Vom Auwald nach Friedrichsruh
Eine zweigeteilter Tag, Zwiespalttag. Nachdem ich morgens mit Ludwig eine ungefähres Treffen irgendwann Freitag oder Samstag vereinbart habe, ist mein Ziel nun relativ scharf vor Augen: südwärts, über die Elbe und mich in Nähe der A7 begeben, damit wir uns an einer gemütlichen Autobahnauffahrt treffen können wie einst nahe Würzburg, als er mich aufgriff und mitsamt Radel und Gepäck mitnahm nach Nürnberg. Letztes oder vorletztes Jahr. Das Hin- und hertreiben lässt mich denken, dass ich verspätkerouace im europäischen Sinn, ein Gammler, Zen und weite Wege-Leben, hoffentlich nicht mit zu vielen lähmenden Manjana-Phasen. Das Navi routet mich über ruhige, meist geteerte Wege – zunächst. Vorbei an Gehöften, durch Naturschutzgebiete, kleine Dörfer, in denen es nichts gibt, kein Laden, kein Wasserhahn, noch nicht einmal ein Bushäuschen und oft auch keine Bushaltestelle. Undichtbesiedeltes Naturland, nein Acker- und Weideland, gespickt mit Wäldchen. Sonnig. Gartsiger Wind, den ich, da er aus Nord-West kommt, nur spüre, wenn ich anhalte. Zehn, zwanzig, dreißig Kilometer weit und nichts, kein Laden, keine Kaufmöglichkeit. Zumindest nicht direkt auf meiner Route. Ich mache einen Nettomarkt ausfindig in einem größeren Dorf, setze ihn als Zwischenziel. Vom morgendlichen Startpunkt aus ist er 60 Kilometer entfernt. Erinnerungen an Lappland werden wach. Dort passierte es mir zwischen Asele und Lycksele auf einer Distanz von etwa 80 Kilometern, dass es nichts gab als Leere, Wald und Rentiere, nur die Straße und ich. Hier, nur wenige Kilometer südlich von Flensburg, fühlt es sich ähnlich an, riecht es auch ähnlich in Kiefernwaldnähe. Ich fühle Freiheit und ein gewisses Explorer- und Forschendentreiben in mir. Ja, es ist noch da und auch die gute alte Kunstmaschine funktioniert. Es ist anders als früher, behäbiger, aufgeräumter, weniger drängend, Nichtsmusstag heute. Die Tagesetappe kippt nach etwa 40 Kilometern. Halbzeit, ich hatte einen Platz im Sachsenwald nahe Geesthacht angepeilt zum Übernachten. Nun streife ich Hamburg und nahe Hamburg wird es wuseliger, gibt es mehr Menschen, mehr Lärm, mehr Verkehr, ab und zu eine Hauptstraße für hundert Metrer, dann wieder kleinste Wege und so seltsam: Gerade hier durchfahre ich ein riesiges Naturschutzgebiet, kurz zuvor nur Acker, komme ich nun zunehmend auf Waldwege, Sand und Kies und Kopfstein. Das Radeln wird plötzlich anstrengend. Ich komme sehr langsam voran. Zur Mitte der Etappe doch noch ein Städtchen. Vor einer Werkstatt halte ich an, um eine der alten LKW-Ruinen, die davor stehen, zu fotografieren. Ein Ford Feuerwehrfahrzeug aus den USA. Drei kleine Hundchen mit SOLCHEN Kampfhundköpfen kommen zum Schnuppern und ein Mann, mit dem ich ins Gespräch gerate über die LKA-Ruinen und das Woher und wohin. Er empfiehlt mir den See in der Nähe und Supermärkte gibt es auch. Im See habe er schwimmen gelernt und nun lebe er in Hamburg. Ich kaufe ein, fahre am See vorbei, respektive, bin ich ja schon, will nicht zurück und frage mich, warum eigentlich nicht umkehren? Was treibt mich? Nur mein morgens zufällig selbst gewähltes Tagesziel, sonst nichts. Die Distanz auf dem Kilometerzähler wächst. Das Navi gibt die voraussichtliche Ankunftszeit aus. Es wird wieder neun, bis ich da bin. Das Navi sagt zwar viertel nach acht, aber ich kenne mich. Müde bin ich, Ruhen geht schlecht wegen des Winds. Zu ungemütlich. Bei einer überdachten Bank und Sonne verusche ich zu schlafen, aber die Stechmücken quälen mich. Also weiter.
Später hole ich noch Wasser in einem Restaurtant gleich neben dem eigentlich angepeilten Nettomarkt, den ich aber nicht mehr brauchte, weil ja zuvor schon eingekauft. Im Laden kein Wasserhahn ersichtlich also beim Italienischen Restaurant angefragt und ja, natürlich darf ich im WC Wasser holen. Das Wasser fließt nur warm, der Hahn hat keine Regulierung und funktioniert per Sensor und im Restaurantradio dudelt Schlagermusik. Die Wege werden immer abenteuerlicher und kurz vorm Sachsenwald sind es nur noch Pfade, Mountainbikewürdig. Mit acht bis 15 km gehts voran. Unter der Autobahn durch auf Holperpfaden, eher anspruchsvoll mit Gepäck. Ich nehms gelassen, stelle mir vor, es ist Training für mein Projekt Santander-Valencia, auf Vias Verdes durch Spanien (haltet mich zurück).
Friedrichsruh. Bismarckmuseum, Forsthaus, ganz in der Nähe die zwei Wildzeltplätze aus der Opencampingmap, die sich als barer Wald entpuppen. Ich könnte also überall zelten. An den Koordinaten befindet sich kein Schild wie üblich, das die Regeln erklärt. Aber es gibtauf kleinen Lichtungen zwei Podeste, auf denen Zelte stehen. Die Karte zeichnet sie mit Waldkorb und Waldkorb 2 aus. Ich bin unsicher, ob das legal ist, hier einfach so zu zelten, aber bin müde, ist spät, baue das Zelt auf. Die Waldkörbe sind mit Zugbrücke und Schlössern gesichert. Man kann sie womöglich mieten.
Angenehme Nacht. Viele Tierlaute, sehr markant hoch oben in den Bäumen, wahrscheinlich Vögel. Ich mache im Halbschlaf eine Tonaufnahme.
Morgens gehe ich ins Bismarckmuseum. Bin früh dran, die Tür ist schon offen und so gehe ich ins Foyer. Empfangsraum. Frau hinter Schreibtisch und Monitor. Was ich wolle, fragt die Frau am Schalter. Postkarten, Museum, gibt es Kaffee, sage ich. Ob ich wisse, dass noch nicht zehn ist. In der Tat nein. Der Computer fährt gerade hoch, ich darf Postkarten schauen, kaufe vier Stück, Kaffee gibt es nicht und um 9:57 darf ich durch die Ausstellung laufen, die wider Erwarten recht spannend ist. Eine Schulklasse ist auch angekündigt für diesen Morgen. Eine geschnitzte Standuhr, sehr üppig, zeigt viertel nach zehn und das ganze Museum ist pompös, riesige Portraitgemälde von Königen und Kaisern, beängstigend richtet sich quer durch zwei Ausstellungsräume herrschend der Lauf einer französische Mitraieuse-Kanone auf die Besuchenden. Bismarck hatte die Waffe einst als Kriegsbeute hat mitgehen lassen Ganz mulmig, das 25-geschössige Rohr. Das Museum befindet sich deshalb hier abseits von allem Tummel, mitten im Wald, weil Friedrichsruh sein Schloss, sein Alterssitz war. Viertel nach zehn kommt die Schulklasse, ich schreibe ins Gästebuch, will mich hinterm Haus auf ein Picknickbänkchen verziehen, finde keins, komme an einem Pferdegnadenhof vorbei, treffe einen Mann, der mit einem Patenpferd, einer Haflingerstute spaziert. Das Tier habe es nicht gut gehabt, sieht aber nach einiger Zeit schon auf dem Gnadenhof sehr vital aus, frisst Blätter von Bäumen. Martina, die Gnadenhoferin, habe es wieder aufgepäppelt. Als Pate gibt er auch ein bisschen Geld und geht einmal die Woche spazieren mit dem Pferd.
Bis zur Elbe hin oft durch Waldwege, nun wohl in Geesthacht über die Brücke auf eine Insel geradelt, wo ich am Elbestrand die Hängematte in den Weiden aufgehängt habe und etwas verrenkt diese Zeilen Tippe, schneidersitzend. Es herrscht Ebbe, das Wasser fällt. Vielleicht gehe ich baden?l