattung, die doch nur auf Verkauf abzielt. Verkauf von Nachrichten, Stimmungen, Meinungen. Und da macht nunmal derjenige das Geschäft, der das spektakulärste Angebot hat. Niedergang ist doch um so vieles spannender, als Aufschwung. Und somit ist Negatives auch viel besser zu verkaufen … ach hör doch auf. Du machst es doch genauso. Oder beobachtest du nur?
Zurück aus Paris
Just im Moment die Speicherkarten auf den PC entleert und die Bildergebnisse gesichtet: diverse Straßennamenschilder der französischen Hauptstadt, Trash, ein Fetzen Notre Dame, dann wieder Szenen aus der Erotten-Ausstellung. Ein proppenvolles Omadis, das ist eine Kneipe im 18. Arrondissement mit angeschlossener Galerie. Am Vernissagenabend wurde das Achtelfinale des Africancup auf sämtlichen Fernsehern des Bezirks übertragen, was die Kneipen füllte. Menschentrauben wuchsen auf den Trottoirs. Die Fans von Kamerun und Elfenbeinküste drückten sich die Nasen platt auf der Suche nach einem freien Blick auf einen der Kneipenfernseher draußen wie drinnen. Wild parkende Autos, um die sich schon gleich Polizisten scharten, begierig, parksündende Fans anzuzeigen.
Drei vier Tage in der Stadt, montags gearbeitet, indem ich mich von Notre Dame rund um die Insel fotografierte in Richtung Eiffelturm. Spitz ragte er im Dunst. Unerreichbar, denn Stadtspaziergänge sind viel anstrengender, als zum Beispiel durch den Pfälzer Wald zu wandern. Der Verkehr fordert deine ganze Aufmerksamkeit. Lärm zermürbt. Mit stierem Rundumblick ein besonderes Augenmerk auf Hundescheiße gerichtet, die Übelkeit am Beginn der Tuilleries bekämpfend.
Soweit so gut erstmal.