Moorlander lebt!

Das Bild zeigt eine junge Ackerfläche mit saftigem Grün, in die vom rechten Bildrand, an dem ein Hauch Teerweg zu erkennen ist, eine tiefe Reifenspur hinein ragt. Am hellen, diesigen Horizont stehen zwei kahle Laubbäume.

Dies ist – zumindest aus meiner Sicht – die spannende Geschichte, wie für 2025 doch noch ein Moorlander-Kalender entstand, obwohl ich das Projekt letztes Jahr eigentlich aufgegeben hatte. Nach einigen Stunden harter Gestaltungsarbeit mit Inkscape, Gimp und Scribus erblickte am gestrigen 26. Oktober ein erstes PDF als Druckvorlage das Licht der Welt. Euphorisch tat ich auf Facebook und im Fediversum folgendes kund:

Heiko Moorlander lebt! Nach dem katastrophalen Nichterscheinen des Moorlander-Kalenders 2024 wird es für nächstes Jahr wieder einen Kalender geben. Internationale Schlammkunst „Made in Palatinat“ und elsewhere. Wenn Du, der dies liest, einen haben möchtest, lass es mich wissen. Gedankt sei Frau Lakritze, Frau Sofasophia, Herrn SR-QQlka und den alten Kommunardinnen und Kommunarden der Walpodenakademie für den kleinen Tritt in den Hintern.

14 Blätter eines Monatskalenders sind in einem vierspaltigen Raster wie Polaroid-Fotos angeordnet. Unter den BIldern erkennt man die Dateinamen. Die einzelnen Blätter eines 14-seitigen Monatskalenders zeigen Traktorspuren und Reifenspuren, meist auf Feldern, manchmal auch auf Straßen. Unter den quadratischen Motiven sind die Kalendarien der einzelnen Monate zu erkennen. Das Titelblatt ist hochkant A4, eine Reifenspur in einem Neubaugebiet unter dem Schriftzug 2025 Moorlander.
14 Seiten des Monatskalenders Moorlander 2025 als Polaroid-Anordnung zur Ansicht.

Letzter Kick in den Hintern des Künstlers, moi même, war sicher der Besuch der Ausstellung „sein lassen“ des Mainzer Kunstvereins Walpodenstraße 21 (zu der ich auch ein Werk beitrug). Dort sprach mich Frau Lakritze an, was denn eigentlich aus Heiko Moorlander geworden ist und dass der aktuelle Jahreskalender stets ihre Küche ziert und die Besucherinnen und Besucher sie darauf ansprechen, sich wundern, mal geneigt, mal abgeneigt, so ist das mit den kontroversen Empfindungen der Kunst, und dass sie, Frau Lakritze den Kalender sehr möge. Sie würde drei nehmen.

DREI! Das ist doch schon fast eine Auflage. Mühe genug wert, sie sich zu machen, dachte ich. Und ging tags darauf das Projekt an. Kalendarium generieren mit dem Kalendariumsgenerator von Inkscape. Kannst ja mal was machen und in zwei Wochen biste dann fertig. Das Projekt 2023 lag noch in einem Verzeichnis als Scribus-Datei. Das ist ein Desktoppublishing-Programm. Ich glaube ähnlich wie ehedem Quark Express oder Indesign. Egal. Alles da. Ich kopierte es und tauschte die Kalendarien. Fehlten nur noch die Bilder. Und die Titel. Und Kleinigkeiten.

Wider Erwarten biss ich mich durch, ganz entgegen meiner Neigung, die Dinge erst einmal zu beginnen und sie dann wenn Probleme auftauchen, liegen zu lassen. Zwischen Bilderschuften und Euphorie schrieb ich im Fediversum:

… habe den heutigen Tag damit verbracht, den MudArt-Klassiker zu gestalten. 14 Seiten, Format A4, Spiralbindung, 15 Euro plus Versand. Sollte Ende November in Deinem Briefkasten sein. Infos über mein künstlerisches Alterego Heiko Moorlander (der alles hat, was ich nicht hab :-)) gibt es im Erdversteck https://erdversteck.de #MudArt #Konzeptkunst 

Sofort zwei Bestellungen mehr. Zack. Ihr ahnt gar nicht, wie sehr es einen Künstler, zumindest mich, beflügelt, wenn auch nur eine Person den Daumen hoch gibt. Dann ist es mir, jegliche Marktmechanismen ignorierend, schon Wert, eine Idee in die Tat umzusetzen.

Auf der Liegewiese eines Strandbads führt eine vertrocknete Schlammspur zwischen Baumstämmen auf ein liegendes Pärchen zu.
Ausschlaggebend für die Produktion des Monatskalenders Moorlander 2025 war auch dieses Motiv, „A Two River Romance“. Auf der Liegewiese eines Strandbads führt eine vertrocknete Schlammspur zwischen Baumstämmen auf ein liegendes Pärchen zu.

Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen, war schon von Jahresbeginn an die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Moorlander 2025 entsteht. Immer wieder fotografierte ich geeignete Motive. Die Sammlung wuchs. Im Sommer ging ein auf den ersten Blick recht monotones Bild einer Spur auf Wiese zwischen Eichenstämmen ins Netz, aber ich wusste sofort, wenn es wieder einen Kalender geben wird, muss „A Two River Romance“ mit rein.

Es ist ja nicht so, dass es die Vorlagen in der echten Welt nicht mehr gibt, nur weil man aus Erschöpfung am eigenen Schaffen liegen geblieben ist, nein nein. Auch für das aktuelle, scheidende Jahr wäre genug „Material“ dagewesen, einen Kalender zu gestalten, aber die Kraft …

Auch das Titelblatt des Kalenders ist bemerkenswert. Es ist vom Motiv bis zur Schrift ein rein appspressionistisches Kunstwerk, sprich ganz und gar auf dem Smartphone gestaltet. Während einer Zugfahrt ging mir eine Neubaugebietsbaustelle am Hochrhein ins Netz, kein besonders gutes Foto, da durch die Scheibe fotografiert, aber die Fahrt war lang und ich „appte“ ein wenig mit Snapseed und plötzlich war das Kalenderdeckblatt fertig. Feinschliff gab es gestern mit Gimp.

Ich bin gerade sehr froh, dass ich die Mühe auf mich genommen habe. Werde nächste Woche einen Druck veranlassen.

Wenn Du einen oder viele Kalender haben möchtest, lass es mich wissen. Ich werde ihn auch in meinen Shop stellen. Der Shop ist übrigens eine weitere Baustelle, die ich demnächst angehen muss.

 

Die Löcher im Dach, der Bogenbau, das Dies und das Jenes

Die Merkwürden des Klimawandels lassen eine Wildkirsche zu liegen kommen neben drei vier Robinien. Oder unter drei vier Robinien. Oder mit ihnen verflochten wie ein Rattanmuster eines japanischen Samuraischwertgriffs, nur in groß. Sieht kompliziert aus, denke ich eines Sonntags, als wir einen Spaziergang entlang des Waldes machen und das Ensemble vor uns liegt. Ohne Spezialwerkzeug kann man das wohl nicht wegräumen.

Ein Problem mehr manifestiert sich im Kopf und wie um es zu untermalen, ruft ein paar Tage später der Nachbar an und macht mich auf das Problem aufmerksam, denn sein Wieschen am Waldrand ist dank des Baummassakers um ein paar Quadratmeter kleiner. Das Problem gesellt sich zu weiteren tragenden Langzeitproblemen in und ums einsame Gehöft. Marodes Dach an Mutters Häuschen, der bröcklnde Kamin und überall in den Scheunen und Hallen liegen Gegenstände, die anderen Menschen gehören. Menschen, die nur mal eben etwas abstellen wollten, das Abgestellte vergaßen oder starben und es hinterließen. Heizungsbauer H., der etwa in der gleichen Zeit wie mein Vater starb, hat ein riesiges Archiv hinterlassen. Uralte, stromfressende Pumpen, die einmal richtig teuer waren, noch unbenutzt. Armaturen und Rohrwerk, Werkzeug, metallisches und hölzernes Rohmaterial, für das man hin und wieder dankbar ist, um eines der vielen Löcher am sterbenden Gehöft zu flicken und den Abriss eine Zeitspanne lang zu verschieben.

Zudem der Nachlass von Journalist F., den ich nur ungern sichten mag. Zwar ist der Freund schon über ein Jahr tot. Dennoch, Gegenstände sind oft ein billiger Erinnerer an Katastrophen, die man einst miterlebte. Journalist F. hatte stets die Hoffnung, das Pflegeheim noch einmal zu verlassen und in einem betreuten Wohnen unterzukommen, weshalb ein Teil seines Hausstands nun in meinem Atelier liegt.

Längst schon wollte ich Journalist F.s Geschichte in diesem Blog aufgeschrieben haben. Seine letzten Jahre der Verelendung. Aber ich traue mich nicht ran. Überhaupt bin ich ziemlich blockiert seit ein zwei Jahren. Ist die Pandemie daran schuld? Das eigene kleine Älterwerden? Die Zipperlein, die damit einhergehen? Der Schmerz über die vielen Toten in der nahen Verwandtschaft? Seit zehn Jahren stirbt im Hause Irgendlink mindestens ein sehr nahe stehender Mensch pro Jahr.

Oder alles zusammen ein Bisschen? Konzentrieren wir uns aufs Älterwerden. Jedes Thema hat seine Zeit und dies ist vielleicht das Thema der zweiten Umwandlung. Die erste ist die Pubertät und es gibt eine zweite, die des von der Mitte des Lebens ins letzte Stückchen. Jene Zeit, in der liegen Gebliebenes aus Jahrzehnten kumuliert und sich zu einem unübersichtlichen Berg aufschichtet.

Multiple Probleme machen mich nachts um drei vier Uhr aufwachen und dann rattert die Gedankenmühle und ich räume rein gedanklich das Atelier auf, flicke Löcher im Dach, beschneide den Windschutz der Frau Mama, hole die Rattangeflechtsbäume von Nachbars Acker. Immerhin dafür gibt es einen guten Nebennutzen: Brennholz ohne Ende.

Ich wäre nicht Künstler, wenn in dem rattanähnlichen Problemgeflecht im eigenen Kopf nicht auch Fäden in die Kreativität führten. So schaue ich mir die Hölzer an und prüfe sie darauf, ob man zum Beispiel Bogen daraus bauen könnte oder andere schöne Dinge. Die Robinie ist zwar giftig, aber sehr gut geeignet als Bogenholz. In den letzten zwei Wochen konnte ich mit dem uralten Traktor, der sogenannten Hölle auf Rädern, etliche Touren zur Holzbaustelle machen und einiges der gefährlichen Situation mit Hilfe der Seilwinde und des 60 Meter langen Seils entschärfen. Mittlerweile liegt alles. Nun regnet es wieder und man kann mit dem Traktor, einem sechzig Jahre alten Porsche Super, nicht mehr auf des Nachbars Wiese, ohne sich tief in die Grasoberfläche einzugraben.

Einige liegende Stämme führen den Blick auf einen roten, uralten Traktor mit kleinem Anhänger zu. Im Hintergrund eine Baumreihe am Rad eines kahlen Achers.
Der Traktor namens ‚Hölle auf Rädern‘ im Einsatz bei der Pappelbaustelle.

Nachts wach. Nachtwachen. So kommt es, dass ich heute bis zehn Uhr schlafe. Das Wetter ist mies, zuvor habe ich vier fünf Stunden Probleme im Kopf gewälzt und mich im Bett. Ein paar Nächte zuvor, in ähnlicher Situation, bin ich um drei Uhr nachts aufgestanden, spülte Geschirr, bereitete Essen vor, sortierte Akten, schickte die Steuererklärung weg, räumte hie und da und bezahlte den Tag mit einen Gefühl unendlicher Müdigkeit. Gesund ist das nicht und über allem bricht auch der Rücken zusammen, merke ich. Das Innere wendet sich unweigerlich gegen den eigenen Körper und verschafft sich Gehör. Ich sollte einen Schnitt setzen … raus aufs Rad oder zu Fuß auf den Jakobsweg … aber erst will ich dies und das erledigt, die Löcher im Dach, der Bogenbau, das Dies und das Jenes erledigt … manchmal gerate ich in Flow, tagsüber, wenn ich arbeite und das ist gut so, denn dann laufen die Zutuns einfach ohne Widerstand und es macht richtig Spaß. Unendlich langsam komme ich voran und wenn ich nachts nicht so sinnlos darüber nachdenken würde, was noch alles zu erledigen ist, mich dabei in einen unangenehmen, verkrampften Wachzustand versetzen würde, könnte es richtig gut sein und gegen Weihnachten wäre ich mit allem zu Erledigenden fertig.

Wenn mir nicht neue Probleme einfielen, sie zu wälzen in der Nächte Sinn.

Das einsame Gehöft ist ein Fass ohne Boden.

Mein Kind-Ich fällt mir manchmal ein, wie es hie und da Arbeiten tätigte, die Scheune ausfegte, andere Kinder animierte, mitzumachen und die Welt in Ordnung zu bringen. Ich glaube, da wurde der Grundstein zum Kümmerer gelegt, der sich vorwiegend die Problemschuhe seiner Nächsten anzieht und hilft, einfach nur hilft.

Aber es gibt auch Positives. Ich denke auch an mich selbst hin und wieder. Schaffe derzeit wieder Kunstwerke. Bin mir jedoch nicht sicher, ob es sich um notgeborene Kunstwerke handelt, die ich aus dem Reich der Gegenstände, die mir nicht gehören, kreiere. Vergessene Gegenstände und Nachlässe. Gegenstände aus dem unendlichen Fundus auf dem einsamen Gehöft. Zinkrohr vom toten Heizungsbauer, das eine seltsame Plastik wurde. Dias, die keine Ahnung woher hierher kamen; schöne Schwarz-Weiß-Lehrdias aus dem Archiv Marburg, die einst zu Schulzwecken dienten, nun aber ein Lampenschirm wurden für eine nackte Stehlampe. Diese Stehlampe hatte Freund QQlka vor dreißig Jahren in einem verlassenen Haus mitgehen lassen.

Ein altes Kalenderblatt eines Holzschnitts von Martin Thönen kam mir gestern unter die Finger. Es lag lange Jahre hier, ich denke zehn, und es war für ein Col-Art Projekt gedacht, bei dem die Teilnehmenden solch ein Blatt neu übermalen oder was-auch-immern sollten. Nur hatte ich nie eine Idee. Gestern dann schon. Das zieselige Muster, das Martin aufs Oktoberblatt gedruckt hatte, hatte mich ganz schön herausgefordert, aber schließlich war klar, jede Art Kunst ist idealerweise auch eine Art Tanz, den die gemeinsam sich beflügelnden Kreativen tanzen und nun, nach all den Jahren ist mir ein ziemlich gutes Kunstwerk gelungen, das ich in die Sammlung meines Freundes Marc Kuhn geben würde.

Kurz nach zehn war ich vorhin wach, nachdem ich die halbe Nacht in Gedanken Dinge repariert hatte und Ausstellungen vorbereitet, Filme geschnitten, das Geschirr gespült, ich sollte reisen, denke ich. Das darf so nicht weitergehen. Diese Art Nachtschlaf ist Gift. Aporpos Gift: Ob man einen Sud aus Robinienholzspänen dafür verwenden kann, um den Holzwurm aus dem Gebälk der Atelierscheune zu vergrämen? Schaue Wetterbericht. Regen ohne Ende. Nächste Woche jedoch: brilliantes Herbstwetter mit Dauersonne und Temperaturen um 20 Grad.

Ich könnte das Saarland umradeln.

Und danach die restlichen Stämme vom Acker des Nachbarn ziehen.