Saint Thomas – gehackt, durchmischt, frisch angebraten

Habt Ihr alle Euren Fleischwolf griffbereit? Ein metallisches Ding, das man mit einer Flügelmutterklemme am Küchentisch befestigen und einen Napf darunter stellen kann. Ein Stück Huhn, ein Stück Schwein und ein Stück Rind wären noch von Nöten, um ein kleines Experiment durchzuführen, das veranschaulichen soll, wie das Thermalbad von Saint Thomas in den Pyrenäen funktioniert.

Wenn man die N 116 kurz hinter Font Pédrousse nach links abbiegt in eine unwegsame Schlucht, von der man nie im Leben glauben würde, dass dort eine Straße verläuft, kann einem die Enge ziemlich bange machen. Einspurig führt ein Sträßchen über Serpentinen und Kurven und winzige Steinbrücken hinüber auf die andere Seite des Têt-Tals. Ab und zu gibt es Ausweichstellen, an denen man den Gegenverkehr abwarten kann, kaum vier fünf Meter breite in den Fels gehauene Etwase. Der Wechsel zwischen Frost und Sonne führt dazu, dass sich von den Steilwänden immer wieder Steine lösen, die dann auf der Fahrbahn liegen. Schneller als zwanzig dreißig Kilometer kann man die zweieinhalb Kilometer bis nach Saint Thomas nicht hinaufkraxeln. In den Serpentinen muss man weit ausholen, um in einem Zug herumzukommen. Kurzum: der Weg nach Saint Thomas in das uralte Thermalbad in den Bergen ist ein echtes Abenteuer.

Trotzdem riskieren am zweiten Tag des Jahres etliche Wagemutige, mit ihren Allrad- und Kleinfamilienkutschen, den Weg hinauf, wo ein Parkplatz vor dem Bäderhaus leider viel zu wenige freie Plätze hat. SoSo und ich schaffen es kurz vor dem nachmittäglichen Stoßverkehr hinauf und ergattern einen der letzten freien Parkplätze. Kurze Zeit später läuft das Spiel etwa so: eine Kolonne von vier fünf Autos schiebt sich die Straße hinauf und muss wegen kein-Parkplatz wieder umkehren und die Sackgasse zurückfahren. So dass letztlich ab nachmittags drei Uhr alle vergeblich hinauf fahren und wieder zurück müssen. Durchdringung zweier vollbesetzter Sonntagsausflugs-PKWs. Wenn dies das Thema in dem Kurs Technisches Zeichnen gewesen wäre, den ich vor etlichen Jahrzehnten einmal gemacht habe, hätte ich bestimmt mehr Spaß an der Herausforderung gehabt, als an Durchdringung eines regelmäßigen Hexaeders mit einem Zylinder.

Seltsam setzt sich dieses Durchdringungs-Motiv in den Thermen fort. An der Kasse herrscht Hochbetrieb. Die Umkleide ist „einbahnstraßig“ wie die Straße hier herauf. Um hinüber zu gelangen ins Bad, müssen alle durch die Umkleidekabinenschleuse, etwa zwanzig Kabinen, in denen sich die, die nach draußen wollen mit denen, die hineinwollen um den Durchlass rangeln. Nun kommt das Fleischwolfbild ins Spiel. So ähnlich funktioniert es nämlich hier. Die Menschen, sagen wir ein Stück Huhn, ein Stück Schwein und ein Stück Rind werden in den edelstahlenen Trichter gepresst und man dreht an der Kurbel und heraus kommt Hackfleischbrei, bereit zum Braten. Irgendwie schaffen wir es in die Thermalbecken.

IMG_3940Drei Freiluftbassins, umgeben von Felsen, auf denen Schnee liegt. Etwa hundert Badegäste. Außer Heißwasser, in dem wir liegen, gibt es eigentlich keinen Komfort. Irgendwo ganz hinten scheint sich ein Sprudelbecken zu befinden mit Massagedüsen vielleicht. Aber das Ding ist so voll und der Begegnungszu- und abstrom ist so fleischwolfig, dass wir uns den Weg dahin sparen. Nach einer Stunde verlassen wir das Bad wieder. Die Begegnungsschleuse der Umkleidekabinen diesesmal von der anderen Seite betrachtend. Ich fabuliere an einer Kurzgeschichte, in der ein Mann und eine Frau sich dort in dieser Schleuse kennenlernen und weil es ihnen nicht gelingt, wieder nach draußen zu kommen, gründen sie eine Familie, führen fürderhin ein Leben zwischen Schließfach zehn und elf – wer weiß, vielleicht schon in der zweiten Generation? Ein Typ Alm-Öhi mit langem Rauschebart, der sich gerade vor mir in die Kabine drängt ist Sinnbild dafür – aber vielleicht handelt es sich bei diesem Phänomen auch nur um ein modernes Château d’If, der Graf von Monte Christo, ihr wisst schon.

Dieser Blogartikel beweist jedenfalls, dass Monsieur Irgendlink, moi même und Madame SoSo die Bäder auch wieder verlassen haben. Gehackt, gemischt und gut durchgebraten.

Auf der Suche nach heißen Quellen

Vor langer langer Zeit, als es weder Internet, noch GPS gab, erzählte man einander in Insiderkreisen von wunderbaren heißen Quellen, die irgendwo in einem kleinen „Torrent“, einem Sturzbach seitlich der Têt in drei steinerne Becken gefasst wären. In 200.000er Michelinkarten eingezeichnet gab man das Wissen weiter, die N116 hinauf Richtung Andorra, durch einen Tunnel vorbei an der Privatklinik in Thuès-les-Bains, wenige hundert Meter bis zu einer Parkbucht auf der linken Seite. Von dort aus müsse man kraxeln bis zur Bahntrasse der Petit Train Jaune und durch ein Loch im Zaun weiter bergauf. Bloß nicht die Stromschiene der Bahntrasse berühren; wir warnten einander, schrieben es in die Karten direkt neben das Kreuz, das die heißen Quellen markierte.
Gestern machten SoSo und ich uns auf, die Hot Pools wieder zu finden. Nicht den beschwerlichen kurzen Weg über die Schienen wählten wir, sondern wir kraxelten den Wanderweg hinauf, vorbei an der Privatkurklinik über den hochgelegenen aber ziemlich verlassenen Bahnhof von Thuès-les-Bains. Überall unterwegs dampfte es aus Felsspalten. Schwefelgeruch. Aus den Berghängen führten schwarze Kunststoffleitungen bloßliegend hinunter zur Kurklinik. Wie ein frisch drainierter Hirnpatient. Schläuche, Tanks, Pumpen, kleine blecherne Stationen, an denen offenbar das kalte und das heiße Wasser gemischt wird und die ziemlich zusammengeschustert, improvisiert, wirkten. Wie Notfälle. Über einen schmalen Pfad gelangten wir in einen „Torrent“, einen kleinen, dampfenden Canjon, der hinunterschoss in die Têt. Eine Familie hatte es sich in heißen Becken bequem gemacht, konnten wir vom Wanderpfad aus sehen. Unerreichbar weit unten. Ohne Kletterausrüstung würden wir da nicht hinkommen. Andere Wanderer waren offenbar auch auf der Suche nach heißen Badewannen. Nachdem wir eine Weile umher geirrt und gekraxelt waren, fanden wir weiter unten im Canjon ein kleines, gut gemischtes Badebecken, in dem wir den Nachmittag badeten. Blick auf eine Train Jaune Brücke und die ocker besonnten Nordhänge des Têt-Tals. Das Prinzip in diesen natürlichen, improvisiert von Menschen arrangierten Badewannen ist immer gleich. Ein kalter Bach, der sich mit dem kochend heiß aus dem Boden quellenden Schwefelwasser zu wohl temperiertem Bad mischt. Mit ein paar Steinen und Sand und Geröll werden die Becken aufgestaut.
Meine „Originalquellen“ von damals, vor GPS und Internet, haben wir leider nicht gefunden. Ich meine mich zu erinnern, dass die gemauert waren und es gab drei Temperaturbereiche und in den Becken hatten etwa vier bis sechs Leute platz. Ich glaube, wir haben einmal eine ganze Nacht in den Becken verbracht, während der Schee rieselte. Die Karte mit dem X drin und dem „Obacht, stromführende Bahnlinie“, die liegt noch irgendwo daheim in der Künstlerbude.
Hier schreibt SoSo zu den Heißquellenbegebenheiten. Incl. Bildergalerie.
Nachtrag 2 (für die Freunde fikiver MudArtisten): Heiko Moorlander und sein neuerlicher Absturz wegen Liebeskummer.

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