Von Spezialwissenssedimenten und Lebenskonglomeraten

Der Server lahmt. Zum Glück machte mich Der Emil per Tweets und Telefon darauf aufmerksam (danke nochmal an dieser Stelle). Schwierig, zu erkennen, woran es gelegen hat. Neustart behebt das Symptom. Erste Maßnahme: mache alles rückgängig, was du in den letzten Tagen verändert hast, vielleicht wirkt das schon? Das Twitterwidget aus der Seitenleiste entfernt. Ich glaube, die werte Bloggemeinde ist sowieso nicht so twitterorientiert, oder?

Ich bin etwas müde, kann mich nicht so recht an den Computer zwingen, schufte stattdessen im Garten, baue Frühbeete, räume frisch gefällte Fichten vom Feld und habe mit dem Pizzaofen endlich begonnen. Beim Fundamentgießen den Fuß ramponiert. Liebling, so sind meine Tage …

Früher habe ich oft gesagt, aus Dem-und-dem und mir müsste man Einen machen. Seine Eigenschaften und meine zusammen in einem Menschen, würden den perfekten Mann ergeben.

Nun bin ich eher umgekehrt unterwegs: Mich selbst müsste ich aufsplitten in einen „Irgendwas-mit-Computer“, einen Holzfäller, einen Gärtner und was sich noch so alles an Spezialwissenssedimenten im Laufe eines Menschenlebens abgelagert hat.

Aber eigentlich … ich bin ja gerne ich, bleibe ich vielleicht doch das Konglomerat, zu dem ich angewachsen bin?

Ich hoffe, dass die Maßnahmen geholfen haben, den Server zu reparieren und gehe jetzt – ähm – Sonntag feiern. Radfahren. Nach Wallhalben allenthalben, was eigentlich schon angedacht war.

Vielleicht vertwittere ich die Radeltour wieder. @irgendlink sei mein Twittername :-)

Zweifel, bereit zur Bestätigung oder zum Ausräumen

Ich machs jetzt völlig ohne Hintergrundinfos, ohne Bilder, ohne Tweet-Einbettungen, ohne jegliche Illustration. Dieser Artikel muss vom Tisch. Sonst blockiert er die Gegenwart. Seit Samstagabend schiebe ich ihn vor mir her.

Samstagabend. Völlig überraschende Situation. Samstagabend war seit Langem mal wieder wie Lifereisen. Wie damals auf dem Nordseeradweg oder wie auf dem Jakobsweg. Nur Ich, meine Tageserlebnisse, das Smartphone.

Völlig erschöpft irgendwo ankommen und das Erlebte, schon im Kopf vorformuliert, in Sätze zerlegt … fehlt eigentlich nur noch der tägliche Blogbericht. Pardon, fehlte.

Dämmerung (letzten Samstag). Der Bahntrassenradweg zwischen Hornbach und Zweibrücken fällt eigentlich, wenn man von Hornbach kommt. Ein zwei Prozent abschüssig ist er, so dass es ein Leichtes sein müsste, zurückzuradeln. Aber es kommt mir vor, als ginge es steil berghoch. Unfit bin ich, habe fast vierzig Kilometer auf dem Buckel. Nacht und Kälte legt sich übers Land. Die letzten Stunden habe ich auf der Radeltour erstmals ein neues Element für die Echtzeit-Reise ausprobiert. Weiß auch nicht, was mich geritten hat, auf dieser eigentlich sonntäglichen Spazierradeltour ständig das Smartphone hervorzukramen und ein paar Sätze zum Kurznachrichtendienst Twitter zu senden. Normalerweise hole ich das Telefon doch nur raus, um zu fotografieren.

Aber im Prinzip, wir Künstler sind ja flexibel, kann man auch mit Worten ganz gut Bilder darstellen. Es ist sogar ganz praktisch, wenn man sich dabei kurz fassen muss. Der Jogger zum Beispiel – ich sitze auf einer Parkbank, er an mir vorbei – hat auch noch nicht allzuviel getan dieses Jahr. Keucht auf mich zu, schnaubt und irgendwas gluckst so komisch und als er vorbei ist, sehe ich den Wasserrucksack auf seinem Rücken wackeln und fühle mich peinlich berührt, als ich an Urinbeutel an Bett in Krankenhaus neben Todsterbenskrankem denken muss. Egal. Hacke das Bild ins Notizbuch oder gleich zu Twitter.

Das war nachmittags, als ich noch unerschöpft und guter Dinge war. Abends keuche ich selbst wie der Jogger, wie die geschlagene Grande Armee, ach, ich theatralisiere.

Plötzlich ist mir klar, dass es das ist, was mir auf meinen Lifereisen noch gefehlt hat: in unregelmäßigen Abständen ultrakurze Schnappschüsse aus der Welt ins Netz übertragen. Am Abend sollen die getippten Skizzen mir als eine Art Brotkrümelspur dienen und den werten Lesenden als eine Art Wiedererkennung für den Tag. So meine kunstbübcheneske Schnellrechnung.

Auf den letzten Metern nach Hause liebäugele ich noch, einen Blogeintrag zu schreiben, in dem ich den Tag zusammenfasse und alles noch einmal rekapituliere. Aber dazu kommt es nicht. Ich bin ja nicht unterwegs. Faul flätze ich mich in die Mauerritzen meines herkömmlichen zu Hause Alltags.

Daheim ist nicht unterwegs. Vielleicht lag es daran? Und gewiss auch ein bisschen an der mangelnden Disziplin. Ich bin schreibfaul. Der Alltag macht mich fett und träge und er liefert jede Menge Rechtfertigungen, warum ich mir erlauben darf dies und das, was mir wichtig ist zu verschieben.

Nun so eine Art Nachtrag, bzw. eine Art Vorhersage, dass es demnächst, spätestens im Sommer, wieder etwas größeres, life mitdiktiertes geben wird im Hause Irgendlink. Eine Reise zum virtuellen Mitkommen und, so Blog will, mit einer weiteren kleinen Verbesserung des Echtzeiterlebnisses.

Okay okay, nun, da ich die Tweets einbette, kommen mir doch Zweifel. Zweifel, die sich nur bestätigen oder ausräumen lassen, wenn man etwas Neues probiert.

Nichts als treue Kälber in den Großviehbetrieben der Weltökonomie

Man sagt, wenn man einen Frosch in einen Topf Heißwasser wirft, hüpft er sofort raus und überlebt. Wenn man ihn in einen Topf mit kaltem Wasser setzt und es langsam erhitzt, bleibt er sitzen.

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich würde es auch nicht ausprobieren. Die Botschaft hinter dem Gleichnis lässt sich aber prima auf den Konsum übertragen.

Vor über einem Jahrzehnt habe ich bei einem schwedischen Möbelhaus tolle Bilderrahmen zu einem unschlagbaren Preis gekauft. Echtes Holz, sauberes Glas mit geschliffenen Kanten. Ziemlich gut verarbeitet. Ein paar Jahre später kaufte ich die gleiche Rahmensorte ähnlich günstig, packte sie aus und: Das Holz war nun furniertes, gepresstes Laminat. Die Glaskanten ungeschliffen und das Glas so dreckig, dass man es erst eine viertel Stunde putzen musste.

Fünf Jahre waren ins Land gegangen, in denen das Unternehmen seine Rahmenproduktion rationalisiert hatte. Die Arbeitsabläufe optimiert, die Löhne (mutmaßlich) gedrückt, die Materialen, täuschend ähnlich wie früher aussehend, verbilligt und verschlechtert. Das Produkt hatte den gleichen Namen, sah durch die Plastikverpackung gleich aus wie früher, war aber um einiges miserabler.

Ich mutmaße einen globalen Trend dahinter, der sich auf alle Produkte und in alle Lebensbereiche erstreckt. Auch auf Lebensmittel.

Alle Produktionsprozesse unterliegen einem natürlich-ökonomischen Optimierungsprozess. Das heißt, wir erhitzen gemeinsam das Wasser, in dem wir leben.

Ein Entrinnen aus dieser kollektiven Billigkeitsrutsche gibt es nicht. Vereinzelt könnte man versuchen, ganz auszusteigen und nicht mehr mitzumachen. Aber wer kann das schon? Konsumvieh, das sind wir, treue Kälber in den Großviehbetrieben der Weltökonomie.

 

Termine verstreichen wie Butter auf frischem Toast

Um elf Uhr ist eine Ausstellung in einer weitwegen Stadt weiter östlich, zu der wir eingeladen sind. Sonntags. Elf Uhr. Perversfrüh! Eigentlich wollten SoSo und ich hingehen, zumal wir den vernissierenden Künstler sehr mögen. Aber sonntags. Elf Uhr. Perversfrüh! Den inneren Schweinehund vor die Tür treiben? So trudelt der Morgen dahin. Die Uhr? Keine Ahnung. Aber seichte Sonne und Katze, die in der Wohnung nach Wollmäusen jagt, sagen uns, dass es bestimmt schon soooviiiel Uhr ist, wenn nicht noch später. Und bis wir aufgestanden sind, gefrühstückt haben, uns die vierzig Minuten über die Autobahn in die weitwege Stadt weiter östlich gequält haben, ist die Laudatio längst gehalten, der Sekt klimpert in den Gläsern, die Leute reden über dies und das und hinter ihnen an den Wänden hängt einsam die Kunst.

Konsens. Wir gehen nicht. Ich koche Kaffee und Tee, zünde das Feuer im Holzofen an, füttere die Katze, lasse den Tag langsam heranrollen. Wie ein Eisenbahnwagen, der sich auf abschüssiger Strecke vom Zug gelöst hat … den Tag aus dem Zeitkorsett lösen, so dass er seine ureigene Form wieder annehmen kann, das ist mein Ansinnen. Überhaupt. Die Zeit, die Kunst, die Zwischenmenschlichkeit, die Konventionen, nach denen wir alle leben und uns mehr oder weniger diszipliniert nach ihnen richten. Ein gutes Thema an einem Sonntagmorgen.

Kürzlich sagt mir der Künstlerkollege P., er wünsche sich mal ein Jahr Auszeit. Ein Jahr ohne jeglichen Zwang. Ohne Zeit, ohne Termine, ohne sich um auch nur irgendwas zu kümmern. Zwischen Tür und Angel stehen wir einander gegenüber und tauschen gehetzte Parolen zweier Werktätiger auf ihrem Sprung von einem Wichtigen zum nächsten und mir fällt mein „Jahr ohne Termin“ wieder ein, das ich vor zwei Jahren am ersten Januar überlegt hatte zu beginnen. Es aber nie tat. Warum nicht? Weil ein Jahr ohne Termin eine Utopie ist. Eine Sache, die, sobald du dich ihr näherst, umso unwahrscheinlicher wird, je mehr du ihr auf den Leib rückst. Und in der Tat ist es doch ziemlich grotesk, ein Jahr ohne Termin an einem bestimmten Termin zu beginnen und es auf eine bestimmte, terminierte Länge zu reduzieren.

Den Elf-Uhr-Termin haben wir nun galant verbummelt und liebäugeln, heute Nachmittag, irrrgendwann rüber zur Ausstellung zu fahren. Einen ganz normalen Sonntagsausflug zu machen. Aber vielleicht bleiben wir auch einfach daheim und versumpfen vor Blog.