Männer, die nie ihr Geschirr selbst spülen mussten

Beitragsentwurf vom ersten Juni 2025, bearbeitet 21. Oktober 2025

„Die Welt krankt an alten weißen Männern, die im Stehen pinkeln …“, postuliere ich, „… und die ihr Geschirr nicht selbst spülen müssen und nie ein Klo geputzt haben.“ – „Nein nein, das ist abgeschmackt“, mildere ich mein Urteil, „nenn‘ sie nicht alte weiße Männer, denn das ist genau das, was sie wollen. Dann können sie schön in ihre Opferrolle schlüpfen, während sie röhrenden Auspuffs mit wehendem grauem Haar in ihren Cabrios in den Sonnenuntergang brausen. ‚Typen‘ reicht vollkommen. Ignorante Autoritaristen. Und ja, es sind fast immer Männer.“

Meine Hände im warmen Wasser der Spülschüssel. Licht in der Küche schummert. Das Becken ist voller Geschirr. Wasser schäumt. Zwischen Schüsselchen, Tellern, Besteck und ein paar Konservengläsern schwimmt eine Bürste und ein Schruppschwamm. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst spülen soll. Greife ein Messer, dann einen Kaffeelöffel, dann die hölzerne Kelle, an der die Nudelreste vertrocknet sind, scheitere an der Kelle, lege sie zum Einweichen zurück, nehme eine kleine gläserne Schüssel, in der eingetrocknetes Mehl sich noch nicht lösen will, scheitere auch damit, greife ein paar weitere Gegenstände vom Spülstapel, der seit Tagen steht, lege sie ins Wasser und erkenne.

Genau so sieht mein Hirn aus. Voller Gedanken, die alle gleichzeitig als Ketten von Seins und Tuns laufen. Im Hintergrund ein geheimisvoller cerebraler Peitschenschwinger, der die Herde antreibt, los, voran, macht schon, ohne zu erkennen, das ein jedes dieser zarten Gedankentierchen, die den Karren ziehen, seinen Raum braucht, seine Zeit, seine Aufmerksamkeit, um aus dem Chaos erlöst zu werden, um zu Ende gedacht zu werden.

Ich kann mich nicht konzentrieren. Beginne einen Blogartikel zu denken über alte weiße Männer, die ihr Klo nie selbst putzten, stelle mir diese Männer vor wie frisch Gewählte, die ihr Hitlerbärtchen frei auf der Stirn tragen, schmunzele, da kommt mir die unverputzte Wand im Keller der Frau Mama in den Sinn, „Mann, Mann, Mann, da müsstste doch auch mal dran arbeiten!“ Stelle mir vor, wie ich das Spezialgemisch an isolierendem Schlämmputz anmische, zuvor mich in Schutzkleidung, Brille, Staubmaske etc. gehüllt habe, die Mischung genau abwiege … herrjeh, dieser Gedankengang verliert sich auch wie so viele, ohne dass der dazu nötige Körper je in Betrieb genommen würde. Ein Reisekunstprojekt im Sommer drängt sich nach vorne, will geplant, gedacht und auf Möglichkeit geprüft werden. Auch dieser Gedankengang reißt ab. Zu groß. Ebenso wie verwaltungstechnisches Zeug, das mich ohnehin anekelt zu denken und zu tun. Dann schon lieber Geschirr spülen.

Zeit Zeit Zeit. Alles kostet Zeit. Kostet, schreibs in Anführungszeichen „KOSTET“, so weit ist es schon, dass du rechnest, Mann.

Wozu wozu wozu? Lass fließen. Hab Geduld. Nur so kannst du dem Chaos in deiner cerebralen Spülschüssel Herr werden. Wie auch in der echten.

Männer, die nie ihr Geschirr selbst spülen mussten. Geschweige denn den Tisch abräumen. Arrogante Kreditkartenzücker, die sich mit anderen arroganten Kreditkartenzückern auf Restauranttoiletten treffen, um sich stehend an Urinalen zu vergleichen: die Güte ihrer Anzüge. Armbanduhren blitzen. Scharf klingt ein Autoschlüssel in der Jackentasche, womöglich. Oberflächliche Gespräche zwischen Waschtisch und Toilette. Und dann zurück zum Tisch, wo das Frauchen wartet oder die Geschäftspartner, die Geliebte, ein Kreditgeber oder ein paar arme angestellte Hansels, die man mal beeindrucken wollte.

Mittlerweile ist das Spülwasser nur noch lauwarm. Ich werde es wechseln müssen. Es taugt bestenfalls noch als Vorspülwasser. Nehme in den eingetrockneten Töpfen je ein bisschen des Wassers, und entledige mich des Geschirrs, das ich als sauber gelten lasse rüber auf das Abtropfgestell. Bevor ich weiter mache, muss der Boiler erst aufheizen, kann ich ein bisschen abtrocknen und Platz schaffen auf dem Gestell, kann das lauwarme Spülwasser in den schwer zu bewältigenden, eingetrockneten Töpfen wirken, kann ich eigentlich auch unterbrechen und das finale Rettungsspülen auf ein Andermal vertagen.

Wie so ein Parallelgedanke über eine zu verputzende Wand, der Hand in Hand läuft mit einem Gedanken zu sommerlichem Reisekunstplan und anderen wichtigen Gedanken.

Mein Hirn ist eine Spülschüssel, in der das Wasser schmutzt und kühlt und es funktioniert deshalb nicht mehr richtig und ich muss alles rausräumen und neu einrichten und das geht am besten beim Radfahren, beim Ausüben einer linearen Tätigkeit, in der Eins aufs Andere folgt, Kilometer um Kilometer, Kreuzung um Kreuzung, Bergetappe um Bergetappe.

Dies ist der Beginn meiner Radeltherapie. Paar Tage her, dass ich die Spülschüssel leerräumte, ein paar Töpfe nur noch stehen ließ, das Radel sattelte und längere Tagestouren machte. Die erste, ringst um Pirmasens, war hektisch, Vatertag wars, die Welt ohnehin grundaggressiv, alkohlgetränkte Bollerwagenarmada, die aber mitten im Pfälzer Wald sich verlor oder gar nicht existierte. Je pfälzer der Wald, desto freundlicher die Menschen, postulierte ich.

Kehrte abends heim mit 140 Kilometern in den Beinen, erschöpft glücklich. Diagnostizierte da erst mein Spülschüssel-Hirn-Syndrom, beschloss, weiter zu machen und über allem gaukelte das Mies der Welt, die falschen am Ruder, aber daran kann ich ja nichts ändern. Betonköpfe, die rückwärtsgewandt eine fossile Ära hochleben lassen und alles Neue abwürgen. Typen, nenn sie Typen, die im Stehen pinkeln und sich des feinen Urinsprühs nicht bewusst sind, der die schneeweißen Hochglanzfliesen ihres Badezimmers benetzt und der sich zu einer klebrigen Kruste schichten würde. Typen, die nie Geschirr spülen mussten, weil sie arme Teufel dafür bezahlen, den Schmutz zu beseitigen. Das Geschirr. Die Urinsteine …