Das Überfahren eines anderen Menschen in einem hektischen Moment im unaufhaltsamen Getriebe des gesellschaftlichen Miteinanders

Ich dachte 50? sagt der Mann. Seine Kreditkarte steckt im Tankautomat. Wir tanken unser Auto. Wir haben genug, passt schon, sage ich, drücke weiter den Tankrüssel, 55 Euro, 56 Euro und so weiter. Der Mann bleibt gelassen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass etwas schief läuft, ich ihm zu nahe getreten bin im ewigen Weitertanken über die genannte Grenze hinaus. Das Gefühl habe zum Glück nur ich: Ich überfahre gerade einen freundlichen Menschen, der uns aus der Patsche hilft, habe ich den Eindruck und nun, da ich dies schreibe, einen Tag später, hoffe ich, dass es wirklich nur mein mieses Gefühl ist, nicht auch seins, denn so kommt die Welt aus dem Lot. Nachts drehe ich mich hin und her wegen des Ereignisses, wohl wissend, dass es geschehen ist und nicht mehr rückgängig machbar.

Der verflixte Automat aktzeptiert unsere Bankkarte nicht und wir haben nur noch wenige Liter im Tank, womöglich reicht es für 50 Kilometer, sagte Frau Soso. Das ist jetzt zwanzig Kilometer her. Ein kleines Dorf westlich von Bagnols-sur-Cèze. Nebenan tankt ein Mann, unser Mann mit der Kreditkarte, den ich  also fragte, ob er eine Tankstelle wüsste, an der man mit Bargeld zahlen könne. Klar, sagte er, Bagnols-sur-Cèze, da fahren sie die Straße runter, er gestikuliert Richtung Osten, bis zum Kreisverkehr, rechts ab, dann ist da eine Total. Da gibts noch echte Menschen. Fünfzehn Kilometer sind das. Und schon sehe ich uns eine bange halbe Stunde durch die Weingegend am Cèze-Fluss fahrend, immer wieder das Gepiepse der Tankuhr in den Ohren, hoffend, dass wir nicht stehen bleiben. Mein Hirn mahlt in dieser Sekunde Szenarien und wirft Fragen auf: Werden wir beim Trampen mitgenommen? Wie weit müssten wir wohl laufen, um einen Kanister Benzin aufzutreiben? Muss man diese modernen Benziner eigentlich entlüften, wenn man sie leer fährt? Ein Erlebnis vor einem Jahrzehnt kommt mir in den Sinn mit einem Ford, den ich mal bis zum letzten Tropfen zur Tankstelle brachte, volltankte, er nicht mehr ansprang, Benzinpumpe kaputt, zack 500 Euro.

Schon wollen wir los, da sagt der Mann, wir könnten über seine Karte tanken und ihm Bares geben. Wieviel, naja, 50 wird schon reinpassen, sage ich. Haben wir auch. Zeigen ihm das Geld als ob wir TrickbetrügerInnen wären. Hey, klasse, schon steckt er seine Karte ein, verifiziert, wir Tanken. Dann der ungute Moment, den vermutlich nur ich als ungut empfinde. Das Überfahren eines anderen Menschen in einem hektischen Moment im unaufhaltsamen Getriebe des gesellschaftlichen Miteinanders. Äh, moment, sie sind schon über fünfzig, wollten sie nicht … und ich sage, nene, passt schon, wir haben das Geld passend. Die Uhr stoppt bei 60,76 Euro und Frau Soso will ihm 65 geben. Er lehnt ab. Und eigentlich hätte ich die Sache in dem Moment gedanklich aus der Grübelmühle nehmen können. Aber so einfach bin ich leider nicht mehr gestrickt. Zumal es längst nicht mehr um die Sache selbst geht, sondern das dahinter stehende Grundgefühl.

Dass wir als Gesellschaft verachtlosen.

Tage zuvor eine sich ähnlich anfühlende Sache. Seit Stunden im Zug auf dem Weg in die Schweiz. Die R7 Karlsruhe-Basel ist wie meist proppenvoll. Ich sitze im Viererabteil und nebenan im anderen Viererabteil sitzt eine ältere Dame, die ihre Einkaufstaschen auf dem Nebensitz stehen hat und sich auch sonst recht breit macht. Die Beine ausstreckt, sich räkelt, gähnt, mit den Armen fuchtelt immer wieder. Mal liest sie einen Arztgroschenroman von Bastei, mal schläft sie oder stellt sich schlafend. Ein Mann mir schräg gegenüber hat seinen mutmaßlichen Enkel auf dem Schoß. Herzt ihn. Ein rührendes Bild und ich spüre die Sorge des Fremden, der seine Familie wahrscheinlich aus größter Bedrohung nach Deutschland gebracht hat. Ich trage den Urbandoo mit dem FFP3-Filter. Er zieht seinen Schal hoch. Die Frau, die den Sitz blockiert zieht auch ihren Schal hoch. Ich frage mich, ob das ansteckt, das Urbandoo-Tragen und ob ich Maskenträger Null bin. Der Initiator, von dem alles ausgeht. Es herrscht von Bahnhof zu Bahnhof reges Umtreiben im Zug. Leute rein, Leute raus. Viele stehen.  Über zwanzig Haltestellen. Der Sitz gegenüber der Frau wird frei. Der Junge nimmt ihn, baumelt mit den Beinen. Sie sagt, er soll die Beine ruhig halten, die kaum über die Mitte, die Grenzlinie im Abteil ragen, sie habe Angst, dass er sie tritt. Ohne, dass je ein Wort in einer Sprache fiel, spricht sie wie wir Deutschen nun mal mit vermeintlichen Ausländern sprechen, „Du nix treten, machen Aua“ oder so ähnlich. Ich schäme mich fremd. Freiburg. Noch mehr Leute. Der Mann mit Enkel hat einen Platz woanders gefunden. Gegenüber der Frau platziert sich ein Junge, recht groß. Seine langen Beine hält er bei sich, während die Frau ihre Beine immer wieder bis unter die gegenüberliegenden Sitze schiebt. Auf dem Schoß hat der Junge seine Freundin. Wie süß, könnte man denken. Oder: wie stillschweigend protestierend. Mach endlich den Platz frei, Frau gegenüber. Nichts passiert. Die Beiden räkeln hin und her. Die Einkaufstaschen voller Tand sitzen gut. Räkeln ist ein zu positiv besetztes Wort. Es ist mehr so wie mein Hin- und Herwälzen im Bett letzte Nacht. Der Mensch auf der Suche nach einer bequemen Position mit einem unsichtbaren Fundament aus Sorgen und Dünkel.

Ich hatte abgeschlossen mit dem Gedanken, zu intervenieren, die Frau anzusprechen, weil ich es übergriffig fand, die Polizei spielen zu müssen. Den Kapo. In Frieden mit mir selbst und im Grübeln über das Geschiebe zwischen uns Menschen, all unsere Konflikte, erreiche ich, erreichen wir den Badischen Bahnhof Basel. Sehr spät. Aus einer halben Stunde Zeit zum Umstieg sind zwei Minuten geworden. Wir drängen zu den Türen. Wir müssen alle runter zur Unterführung, rauf zum nächsten Gleis. Ein Junge drängt ganz nach vorn. Gutso, denke ich, der muss auch da rüber, das bremst den anderen Zug. Zwei Minuten bei leerem Bahnsteig sind gut machbar. Im Getümmel unmöglich. Ich werde unruhig. Schaffe es halbwegs in Würde und nicht drängend nach draußen, gehe schneller, dem Jungen hinterher, der wie ein Schneepflug eine Schneiße schlägt, die sich so schnell schließt wie eine panische Auster. Blockiert von Menschen. Drüben steht der Anschluss. Ich rufe, muss zum Zug, drängele, versuche mich durchzuquetschen, andere rufen, muss auch zum Zug, auf der Treppe eine Frau mit schwerem Koffer in Gegenrichtung, auf meiner Spur, für sie die Linke, für mich rechts. Schnauzt uns alle an, die wir ihr entgegen drängen, nein, sie schnauzt nicht, sie sagt eher etwas, wie ich bin auch noch da, so seien Sie doch rücksichtsvoll und ich sage, falsche Seite, gehen sie rechts wie es die Regeln verlangen. Beginne sofort, mich dafür zu hassen.

Die Fahrt war so ruhig und nun gerät wegen des Gedränges alles aus den Fugen. Völlig außer Atem erreiche ich den Zug. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich nur zwanzig Minuten später mit dem nächsten Zug ans Ziel gekommen.

Verflixt liege ich also letzte Nacht wach und denke mich durch das Geschiebe aus Konflikten, Minimalkonflikte von sich begegnenden Menschen, die in einer Hatz-hatz-schnell-schnell-Welt aneinander vorbei reiben und das eine oder andere ruppige Wort fällt, der eine oder andere Sitz steht voller Einkaufstaschen, der eine oder andere schaut weg, blendet sich aus, dämmert dahin, lässt es geschenen, nicht einmal drüber nachdenkend, was gerade geschieht. Dabei wäre ich doch eigentlich in der Position, in völligem Frieden zu ruhen. Muss aber darüber grübeln, hier, nachts auf einem einsamen Weingut in der Garrigue …  ich könnte so sorglos schlummern und in halbwachen Phasen den Mond betrachten, wie er zur Sichel geworden ist am glasklaren mediterranen Himmel, begleitet von Sternen nichts denken, keine Sorgen wälzen, einfach nur sein.

Und habe das Gefühl, es hat System mit der Welt. Die innergesellschaftliche Reibung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Wir werden einander pampiger, garstiger, schnell Schlag abtauschender als nötig wäre. Auf der ganzen Welt, im Internet. Überall wo Reibung möglich ist. Wir missverstehen und schieben aneinander vorbei. Achtsamkeit ist ein Stück Abfall geworden, Anstand ist anstößig, lieb sein böse.

In weiter Ferne mit einem gar nicht mal zu großen Puffer zwischen diesen noch als moderat zu bezeichnenden Reibungen im befriedeten Alltag liegen sie schon in den Schützengräben, greifen einander mit Drohne an, werfen Bomben, hetzen sich gegenseitig zu Tode – ein Muster, ein „Pattern“ ist es, das erahnbar ist und das unweigerlich seinen Lauf nehmen wird.

Tollmond

Noch immer geplättet von einer dreisprachigen Webseitengestaltung und dem Ausarbeiten eines neuen Kunstkonzepts, steht dem Künstler, moi même, der Sinn nach Wochenende. Die Risiken der feinen Künste sind dem „normalen“ Menschen (so es denn so etwas wie den normalen Menschen überhaupt gibt), wahrscheinlich nicht hinlänglich bekannt. Hauptrisiko: du bis immer im Dienst, wenn du Künstler bist. Dein korruptes Hirn ist ein gnadenloser Peitschenschwinger, der tagein tagaus auf dich einprügelt. Die Tage verschwimmen zu einer grauen Masse, in der es einerlei ist, ob Sonntag oder Werktag, Festtag oder irgendein kommerzieller Leerlauf mitten im Jahr. Wie besessen beißt du dich an Ideen fest, schläfst mit ihnen ein und das erste, was dir beim Aufwachen passiert, ist, dass du da anknüpfst, wo du abends aufgehört hast. Ein Trost hierbei ist, dass diese Arbeit Spaß macht.

These: Es gibt gar keine normalen Menschen. Jeder schleppt sein eigenes Bündel und argwöhnt, alle anderen, DIE da draußen, sind normal. Die Verschwörung der Normalen gegen das Ich. Was zur Folge hat, dass man versucht, aus der Masse der Normalen schwarze Schafe hervorzubeten und sie an den Pranger zu stellen. Was wiederum der ideale Nährboden ist für mittelalterlich anmutende Gerüchteköcheleien, die nur einen Fingerzeig entfernt sind von Hetzkampagnen, Scheiterhaufen, Verleumdungen. Komischerweise tat es ein bisschen weh, auf dem sozialen Mittelaltermarkt mit dem Designer-F die Unkereien zum neuen Regierungskabinett zu lesen, insbesondere über die designierte Arbeitsministerin, der man anlastet, sie habe noch nie selbst gearbeitet, sei immer schön Politikerin gewesen … tausendfach nachgebetet und von der einen Seite für gut geheißen und von der anderen Seite als Beschmutzung gesehen, bleibt unter dem Strich für fast hundert Prozent derjenigen, die darüber reden und Partei ergreifen die eine ignorierte Tatsache: DU WEISST ES NICHT.

Es ist faszinierend, wie schnell man sich ein Bild von etwas macht, das man persönlich nicht überprüfen kann und das somit – vor allem, wenn man weiß, dass die Mitmenschen nicht immer gute Ziele verfolgen und einen hin und wieder belügen – eine Wahrheit erschafft, die keine ist.

Wahrheit ist, wenn du glaubst, dass du weißt, glaubst du?

Falsch! Wahrheit ist erst, wenn du den Weg von der zu überprüfenden Sache zurück gegangen bist bis zur Quelle. Und wenn du die Quellen aller Seitenflüsse auch noch geprüft hast und sie persönlich gesehen hast. Übertragen auf das Amazonas-Gebiet, wäre Wahrheit also eine pure Utopie, weil man ein Gebiet so groß wie Europa erforschen müsste. Aber das ist irrelevant, denn der Amazonas ist vielleicht nur eine Erfindung … :-)

Wahr war der Mond wie er hinter einem Wolkenschleier schimmerte an jenem 16. 12. Spät radelte ich in die Stadt, um das Nötigste zu kaufen. Und im ewigen Takt der Pedale surrt das Hirn. Die Stadt – um halb neun abends fast menschenleer. Der Weihnachtsmarkt knieend zu Füßen der Kirche. Ein Trupp Hundetrainees, zwei Menschen gebückt über ihren Kontoauszügen vor der Schiebetür der Bank; für immer eingewintert die Außenbestuhlung vor einer Eisdiele wie von Christo verpackt. Mit jedem Tritt der Pedale wird das Gedankensurren in meinem Kopf leiser. Langsam den Reaktor runterfahren. Ich musste mich geradezu zwingen, das Haus – so spät, so dunkel, so kalt, so müde – noch einmal zu verlassen. Erst unten in der Stadt wurde mir klar warum: weil es mich beruhigt, weil das Radeln, das sich Bewegen, das das Haus verlassen die einzige Möglichkeit ist, Feierabend zu machen. Wieder kommt mir das Unken der anderen über die Ministerin in Spe in den Sinn. Wie können sie nur? Die kennen die doch gar nicht. Die plappern doch nur nach. Die machen doch genau das nicht, was schon in der Bibel steht, du sollst dir kein Bild machen. Neuzeitlicher, anders, aber gleich gefährlich, für wie es vielleicht einst gehalten wurde und weshalb man diese Weisheit niederschrieb. Dadurch, dass du dir ein Bild machst, machst du aus Mangel an Informationen automatisch ein falsches Bild. Alles, was Du nicht weißt, rankt sich als Speck um ein kümmerliches Skelett dessen, was du tatsächlich überprüfen kannst, du und dein unbedeutend kleines Wissen vom Universum und dem Rest.

Durch die Platanenallee am Schwarzbach radele ich Richtung einzig offenem Discounter. Vor einem Hotel breiten zwei Männer ihre Isomatten aus, machen komplizierte Sportübungen. Ich kann sie keuchen hören, während ich im düstren Licht der Straßenlaternen einen mit Filzstift geschriebenen Spruch auf einem Brückengeländer zu entziffern versuche. Ein zwei Meter langer Satz rankt sich diesseits und jenseits der Brücke auf dem Aluminium, schon mächtig von der Witterung angegriffen, so dass ich nur noch die Worte erkenne: „nur […] die Ente […] weiss“. Hindurch zwischen zwei Hundegassigängern wird mir plötzlich klar, wieso ich so allergisch auf die Marktgerüchte über die Ministerin reagiere: weil die Ministerin und ich das gleiche Schicksal teilen. Wir sind falsche Bilder, verankert in Köpfen normaler Leute. Wie oft höre ich, du Künstler hast es ja soooo gut. Kannst arbeiten, wann immer du willst und wie immer und Spaß macht es dir obendrein und du bist frei und – hier eine lange Kette von Worten und Eigenschaften, die man dem freischaffenden Künstlersein andichtet, wattegebettet – so gut möchte ich es auch haben. Bisher ist mir auf solche Kommentare noch keine schlüssige Antwort eingefallen. Die beiden Hundegassigänger grüßen – ich erreiche sie just an einem Engpass, so dass ich mich zwischen den angeleinten Hunden hindurchquetschen muss, Geknurre, Leinenzerren, ich komme mir vor wie eine Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Figur, die sich im Finale einer Schachpartie zwischen der schwarzen und der weißen Front hindurch schlängelt. Jetzt bloß keine Eins würfeln!

Später an der Supermarktkasse, an der die Verkäuferin gähnend dem Feierabend entgegen fiebert, schießt mir ein Wort in den Sinn: der Apokalyptische Käufer. Und ein Bild von vier apokalyptischen Käufern formiert sich von vier apokalyptischen Kassiererinnen, apokalyptische Warteschlangen mit Schwertern und Kreditkarten und Waagschalen … finde ich plötzlich die Welt in Ordnung. Das Lächeln der apokalyptischen Kassiererin wird erwidert vom Lächeln des apokalyptischen Kunden und beide sind sich so wohlgesonnen, das, was sie sich vom Leben des anderen vorstellen, nicht für bare Münze zu nehmen. Friedlich in den Feierabend driftend.

 

Birnbaum im Gegenlich des Vollmonds Sepiaton monochromBirnbaum vorm einsamen Gehöft in der Saarpfalz. Langzeitbelichtung bei Vollmond mit Gegenblitz, partiell weichgezeichnet.

To labour or not to labour

Bis drei Uhr wach. Das ist ruinös. Fühle mich wie durch den Wolf gedreht. Das freischaffende Künstlertum ist ein harter und sehr brotloser Job. Hatte eigentlich überlegt, heute Morgen mal wieder zum Arbeitsamt zu schaun, aber mit derart übernächtigten Augen? Ein Besuch beim Arbeitsamt ist eine angenehme Sache. Es ist wie Arzt. Es ist wie Vater. Es ist wie Gott. Es ist wie sagen: „Nu machmal.“ und sämtliche Eigenverantwortung drangeben. Paar Minuten starrst du deinen persönlichen Berater von der Seite an. Nur zwei drei Meter schuftet ein Mensch in einer Datenbank, die du zuvor selbst nach Jobs durchwühlt hast. „Nein, es gibt nichts in dieser Region.“ Es sei denn, du willst für eine Zeitarbeitsfirma als multifunktionaler Kunststoffdingeeinpacker von Fabrik zu Fabrik geschickt werden. Zu atemberaubendem Stundenlohn. Man sagt, das habe das Flair der Resozialisierung und es steigere das Selbstwertgefühl insbesondere von Langzeitarbeitslosen. Sklaverei ist es nicht.
Als mietfreier Bewohner eines einsamen Gehöfts, zudem ohne Auto und Bausparvertrag fällt mir die Wahl zwischen einem 4,5-Euro Kunststoffteilepackerjob und dem derzeitigen Null-Euro-privat vor sich hin wurschtelnden Content-Management-Systmebastler natürlich nicht schwer.

Mitten in der Nacht die Dateien für den Mainzer Kunstverein auf den Server übertragen und die, WordPress basierte, Vereins-Homepage eingerichtet. Ich schaute auf das Multifunktionsthermometer, welches mir Kokolores geschenkt hatte, spielte mit der Max-Min-Funktion, während die Daten dudelten. Im Hintergrund lief die Glotze. Ich glaube ich war glücklich. Es macht Spaß, die Dinge ins Rollen zu bringen und sich mit kniffligen Angelegenheiten zu beschäftigen. Heute Morgen steht die Gallery-Einrichtung an. Eine etwas kompliziertere Sache, die hier auf dem eigenen Rechner relativ einfach zu bewerkstelligen war. Aber draußen auf den Servern der Welt? Mit eingeschränkten Dateirechten?

„So wurschtelt man im Kreis,“ hat glaube ich einmal Konzeptkünstler R. gesagt, „man wurschtelt grundsätzlich im Kreis. Alle tun das. Niemand ist produktiv. Produktivität ist riskant. Man könnte dabei einen Fehler begehen und dann ist man seinen Job los.“

Die Kunst? Ach ja, die Kunst. Sie hängt derzeit in Paris in der kleinen feinen Galerie L’Omadis. Vielleicht mache ich heute Nachmittag einen Spaziergang. Das Tauwetter der letzten Stunden erlaubt es nun endlich, das erste Hidden-Art-Item zu vergraben.

Wie mühsam ernährt sich doch das Eichhörnchen im langen kalten, nienienie enden wollenden Winter am Rande eines Jahres, äh, öh, hmmm