Männer allein zu Haus

Einer Statistik zu Folge ist die häufigste Todesursache bei Männern Genickbruch durch Ausrutschen auf einer schleimigen Masse zwischen Tisch und Spülbecken in der heimischen Küche. Meist geschieht es nach dem Mittagessen, wenn die Frau in Kur ist oder im Krankenhaus.

Anfang Mai 1982, irgendwo in der Eifel

Kiwis Onkels hätten da ein Grundstück, auf dem wir zelten können übers Wochenende. Also satteln wir die Böcke, wie wir unsere Motorräder cool nennen, und tuckern die ein- zweihundert Kilometer in das kleine Dorf, dessen Namen ich vergessen habe. Die Onkels wohnen zu zweit in einem schlecht isolierten Häuschen mit Holzofen. Als wir ankommen, stehen alle Fenster und Türen auf. Qualm strömt raus. Brennt das Haus? Es riecht nach verbranntem Fleisch. Die beiden wollten uns zum Essen einladen. Es hätte Hühnchen gegeben. Wir sind fürs Lagerfeuer auf der Wiese zum Glück bestens ausgestattet. Spätestens, als ich das Badezimmer betrete, um auf die Toilette zu gehen, wird mir klar, dass das Haus nicht wegen des verbrannten Huhns stinkt. Der Fußboden klebt. Jeder Schritt klingt wie Klettverschlussöffnen. Das Klo lädt alles andere, als zum Sitzen ein. Eigentlich müsste man ein Schild drüber hängen: Bitte im Stehen scheißen. Beim Pinkeln den Klodeckel hochklappen könnte lebensgefählich sein, ohne Handschuhe. Das Waschbecken ist so dreckig, dass man sich beim Zähneputzen unweigerlich übergeben muss. Schlimmer noch. Wenn man sich übergeben hat, merkt man nicht, dass das Becken noch schmutziger geworden ist. Das dreckigste Klo Schottlands, das ich Jahre später in dem Film Trainspotting kennenlernen soll, ist ein Superreinraum gegen dieses Haus. Das Huhn liegt auf dem Küchentisch, damit sie die zentimeterdicke, verkohlte Kruste abschneiden, um das durchgarte Fleisch im Kern herauszupulen. Das Angebot, dass wir im Haus übernachten können, falls es auf der Wiese zu kalt sein sollte, lehnen wir vehement ab.
Es gibt Überlebende von dieser Expedition.

Männer haben keine Chance. Kaum erwachsen, unter den Fittichen der Mutter hervor gekrochen, begeben sie sich in die Obhut starker Frauen, die ihnen den Haushalt führen. Der Umgang mit Spüllappen und Putzeimer ist ihnen nicht vertraut. Wenn die Frau für mehr als zwei Tage außer Haus ist, droht ein unglaubliches Chaos.

Blacky

Ich brauch deine Hilfe, sagt Bruno. Du musst mitkommen, mir ein Seil um den Bauch binden, vor der Tür warten und zuhören, wie ich zähle. Wenn du meine Stimme nicht mehr hörst, betritt auf keinen Fall den Raum, verstehst du mich, was auch passiert, nicht reinkommen. Zieh einfach am Seil und halte dich bereit für Herzmassage und künstliche Beatmung.
Während der Einführungswochen für den Zivildienst hatten wir in einem Crashkurs die nötigsten Notfalltechniken gelernt. Bruno arbeitete seither in der Krankenhausküche und ich an der Pforte. Blacky war in regelmäßigen Abständen Gast in der Inneren Medizin, weil man seine Blutwerte in den Griff bekommen musste. Diabetes, Alkohol, Zigaretten und harte Drogen hatten seinen kaum vierzig-jährigen Körper aus dem Takt gebracht. Die Ärzte schlossen Wetten ab, wie lange er durchhalten würde. Ihn zu einem gesünderen Leben zu animieren hatten sie längst aufgegeben. Bruno war einer seiner wenigen Freunde. Deshalb bat Blacky ihn ab und zu, ein paar Dinge aus seiner Wohnung zu holen. Wohnung ist zu viel gesagt. Blacky lebte in einem Kuhstall mit winzigen Stallfenstern, feucht, beheizt durch einen winzigen Ofen, dessen Rohr durch ein Fenster nach draußen ragte. Die Stalltür war immer unverschlossen. Zum einen gab es nichts zu holen, zum anderen war das Betreten der Bude lebensgefährlich, wenn man Brunos verschmitztem Lächeln glauben konnte. Ein düsteres Loch. Schimmelgeruch, eine alte Werkbank war der Wohnzimmertisch. Pornohefte auf dem Boden und schmutzige Wäsche. Kein Aschenbecher, stattdessen Kippen und Asche überall, Jointreste. Heiligste Trophähe war eine Korkpinnwand voller Spritzen neben einem verblassenden Kunstdruck Landschaft im Herbst. Dartspiel eines Schwerkranken.

Jetzt

Ich verlasse eine Küche, in der seit einigen Tagen ein gewisses Chaos herrscht. Aus Ermangelung einer sauberen Suppenkelle hatte man beim Füllen der Teller einfach aus dem Topf geschüttet, was nicht kleckerfrei möglich ist. Deshalb klebt der Küchentisch vor Suppe und das Zeug ist auch auf dem Boden gelandet. Es wäre eine Schande, das direkt aufzuwischen, weshalb es sich mit jedem Schritt in der Bude verteilt. Beim Wegräumen des Geschirrs in die Spülmaschine muss ich an die Begegnung mit Kiwis Onkels vor dreißig Jahren denken. Unbewusst streife ich die Schuhsohlen auf dem Fußabstreifer ab, als ich das Haus verlasse.

Ich beschließe, diese Geschichte zu schreiben … und mache eine Reise durchs Mann-allein-daheim-Land.
Bruno könnte noch in dieser Geschichte vorkommen und etliche Männer, deren Namen ich um keinen Preis nennen darf; ihnen sei gesagt: nie war es schlimmer, als bei Kiwis Onkels. Welch schwacher Trost.

5 Antworten auf „Männer allein zu Haus“

  1. nein, ich verrate auch keine namen. ;-) die ekelpegelschmerzgrenzen sind ganz und gar individuell.

    vermutlich sind wir frauen dran schuld, dass viele männer? womöglich ist es eine art rebellion – ziviler ungehorsam sozusagen – dass?

    ein toll geschriebener text …

  2. Meinem schon so prall gefüllten Abendgeist war nur die erste Geschichte mit dem ollen Huhn und dem Stinkewaschbecken zuzumuten, das Folgende ging nicht mehr. Mal sehen…
    Aber DU bist sicher GANZ anders.
    Nur, dass Du nicht zwölf verschiedene aggressive Badreiniger in der Reihe stehen hast….
    Gute Nacht.

  3. Well, well, wenn das nicht mal feine literarische Übertreibungen sind. Ich beobachte in meiner Umgebung – and help! – auch bei mir, dass Männer heute eher dem Analfixierten zuneigen und Frauen mir oft zu chaotisch sind. Aber ob das besser ist? Ich lebe übrigens seit über 25 Jahren allein in einem großen Haus und da sagte mir doch letztlich eine Frau, „so wie es bei dir aussieht, bekommst du nie eine Frau, alles viel zu ordentlich“. Ich traute ihr nicht zu sagen, dass ich bereits eine Frau habe ;-), nur dass wir nicht zusammenleben.
    Liebe Grüße gerade von Dublin, meiner Letzten Station meiner literarischen Reise (mit „meiner Frau“ :-) ) durch Ireland
    Klausbernd

  4. ja, auch ich kenne solche Männerbuden, besser: KANNTE und freue mich über jede Wohnung, die von einem Mann allein bewohnt wird, die hübsch gestaltet ist, in der nix klebt und ich das Klo sitzender Weise benutzen darf … das war mal eine Seltenheit, ist es nun nicht mehr, gut so.
    Ich habe oft gedacht, da hat wohl „Mutti“ versäumt, dem Bub das putzen beizubringen oder war so übertrieben pingelig, dass der Bub im Trotz stecken geblieben ist.

    sehr gut geschrieben hast du diese Seite Mann, lieber Irgendlink
    herzliche Grüße Ulli

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