Ich kann es nicht für gut heißen, dass die Äste so wachsen wie sie wollen

Gestern mal wieder die Härten des HTML-Schuftens zu spüren bekommen. Als ich das Atelier des Malers S. betrat schwante mir nichts Gutes. Ein seltsames Lächeln lag auf seinen Lippen, ähnlich wie das Lächeln eines Kindes, das gerade einen Streich ausgeheckt hat. Zwischen großformatigen Gemälden und verbranntem Holz (der Maler S. hat eine interessante Technik entwickelt, mit schwerem Öl Gegenständen, die zur Wertlosigkeit herabgesunken sind, ein neues Antlitz zu verleihen), zwischen Ölgemälden und diesen Bruchstücken der modernen Zivilisation also standen zwei Computer. „Setz dich,“ sagte der Maler, schob mir einen Sessel heran und platzte heraus: „Ist doch nicht schlimm, wenn ich auf der Homepage ein bisschen Ordnung in die Ordner gebracht habe.“ Mir stellten sich die Haare zu Berge. Hatte der Maler nicht schon immer einen Hang zur Exzentrizität? Hat er nicht ganz gerne Sonderzeichen und Leerzeichen in den Dateinamen verwendet. ich erinnerte mich an Stunden der Muse, sagen wir besser der Qual, in denen ich damit beschäftigt war, seine Dateinamen in HTML-konforme Zeichenketten zu verwandeln. Und an die Telefonate und E-Mails, in denen ich ihm eindringlich ans Herz gelegt hatte, doch bitte keine Äs und Ös und scharfe Esse und Fragezeichen und Ausrufezeichen, Dollars und kaufmännische Unds in den Dateinamen zu verwenden. All meine Arbeit hatte er zu Nichte  gemacht. Mehr noch: um sich selbst im Dateisystem seiner Homepage zurecht zu finden, hatte er es für gut befunden sowohl den Bilder-, als auch den Dokumente-Ordner aufzusplitten und alle Dateien in verschiedene Verzeichnisse zu verpacken. „Nich so gut …?“ konstatierte er zweifelnd, als er meine säuerliche Miene bemerkte. „Nein, gar nicht gut,“ sagte ich; mit einer ausladenden Handbewegeung veruschte ich ihm anschaulich zu erklären: „Eine Homepage ist ein in sich geschlossenes Paket, bestehend aus vielen hundert Links, die alle voneinander abhängen. Wenn du nur einen Namen änderst oder etwas verschiebst, gerät alles aus den Fugen.“

Es war wie der Dreißigjährige Krieg auf engstem Raum. Hier ein nieder gebranntes Dorf aus Stylesheets, dort eine geschändete HTML-Datei, Raub und Mord im Vorlagen-Verzeichnis. Die pure Anarchie. Bits und Bytes waren außer Rand und Band, das System, selbst für einen wie mich, kaum noch zu kontrollieren.

Für einen Moment überlegte ich, das Backup einzuspielen und alles auf den letzten Stand zu bringen, aber des Malers unschuldiger Blick und seine offensichtliche Hilflosigkeit, lehrten mich anders:

Ist es nicht so, bei uns Menschen, dass jeder seine eigene Sicht der Welt und der Dinge hat und dass jeder sich seine Ordnung zurecht gebastelt hat, sein Lebenskonstrukt, in dem er sich prima zurcht findet, auch wenn Außenstehende noch so vehement behaupten, was ist das für ein Chaos, was ist das für ein Saustall, in dem du lebst!

Genausogut ließe sich das Beispiel, vor dem ich nun saß, S.s Homepage auch als Küche oder Wohnzimmer vorstellen. In meiner Küche finde ich mich prima zurecht, jedoch nicht in der irgendeines anderen Menschen. In meinem Leben fühle ich mich pudelwohl, aber nicht in dem Leben meines Nächsten. Das gilt für Dich und Dich und Dich und sogar für Dich, der Du dies gerade liest.

Wenn zwei den gleichen Gegenstand betrachten haben sie nur eines gemeinsam: sie betrachten den gleichen Gegenstand. Aber in ihren Köpfen entstehen, wenn auch oft nur wenig verschieden, ganz andere Bilder. So kommt es zu unterschiedlichen Sichten und Einstellungen, zu mehr Parteien, mehr Stimmen, mehr Weltanschauungen und Ideen.

Also hörte ich erstmal zu, was Maler S. mir erklärte und beschloss sodann, über meinen puristischen Schatten zu springen, und zu versuchen, sämtliche Links der mehrere 100 Dateien umfassenden Homepage anzupassen und das Ganze in ein für ihn verstehbares Konstrukt zu verwandeln. Das heißt: die meiste Zeit arbeitete Maler S. und ich saß nur daneben, gab Tipps, sagte, wo er was zu finden habe und wie er es mit dem WYSIWIG-Editor seiner Wahl in ein wohl geformtes Homepage-Konstrukt verwandeln könne.

Auf dem Rückweg durch die verregnete Nordpfalz dachte ich an Lappland, wohl weil die Wolken so tief hingen und sich nördlich und südlich in Form von Nebelschwaden am Donnersberg vorbei schoben. Dies ist ein Sommer nach meinem Geschmack, dachte ich, und: Jungejunge, du solltest dich nicht aufregen, über diese Winzigkeiten unterschiedlicher menschlicher Sichtweisen; letztenendes sind die Dinge doch nur groß in uns selbst, aber unter diesen Wolken da draußen wirkt es unbedeutend; hey, was ist der Mensch anderes, als ein Tier mit leicht erhöhtem IQ. All das dachte ich und später spazierte ich auf dem einsamen Gehöft durchs nasse Gras, betrachtete die Tomatenstöcke und wie sich die Äste der Obstbäume unter der Last der Früchte bogen, da fand ich die Welt in Ordnung, auch wenn ich es nicht für gut heißen konnte, dass die Äste einfach wuchsen, wie sie wollten …

Sieben Burgen Tour

Aufstieg zur Ruine Löwenstein Ruine Wasigenstein Ruine Blumenstein

Ich komme gerade mit meiner Arbeit nicht voran.

Also ein paar Bilder von der Wanderung neulich. Mit dem neuen Lightbox-Javaskript zur Diaschau arrangiert.

Die Sieben Burgen Tour ist ein Geocache im Pfälzer Wald, bei dem es gilt, auf den sieben Burgen Hinweise zu finden, die einen schließlich zu einem finalen Versteck führen mit Logbuch, in das man sich eintragen kann.

Das waren nun 32 km auf verschlungenen Pfaden, 1300 Höhenmeter insgesamt, und eine Übernachtung in den Verließen der unheimlichen Fröhnsburg.

Wie die Bilder zeigen, war es am ersten Tag schön, am zweiten nicht.

Die Arbeit lasse ich nun liegen und gehe ins Bett. Ist ja schon nach Zwölf.

Morgen schon wieder verreisen, aber eher dienstlich. Das wird nix mit Sommerferien.

juhuu, jetzt gibts Urlaub. Ein Prolog, will ich mal sagen. Nur zwei Tage wandern in der Südpfalz – wiiie wandern? Nicht einfach so wandern, neinnein, wir tun uns den zweitägigen Gewaltmarsch der Siebenburgentour an. Ein Geocache eben. Morgen früh gehts los. Wir legen ein Depot bei der Übernachtungsstation auf der Frönsburg an, mit Schlafzeugs, Grillwurst und Bier. Dann laufen wir los und … ouhshallala … Wetter soll ja gut bleiben.

Warum Prolog? Weil ich jetzt mal nach Teneriffa ausschau halte – ob es den 70 Euroflug Ende September wieder gibt?

Ehrlich, ich habe das auf der Stelle treten satt und obendrein Zeit und Geld.

Vom Sinn

Ziemlich pervers, bei dem schönen Wetter am PC zu hocken. Dazu muss ich mich wirklich zwingen. Das Leben besteht aus Debit und Credit. Kaufe mir mit dem heutigen Akt zwei freie Tage nächste Woche. Bastele Flyer fürs Atelierfest im September und gebe einem Plakat den letzten Schliff, damit mein Auftraggeber morgen, wenn er aus dem Urlaub kommt, etwas auf dem Schreibtisch hat.

Ein Hohn: das Plakat weist auf eine Podiumsdiskussion zum Thema verkaufsoffene Sonntage hin und ich höchst persönlich schwitze darüber an einem Sonntag. Wie unchristlich muss man denn sein? Frühmorgens schon mit der Kreissäge hantiert und einen Stapel Winterholz kleingesägt. Der lag vor der Haustür. Viele kleine Knüppel. Dabei hatte ich Gelegenheit über den Sinn einer Arbeit nachzudenken. „Das macht doch keinen Sinn,“ dachte ich, „in der Zeit, in der du den Kleinkram zerstückelst, hättest du gut und gerne das Doppelte geschafft, wenn es normale Holzscheite wären. Das ist unwirtschaftlich.“ Vor mich hinbrummelnd im Kreischen der Kreissäge haderte ich mit meinem Vater, der mir das Ganze eingebrockt hat. Vorgestern kippte er den Stapel vor die Tür. Ja, da hab ich mal nen großen Stapel Holz vor der Hütte.

Anyway: vom Sinn einer Arbeit philosophierte ich und dachte dabei an die armen Harz-Vier-Teufel, die teils hochqualifiziert, aber irgendwie durchs Sieb der Marktwirtschaft gerasselt, billigste Handlangertätigkeiten erledigen müssen und sich mehr als oft nach dem Sinn fragen.

Arbeiten macht im Grund spaß. Aber der Mensch, der sie ausführt muss darin einen Sinn sehen. Dies kann auf zwei Wege geschehen: entweder die Arbeit ansich ist sinnvoll, oder man wird dafür bezahlt. Die gute M. zum Beispiel, treue Seele, hat kürzlich im familiären Betrieb Hand angelegt und eine Drecksarbeit erledigt. Schön und gut. Sie hat es gerne getan. Der Sinn lag wohl darin, jemandem etwas Gutes zu tun. Reicht ja auch. Geld wollte sie keins. Irgendwer kam allerdings auf die Idee, man könne ihr doch Geld geben, so eine Art Dankeschön, oder einen Blumenstrauß. Die Diskussion war kurz und hitzig. Der Betriebsleiter wollte ihr kein Geld geben, weil er eine andere Idee hatte, wie denn die Arbeit viel wirtschaftlicher erledigt werden könnte. (Das heißt: der Betriebsleiter hätte die Arbeit so nicht erledigt wie es M. tat, sondern auf seine Art – die Art wie man etwas tut, hängt also mit dem Sinn zusammen; wenn zwei Menschen auf verschiedene Weisen ein und dieselbe Arbeit erledigen und letztlich zu dem selben Resultat kommen: Arbeit-ist-erledigt, dann ist das noch lange nicht das Gleiche; es ist jedoch hochnäsig und verbohrt, zu sagen, das was du tust ist sinnlos, ich kann das besser, schneller, schöner – deine Arbeit ist nichts wert, weil du sie nicht so ausführst, wie ich das machen würde. Ich fragte, um wieviel Geld es denn gehe. Die Antwort: Zwei Euro die Stunde.

Vielleicht sind diese Hinweise ein Ansatz, die schlimme Krankheit, die die Gesellschaft befallen hat zu diagnostizieren.

Zurück zur Kreissäge. Aus einem der modrigen Stämme retteten sich ein paar Ameisen auf meinen Körper, piesackten mich. Also zog ich das Hemd aus, machte eine Pause, beruhigte mich, starrte auf den großen Stapel Holz vor meiner Hütte und wie er den Eingang blockierte. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: klar macht das Sinn. Das Holz muss weg, sonst bricht man sich noch die Beine, wenn man mich besucht. Von da an war es ziemlich einfach, die Arbeit zu erledigen.

Ich stelle fest: egal was man tut, es geht nur dann leicht, wenn man darin einen Sinn sieht.

Wir müssen die Regler zurückschieben.

Ein Artikel über die Sache mit dem Paradies und wie es verloren ging.

Ist einige Testamente her, seit Eva den Apfel nahm und alles aus dem Gleichgewicht geriet.

„Es handelte sich womöglich um ein Experiment,“ sagte Journalist F. neulich. Wir saßen am Lagerfeuer. Funken sprühten in die Luft. Das Holz knisterte. Katzter strich um die Sträucher. Es dämmerte. Von Süden wummerte die Stadt. „Erich von Däniken mutmaßt, das Paradies könnte ein geschlossenes gentechnisches Experiment gewesen sein,“ verriet Journalist F. „Als sie den Apfel gegessen haben, war die Sache verdorben und sie wurden aus dem Container hinausgeworfen.“

Seit ich neulich morgens aufgewacht bin und halb schlafend phantasierte, warum nicht alle Menschen glücklich leben, geht mir die Sache mit dem Paradies nicht mehr aus dem Kopf. Im Halbschlaf sind die Gedanken rasend schnell und man begreift Dinge, ohne sie erklären zu können. Trotzdem erscheinen sie einem logisch. Das menschliche Gehirn ist ein gar seltsam Wunderding. Eben noch dachte ich an Afrika oder Asien, Lepra, Kinderarbeit, all das Leid, rieb mir den Schlaf aus den Augen, stellte fest, dass ich glücklich bin – warum nicht die Anderen? Diese Kinder in Indien zum Beispiel, die im zarten Alter einen Großteil unserer Grabsteine brechen? Oder die chinesischen Wanderarbeiter in den 30-Millionenstädten des Reichs der Mitte?

Mir wurde klar, dass uns Menschen zumindest eines gemeinsam ist: wir alle streben nach Glück. Aber unsere Ausgangspositionen sind per Geburt grundlegend verschieden. Es gibt nur wenige Millionen Schumis auf Pole-Position in der ersten Reihe. Die meisten dümpeln weit hinten im Feld. Viele haben kaum eine Chance, sich überhaupt über die Startlinie zu bewegen.

Das kumulierte Leid in der Welt ist riesengroß.

Im Abstraktum namens Paradies war das nicht der Fall. „Damals war die Welt in Takt,“ sinnierte ich, noch immer verschlafen. Ich kochte Kaffee, spazierte durch den Garten. Hier in der Blase des Glücks, weit oben auf meinem einsamen Gehöft jenseits der Stadt lässt sich prima die Welt begutachten. Im Kleinen wie im Großen ist es doch wohl so, dass die Dinge eine bestimmte Zeit im Takt laufen, dann aber aus den Fugen geraten. Das ist wie eine Rückkopplung bei einem Rockkonzert. Ein leiser Ton zu viel schleicht sich in die Lautsprecher, wird verstärkt, gelangt zurück in den Konzertsaaal, nun schon etwas lauter geht er den selben Weg durch Lautsprecher und Verstärker und wird von Mal zu Mal schriller. So könnte es, Erich von Däniken zum Trotz, doch auch gewesen sein, oder? Das Bild ist leider nicht so anschaulich, wie die Gentechniksache und bedient sich des Apfels als Metapher für den winzigen Impuls, der alles aus dem Lot brachte.

Vieles funktioniert nach dem Prinzip der Rückkopplung. Ein anschauliches Beispiel könnte ein Nachbarschaftsstreit sein: die Äste des Baums wachsen über die Grenze. Nachbar A. nimmt einen Apfel von dem Ast, der auf seinem Grundstück hängt. Nachbar B. bezichtigt ihn des Diebstahls. Die Stimmung verschlechtert sich. Nachbar A. und B. geraten in eine Rückkopplungssituation, indem sie sich gegenseitig schikanieren bis alles in einer Resonanzkatastrophe resultiert.

Dieses Prinzip, lässt sich auf alles im Leben übertragen, seien es Liebesgeschichten oder weltwirtschaftliche Konflikte. Die Welt wie sie heute ist, zeigt sich als eine gigantische sich anbahnende Resonanzkatastrophe.

Gut zu wissen, dass erfahrene Tontechniker durchaus in der Lage sind, die Katastrophe zu verhindern und die Kräfte zu kompensieren, wenn sie die Regler zurückschieben.

Nicht zuletzt jener Rat, den der große QQlka vor über zehn Jahren in Bezug auf die Liebe gab: „Man muss die Waffen strecken, wenn man sich wirklich liebt.“

Und das Paradies? Es ist eine schäumende Blubbermasse, bestehend aus Blasen des Glücks in all dem Elend. Jede Blase ein kleines Paradies.