Wehenden Haares auf dem Balkon der Seele

Unglaublich! Ich habs geschafft. Der Frühjahrsputz, nennen wir ihn Entkernung der  Künstlerbude, dauerte gut sechs Stunden. Nun hallt die Bude. Sie ist fast leer. Selbst jetzt, da es dunkel ist, bin ich noch geblendet vom Glanz. Ich bin der Mister Propper der Kunst! Morgen unbedingt Glatze schneiden.

Nachmittags sah es hier aus wie Kraut und Rüben: Zentralgestirn Putzeimer, daneben der Staubsauger. Alle Schränke habe ich leer geräumt und etliche Müllsäcke und Kisten befüllt mit Geschirr, Kleidern, Papier habe ich sofort verbrannt, die Wände bis in drei Metern Höhe abgesaugt und sicher die eine oder andere Spinne umgesiedelt. Wie ich so in der Küche stehe, all das Chaos um mich, verlässt mich beinahe der Mut. Müllsack um Müllsack auf den Nordbalkon, so dass er nun unzugänglich ist. Um die Leichen kümmere ich mich später. „Wenn man so mit der Seele handeln könnte. Die eigene Seele endlich aufräumen und durchbrechen ins unbekannte Glück, ach, was gäbe ich darum, wenn ich die Seele entrümpeln könnte, die über die Jahre zu einem Katarakt meiner Selbst gewachsen ist, ein verbarrikadierter Flusslauf, der selbst den fähigsten Seelenkajakfahrer das Leben kosten würde, wenn er versuchen würde auf die andere Seite zu gelangen.“ So dachte ich bei mir, schrubbte das Spülbecken, rückte Möbel, raus, raus, raus, alles muss raus. Ich war im Rausch. Neben der rein körperlichen Putzaktion, biss ich mich in Gedanken an dem Seelenbild fest und mir wurde bewusst, dass es so auch mit der Seele klappen könnte. „Du kannst sie befreien“, machte ich mir Mut. Im Grunde sind Wohnungaufräumen und Psychoanalyse artverwandte Tätigkeiten. Man muss sich nur sich selbst als Wohnung vorstellen. In einem Kommentar bei Cekado (siehe Blogrolle links) habe ich gelesen, dass Menschen, die ihre Wohnung nicht aufräumen, sich selbst nicht achten. Dem kann ich nur bedingt zustimmen. Kann sein ja. Aber es gibt auch Menschen, die ihre Wohnung nicht aufräumen, weil sie keine Zeit dafür haben. In sich sind sie umso aufgeräumter. So wie ich.

Nun ist ja auch äußerlich alles wieder im Lot. Außer vielleicht: die Bude ist so schrecklich leer. Zwei Computer nebst Bildschirmen weniger, hunderte Gigabyte Daten, Backups, stehen im Atelier. Ach das Atelier: es musste herhalten für die Dinge zweiter Ordnung, die ich unter der Rubrik kann man nochmal gebrauchen einsortiert habe. Aber vorhin, als ich fertig war, habe ich auch diesen Stapel als Müll deklariert. Keine Lust, den Mist nochmal zu durchforsten. Letztenendes zählt eben doch nur die Gegenwart. Ich einsamer Hirte auf dem Balkon der Seele. So starre ich über den Horizont aus Müll hinauf auf die Felder im Osten. Garstige braune Gebilde.

Morgen hoffe ich auf das Finale. Wie erwähnt will mich der Owner in einer neuen Firma beschäftigen, um Möbelmillionen zu scheffeln. Da ich nicht glaube, dass das mit rechten Dingen zugeht, werde ich ihm ein Ultimatum setzen: meine Arbeit auf ein rechtlich akzeptables Verhältnis zu setzen. Wenn er dies nicht tut, findet Ihr mich in spätestens zwei Wochen auf dem Jakobsweg wieder. Ich will Umwege gehen. Es wird länger dauern.

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