Never mind the ‚Fünfhüpfberge‘ #mdrzl

Südwind. Kühl. Etwas ungemütlich. Ein Picknick-Pavillon an einem ruhig fließenden Fluss. Auf der anderen Seite des Flusses das Dorf Kunheim. Landstraße mit Stoßverkehr, ähnlich ungemütlich wie der sanfte Südwind.
Ich zwinge mich dennoch, zu schreiben. Das gehört dazu. Schließlich bin ich auf dieser Kurztour in die Schweiz und zurück auch ausgerückt, um meinen Worflow zu überprüfen und auch, um zu schauen, wie eingerostet ich schon bin. Der Workflow des reisenden, radelnden, schreibenden irgendwas mit Kunst Machenden, kurz des modernen Appspressionisten, besteht daraus, sich Richtung Tourziel zu bewegen, Dinge zu erleben, Gedanken zu verfeinern und über das Erlebte zu schreiben. Mobil. Per Handy ans Internet angebunden, per Apps die Daten verarbeitend und sortierend.

So sieht es hier aus. Zur Mitte des Pavillions steht ein feiner Picknicktisch, auf dem ich die paar Lebensmittel ausgebreitet habe, die mir von gestern geblieben sind. Dazwischen eine Minitastatur, das Handy, Notizapp geöffnet. Jeder Tipp auf die Tasten ein Treffer, Gedanken fließen lassen, ein Vogel ‚uhut‘, ab und zu Autos. Überlaute Mopeds, ein Jogger im gelben Hemd und zwischen den Frühstückssachen Brillenetui, Taschentücher, ich will nicht zu sehr ins Detail gehen.

Der gestrige Tag war hart. Zehn Uhr gings in Brugg los. Die Liebste Frau SoSo begleitete mich einige Kilometer den Bözberg hinauf und wieder hinunter zum Bahnhof Effingen, wo wir uns verabschiedeten. Durchs Fricktal nach Bad Säckingen abwärts, lief prima auf Radwegen und in Deutschland dann auf die Rheinradroute. Wehr Brennet im Klosterhof traf ich einen anderen Reiseradler. Kurz zuvor hatte ich eine Karotte in Nutella getunkt und an dem bis zum Schaft braunen, phalliscchen Objekt genagt, brach in schallendes Lachen aus bei dem Gedanken an die entsetzten Blicke allfälliger Passantinnen und Passanten, doch ich blieb unbeobachtet.

Dietmar aus Thüringen. Schon Wochen unterwegs und so verplauderten wir den Weg bis Basel, was auch das Drängen ein bisschen aus meiner Reise nahm. Die Zeit verging wie im Flug. Selfies zum Abschied und wer weiß, vielleicht sieht man sich mal wieder.

Das Quietschen am Radel war da schon präsent und auch mein tief verinnertlichtes Wissen, wenn etwas am Radel klappert oder quietscht, suche die Ursache und zwar sofort. Tat ich natürlich nicht, wollte ja voran kommen. Bei der Dreiländerbrücke rüber nach Huningue  und schon in der Petite Camargue, ein Naturidyll am ehemaligen Kanal, Sandwege. Das dimmte das Quietschen, aber sollteste mal was machen, sagte ich mir, doch da überholte mich Mathieu aus Mulhouse, Novartis-Angestellter auf dem Heimweg. Mit dem Rad zur Arbeit trifft mit dem Rad zur Liebsten. Gut zehn Kilometer plaudern wir. Er spricht gut Deutsch. Dass er morgens 1:42 Stunden gebraucht hatte für die gut vierzig Kilometer, erzählte er mir. Mit dem Zug dauere es im Winter über eine Stunde und eben, das ist ja allgemein bekannt, dass man so schön entspannt nach Hause kommt, wenn man radelt. Portion Sport schon intus. Es gebe eine Dreiländer-Radroute von 210 Kilometern Länge, erzählt mir Mathieu und dass Novartis, zwar in der Shweiz, einen Mitarbeiterparkplatz habe, der in Frankreich liegt, den man aber nur von der Scchweiz aus erreiche. Wir hangeln uns über das Enklaventhema nach Büsingen und all die kleinen Schweiz-Zotzen, die nach Deutschland ragen und die Deutschland-Polypen, die in der Schweiz wachsen bis hin zum Haus zwischen Belgien und Deutschland, durch das die Grenze angeblich verläuft. Lustige und weniger lustige Grenzabsurditäten, wie etwa beim Brand eines Novartis-Gebäudes vor einigen Jahren, das auch auf französischem Gebiet liegt und bei dem erst einmal ausdiskutiert werden musste, ob die französische, die Schweizer oder die Betriebsfeuerwehr zuständig ist. Mathieu lacht verschmitzt, das ist natürlich eine moderne Legende über Bürokratismus. Hoffentlich.

Endlich Zeit, dem Quietschen nachzuforschen: Gepäckträger-Bruch steht unmittelbar bevor. Kaum Hilfsmittel, keine Hülsen, Schlauchschellen, nichts an Bord. Im Straßengraben halte ich Ausschau nach Draht und Blech, bis mir die Sache zu heikel wird und ich absattele und mal schaue, was ich mit Bordmitteln tun kann. Schließlich muss das Ding ja nur noch 200 Kilometer weit am vollendeten Bruch gehindert werden. Zwei Kabelbinder, welch Segen und die Reifenheber als Schienen lösen das Problem. Hoffentlich. Das Quietschen ist jedenfalls weg und es hört sich auch nicht schlimm an auf den letzten Kilometern hier her zu meinem Pavillion, die über ein von Wurzeln aufgefaltetes Radwegasphaltgebilde holpern. Spät ists. Zehn Uhr durchquere ich Neuf Brisach. Marckolsheim ist ausgeschildert, zwanzig Kilometer, schaffe ich noch. Ich könnte mir auch gut vorstellen, bis weit in die Nacht zu fahren. Der Tacho zeigt nix mehr, weil unbeleuchtet. letzte Werte, die ich im Dämmerlicht lesen konnte, waren um die 100 Tageskilometer und knapp sechs Stunden Fahrtzeit. Einer Nachtfahrt stünde tatsächlich nicht viel im Weg. Es ist nicht so kalt und der Kanalweg führt bis nach Straßburg hinein.

Aber dann ist da dieser Pavillion. Pfosten genau richtig im Abstand, um die Hängematte aufzuhängen. Der Lageraufbau ist holprig. Ich bin aus der Übung. Muss in allen Taschen wühlen. Nicht auszudenken, wenn es hätte schnell gehen müssen bei etwa Regen oder anderen widrigen Umständen. Nun stehen knapp 140 Kilometer auf dem Tacho und gut acht Stunden Fahrtzeit. Mit viel Selbstüberwindung könnte ich die 160 Kilometer bis nach Hause heute noch schaffen. Aber erst einmal warm radeln. In den Nordvogesen lauern zudem die ‚Fünfhüpfberge‘. So nenne ich das faltige Gebiet zwischen dem Rhein-Marne-Kanal und dem Bach Zinsel. Ein elendes auf und ab. Darf gar nicht daran denken.