Derzeit plagt mich die Idee, die Wohnung auszuräumen. Inspiriert von Sonne und beeinträchtigt vom Gezwitscher der Vöglein stand ich auf der Südterrasse, das dunkle Grauen namens Künstlerbude im Rücken. Schnittlauch rammte seine sturen Spitzen durch den Boden. Der Feigenbaum hat wie durch ein Wunder den Winter überlebt und dem Orangenbaum geht es bestens. Er wächst zwar in einem alten Mülleimer, aber ich glaube, das spielt für das Geschöpf keine Rolle. So weit im Norden gibt es nicht viele seiner Art. „In gewisser Weise haben wir beide etwas gemeinsam, mein Junge,“ dachte ich laut, „wir sind desperate Kerle, die ihr Leben meistern und sich nicht kümmern, was um sie herum vorgeht.“

Wenn man meine Wohnung betrachtet – ich habe seit vier Wochen nicht geputzt – erkennt man die eigenartige Kongruenz zwischen Orangenbaum und Irgendlink. Auch ich lebe in einer Mülltonne.

In der Küche fing ich an, machte großzügig Gebrauch von Müllsäcken, entsorgte gut zwei Drittel des Geschirrs, welches den Schrank überfüllt, schickte einen Packen Liebesbriefe hinterher, kastenweise DIAS, Bücher, CDs und die alten Texte – das tat mir ein bisschen Leid, aber ich kann das handgeschriebene Zeug selbst nicht mehr lesen – schürte ich auf einem Scheiterhaufen. Wie im Rausch. Die reinigende Kraft des Kehrichthaufens. Irgendwann wurde mir bewusst, dass, wenn ich so weiter mache, nichts mehr übrig bleibt von der Bude. Nur noch Wände, Boden, Decke. „Dann kannst du auch gleich das Land verlassen“. In der Ecke hatte ich einen Stapel mit dem Titel ReiseScheiße installiert. Dort lagen Schlafsack, Fahrradtaschen, Rucksack, Kocher usw.

„Nun ist es zu spät“, dachte ich, im Anblick der vielen Müllsäcke und des unbeschreiblichen Chaos. Ich mache keinen Frühjahrsputz. Ich entkerne die Künstlerbude, renoviere und vermiete sie und verabschiede mich nach Europa. Ganz Europenner, der ich nunmal bin. Vielleicht liegt es daran, dass eigentlich heute mein erster Urlaubstag gewesen wäre. Wenn A: der Owner mir den Urlaub gewährt hätte und B: die Firma nicht pleite wäre. Außenstehende mögen denken, iss doch gut, Firma pleite, brauchste keinen Urlaub mehr. Nur noch Insolvenzgeldantrag abgeben und tschüss. Im Januar, als noch alles gut lief, hatte ich geplant, heute mit dem Zug nach St. Jean Pied de Port zu fahren und ab morgen den Camino Frances bis nach Santiago zu laufen. Der Rucksack auf dem ReiseScheiße-Stapel enthält schon alles Wichtige. Er wiegt gerade mal sieben Kilo. Ich bin genügsam. Owner cancelte das Ganze, indem er den Urlaubsantrag ablehnte. Ist auch ein bisschen vermessen, sechs Wochen nicht zu arbeiten und im Januar schien es ja, als würde es immer florieren. Nun nicht mehr. Aber auch postmortum hat der Owner noch Macht über mich (ich allerdings auch über ihn; gute Tacker gibt es kaum). Er ist ein Stehaufmännchen. Schon Montag hat er mich einbestellt, zusammen mit T. am neuen, weltweiten Tackerkonzern zu arbeiten.

Ich bin ein gutmütiger Kerl und kann niemanden untergehen sehen. Auch nicht den Owner. Deshalb will ich ihm helfen. Am Montag werde ich erfahren, ob die Parameter stimmen und alles mit rechten Dingen zugeht. Wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht: juhu Europa, ich komme. Es wird dann ein Jakobsweg extended. Die Tour, die mir vorschwebt ist etwa 8000 km lang. Ich wäre drei Monate unterwegs.

Künstlermorgenblütenträume.

Glaub nicht dran, dass du da jemals rauskommst.

Dennoch: vorgestern habe ich einen großen Sieg über die Alleinsamkeit errungen. Jenes Gefühl des Verlorenseins in der Fremde. Ich glaube, ich bin einfach nur aus der Übung, was das Reisen angeht. Wenn ich erst Dijon geknackt habe, wird es wie am Schnürchen laufen. Und diesesmal werde ich die Kreditkarten nicht zu Hause vergessen.

3 Antworten auf „“

  1. Aufräumen entrümpelt auch die Seele und den Kopf. Find Ich. Viele Dinge die man mit sich herum schleppt sind irgendwann nur noch Ballast. Und wenn man eh keinen Bezug mehr zu den Dingen hat: Weg damit! Und Platz schaffen, für neues Gerümpel … ;-)

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