Die Löcher im Dach, der Bogenbau, das Dies und das Jenes

Die Merkwürden des Klimawandels lassen eine Wildkirsche zu liegen kommen neben drei vier Robinien. Oder unter drei vier Robinien. Oder mit ihnen verflochten wie ein Rattanmuster eines japanischen Samuraischwertgriffs, nur in groß. Sieht kompliziert aus, denke ich eines Sonntags, als wir einen Spaziergang entlang des Waldes machen und das Ensemble vor uns liegt. Ohne Spezialwerkzeug kann man das wohl nicht wegräumen.

Ein Problem mehr manifestiert sich im Kopf und wie um es zu untermalen, ruft ein paar Tage später der Nachbar an und macht mich auf das Problem aufmerksam, denn sein Wieschen am Waldrand ist dank des Baummassakers um ein paar Quadratmeter kleiner. Das Problem gesellt sich zu weiteren tragenden Langzeitproblemen in und ums einsame Gehöft. Marodes Dach an Mutters Häuschen, der bröcklnde Kamin und überall in den Scheunen und Hallen liegen Gegenstände, die anderen Menschen gehören. Menschen, die nur mal eben etwas abstellen wollten, das Abgestellte vergaßen oder starben und es hinterließen. Heizungsbauer H., der etwa in der gleichen Zeit wie mein Vater starb, hat ein riesiges Archiv hinterlassen. Uralte, stromfressende Pumpen, die einmal richtig teuer waren, noch unbenutzt. Armaturen und Rohrwerk, Werkzeug, metallisches und hölzernes Rohmaterial, für das man hin und wieder dankbar ist, um eines der vielen Löcher am sterbenden Gehöft zu flicken und den Abriss eine Zeitspanne lang zu verschieben.

Zudem der Nachlass von Journalist F., den ich nur ungern sichten mag. Zwar ist der Freund schon über ein Jahr tot. Dennoch, Gegenstände sind oft ein billiger Erinnerer an Katastrophen, die man einst miterlebte. Journalist F. hatte stets die Hoffnung, das Pflegeheim noch einmal zu verlassen und in einem betreuten Wohnen unterzukommen, weshalb ein Teil seines Hausstands nun in meinem Atelier liegt.

Längst schon wollte ich Journalist F.s Geschichte in diesem Blog aufgeschrieben haben. Seine letzten Jahre der Verelendung. Aber ich traue mich nicht ran. Überhaupt bin ich ziemlich blockiert seit ein zwei Jahren. Ist die Pandemie daran schuld? Das eigene kleine Älterwerden? Die Zipperlein, die damit einhergehen? Der Schmerz über die vielen Toten in der nahen Verwandtschaft? Seit zehn Jahren stirbt im Hause Irgendlink mindestens ein sehr nahe stehender Mensch pro Jahr.

Oder alles zusammen ein Bisschen? Konzentrieren wir uns aufs Älterwerden. Jedes Thema hat seine Zeit und dies ist vielleicht das Thema der zweiten Umwandlung. Die erste ist die Pubertät und es gibt eine zweite, die des von der Mitte des Lebens ins letzte Stückchen. Jene Zeit, in der liegen Gebliebenes aus Jahrzehnten kumuliert und sich zu einem unübersichtlichen Berg aufschichtet.

Multiple Probleme machen mich nachts um drei vier Uhr aufwachen und dann rattert die Gedankenmühle und ich räume rein gedanklich das Atelier auf, flicke Löcher im Dach, beschneide den Windschutz der Frau Mama, hole die Rattangeflechtsbäume von Nachbars Acker. Immerhin dafür gibt es einen guten Nebennutzen: Brennholz ohne Ende.

Ich wäre nicht Künstler, wenn in dem rattanähnlichen Problemgeflecht im eigenen Kopf nicht auch Fäden in die Kreativität führten. So schaue ich mir die Hölzer an und prüfe sie darauf, ob man zum Beispiel Bogen daraus bauen könnte oder andere schöne Dinge. Die Robinie ist zwar giftig, aber sehr gut geeignet als Bogenholz. In den letzten zwei Wochen konnte ich mit dem uralten Traktor, der sogenannten Hölle auf Rädern, etliche Touren zur Holzbaustelle machen und einiges der gefährlichen Situation mit Hilfe der Seilwinde und des 60 Meter langen Seils entschärfen. Mittlerweile liegt alles. Nun regnet es wieder und man kann mit dem Traktor, einem sechzig Jahre alten Porsche Super, nicht mehr auf des Nachbars Wiese, ohne sich tief in die Grasoberfläche einzugraben.

Einige liegende Stämme führen den Blick auf einen roten, uralten Traktor mit kleinem Anhänger zu. Im Hintergrund eine Baumreihe am Rad eines kahlen Achers.
Der Traktor namens ‚Hölle auf Rädern‘ im Einsatz bei der Pappelbaustelle.

Nachts wach. Nachtwachen. So kommt es, dass ich heute bis zehn Uhr schlafe. Das Wetter ist mies, zuvor habe ich vier fünf Stunden Probleme im Kopf gewälzt und mich im Bett. Ein paar Nächte zuvor, in ähnlicher Situation, bin ich um drei Uhr nachts aufgestanden, spülte Geschirr, bereitete Essen vor, sortierte Akten, schickte die Steuererklärung weg, räumte hie und da und bezahlte den Tag mit einen Gefühl unendlicher Müdigkeit. Gesund ist das nicht und über allem bricht auch der Rücken zusammen, merke ich. Das Innere wendet sich unweigerlich gegen den eigenen Körper und verschafft sich Gehör. Ich sollte einen Schnitt setzen … raus aufs Rad oder zu Fuß auf den Jakobsweg … aber erst will ich dies und das erledigt, die Löcher im Dach, der Bogenbau, das Dies und das Jenes erledigt … manchmal gerate ich in Flow, tagsüber, wenn ich arbeite und das ist gut so, denn dann laufen die Zutuns einfach ohne Widerstand und es macht richtig Spaß. Unendlich langsam komme ich voran und wenn ich nachts nicht so sinnlos darüber nachdenken würde, was noch alles zu erledigen ist, mich dabei in einen unangenehmen, verkrampften Wachzustand versetzen würde, könnte es richtig gut sein und gegen Weihnachten wäre ich mit allem zu Erledigenden fertig.

Wenn mir nicht neue Probleme einfielen, sie zu wälzen in der Nächte Sinn.

Das einsame Gehöft ist ein Fass ohne Boden.

Mein Kind-Ich fällt mir manchmal ein, wie es hie und da Arbeiten tätigte, die Scheune ausfegte, andere Kinder animierte, mitzumachen und die Welt in Ordnung zu bringen. Ich glaube, da wurde der Grundstein zum Kümmerer gelegt, der sich vorwiegend die Problemschuhe seiner Nächsten anzieht und hilft, einfach nur hilft.

Aber es gibt auch Positives. Ich denke auch an mich selbst hin und wieder. Schaffe derzeit wieder Kunstwerke. Bin mir jedoch nicht sicher, ob es sich um notgeborene Kunstwerke handelt, die ich aus dem Reich der Gegenstände, die mir nicht gehören, kreiere. Vergessene Gegenstände und Nachlässe. Gegenstände aus dem unendlichen Fundus auf dem einsamen Gehöft. Zinkrohr vom toten Heizungsbauer, das eine seltsame Plastik wurde. Dias, die keine Ahnung woher hierher kamen; schöne Schwarz-Weiß-Lehrdias aus dem Archiv Marburg, die einst zu Schulzwecken dienten, nun aber ein Lampenschirm wurden für eine nackte Stehlampe. Diese Stehlampe hatte Freund QQlka vor dreißig Jahren in einem verlassenen Haus mitgehen lassen.

Ein altes Kalenderblatt eines Holzschnitts von Martin Thönen kam mir gestern unter die Finger. Es lag lange Jahre hier, ich denke zehn, und es war für ein Col-Art Projekt gedacht, bei dem die Teilnehmenden solch ein Blatt neu übermalen oder was-auch-immern sollten. Nur hatte ich nie eine Idee. Gestern dann schon. Das zieselige Muster, das Martin aufs Oktoberblatt gedruckt hatte, hatte mich ganz schön herausgefordert, aber schließlich war klar, jede Art Kunst ist idealerweise auch eine Art Tanz, den die gemeinsam sich beflügelnden Kreativen tanzen und nun, nach all den Jahren ist mir ein ziemlich gutes Kunstwerk gelungen, das ich in die Sammlung meines Freundes Marc Kuhn geben würde.

Kurz nach zehn war ich vorhin wach, nachdem ich die halbe Nacht in Gedanken Dinge repariert hatte und Ausstellungen vorbereitet, Filme geschnitten, das Geschirr gespült, ich sollte reisen, denke ich. Das darf so nicht weitergehen. Diese Art Nachtschlaf ist Gift. Aporpos Gift: Ob man einen Sud aus Robinienholzspänen dafür verwenden kann, um den Holzwurm aus dem Gebälk der Atelierscheune zu vergrämen? Schaue Wetterbericht. Regen ohne Ende. Nächste Woche jedoch: brilliantes Herbstwetter mit Dauersonne und Temperaturen um 20 Grad.

Ich könnte das Saarland umradeln.

Und danach die restlichen Stämme vom Acker des Nachbarn ziehen.

 

Alltagsfetzen, nicht von Belang feat. ich baue eine Zwischendecke

Wohnung in Transition. Technodudel. Zehn Uhr früh. Trister Morgen. Kälte ante Portas sagt der Wetterbericht. Ich habe alle Bilder von der Wand gehängt, Kleinkram weggeräumt. Nur noch der PC steht auf dem Tisch, eine Lampe, eine Maus, eine Tasse und ein Brillenetui. Noch ziere ich mich vor der Arbeit.

Im Oktober schon hatte ich prepperesk propagiert, ein paar Winterbaumaßnahmen in der zugigen Bude durchzuführen, damit die Wärme sich nicht im vier Meter hohen Dach kuschelt, während die Künstlerfüßchen zu Eisklumpen geraten. Eine schlichte Zwischendecke täte not, sagte ich mir. Balken liegen irgendwo auf dem Gehöft. Es fehlten Bretter, Schrauben, und der Mut aufzubrechen. Okay, dann kam Covid und verhagelte all meine Pläne. Statt eitel Bau- und Holzfällerbübchen-Winterfürsorge war Bettruhe angesagt. Auch gut. Wenn man das Verharren durchhält. Noch immer danke ich meinem hochsommerlichen Vorcovid-Ich, dass es bei vierzig Grad im Schatten genug Brennholz vor der Haustür geschichtet hatte, um die „große Schlappe“ zu überstehen.

Der November kam und der Dezember kam und nun ist schon mitte Januar. Nach kurzem Kälteintermezzo vor Weihnachten herrschte absolut mildes aber sudeliges Klima in der Saarpfalz; zudem war ich kaum zu Hause. Eine Woche nahe Avignon zum unheimlich entspannten Jahreswechsel, dann Nürnberg, Mainz, beheizte Buden oder auch nicht, schon bald zweitausend Bahnkilometer im Hintern.

Soll nochmal kalt werden. Die Materialien für die Zwischendecke sind da. Gestern und vorgestern hobelte ich die Balken, tränkte sie in Leinöl. Im Prinzip sollte die Sache in zwei drei Stunden erledigt sein. Dann würde die Hitze nicht mehr abhauen, ich weniger Holz verbrauchen, so mein Plan.

Tja, ein Blogartikel wäre auch noch zu schreiben. Einer, der fürs bezahlte Bloggen taugt – die Vorlage im Reallife lieferte die Rückfahrt per Bahn aus Mainz.

Dieser Artikel läuft unter der Rubrik Alltagsfetzen, nicht von Belang, aber doch da.

Öfter öffnen – die reinigende Kraft der Offenen Ateliers

Musste ich unbedingt den Ateliervorraum, der bisher als Bilderlager diente, mit in die Ausstellung einbeziehen? Ich musste! Es war ein toter Raum voller Bilder und Möbel, der so gut wie nie betreten wurde, den man getrost hätte zumauern können. Nun dient er als zusätzliche Ausstellungsfläche. Mit ein bisschen Mehraufwand könnte ich ihn sogar in einen Seminarraum verwandeln. Gut, dass es die Offenen Ateliers gibt. Sie sind der Tritt in den Hintern von in Lethargie und Selbstgefälligkeit verfallenen Vorsichhinwurstlern. Eigentlich sollte es viel öfter Offene Ateliers geben, denn sie bringen etliche Vorteile.

  • Ausstellung in den eigenen Räumen
  • Mal wieder an den Adressdateien arbeiten und an der Vernetzung
  • Aufräumen, Werke sichten, gutes Altes mit exquisitem Neuem verbinden
  • Künstlerselbstvermarktung
  • Rückmeldungen durch die Besucherinnen und Besucher
  • Presse schaut mal wieder vorbei
  • Gemeinsames „stricken“ an neuen Ideen

Ich überlege, alle drei Monate das Atelier zu öffnen und kleine, konzentrierte Aktionen zu bieten. Wie wär’s mit einem Glühwein-Marathon am 13. und 14. Dezember? Einem Frühjahrsputz am 14. und 15. März 2015 und einem Mittsommerkunstfest am 20. und 21. Juni 2015. Ich plaudere vor mich hin, liebe Bloglesenden. Laut gedacht. Nehme aber die Termine mal in den Focus. Erinnert mich daran :-)

Aber konzentrieren wir uns doch auf das kommende Ereignis. Das hochoffizielle Offene Atelier 2014 – in zwei Tagen geht es los – am Samstag, 20. und Sonntag 21. September jeweils ab 14 Uhr. Der Weg zum Atelier Rinck. Mehr Infos in diesem Artikel.

Beitragsbild: Verfremdetes Smartphonefoto (App Decim8).