Ich hab‘ vergessen, dass ich nichts weiß

Ich musste abschalten. Mehr oder weniger und so gut es denn geht. Die informations- und desinformationsgeflutete Welt macht dem Gemüt arg zu schaffen. Fernsehen habe ich schon seit zehn Jahren nicht mehr. Radio auch nicht. Die Augen vorm Internet zu verschließen ist für einen, der darin und damit arbeitet leider nicht so einfach. Meide die Sozialen Medien, überlies die Nachrichten so gut es geht, konzentriere dich auf deine kleinen feinen Themen. Lullifulliethemen, Randgebiete dessen was gelesen werden will, was gewusst werden kann – wenn ich es mir genau betrachte stehe ich un(scharf)informiert einem gewaltigen Zwitschern von Meinungen, Informationen und scheinbar Wissbarem gegenüber, aber als kleiner Mensch habe ich nicht die Möglichkeit so weit in die Tiefe zu schürfen und zu überprüfen, ob Meldungen richtig oder falsch sind, ob sie diesen oder jenen Zweck erfüllen, ob man in diese oder jene Richtung beigebogen wird, mitzumeinen im großen Meinungskanon.

Man könnte sagen, ich habe vergessen, dass ich nichts weiß. Und ich beiße mich an all dem Wissbaren fest, das wie lecker Nahrung breitwürfig informativ in den Medien ausgebracht wird. Im Prinzip wie einkaufen und ins Supermarktregal greifen und diese oder jene Marke dieser oder jener Preisklasse herausfischen. Neben dem hochwertigsten, unter idealsten Bedingungen produzierten Bioprodukt lauert billigst gepanschtes Zeug, das es irgendwie durch die Kontrollen vorbei an den Normen geschafft hat und man kann es kaufen, man kann es essen und es schadet einem womöglich nicht. Das Perfide bei Information wie auch bei Lebensmitteln ist, man kann niemandem trauen und doch muss man vertrauen. Sonst würde man verrückt oder verhungern. Okay, bei Lebensmitteln hat man noch einen Ausweg: Man produziert sie selbst, wenn man denn ein Stückchen Garten hat. Aber auch da kommen möglicherweise giftige Unwägbarkeiten ins Spiel: Versprüht der Nachbar krebserregende Pestizide auf dem Feld, die keinen Halt machen vor Grundstücksgrenzen? Wer hat das Saatgut, das man nutzt, unter welchen Bedingungen hergestellt? Wie ist die Luft- und Wasserqualität rings um meinem Garten? Und so weiter.

Doch zurück zur Information und zur großen Quoten- und Klickschlacht in den Medien. Wem kann ich vertrauen? Welche Nachricht ist echt und gut recherchiert und welche ist nur ein billig produziertes Konsumgut? Hier gibt es zum Glück Medien, die halbwegs seriös sind. Manchmal namhafte große Medienhäuser, aber auch und vielleicht sogar insbesondere die weniger namhaften, noch nicht institutionalisierten Graswurzelmedien, einzelne Fachbloggerinnen und -blogger, die sich mit dem jeweils beackerten Thema auskennen, Menschen, die informieren wollen um des Informierens willen – das ist etwa so schwierig wie eine Putzhilfe zu finden, die putzt, um zu putzen. Die Komponente Geld und Rentabilität in inniger Paarung mit menschlichem Egoismus, Narzissmus und Gier spielt sicher eine große Rolle bei der Produktion von … ja von was? … von eigentlich so gut wie Allem. Wenn ich mein Geld mit Fleisch verdiene, schaue ich, dass ich das Fleisch so wirtschaftlich wie möglich produziere; auf engstem Raum mit billigstem Futter, aufs Schnellste gemästet. Wenn ich das Geld mit einem Campingplatz verdiene, bin ich als gewiefter Giermensch natürlich darauf aus, so viele Zelte wie möglich auf dem kleinen Areal unterzubringen. Egal wie sich das für die Campierenden anfühlt. Idealer Weise liegt der Campingplatz bei einer unausweichlichen Sehenswürdigkeit, einer Stadt, die jeder besuchen möchte (Kiel zum Beispiel). Bin ich Nachrichtenproduzent, dann achte ich auf Reizworte und gebe den Informationen, die ich mir so billig wie möglich einkaufe klangvolle Namen, die den Nerv meines Klientels treffen, Nachrichten, die süchtig machen. Es ist mir egal, wie gut oder schlecht der Artikel relotiert ist, Hauptsache, er verkauft sich. Bin ich schwedischer Möbelproduzent, so schaue ich im Laufe der Jahrzehnte, dass ich die für mich scheißteuren Bilderrahmen aus Echtholz mit poliertem Glas durch genau gleich aussehenden Dreck aus gepresstem, furniertem Sägemehl ersetze. Bin ich Industrieller, so sehe ich Arbeitskraft als Kostenfaktor und kaufe sie dort, wo sie möglichst billig ist. Habe ich meine Drecksgriffel im Rohstoffegeschäft, ist es mir ein großes Anliegen die Umweltkosten so gering wie möglich zu halten, meine Rohstoffe in Ländern mit korrupten bestechlichen Behörden einzukaufen.

Uns so weiter und so fort.

Wo hatte ich begonnen? Ach ja. Beim Dichtmachen. Beim nicht mehr Medien konsumieren. Was nicht unbedingt gleichzusetzen ist mit gänzlich wegschauen. Natürlich weiß ich, was vorgeht in der Welt und wie übel unsere Karten sind. Ähm nein, wissen ist falsch! Hab ich doch glatt verdrängt, dass ich nichts weiß. Aber ich bin auf der Spur. Ich habe eine ungefähre Ahnung. Mein Bild ist unscharf. Ein ungefähres Etwas von Realität, das erst dann, wenn es ganz nah ist an Schärfe und Wucht gewinnt.

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