Hast du heute in deinem Beruf gearbeitet?

Verfremdete Landschaftsaufnahme. Eine frisch gemähte Wiese. Das Hau liegt in Reihen uförmig mit dem Bauch zum Betrachtenden hin. Im Vordergrund eine Teerstraße. Die Bildverfremdung ist ein in Polygone aufgeteiltes Motiv, das nur ungenau zusammengesetzt ist und etwas zersplittert wirkt. Längliches Panoramaformat. Die Hauptfarben sind grün, blau und grau.

Runter in die Draußenküche unter dem Vordach der alten Scheuer des einsamen Gehöfts, es tut mir Leid, aber das muss nun sein, dort steht die Haushaltswaage noch auf dem Tresen und soeben habe ich Walnüsse geknackt. Beute wiegen. Baumfeuchte frisch geraffte schönbraune Nüsse, an denen noch „Haare“ klebten und Nordpfälzer Sand und Lehm. Als ich abends zuvor welche aus der Charge „probeknackte“, war ich ein wenig enttäuscht. Ich erwischte einige faule und taube Nüsse und die anderen lösten sich kaum aus der Schale. Wie Matsch mit Splittern liegen sie auf einem Tablett neben dem Ofen neben ihren ungeknackten Kolleginnen, aber die, so schnell gebe ich nicht auf, knackten sich heute früh wie von selbst, lösten sich prima aus der Schale. 173 Gramm zwischen Morgenkaffee und Arbeitsplatz. Ich bin zufrieden.

Nussknacken ist eine Wissenschaft für sich. Als Hobbynussknackforscher kann ich nur einen Rat eben: Versuche den idealen Knackzeitpunkt zu ermitteln, am Besten durch Versuchsreihen in verschiedenen Stadien des Trocknens (mein eine-Nacht-trocknen-lassen mag ein Anhaltspunkt sein, ist nicht sakrosankt; stelle Deine eigenen Forschungen an).

Der gestrige Familienausflug gut 100 Kilometer weit in die Nordpfalz ist der Initiative meiner Schwester geschuldet. Sie ist eine Nuss-Nerdin, würde ich einmal sagen. Meine Mutter eignet ein Grundstück im malerischen Appeltal, auf dem mein Vater vor Jahrzehnten exzessiv Nussbäume gepflanzt hatte. Zwetschgen und Äpfel und Birnen, auch das. Das Grundstück liegt in einem Seitentälchen. Eine Quelle entspringt. Ein Rinnsal durchquert sommers wie winters die Wiese, was sich Wildschweinrotten hin und wieder zu Nutze machen, um sich Suhlen zu bauen. Die Interessen der Wildschweinrotten sind nicht die Interessen der Irgendlinks. So kam es, dass wir dem etwa hundert Meter langen Bachlauf – oder sollte ich sagen, Bächleinläuflein – mit Sense, Schippe und Hacke zu Leibe rückten. Ich mähte die Ränder, während meine Schwester die Wildsausuhlen trocken legte; Zweige von Bäumen am Bachlauf, die unsere Arbeit behinderten, schnitt ich mit der Handsäge, deckte die Suhle ab, die etwa zehn Quadratmeter weit in die Obstwiese ragte. Zwischendurch, zum Ausruhen, durchforsteten wir die Nussbaumareale. Zwei drei vier Körbe voll gingen uns dabei ins Netz. 2025 ist wahrlich ein prächtiges Walnussjahr.

Regen am Nachmittag beendete unsere Arbeit. Das zehn Zentimeter breite Bächlein schwoll direkt an. Ich belud das Auto mit Früchten und Werkzeug. Die Frau Mama pochte zum Aufbruch. Die Schwester blieb im Dickicht verschwunden. In gewisser Weise ist sie eine wahre Walnussbluthündin. Während wir im Auto den Regenschauer abwarteten, schaufelte sie weiter Nüsse, Nüsse, Nüsse. Kam schließlich klatschnass und glücklich mit vollem Eimer, zog ihren Joker aus der Tasche: Handtuch und trockene Klamotten …

Nach einem Besuch bei der Tante gings zurück in die Südwestpfalz auf der guten alten Strecke, auf der wir unsere Kindheit verbracht hatten im wöchentlichen hin und her zwischen den beiden Familienzweigen.

Warum dieser Tagebucheintrag? Nun, es ist meiner Erkenntnis geschuldet, dass ich zu selten in meinem Beruf arbeite. Bei all den kleinen Zutuns rund ums Verwalten des eigenen Lebens und des Beistands in anderen Leben komme ich sehr selten dazu, als Künstler und Literat zu arbeiten. Vor ein paar Woche hatte ich überlegt, eine tägliche Notiz anzulegen: „Hast du heute in deinem Beruf gearbeitet?“ Die Antwort wäre sehr oft: „Nein.“ Das eigene Ding hintanzustellen schleicht sich ein als Gewohnheit. Dieses Jahr ist wohl seit Anbeginn meines hauptberuflichen Künstlerseins das Jahr, in dem ich bisher kaum in eigener Sache tätig war.

Die letzten Tage habe ich wieder begonnen zu „appen“, sprich Kunstwerke im Smartphone zu kreieren. Immerhin. Nur eine viertel Stunde pro Tag. Nun und Schreiben würde ich gerne auch wieder; wenn es auch nur ein Alltagstext aka Tagebucheintrag wie dieser ist.

Ich arbeite daran, mir die „Fremdarbeit“ abzugewöhnen.

Da das Appeltal ein Liveblogprojekt werden soll (der Plan ist uralt, Künstler begibt sich in seine alte Heimat und schaut auf seine Vergangenheit), könnte ich unseren gestrigen Exkurs als Recherche verbuchen. Die Webseite zum Blogprojekt ist immerhin schon skizziert. Ich müsste es nur noch umsetzen …

Das geappte appspressionistische Titelbild steht symbolisch stellvertretend für die Landschaft des „weiten grünen Landes“ der Nordpfalz.

Virtualisierung vergangener Leben geliebter Menschen

Ich lasse einen superreifen Apfelbaum zurück. Es ist zum Heulen, aber ich schaffe es nicht, das Obst aufzulesen, in Körbe zu packen und zur heimischen Saftpresse zu bringen.

Der alte Herr F. kommt mir in den Sinn. Nachbar im kleinen Dörfchen in der Nordpfalz, in dem wir lebten. Er überließ unserer Familie seine gepflegte Obstanlage, weil er, weit über 80, die Anlage nicht mehr pflegen konnte.

Ein frühes Beispiel, wie Menschen mit dem Vergehen und letztlich dem Tod anderer Menschen „mehr“ Menschen werden. Mein Vater war plötzlich nicht mehr nur Lehrer, sondern auch Obstbauer. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren zu geringem Teil auch Obstbäuerinnen und -bauern, indem wir im Herbst bei der Ernte halfen.

In mir kumuliert nach so vielen Jahren alles an Menschenleben, was einst war, was verging und ich habe Schwierigkeiten, in dem Gewusel mich selbst zu finden. Mehr noch: Herr Irgendlink, mach dir diese Kunstbübchenrechnung doch mal klar. Wie soll das denn gehen, in die Rollen aller lieben Vergangenen zu schlüpfen in nur einer, nämlich deiner eigenen Lebenszeit? Denk doch mal nach. In Mathe warst du doch gar nicht so schlecht. Du kannst nicht der Obstbauer sein und der Forstwirt und der Chronist eines Tälchens in der Nordpfalz und Zeichner, Holzbildhauer, Serveradmin, Webseitengestalter, Hausmeister, Solarpunker und last but not least der schreibende Konzeptkünstler, der du womöglich tatsächlich bist.

Aber, sagt der schreibende Konzeptkünstler, wenn ich darüber schreibe und ein Kunstkonzept entwickele, dann könnte das durchaus klappen. Die Virtualisierung vergangener Leben geliebter Menschen in eine neue, nicht zeitaufwändige und nichtphysische Form bringen. Da mal drüber nachgedacht?

Man hat mich dafür bezahlt

Spätabends. Ich bin müde. Wollte noch bloggen. Das Hirn diktiert: Schreib auf wie du auf dem Rückweg von der Galerie über die Felder geächzt bist, den unheimlich staubigen Kiesweg gemeistert hast, ja ja, das ist nicht einfach bei sechs Prozent Steigung durch unbefestigtes Gelände zu kurbeln. Erinnerst du dich? Paar Tage zuvor, selbe Strecke, nachts, du musstest absteigen, weil der Hinterreifen wegrutschte. Ne ne, an der Kraft und Ausdauer lag es nicht, du schwammst im Staub, straucheltest, stiegst ab, schobst hinauf in die Nacht, hinauf zum Sendemast, wo am Straßenrand das Auto eines Liebespaars parkte. Angekommen auf dem Teerweg alles kein Problem: weiter weiter heim heim.

Und heute? Jesss! Geschafft. Abenddämmerung. Nicht abgestiegen! Held! Brav durch den Kies gewühlt hast du dich wie so ein Silk-Mountain-Race-Veteran. Dort wo das Liebespaar war, parkten heute etliche Autos und Wohnmobile und wie um dich zu beobachten hatten die Leute, denen sie gehörten Tische und Bänke aufgebaut. Dinierten, rauchten, tranken, schwätzten. Wie eine Tribüne wirkte das Ensemble und als sie dich kommen sahen, feuerten sie dich an, hop hop hop und als du endlich Teer unter den Reifen hattest, direkt vor ihren Picknicktischen, jubelten sie und du sagtest: Tiptop! Man hat mich für diesen Auftritt bezahlt.

Von Soundso-Fischchen, Nachlässen und kompletten Menschenleben

Schwarzweißbild einer Abrissbaustelle am dörflichen Straßenrand. Dominant steht im Vordergrund links der Bildmitte noch eine zweiläufige Hauseingangstreppe, während dahinter schon neue Fundamente gelegt werden. Ein Baukran ist rechts im düsteren Bild zu sehen.

„Mit jedem Tod werde ich ein Mensch mehr“, kam mir heute Morgen in den Sinn. Nein, niemand ist gestorben im Verwandten oder Bekanntenkreis.

Ich ersticke in Zutuns. Das Atelier befindet sich im Umbau und Renovation. Ich komme endlich dazu, den zwar wenigen, aber insgeheim gehaltvollen Nachlass von Journalist F. zu sichten, den ich vor seinem Tod aus der zu räumenden Journalistenbude gerettet hatte. Damals, als noch Hoffnung bestand, er vorübergehend ins Pflegeheim kam, stets hoffte, wieder auf die Beine zu kommen, körperlich wie materiell und er eines Tages in eine Betreutes-Wohnen- Einrichtung umziehen könnte, wo er sich mit der geretteten Habe hätte gemütlich einrichten können. Es kam anders und nun ist es schon über zwei Jahre her, dass wir seine Asche bei einem Baumwunder namens Braut und Bräutigam unweit einer Kapelle im Saarland verstreuten. Eigentlich war das mit der Asche ein bisschen anders geplant, aber das ist eine andere Geschichte.

Mit jedem Tod landen Dinge in den Leben der Nächsten. Ganze Nachlässe, sentimentale Erinnerungen, hier ein Foto, da eine Schatulle, manchmal Reichtum, oft Pflichten – nein, ich habe die Dinge nicht vom Journalisten geerbt, ich bin nur derjenige, der sie verwahrt. Seine Erbin wollte kaum etwas. Selbst die Familienfotos, fein gerahmt, liegen noch in einer Kiste im Atelier.

Und die Kunstsammlung; die hat es in sich. Nicht dass die Kunstwerke extrem hohe Werte erzielen würden, aber doch, unter den Bilder finden sich einige bekannte Namen und viele Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, die Journalist F. im Laufe seines Journalistendaseins interviewte, deren Ausstellungen er besprach, die ihm hie und da etwas schenkten, denen er hie und da etwas abkaufte, das ihm gefiel. Es befinden sich sogar Irgendlinksche Werke in der Sammlung, die auch ihren Preis erzielen können. Vor allem aber ist die Kunstsammlung sehr schön, geschmackvoll, macht sich gut an Wänden in feinen weißen Wohnungen, wenn man denn eine hat. Die Künstlerbude selbst hängt leider A selbst schon voller Kunst und B sind die Wände nicht weiß genug, nicht groß genug, zu viele Spinnen allüberall, die ihre Notdurft auf den Rahmen hinterlassen.

„Hüte Dich vor dem Soundso-Fischchen“, sagte jüngst Galerist B. Das Soundso-Fischchen ist etwas größer als das Silberfischchen; er zeigte mit den Fingern und ich stellte mir vor, dass es etwa einen halben Zentimeter lang ist, schlank und dass es, wie der Galerist warnte, Papier frisst. Eine Unsumme Euro habe es einst in der Galerie verschlungen; er nannte Namen der KünstlerInnen, die vom Soundso-Fischchen gefressen wurden, „achja und der Spinnenschiss? Den kriegste einfach weggewischt“, sagte er. Das Soundso-Fischchen heißt eigentlich anders, aber ich habe den Namen vergessen. Und es spielt hier, auf dem von Spinnen und Bilchen umschwärmten einsamen Gehöft im Scheunenatelier zum Glück auch keine Rolle. Fotos frisst es nicht und auch keine komischen Objekte und keine Fahrradketten und ich habe auch noch nie ein Soundso-Fischchen gesehen. Ich stelle es mir schlank und silbrig vor und wenn man die Brille aufsetzt, um besser zu sehen, zappeln an dem kümmelkornförmigen Körper unzählige Beine und es besteht aus viel Maul, das es aufreißt, um Papier zu fressen.

Die Kunstwerke von Journalist F., viele aus Papier, sind tadellos erhalten. Ich entstaubte sie und vielleicht machen wir endlich einmal eine Ausstellung in der Galerie. Die Sammlung F.! Und es gibt eine Lesung aus seinem Buch und seinen Blogtexten, so wie es zu seinen Lebzeiten schon überlegt war.

Achje, die Zeit, wie sie uns immer ein Schnippchen schlägt, uns auf falschen Füßen erwischt, unsere Lebenszeitplanung durchkreuzt; auch ich bin betroffen.

Gestern bei einer Radeltour mit einem wortkargen aserbaidschanischen Künstler der Galerie (ich bin durch Zufall sein Buddy geworden, der ihm hilft für seine Residency in der Galerie Fuß zu fassen; andere Geschichte) kamen mir all die Toten der letzten zehn Jahre in den Sinn. Ich mache das manchmal, surfe gedanklich auf den Gräbern, die, einst frisch ausgehoben, nun überwachsen, die vergangenen Leben der Vorangegangenen  behüten. Ja, vielleicht könnten wir mal zum Journalsitenbaum radeln, dachte ich und dann: Wann hat das eigentlich angefangen mit dem andauernden Sterben im Verwandten- und Freundeskreis? Zehn Jahre her, ja, ich erinnere mich; plötzlich ging jedes Jahr einer der männlichen Verwandten, zack, zack, zack und dazwischen gleichaltrige oder gar jüngere Freundinnen und Freunde, Twitterbekanntschaften, die einem lieb geworden waren, Social Media-Buddys, Künstlerkollegen und -kolleginnen und Freunde und Freundinnen von Freunden und Freundinnen und und und und insbesondere mit den nahestehenden Gestorbenen oder noch Sterbenden werde ich jedesmal ein Mensch mehr, so dachte mein Hirn, kurbelnd im Bliestal … ja ja, ist es nicht so, mit jedem toten Nahen übernimmst du ein Teil seiner Lebensbürde, seines Wandelns in der Welt, Dinge und Pflichten gehen in deinen Besitz über. Eine kaputte Kettensäge vom Onkel, viele kaputte Geräte des Vaters, auch viele noch ganze Geräte natürlich; aber mehr noch, vielleicht geht das ja nur mir so, die Lebensträume der Vergangenen leben oft auch zu einem gewissen Teil in mir weiter und damit komme ich zum großen Problem: Es wird irgendwann einen finalen Overload geben, in dem ich, also wenn nicht ich es bin, der stirbt, von allen alles verinnerlicht haben werde und mich mühsam durchs Leben schleppe, versuchend, die Dinge zu richten.

Vielleicht kommt daher der rigorose Gedanke, falls mir mal etwas zustößt: Mietet einen Abfallcontainer, schmeißt alles rein, löscht die Festplatten, verscharrt mich so billig wie möglich und genießt euer Leben.

Strategie des Nichtdarandenkens

Bearbeitet und publiziert am 21. Oktober 2025

Eigentlich liegen alle „Aufgaben“ klar auf dem Tisch. Oder sollte ich sie die „Diesunddas“ nennen. Kleine Zurückbleibsel aus dem großen Lebensplan, die im Kampf mit der knappen Zeit hintan stehen mussten.

Ich erwache gegen drei. Das Bett ist zerwühlt. Nassgeschwitzt. Eine gruselige Szene aus einem Film geht mir nach. Stehe auf, trinke ein Glas Milch. Klappe den Rechner auf. Seit zwei Tagen, seit ich wieder im „Büro“ bin, arbeite ich unter anderem an technischen Dingen auf dem Irgendlink-Blog. Was auch mit Intervention in der Tiefe des Servers einher geht. Studiere Bedienungsanleitungen für Software, habe zahlreiche Tabs offen. Das Hirn spielt zum Glück halbwegs mit, hatte es doch vor der dreiwöchigen Radreise gen Norden den Dienst fast eingestellt. Kaum in der Lage, mich auf etwas zu konzentrieren. Schwarzer Bildschirm. Linux-Prompt. Login und Rootrechte, Serverupdate und nebenbei schaue ich, wieviel Platz noch auf dem Miniding ist, auf dem all meine Blogs gehostet sind: so gut wie voll. Schuld ist das Plugin Backwpup, das vor Monaten ein Update zunächst zur Unbenutzbarkeit erfahren hatte, dann zurück gerudert und nun ist es WYSIWIG-tauglich ganz gut zu bedienen, aber eben, es macht von Haus aus nun automatische Backups, egal, ob man möchte oder nicht. Es speichert sie auf dem engen Server. Ich müsste sie regelmäßig herunterladen, damit der Speicherplatz nicht voll läuft.

Unterwegs der Radreise gen Norden hatte ich schon einen Freund deswegen beraten. Hatte das Plugin als Ursache für seinen Webspace-Überlauf diagnostiziert, weshalb ich wegen des knappen Platzes hier bei mir auch nicht groß suchen muss; die zahlreichen Backwpups auf etlichen auf dem Server liegenden WordPress-Installationen rümpeln die Platte voll.

Durchforste die Seiten und lösche die Backups und richte Backwpup auf mindestens vier Installationen neu ein. So vergeht die Zeit. Ich habe Spaß und bin zufrieden, schaue zwischendurch auf die Livemap der Transcontinental. Beneide die Radelnden. Und auch nicht. Meins wäre es nicht, zu rennen, obschon ich auf der Sommerreise, meiner Irgendwohin-Tour, Geschmack am lang und weit Radeln gefunden habe. Sagen wir so: Ich kann es wenigstens verstehen, dass Leute in Santiago de Compostella starten und 5000 Kilometer weit ans Schwarze Meer radeln und nur alle zwei Tage für ein paar Stunden schlafen. Auch die Bergkletterei verstehe ich und das ab und zue miese Wetter zu erdulden, den Schmerz, die Nacht und die Angst, dass was kaputt geht oder man stürzt oder per Navigationsfehler in einer Sackgasse landet. Das alles kann ich verstehen und ich durchlebe es ja auch auf meinen Touren in anderer, mir angepasster Form.

Bis fünf schufte ich am Server und diagnostiziere, da gibt es noch etliche unsichtbare Baustellen, die ich erledigen sollte: andere Software installieren hier, ein externes Backupsystem aufsetzen da,  noch mehr Sicherheit und die Blogsoftware bei den etwa zehn Blogs mal ordentlich durchforsten und aufräumen. Sowohl in den Datenbanken als auch in den Dateisystemen sind etliche Datenreste überflüssig, die durch das Installieren und nicht ganz saubere Deinstallieren von Plugins und Themes geblieben sind.

Mein eigentliches Vorhaben, weshalb ich mich vor zwei Tagen in die Sache reinkniete, ist die Entwicklung eines Themes oder einer Datenbank, mit der ich mein Blog – am besten den Shop – in ein Werksverzeichnis verwandeln kann (womit wir beim Großen und Ganzen angelangt wären, dem Zustreben aufs Lebensende). Mein Poormans-Ansatz ist, mittels individueller Felder und Blocktheme-Editor ein Werksverzeichnis-Theme zu erstellen, in dem ich die wichtigsten Daten für Kunstwerke erfassen kann. Auch im Hinblick auf andere Künstlerinnen und Künstler, allen voran Schalenberg, ist das wichtig und von Interesse. Und überhaupt hat mich der Kollege Schalenberg ja erst auf die Idee gebracht, an einem Werksverzeichnis zu arbeiten. Er und Herbig sind unter meinen FreundInnen die beiden Kollegen, die sich meiner Meinung nach am besten selbst dokumentieren.

Nachts regnet es. Gegen fünf wieder im Bett. Das Prasseln aufs Dach beruhigt. Ich denke rückwärts: Was muss ich vor den Ferien – immerhin schon nächste Woche – mit Frau SoSo noch alles erledigen? Zum Glück wenig. Eigentlich nur noch packen. Meine Sachen liegen ja noch von der Irgendwohin-Tour herum. Das Radel, das ich gerne renoviert hätte lasse ich wie es ist. Drei- vierhundert Kilometer wird es schon noch packen und wer weiß, ob es eine gute Idee ist, vor den sandigen holländischen Dünen schon einen neuen Kettensatz aufzuziehen?

Rückwärts denke ich auch vom kommenden Raus aufs Land: Wieviele Schlafplätze brauche ich und wo bringe ich die Leute unter? Ich müsste mindestens die Kammer des Schreckens fit machen und wer weiß, vielleicht sollte ich das ja auch nur rudimentär und notdürftig. Denke ich immer in großen Spuren: Diese Wand sollte weiß, der Boden geleinölt, das Bett schön eingerichtet usw. Warum nicht einfach nur aufräumen, ja ja und darauf läuft es hinaus.

Ein Schlafplatz fehlt mir. Ich hatte überlegt, den Holzanhänger, den ich während der Pandemie eigentlich in eine Traktorgalerie hätte verwandeln wollen, in ein Mini-Tiny-House zu verwandeln. Ein Nur-Schlafplatz- Minihäuschen, aber dafür fehlt mir die Zeit.

Ach Zeit Zeit Zeit! Ich denke immer nur, ich käme nicht voran, weil ich nach dem Tun oder gar noch während des Tuns (wenn ich den Radler in mir sehe) schon verdränge, was ich alles tue. Die letzten Tage nichts geschafft? Quatsch. Ich hab den Holzstapel vorm Haus dezimiert, im Garten etliche Aufräumarbeiten gemacht, den Grillplatz aufgeräumt, Kommunizierte mit Menschen – etwa war ich einen halben Tag lang mit dem Radel unterwegs nach Saarbrücken, was ziemlich gut tat und die ganz und gar unsichtbaren Arbeiten am Server gehen gänzlich unter in meiner Bilanz. Ich darf mir nichts vormachen: Insgeheim bin ich unheimlich fleißig und komme voran.

Wenn nur der Kopf nicht immer so vollgerümpelt wäre. Wenn ich nur nicht immer denken würde, du kommst doch überhaupt nicht voran.

Im Halbschlaf lege ich mir eine Strategie des Nichtdarandenkens zurecht, des mich vergessens und einfachen Weitermachens, ganz wie beim Radfahren. Einfach tun tun tun, strampeln strampeln strampeln, bloß nicht auf den Tacho starren, bloß nicht mit dem Wind hadern, bloß nicht die Uhr, bloß nicht den Blick suchend zur Passhöhe richten. So gehts voran. Langsam. Angenehm und wenn man sich umschaut und ruht irgendwann, stellt man fest, man ist da.

Zehn Uhr ists als ich wieder aufwache (aus unruhigen Träumen) – ich weiß nicht, was das ist, daheim schlafe ich schlechter als im Zelt, daheim sorgt mich mehr. Daheim fühlt sich der Körper alt und verlebt an, was er ja auch ist – wie sagte ich bei Herbig auf der Finnissage in Saarbrücken: „Ich fahre deshalb so gerne Rad, weil ich mich nur auf dem Sattel rundum wohl fühle“, und wie schrieb jemand anderes im Fediversum: „Radfahren ist mein natürlicher Aggregatszustand“.