Von Hamburg nach Berlin, Stoppover in Lüneburg. Unsere Nachbarn auf dem Zeltplatz Land am Stover Strand hatten uns die alte Hansestadt in blumigen Worten schmackhaft gemacht: Backsteine, skurrile Fassaden, schiefer Kirchturm, noch mehr Backsteine … Kurs setzen mit dem Navi. Halbe Stunde Fahrt in einer Art Bypass südlich zur offiziellen Berlinstrecke. Kurzer Stadtspaziergang, Backstein, Backstein, alles muss verstack sein. Wir verbuchen die Stadt als passable Schönheit mit nordischem Reiz – ein bisschen muss ich an das pfälzische Speyer denken. Der En Passant Tourismus hat leider stets einen gewissen Weiter-weiter-weiter Geschmack. Unterwegs stoppen wir bei einem Baumarkt, um ein Scheinwerferlicht zu kaufen. Begegnung der skurrilen Art. Der Verkäufer erklärt uns kurzerhand zum Notfall, kommt mit zum Auto, baut die kaputte Glühbirne aus, verkauft uns zwei neue – die muss man immer beide wechseln, sagt er. Der Mann ist ruppig, bestimmend. Wir sind von der Reise bis zu gänzlicher Milde weichgeklopft, so dass wir ihn geduldig gewähren lassen. Immerhin fummelt er die neue Birne wieder in den Scheinwerfer, versucht sich nun an der anderen Seite, die aber nur mit Zwergenhänden zugänglich ist, gibt auf, zündet sich eine Zigarette an, während SoSo die Motorhaube runterfallen lässt. Bloooß nicht, zischt er, das ist genau das, wass euch die Birnen kaputt macht. Herrlich. Im normalen Leben, davon bin ich überzeugt, wäre die Sache in ignorantem Streit ausgeartet. Hier aber, als schreibende Reisende, stehen wir staunend vor einem vom Leben zum Individuum geformten Stück Mensch.
Das Navi lotst uns durchs Wendland nach Mecklenburg oder/und Brandenburg oder gar Sachsen-Anhalt, zig Kilometer über enge Landstraßen im Konvoi mit Vierzigtonnern, deren Außenspiegel limbo-esque sich an den Alleebäumen und den Außenspiegeln entgegenkommender Lastwagen vorbeischlängeln. Bis wir endlich die A24 erreichen. Rein nach Berlin. Parkplatz direkt vorm Haus. Vollbepackt in die gemietete Bude. Eine Punkerin mit zwei Hunden, der man das Fahrrad in der Nacht geklaut hat, hier im Innenhof, fragt, ob wir was gesehen haben. Ne, wir sind Feemde. Ziemlich verwahrlostes Treppenhaus. Die Türen der Erdgeschosswohnungen scheinen mehrfach aufgebrochen. Mitsamt Schloss aus der Wand gehebelt. Weitere Nachbarn – mit Kampfhunden. Man grüßt sich. Wenn man die friedliche Landidylle, aus der man kommt, als Schablone nehmen würde, so würde sich nun im Schummerlicht des Treppenhauses ein beunruhigendes Bild zeichnen. Aber wir sind in Berlin. Hier gelten andere Maßstäbe. Die angeborene Enge im Kopf ist hier ein bisschen weiter gefasst. Hier gilt ein bisschen mehr als normal, als bei uns zu Hause. Unsere Wohnung ganz oben unterm Dach ist sauber, ruhig. Und die dicke Kette an der Tür vermittelt ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
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