Das Wörtchen Große Hafenrundfahrt hat dort, wo ich herkomme eine völlig andere Bedeutung, als hier in Hamburg. Hier in Hamburg ist die große Hafenrundfahrt der Traum aller Männer. Umwittert vom süßen Wind aus Freiheit und Weite, fernen Welten und exotischen Abenteuern flanieren am gestrigen Sonntag tausende Touristen bei den Landungsbrücken. Die S21 hat uns bis zur Sternschanze gebracht und die U3, die sich wie ein Ehering um die Stadt legt, spuckt uns bei der Haltestelle Landungsbrücke aus. Kräne, Eisen, Beton, Wasser, Barkassen und Stahl. Überall stehen Kioske, bei denen man Große Hafenrundfahrten buchen kann. Ähnlich wie etwa in Mainz am Rhein, nur viel viel größer, weiter, flacher, mehr Touristen. Unser Ziel ist die Elbefähre. Die ersetzt die Hafenrundfahrt, sagte unser Campingplatzmanager Christian, und sie ist im Tagesticketpreis inbegriffen. Die Elbfähre ist sozusagen die Hafenrundfahrt des Proletariats. In der Tat ist wohl die Aufgabe der Fähre, wochentags Arbeiter auf die Elbinseln und in die Industrieanlagen südlich der Elbe zu bringen. Sonntags fährt sie gar nicht. Aber dafür stellt sich uns der alte Elbtunnel in den Weg. Gut hundert Jahre altes Ding. Mit Aufzügen wurden Kutschen, Autos, Personen und Waren nach unten gebracht und konnten durch die – hmm sagen wir Jugendstil, Gründerzeit, wasweißich – Röhre auf die andere Flussseite rollen, laufen, getragen werden. Der Tunnel erinnert mich ein bisschen an den Greenwich Foottunnel unter der Themse, der aber noch schmaler ist und wirklich nur für Fußgänger und Radler taugt. Gefließtes Gewölbe. In den Wänden sind alle paar Meter Specksteinreliefs eingelassen, die Fische, Krebse und Muscheln zeigen.
Auf der anderen Seite, plötzlich, eine andere Gegend. Hafen, Industrie, Weite. Wie freigelassen flanieren Sonntagsspaziergänger und Radler. Uralte Wohnwagen stehen in Reih‘ und Glied. Ein Typ mit Zahnbürste im Mund begutachtet den Fahrplan einer – der einzigen – Bushaltestelle. Wie aus einem Film von Hitchkock taucht plötzlich ein Bus auf. Wir steigen ein. Er fährt los. Hast du gefragt wohin, frage ich SoSo. Nö, du? Nö. Der Fahrer entpuppt sich als Reiseführer der Herzen. Wir sind die einzigen Gäste. Vorbei an verwaisten Haltestellen, die allesamt nach Weite Welt benannt sind, Argentinienstraße, Afrikastraße usw. fahren wir zum Hafenmuseum. Drei Punker steigen zu, setzen sich auf die Rückbank. Wollen die zur Food-Messe, die als zweite Attraktion des verwaisten Hafens direkt neben dem Museum logiert?
Im Museum begrüßt man uns mit Sie haben Glück! Wegen des Erntedank-Gottesdiensts und einer Taufe, ist der Eintritt frei. Wir stolpern durch die Lagerhalle, in der auf Hochregalen alle möglichen Hafenrelikte lagern, Getriebe, Schiffsschrauben, Anker, Seile, Autos, undefinierbare Reliquien der Seefahrt, Schiffsmodelle, Holzboote. Im Hintergrund singt der Kirchenchor, die Sonne scheint für jeden Menschen (oder so ähnlich) und ich bin zutiefst gerührt. Im Außengelände kann man Baggerschiffe erforschen bis tief in die verrosteten stählernen Innereien. Ein Bungee-Unternehmen hat den großen Ladekran gemietet, von dem sich im Zwanzig Minutentakt wagemutige Jungs und Mädels stürzen. Neunzig Euro kostet der Spaß. Vertikales Gewerbe. Wir verkriechen uns in den Frachtraum eines Schiffs. Ein geradezu meditativer Moment, umgeben von Rost sind wir allein, vermutlich unter der Wasserlinie. Unheimlich die knarzenden, scheppernden, glucksenden Geräusche Tür an Tür mit dem Klabautermann. Zum Abschied steht neben der Bungeeanlage ein waschechter Shantychor Spalier: Kapitän, Kapitän, das Leben ist so wunderschön und ich muss schmunzelnd an den Doppelsinn des Begriffs Große Hafenrundfahrt denken, der bei uns Landratten gerne benutzt wird, um das Trauma einer Darmspiegelung zu schönen.
Hafenutensilien – Fender, Pufferzonen für den Schiffsrumpf
Während der Nordseeumradelung in einem norwegischen Hafen gefunden: Fender aus riesigen Reifen, die den Rumpf der Fähre schützen während des Anlegens am Hafen.