Körper, heimlicher Herr der Seele?

Die wichtigste Erkenntnis des heutigen Tages – ich muss diese Geschichte aus dem vorherigen Artikel auskoppeln – war: der Körper steuert das Gehirn. Man könnte auch sagen, des Menschen Wille wird nicht von unfassbaren Mechanismen im Innern seiner Seele bestimmt, sondern von der äußerlichen Verfassung seines Körpers. Wenn der Körper nicht will, dass etwas geschieht, so lässt er einfach ein Organ versagen, oder er verkeilt die Knochen, bis das so weh tut, dass der Geist, das Hirn, der eigene Wille klein beigeben muss. Der Körper sitzt am längeren Hebel.

Wenn man, so wie ich im weiten Delta des Vielleicht eines Anderen leben muss, hat man wenig Möglichkeiten, Entscheidungen zu treffen, Richtungen einzuschlagen, Wege zu gehen. Verirrt wie ein Schaf, das die Herde verloren hat, blökt man in die Welt und hofft auf eine Stimme, die da antwortet, handele so oder so.

Nicht von ungefähr plagen den Menschen ab 40 gewisse Zipperlein, die sein Leben beeinträchtigen. Rein körperliche Dinge. Der Körper ist mächtiger, als das Hirn, welches die Dinge durchdenkt und zu unrealistischen Phantasien neigt. Natürlich träume ich davon, den Kontinent mit dem Rad zu durchqueren und Abenteuer zu erleben. Den Jakobsweg zu laufen. Und noch andere Ideen, die ich an dieser Stelle nicht ausgesprochen habe. Auch träume ich davon, den sicheren Möbelbauerjob weiter zu machen, denn er versorgt mich mit Geld und was noch wichtiger ist, mit Geschichten, die ich sofort in diesem Weblog verpetze. Nun bin ich wegen des waagoiden Owners aber in einem schrecklichen Zustand der Schwebe, in dem es weder Ja noch Nein, sondern nur noch das Eventuell gibt.

Ein arger Konflikt. Natürlich könnte ich die Arbeit kündigen und mich auf den Straßen Europas amüsieren. Aber wo ist da die Zukunft?

Das Hirn ist mit seinem Latein am Ende. Da meldete sich doch prompt der Körper zu Wort und wies heute Morgen die Richtung. Ein leichtes Stechen in den unteren Lendenwirbeln meldete einen Prolaps, genau wie letztes Jahr. Das sind höllische Schmerzen, die manchmal gar keine Haltung zulassen, in der man schmerzfrei ist. Die Voranmeldung heute Morgen sagte mir nur: nicht schwer heben, nicht zucken. Ansonsten lief alles prima. Ich konnte laufen – gut für den Jakobsweg – radfahren – auch gut dafür – nur arbeiten ging irgendwie nicht.

Später zu Hause wurde mir klar, dass unsere Körper bestimmen, wo es lang geht im Leben. Ich hatte ja diesen Bettler (Artikel zuvor) beobachtet, von der Terrasse des Cafés aus. Wie Gott beäugte ich das Geschöpf und all die anderen Geschöpfe, die an ihm vorbei liefen, von rechts nach links und von links nach rechts. Warum überqueren sie die Straße? Was treibt sie an?

Muskeln.

Und? Wer sagt denen, was sie tun sollen?

Ist es das Gehirn, was bestimmt, was die Muskeln machen? Gut möglich. Ist es der Schmerz, der dem Gehirn sagt, lass die Muskeln in Ruhe? Sicher. Somit hat der Körper, in stiller Eintracht mit dem Schmerz Macht über das Gehirn.

Was ist das überhaupt für ein Haufen komischer Zellen, dieser menschliche Körper, der sich durch die Welt bewegt? Je mehr ich über die Menschen nachdachte, die am Bettler vorbei liefen, desto schärfer wurde mein Blick. In ihre Seele kann ich ja leider nicht schauen, aber ihre Körper, wie sie von A nach B laufen, die kann ich sehen. Die Seele ansich und alles, was einen als Individuum ausmacht, existiert nur ein einziges Mal in einem einzigen Bewusstsein. Nämlich im eigenen. Alle anderen Menschen, die auf dieser Welt umher wirbeln sind nur eine Ansammlung genetisch einzigartiger Zellen, die sich völlig unkontrolliert bewegen. Somit nimmt die Kontrolle über die Zellen, aus denen wir Menschen bestehen also von Innen nach Außen rapide ab? Sagt mein Hirn (Innen) zwar: tu dies, mach jenes und gehe dorthin, aber je weiter der Gedanke sich von meinem Gehirn entfernt (nach Außen), desto unwahrscheinlicher wird es, dass es auch wirklich geschieht. Sobald der Gedanke an die Grenze meines Körpers gelangt, verpufft er in der Unendlichkeit? Nie könnte ich, oben auf der Terrasse des Cafés, denken: Bettler weit außerhalb meines Innern, gehe nach links und setze dich auf die Parkbank – nie würde er es tun, wenn ich das denke. Es wäre reiner Zufall. Und selbst wenn ich für mich denke, eigener Körper, fern meines Innern, gehe runter zum Bettler und wirf ihm eine Münze in den Hut, ist es ungewiss, ob ich es später wirklich tue.

Mein Körper setzte sich nach der Arbeit und der Café-Szene in den Schreibtischstuhl und das fühlte sich wunderbar an. Es war die angenehmste Position des ganzen Tages.

Ist es das, was er mir sagen will: sitze im Bürostuhl und schreibe diese Texte?

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