Ja lebt denn der alte Holzirgend noch

Ja er lebt noch.

Bauesoterische Studien in der zu renovierenden Wohnung einer Freundin halten mich derzeit von der Schreibarbeit ab. Ich fürchte, wenn die Welt so funktioniert wie eine Wohnungsbaustelle, dann funktioniert sie nach dem Douglas Adams’schen Problem anderer Leute Feld-Prinzip.

Die Einflussphäre des Bodenlegers endet dort, wo die Sphäre des Malers und Tapezierers beginnt. Der Glaser, meint man, sei vollkommen transparent, ist er aber nicht. Der Maler und Tapezierer ist wie Dr. Jekyll und Mister Hide oder das guter Bulle böser Bulle Team in einem schlechten Krimi. Elektriker und Heizungsbauer sind die Rabauken unter den Akteueren auf  meinem Planet Eigentumswohnung … kurzum, es geht durch und durch korrupt zu auf solchen Baustellen und die Schuld an eventuellen Schludereien wird wändeweise hin und her geschoben.

Eigentlich genau wie in anderen Strukturen, in denen Menschen miteinander an einer gemeinsamen Sache arbeiten.

Dennoch. Wir haben die Lage im Griff und ich weiß jetzt, wie man die Fugen zwischen Raufasertapeten ausbessern kann und welchen Fehler der Tapezierer machte und irgendwie gaukelt mir dieser Titel von Bukowski im Kopf, der ungefähr so heißt: Gedichte, die einer schrieb, bevor er im dreizehnten Stock aus dem Fenster sprang.

Aber das solltet Ihr nicht verstehen wollen. Mir war nur gerade nach ein bisschen Plaudern.

Draussen auf den Feldern

Ein gemütlicher Sonntag mit Schlammspaziergang auf den Äckern der Sickinger Höhe. Und was gibt es dort zu sehen? Aufkeimende Wintergerste (bzw. -irgendwas-mit-Körnern, Windräder, Schlammspuren und Hochsitze.
Eine Jägerin macht stumm mit dem Finger vor den Lippen „Psssssst“, als ich ihren Hochsitz für die stetig wachsende Sammlung fotografiere.

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Auch die Moorlander-Sammlung wächst. Manchmal denke ich, die Schlammfotografie ist Hirnjogging pur. Sie spricht beide Hirnhälften gleichermaßen an. Lustwandelnd in der Welt stehe ich oft mit einer fertigen Geschichte oder wenigstens mit einem Titel für das MudArt Kunstwerk im Sinn vor einem der vielen Schlammlöcher, denke mir den idealen Bildausschnitt zurecht und welchen Kamerafilter ich verwende. Die Bildtitel spreche ich entweder aufs Band oder tippe sie ins iPhone Notizbuch.

Lonesome Threesome
On The Bright Side Of Life
Attention Please
A Sharp Lady
Cum Into My Mud
Deine Mudda Ist Wie Buddha
The Great Palatin Massacre Feat. Go To Hell ZW
Saarlanday Bloody Saarlanday
The Windy Gap
Island In The Sun
Twin Bauers
Eine ehrliche Haut

(MudArt Titel Ausbeute zweier Tage). Sie sind das Rankgerüst für Geschichten wie man sie auf erdversteck.de lesen kann.

Heute gelang Frau SoSo eine der seltenen Aufnahmen des Moorlander Chronisten Ed Korman – hier bei der Recherche für eine Kunstkritik an Moorlanders „Island In The Sun“
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Die schräge Wintersonne sorgte für bizarre Lichtverhältnisse. Gegenlichtfotografie mit schützend vor die Linse gehaltener Hand, oder Zeugnis einer UFO-Landung?
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Diesseits und jenseits der digitalen Revolution

QQlka in Schweden Kapschnitt 1995

Künstler gib mal Mucks. Stille, arbeitssame Tage sind das. Ich treibe die Jahresplanung voran. Lege eine Kategorie an für den „Kapschnitt 2.0“.  Aus den drei geliebäugelten Projekten habe ich dasjenige ausgesucht, das mir am leichtesten verwirklichbar scheint und mir am meisten Freude bereiten würde.

Schutz suchen in einer Scheune Kapschnitt 1995
Schutz suchen in einer Scheune – Gewitter im schwedischen Hochsommer – Kapschnitt 1995

Der 27. Juli 1995 war der Starttag zur Radtour zum Nordkap, die Freund QQlka und mich sechs Wochen lang Richtung Norden führte. Während der Reise haben wir erstmals das Kunstkonzept „Kunststraße“ durchgeführt. Alle zehn Kilometer stoppten wir und schossen ein Foto Richtung Reiseziel. Als die Streetview laufen lernte. Eine Serie von 360 Schwarz-Weiß-Bildern ist daraus entstanden, die im Dezember 1995 in Mainz ausgestellt wurde.

Meine Mission für den Kapschnitt 2.0 lautet: finde die alten Bildstandorte. Am 15. Juni (2015) will ich losradeln von Zweibrücken über Mainz, Erfurt, Bad Doberan und Warnemünde nach Trelleborg (Schweden).

In einer zerfledderten Kladde hatte ich mir zu jedem Bild Notizen gemacht. QQlka hatte unsere Reiseroute und die Übernachtungsplätze in einer Straßenkarte eingezeichnet. Es gab ja noch kein GPS. Handys waren riesige Knochen. Windows 95 kam – glaube ich – in bester Windows-Manier ein Jahr zu spät auf den Markt. Die Computer hatten Rechenkapazitäten, die man heutzutage Defizite nennen müsste. Kein Euro (okay, in Schweden gibts den heute noch nicht, aber die Finnen haben ihn). Grenzen soweit das Auge reicht. Radwegenetz Fehlanzeige, keine LED-Taschenlampen, Funktionskleidung à la GoreTex war elend teuer. Die Räder hatten nur 18 Gänge. Es gab keine Scheibenbremsen … die Liste könnte noch ewig verlängert werden und sie wird es vielleicht auch, denn ich habe erkannt, dass dieses nächste Kunststraßenprojekt eine Reise nicht nur durch die eigene Vergangenheit wird, sondern auch durch die Ära der digitalen Frühgeschichte.

Vieles was wir heute selbstverständlich haben, gab es vor zwanzig Jahren nicht. Und mindestens eines, was es vor zwanzig Jahren gab, wird es heute nicht mehr geben: Eine Ausstellung wie 1995, zu sehen im untigen Bild, werde ich nicht mehr machen. Stattdessen findet die Reise live in Blogform, auf Twitter und Facebook statt und jeder darf virtuell mitkommen. Täglich frisch.

Kapschnitt Fotoinstallation 1995, Galerie Walpodenstraße, Mainz
Kapschnitt Fotoinstallation 1995, Galerie Walpodenstraße, Mainz. 360 Straßenfotos von Mainz Richtung Nordkap wurden auf einem Bildträger arrangiert, an dem die Besucherinnen und Besucher entlang flanierten wie an einer Straße. Die Tafel an der Wand zeigt den Grundriss der Ausstellung wie ein Straßenbauplan bzw. wie eine Landkarte.

Neben der rein physischen Reise durch Deutschland und Skandinavien tritt der Künstler auch eine Reise durch die jüngste Geschichte an, politisch, geografisch und technisch sind wohl nie so viele bahnbrechende Ereignisse auf engstem Raum eingetreten wie in diesem Jahrzwanzigt. Von „Windows 95“ bis Ubuntu „Snappy“, von papierenen Landkarten bis zum GPS, von Null bis Facebook, Twitter und noch ein Stückchen weiter hinein in die Cloud. Die Reise führt vom Europa der Grenzen und vielen Währungen in ein vereinigtes Etwas von 27 Staaten, das sich womöglich vor einer Zerreißprobe befindet. Viele Themen gibt es und täglich frisch bloggt der Reisekünstler über seine Erlebnisse. Vor der malerischen Kulisse einer Künstlervergangenheit spielt ein live erlebter Roadmovie und jeder, der sich in dieses Blog vertiefen mag, ist mit dabei.

Milchgöttchenrechnung

Wenn ich mal Gott spielen dürfte für ein paar Tage, sagen wir sieben, würde ich die Menschen in Reisende und Nichtreisende einteilen. Die Reisenden wären die, die gerade reisen und die Nichtreisenden wären die, die glücklich und zufrieden daheim leben, ohne dass sie Nöte hätten oder bedroht würden, so dass sie den Reisenden, die bei ihnen vorbeikommen, für ein paar Tage Kost und Logis geben könnten. Jeder Reisende wäre auch ein Nichtreisender und jeder Nichtreisende könnte, wenn er die Lust verspürt, ganz einfach zum Reisenden werden und bei Nichtreisenden unterkommen für eine gewisse Zeit. Geld gäbe es nicht in meiner Milchgöttchenrechnung und auch keine Gewalt, Waffen, Drogen, Misstrauen, Neid, sonstiges Übel, geschweige denn Kriege. Man könnte die Haustüre offenstehen lassen in dieser Welt und sein Reiserad unabgesperrt irgendwo abstellen und man könnte einfach so vor sich hinwandern (zum Reisenden werden) für eine Weile. Überall würde man aufgenommen und bewirtet und man hätte ein Dach über dem Kopf. Man würde das ja auch selber tun, wenn man nicht gerade reisen würde.

Wenn ich mir das so betrachte, milchgöttchenrechnend, ist das doch gar nicht so schwer. Schließlich gibt es ja genug Nichtreisende, die die Reisenden aufnehmen können und ein bisschen Essen fällt doch immer ab. Dadurch, dass die Nichtreisenden ab und zu verreisen und in der fernen Welt andere Sitten und Gebräuche erleben, würden sie ein unerschütterliches Toleranzgefühl entwickeln. Und weil sie so viel gute Erfahrungen gemacht haben, würden sie später, wenn sie zu Hause sind liebend gerne andere Reisende beherbergen. Misstrauen und Betrügereien sieht die Milchgöttchenrechnung nicht vor. Weder Vorurteile, noch Hass, noch Argwohn.

Am ersten Tag als Milchgöttchen zwischen acht und neun Uhr würde ich diese Welt bauen und den Rest der Woche würde ich mich entweder reisend oder nicht reisend zurücklehnen und den lieben Milchgott einen guten Mann sein lassen, wie man so schön sagt, in dieser meiner Milchgöttchenwelt. Und meinem Vorgänger, den sie allgemein Gott, Buddha, Jehova, Allah  oder sonstwie nennen, würde ich aus meiner Hängematte zwischen zwei Palmen schaukelnd zurufen, Peace, Mann, ey, Peace, warum denn so kompliziert.

Ha.