Am Tisch sitzen. Die Tastatur ausgebreitet. Komfort. Mags auch kühl sein oder heiß wie vor ein paar Tagen, mögen die Insekten einen plagen. Ich bin alt geworden. Das Schneidersitzbüro erwachsen oder in Rente geschickt. Die Zeiten, in denen ich im Zelt saß, Kaffee schlürfend, sinnierend, schreibend, die Tagesgeschehnisse notierend, sie sind vorbei. Nein, nicht ganz. Sie sind anders. Sie sind nicht mehr so wie auch schon. Letzter Schreibstop irgendwo nahe Hemmoor. Noch zwei drei Stunden Fahrt bis Oelixdorf zu Freund Fliegerhorst, S., auch Itze genannt, weil er lange in Itzehoe lebte.
Praforceritt entlang der Bundesstraße. Irgendwann gibts kein Halten mehr für mich und ich habs satt, mich durchs Radwegegetümmel kreuz und quer lotsen zu lassen, schalte das Navi ab, folge dem schmalen Bundesstraßenradweg, der holprig ist. Im Gestank von Dieselruß, was zum Glück wegen Winds von Nordwest sich verweht und ich mir einbilde, da kriegste nicht so arg viel ab. Aber der Lärm! Ich setze Kopfhörer auf. Ann Clue at Cercle. Technozeugs oder Trance oder was auch immer. Es beruhigt und hält den Straßenlärm ab. Aber es geht natürlich auch viel von der Umgebung verloren. Volle Konzentration aufs Ohr, das widerum sich voll auf die musik konzentriert, um die Hintergrundgeräusche und das schneidende Singen der Straße zu dimmen, es nicht wahrzunehmen, es hinzunehmen. Wischhafen neun Kilometer, acht, fünf, vier, Richtungswechsel der Straße, mehr Feinstaub, Lunge kotzt. Nase noch immer lädiert vom Schnupfen. Radele an einem kilometerlangen Auto- und LKW- und Wohnmobilstau vorbei. Arme Teufel. Anderthalb Stunden Wartezeit, sagt deren App, erzählt mir ein Wohnmobilist, den ich auf der Fähre nach Wartezeit frage. Aber das Warten sei immer noch besser als der Elbtunnel, sagt er. Alles ist besser als der Elbtunnel. Ich radele natürlich am Stau vorbei. Viele Motoren laufen wegen Klimaanlage oder aus Vergesslichkeit. Dass ich von dem Benzin, also dem Geld, das es kostet, das in dem Stau für Klimaanlage oder aus Vergesslichkeit oder aus Ignoranz verbraten wird, prima leben könnte. Ha! Das wäre mal eine Abgabe für arme Künstler wie mich. Die Wischhafen-Künstler-Abgabe, ein guter Blogtitel eigentlich.
Auf der anderen Seite der Elbe folge ich wieder dem Navi bis das Handy sich wegen Strommangels ausschaltet. Zehn Kilometer vorm Ziel habe ich keine Karte mehr. Was tun? Mich durchfragen wäre eins, eine echte Karte, zum Beispiel an einem Infopunkt in einem Dorf etwas anderes. Man verhilflost im Nutzen von Apps und Technik, denke ich. Ich hätte kaum eine Telefonnummer parat ohne das Handy. Keine Karte, kein Wetter, kein Nichts.
Lade über den Pufferakku und bin nach kurzer Zeit wieder da. Das Handy startet, zeigt Akkuladung null Prozent. Wie ein rohes Ei schalte ich Apps ein und aus, bloß nicht zum erneuten Absturz bringen. Ein Prozent, zwei, drei, ich wage den Blick ins Navi, ahja, das kann ich mir ungefähr merken. Sind ja nur noch zehn Kilometer bis Oelixdorf.
Tag 13. Ein Tag bei Fliegerhorst im Garten. Wunderbar. Zelt steht fast ganztägig im Schatten. Es ist superheiß. Nachdem S. einen Arbeitseinsatz erledigt hat, machen wir eine Tour nach Itzehoe, etwa 15 Kiloemter hin und zurück, essen Eis. Telefonisch löse ich ein Webseitenproblem für Herrn Traumspruch. Tat gut, so unkompliziert helfen zu können. Spätnachmittags kommt Freund R. hinzu, Künstler, Autor, Journalist und klasse Mensch. Leider ziemlich angeschlagen wegen Chemotherapie. Er nimmts trotzdem gelassen und was bleibt einem auch übrig?
Tag 14. Wow. Mittwoch, der zweite Juli. Schon 14 Tage im Sattel und ich muss sagen, die Tour entwickelt sich bestens. Als hätte ich den Resetknopf gedrückt, gerät sie erneut zur Irgendwohin-Tour im kleinen Raum. Morgens noch peile ich ein strenges Tageszierl etwa 100 Kilometer entfernt nördlich von Husum an, da sagt Fliegerhorst, fahr doch so und so. Und so mache ich es denn auch, radele erstmal Richtung Wilster und Brunsbüttel. Dort kommt der Nordostseekanal aus der Elbe. Es ist unendlich heiß – achja, am frühen Morgen half ich Fliegerhorst noch bei der Montage seiner Anhängekupplung und der Stoßstangen an seinem historischen Auto. Weils ja besser ist, das nicht so in der Hitze … und nuja, geht auch alleine nicht so gut. Gegen Mittag also los. In einem Supermarkt, in dem es Lebensmittel mit kyrillischem oder snskritischem Etikett zu kaufen gibt, ich meine Mühlendorf, gleich einmal das Nötigste gekauft: Bananen, Dosenfisch, Haferflocken. Brot und Marmelade hatte mir Fliegerhorst mitgegeben. Fliederbeerenmarmelade. Hab sie noch nicht angebrochen, bin gespannt.
Ohne Navi kann ich nicht fahren. Entweder habe ich es verlernt, vermutlich aber liegt es daran, dass ich das Beschilderungskonzept nicht verstehe. Oft ist ein Ort ausgeschildert, zum Beispiel Brunsbüttel und wenn es keine Verzweigungen gibt, gibts nur Radwege-da-lang-Plaketten wie ich es auch von daheim kenne. Bloß eben, dass ich mich dann trotzdem verirre und irgendwann ist eben Brunsbüttel nicht mehr auf dem Wegweise und das Schild zeigt ins Nachbardorf in 1,5 km Entfernung. Woher soll ich denn wissen, ob das richtig ist. Die Wege, meist auf winzigen Sträßchen, führen ohnehin zickzack.
Das ist gut. Gibts keinen konsequenten Gegenwind. Das ist schlecht, neigt man dazu, im Kreis zu fahren.
In Burg überquere ich den Nordostseekanal. Am WC bei der Fähre nässe ich T-Shirt und Haube und fülle Flaschen auf. Wie ich es zuvor in mindestens zwei Supermärkten gemacht habe. Bei den Leergutabgaben gibt es meist auch einen Wasserhahn. Irgendwo kriege ich auch endlich Briefmarken zu kaufen. Die Post in einem Reweladen hat tatsächlich geöffnet. Fehlen noch die Ansichtskarten, die ich in einem touristischen Ort besorgen werde.
Wo er schon da liegt, der Kanal, und beidseits Radwege führen, denke ich, dem folgste jetzt mal. Er führt zwar nicht zur Nordsee, denn da kommt er her, aber er führt inländisch nordwärts und ich hab keine Lust mehr auf Nav und Zickzack und Suche und Orientierung. Er ist mein Rhein-Rhône-Kanal des Nordens, mein künstlich angelegter, wässriger Wegbegleiter des Herzens. Zwei Betonspuren für Autos, gut verlegt, dazwischen Gras. Direkt am Kanal. Der Kanal ist etwa acht Mal so breit wie der Rhein-Rhône-Kanal (gemessen auf der Karte: etwa 150 Meter). Ab und zu kleine Boote, motorisierte Segler auf dem Weg von See zu See. Ein Raddampfer voller Touristen, der eine oder andere große Pott. Ich filme, denke nicht, folge nur dem Kanal. Hochbrücken und Fähren – das könnte man vergomringisieren. Hochbrücken und Fähren und ein Radler, der daran und darunter vorbei und hinweg … ach lassen wirs.
Irgendwann hab ich das Kanalradeln doch satt, schaue in die Karte. Zwar wäre jenseits von Rendsburg etwa 45 km entfernt ein Shelterplatz von Wildes SH, aber es gibt ja noch mehr. Mein ursprünglich angepeilter Platz nördlich Husums ist mit 65 km zu weit weg. Zu heiß und es wird Unwetter geben. Man sieht das Schlechtwetter nun auch schon ohne App. Ich orte einen Shelterplatz in Drage an der Eider, nur noch 40 km entfernt. Fast in Richtung Husum, rufe bei den Leuten an, die ihn betreiben, melde mich an. Steuere darauf zu. Parforce reitend plötzlich, denn der Himmel wird immer düsterer. Fast schon so verbissen, dass ich nicht wage, fürs Pinkeln mal kurz anzuhalten. Kurbelnd und dennoch ruhig und entspannt sinniere ich, was denn nun dabei ist, sich das zu verkneifen, wegen der halben Minute. Es kommt wieder das uralte Problem des zuerst das, dann das und um irgendeine fiktive, selbst gebastelte Ideallinie zu finden. Bedingungslos geht anders. Das wäre auch impulsiver und vermutlich auch natürlicher, mehr im Fluss, denn der Fluss, den ich gerade lebe mit der Prämisse, so lange wie möglich im Trockenen und un-geunwettert zu radeln, der ist künstlich. Das ist das Nordostseekanal-engstirnig kapitalistischen Denkens, sinniere ich, stoppe, pinkele in die Hecken, lasse den Blick übers Weite Land schweifen, erstaune, als ich feststelle, da ist gar kein garstiger, Unwetter ankündigender Wind. Das was ich die ganze Zeit bedrohlich im Ohr hatte, was mich schneller treten und hasten ließ, das war mein eigener Fahrtwind. Ich habe die Maschine gebaut. Ich habe sie erfunden. Ich trieb sie an, auf dass sie mich drangsalieren möge und mich schneller, schneller, schneller werden lies.
Dann doch. Einzelne Tropfen. Mehr Wolken, mehr Rumpel, aber auf die Idee, dass einen das Kleingeistige erst dies, dann das und dann … auf diese Idee muss man erst einmal kommen, dass einen das zu einem Getriebenen Selbstversklaver macht.
Ich überquere die Eider über eine urige Schleusenpassage südlich von Drage, nur noch zwei Kilometer bis zum Platz. Weiß nicht, was mich erwartet. Das macht es aufregend. Der Platz ist am Dorfrand. Ich folge wieder dem Track des Navis bis zu einem Schild, Hof Drage. Noch hundert, fünfzig, dreißig Meter, bin da. Haustür offen. Handy fummeln, Track ausschalten, schon steht U., die Betreiberin vor der Tür, begrüßt mich herzlich, zeigt mir alles. Gerade noch vorm Regen und Gewitter kann ich das Zelt aufstellen, koche im Zelt, sinniere über Metall in der Nähe, denn es blitzt und donnert, aber Host S., zeigte zuvor auf die Blitzableiter des nahen Hauses: Da schlägt er ein, wenn er einschlägt. Sollte er zumindest, fügt er hinzu und sollte er besser auch nicht, lachen wir beide.
Morgens kommt S. zum Zelt, interviewt mich, macht ein Foto, klärt mich auf, dass einst u. A. Robert Habecksich für die Initiative fürs Wildzelten in Schleswig-Holstein stark machte und das wärmt mir doch gerade mal wieder das Herz für den eigentlich einzigen Großpolitiker meines Herzens.
Wie zum Hohn lese ich quer in den Kurznachrichten, dass der jetzige Kanzler mal wieder eine Entgleisung verbaler Natur hatte. Traue mich gar nicht, die Nachrichtenseiten zu schauen. Und du, das mache ich auch nicht!
Nun am Bänkchen des Trekkingplatzes dies tippend. Das Zelt trocknet hinter mir. Wind rauscht in den Bäumen. Der Platz ist so liebevoll angelegt. Neben der Bank gibt es eine Betonplatte, auf der man den Trangia zum Kochen aufstellen kann. Im Haus Dusche und WC. In der halbmeter hohen Wiese ist eine Art Labyrinth gemäht zu einzelnen Zeltaufbaumöglichkeiten. Mindestens drei schöne individuelle Alkoven gibt es.
Und im Haus sei auch eine Ferienwohnung verfügbar, erzählen mir Ute und Jörg aus Sachsen. Die Beiden kamen gestern per Zug nach Husum und wollen nach Radebeul zurück radeln. Sind auch neu im „Wilden SH“.