Zweibrücken-Hallstatt Salzwelten

Zwei Wochen den Flüssen folgend durchquert der radelnde Reisende mit Ziel Salzwelten Hallstatt folgende Ortschaften:

Nachträglicher Hinweis: der Mainzer Künstler und Performer Dr. Treznok fotografiert und sammelt seit Jahren Ortsschilder – unter der Rubrik Däutschlandliebe findet Ihr auf seiner Homepage texthoelle.de einen kleinen Ausschnitt seiner Arbeit, sowie Bilder von Fotoinstallationen, die er seit über einem Jahrzehnt mit der stetig wachsenden Sammlung macht.

Orsschilder zwischen den Salzwelten Hallstatt und Zweibrücken
Die Bildtafel ist nicht ‚der Reihe nach‘. Auch sind nicht alle Orte erfasst, da manchmal kein Ortsschild zu finden war. Die Reise führte in den letzten beiden Juliwochen 2013 an folgenden Flüssen, Seen und Bächen entlang: Schwarzbach, Blies, Saar(kanal), Rhein-Marne-Kanal (Zorntal), Rhein, Kinzig, Breg, Donau, Lech, Isar, Mangfall, Inn, Chiemsee, Salzach (die Liste ist auch nicht vollständig, zeigt aber einen groben Reiseverlauf).
Höhepunkte waren sprichwörtlich der Schwarzwald mit ca. 900 Höhenmetern in der Nähe von Triberg/Schonau und der Paß Gschütt, der mit knapp tausend Metern über dem Meer die Grenze zwischen den beiden österreichischen Bundesländern Salzburg und Oberösterreich bildet.

Bastante del Blogarbeit

Viel zu tun. Blogs leben ja von Vernetzung. Die kam in den letzten beiden Wochen, abgekoppelt vom Netz leider viel zu kurz. Blogschreibende lesen in der Regel auch Blogs. Und kommentieren dort. Das gehört zum täglichen Geschäft. So findet die Vernetzung hauptsächlich in den Kommentar- und Diskussionssträngen einzelner Beiträge statt. Nicht exponiert, gefühlt gar ein bisschen bedeutungslos, aber man darf das, was da unter der Motorhaube der Blogosphäre wummert, nicht unterschätzen. Ein Kraftpaket der besonderen Güte.

Nun kehrt das Irgendlinkblog in den alltäglichen Leerlauf zurück. Ähnlich wie Blühen und Vergehen. Eine ganz natürliche Sache. Es ist geradezu eine Lust, lesend, kommentierend, gefällt mir klickend durch den siebten Kontinent (nennen wir ihn Blogontika) zu wandern.

Einige Bilderserien sind während der Reise in die Salzwelten Hallstatt, in denen das Memory of Mankind beherbergt ist, entstanden:
Alle zehn Kilometer ein Straßenfoto zwischen Zweibrücken und Hallstatts Salzwelten – Kilometer 0-990 chronologisch unsortiert
100 Streckenfotos der Kunststraße nach Hallstatt zu den Salzwelten
Auch in der Kanzelserie (siehe Bereich ‚Sale‘) geht es voran. Hochsitze am Wegesrand der Tausenkilometer-Radtour durch Frankreich, Süddeutschland und Österreich
Collage mit 25 Hochsitzen
Mudart Legende Heiko Moorlander wählte auf seiner ‚Back To The Roots‘ Tour 1998 eine ähnliche Strecke, wie Künstler Irgendlink. Überall finden sich seine Spuren.
Mudart-Spuren aus dem Jahr 1998 Heiko Moorlander Back To The Roots

Hallstatt

Überwältigend.
Nach 997 Kilometern stehe ich auf dem Marktplatz Hallstatt.

Irgendlink kommt nach 997 Radelkilometern in Hallstatt am Marktplatz an
Das Dunkle im Bild ist kein Ufo, sondern ein Touristinnenfinger :-)
Morgen gibts mehr Hallstattbilder. Um 15 Uhr ist Pressetermin auf dem Marktplatz, danach ab ins Memory of Mankind.

Senkrechtland

Ausgerechnet im Radlerwonnemonat Juli wird am Tauernradweg vielerorts gearbeitet. Unvermittelt ist er gesperrt. Umleitungsschilder sind nur direkt am Umleitungsbeginn aufgestellt. Danach ist der arglose Tauernradwegtourist sich meist selbst überlassen. Südlich von Hallein lockert die Gegend auf. Man radelt nicht mehr direkt am kanalisierten Fluss, sondern durch Wiesen. Bis Kuchl sehr angenehme Steigung. Danach zweige ich links ab, um die Bundesstraße 166 zu umgehen. Wohl wissend, dass es nun happig wird. Aber soo happig? Zwölf dreizehn Prozent Steigung, vielleicht mehr und das ganze serpentinös auf etwa neunhundert Meter über dem Meer. Ich weiß nicht, wie viele Zweibrücker Kreuzberge das sind. Wenn ich mir jedoch vorstelle, ich würde zu Hause zehnmal den Kreuzberg, die steilste Straße der Stadt, hochradeln und wieder abrollen? Verrückt. Die Almgegend ist aber wunderschön und kaum ein Auto unterwegs. Noch abends erklimme ich den Pass bis Weitenau, schlage mein Zelt auf einem Wieschen neben einem Bauernhaus auf. Die Besitzerin bietet mir Trinkwasser an.

Der Morgen ist kühl. Das Zelt klatschnass. Die Sonne lässt hinter den Bergen auf sich warten. So packe ich alles ein und trockne die Sachen später auf einem kleinen Steg in der Nähe von Pichl. Aus einem Papierwerk kommen Zischlaute, gemischt mit Radiomusik, Alpenrock im Mix mit Werbung.

Zunächst meine ich die Schweizer Band Patent Ochsner herauszuhören, kann aber wohl nicht sein. SoSo erzählt mir am Telefon von einem österreichischen Pendent, das glaube ich von Goisern heißt, genau wie die Kurstadt hier in der Nähe.

Die Betriebsamkeit der Welt um acht Uhr früh. Wie unzertrennlich diese gesellschaftlichen Mischungen aus gut und böse sind, aus Bettler und Tourist, aus Überfluss und Mangel, zeigt auch dieser Fetzen Radio zwischen dem Zischen des Papierwerks, dem Rumoren der Gabelstapler, dem Wummern der Maschinen und dem Knechten der Menschen. Willst du Musik, musst du gleichzeitig auch Werbung in Kauf nehmen. Willst du cineastische Unterhaltung à la Hollywood, dann friss bitteschön auch die Werbepausen, Gratisapp gefällig? Tritt einen Teil deines ohnehin kleinen Smartphonebildschirms als Plakatwand ab. Wir rackern einen Großteil um und die Mittel zu beschaffen, die uns das Rackern erträglich machen. Am eigenen kleinen Beispiel ‚Kunstmaschine‘ erfahre ich das auf besondere Weise. Ich brauche viel Strom, um zu schreiben, zu fotografieren, Daten zu übermitteln, zu kommunizieren. Da ich den Strom per Muskelkraft erzeuge, muss ich ordentlich reintreten, um immer einen vollen Akku zu haben. So treibt mein eigenes Projekt mich immer weiter voran. Und je mehr ich kreativ sein will, je mehr Bilder ich bearbeiten möchte, desto mehr muss ich strampeln. Ich kann mir keinen Tag Stillstand leisten, genau wie die menschliche Konsumgütergesellschaft. Wenn wir plötzlich auf den dummen Gedanken kämen, nur noch das Nötigste zu kaufen, und den ganzen Schnickschnack, der uns per Werbung unter die Hirnrinde massiert wird, von heute auf morgen nicht mehr kaufen würden, wäre die Menschheit vielleicht am Ende? Hmm.

Habe ich nicht jahrelang in einer Firma gearbeitet, die nur unnötiges Zeug produziert hat? Dennoch hatte die Firma einen Sinn, gab drei vier armen Teufeln wie mir Arbeit. Gibt es nur dann Sinn, wenn man nicht zu weit denkt?
Genug jetzt. Ich komme ins Schwafeln.

Kurz vor Paß Geschütt muss ich schließlich doch auf die Bundesstraße. Ein Omnibus voller Chinesen mit polnischem Kennzeichen. LKW. Motorräder. Ab und zu kann ich auf die alte Passtraße ausweichen. Kurbele auf fast tausend Meter hoch und sause schließlich ein dreizehnprozentiges Gefälle hinab nach Gosau. Die Gebirgslandschaft ist exorbitant. Wie Zähne ragen die Felsen in die Höhe. Ich bin am Tennengebirge vorbei, oben auf dem Pass die Grenze zu Oberösterreich überschritten nun in der Dachsteinregion. Irgendwo habe ich auch ein Hinweisschild Watzmann gesehen. verflixt, der Berg ruft.

Die beiden Salzburgs auf einem riesigen Teller aus Granit

Vierspurig führt die Bundesstraße von Freilassing nach Salzburg. Der Radweg läuft zunächst direkt daneben. Kurz nach der Grenze zweigt er ab und folgt der Salzach – theoretisch. Wegen Bauarbeiten muss ich auf die Hauptstraße zurück. Durch Wohngebiete erreiche ich schließlich Salzburg. Besser gesagt, die beiden Salzburgs. Es gibt eine rechte und eine linke Altstadt. Just als ich vor einem Terrassenrestaurant das Radel an ein Geländer kette, spricht mich ein braungebrannter Typ an, will Geld. Nur fünfzig Cent. Gleich um die Ecke am Brückenkopf sitzt eine Frau, die den Becher hochhält. Die Stadt ist übersät mit Touristen und Bettlern. Die Touris schwenken die Kamera, die Bettler die Becher. Ich fühle mich an Boulogne erinnert, letztes Jahr, als mir jemand zwei Euro abschwätzte und später goldene Uhr tragend aus einem Restaurant kam. Also gebe ich dem penetranten Kerl nichts – muss er nicht penetrant sein, wenn er was erreichen will?

Durch eine enge, steil ansteigende Gasse mit seitlicher Treppe steige ich zum Kapuzinerberg in der rechten Altstadt auf, um mir Überblick zu verschaffen. Im Abstand von vielleicht fünfzig Metern stehen drei Frauen, Handys am Ohr. Ein eigenartiges Bild. Ich stelle mir vor, das geht immer so weiter, bis ganz oben. Der Kreuzweg der Moderne. Neben der Treppe sind kleine – ja, wie nenn ichs? – Kapellchen, in denen mit Skulpturen christliche Szenen nachgestellt sind. Oben angekommen wartet Jesus, am Kreuz hängend, mit zwei Leidgenossen. Ein Kapuzinermönch mit Kutte steht vorm Eingang zur Kirche. Der Berg scheint wie ausgehöhlt, Kapellen und Hauseingänge, Treppen und Aussichtspunkte.

Auf der anderen Seite steige ich ab zum Mozartsteg, rüber in die linke Altstadt. Gassenschluchten, Bürgerhäuser, Pracht, ein Bettler im Rollstuhl, dem beide Beine fehlen. Die Stummel kurz unter dem Knie hat er dekorativ mit Binden eingewickelt. Ein Unfall? Raucherbeine? Ich weiß es nicht. Wie zwischen Mühlsteinen komme ich mir vor. Ein Stein heißt Tourist, der andere Bettler. Wenn ich die Stadt neu sortieren dürfte, würde ich die Bettler alle in die rechte Altstadt schicken, die Touristen, Anwohner und mich in die linke. Dann müssten alle, die zu viel haben, es auf die Brücke legen: Goldene Uhren, Kreditkarten, Geld, Schmuck, alles Überflüssige kommt auf die Brücke, wo es an die, die zu wenig haben, verteilt wird. Dann Restart World. So phantasiere ich ein verqueres Bild unter dem damoklesken Pendel, dass es so viel Elend gibt und gleichzeitig soviel Überfluss. Als ob der Mangel an Materiellem das Problem wäre – ist es nicht eher das Symptom? Problematisch ist, dass ohne Überflüssiges die derzeit gelebte Wachstumsgesellschaft in sich zusammenfallen würde. Somit ist Überfluss, Luxus, Luxusgüter, in Restaurants einkehren und all das, was eigentlich nicht zum Leben nötig ist, für das Überleben des Systems, in dem wir teilnehmen, zwingend notwenig. Genauso vielleicht, dass auch ein gewisser Prozentsatz durchs Netz rasselt. Schwermütige Gedanken.

Ein Fiaker biegt um die Ecke unweit der juristischen Fakultät. Mitten in der Fußgängerzone Kutsche fahren! Mach‘ das mal in Zweibrücken, dort steigen dir die Anwohner aufs Dach, wenn du das tust. Touristen im Fond, Kutscher auf dem Bock, zwei Pferde, die er mit leisen Pfiffen dirigiert. Die Kutsche hat sogar ein Kennzeichen. Ich zücke die Kamera. Halte drauf. Das darf mir nicht entgehen, genau wie die lebende Mozartstatue ein paar Meter weiter. Das Besondere ist immer nur für kurze Zeit besonders.

Als ich den Domplatz erreiche, kommen drei Fiaker voller Touristen entgegen und direkt vor dem Dom steht ein ganzes Dutzend, wartend auf Touristen, und Maler mit Staffeleien, die dich wahlweise karikieren, oder dir Landschaftsbilder anbieten oder Salzburgansichten in Pastell. Noch ein Mozart, gefolgt von einer Mozartin in türkis. Immer, wenn eine Münze fällt, beugen sich diese lebenden Statuen nach vorne und bedanken sich. Einer ist dennoch besonders. Er scheint geradezu zu schweben, hat sich einen Kragarm gebaut, der ihn wie ein Kran über dem Pflaster schweben lässt. Trauben von Touris davor. Auf dem Markt kaufe ich eine Pfefferwurst, eine Postkarte, die die linke Altstadt zeigt. Briefmarken auf der Post. Echtes Mozartdenkmal. Die Sonne steht genau entgegen. Man müsste drehbare Denkmäler bauen, die sich mit der Sonne wenden, damit man immer schön fotografieren kann. Oder am besten drehbare Städte. Die beiden Salzburgs auf einem riesigen Teller aus Granit, das wärs. Der Domplatz ist unbefestigt. Einfacher, feiner Kies. Das hat Stil. das ist mutig. Eine Rockbühne wird gerade aufgebaut. Ich scharwenzele durch die Gassen zurück zum Salzachufer, binde das Radel los, braves Pferdchen, und fahre weiter nach Hallein.

Der Radweg heißt hier Tauernradweg. Auf Schildern an der Straße sehe ich Villach ausgeschildert. Bin ich so nah, oder denken die hier so ‚weit‘. Ich habe keine Erinnerung mehr, wie groß Österreich eigentlich ist. Wieviele Kilometer bis zu den Tauern? Der Weg macht Lust auf Weiterradeln. In Hallein ist die bettlerdichte geringer. Ein Kerl im Rollstuhl, keine Ahnung, ob das stimmt. Seine Beine wirken muskulös. Egal. Wer bettelt schon gerne?

Schwebender Mozart lebende Statue in Salzburg