Im lichten Mischwald oberhalb des glänzenden Rutschenschlunds

„Bub oder Mädchen, meine Damen und Herren, kommense rein, kommense rein!“ Wedelnd mit Geldscheinen und wild fuchtelnden Händen mitten im Pfälzer Wald. Wie so ein Buchmacher beim illegalen Hunde- oder Hahnenkampf, so kann man mich sehen. Nicht!

Dennoch, die Vorstellung vom schmierigen Illegale-Wetten-Buchmacher garniert unsere ruhige, beschauliche Wanderung am gestrigen Tag, würzt ihn fein ab. Unterwegs auf der Wasgau-Seen-Tour. Gut zwanzig Kilometer auf einem Rundkurs. Wald. Stille. Schwüles Wetter. Noch immer spürt man den Einbruch des Flugverkehrs, murmele ich irgendwann. Kaum Kondensstreifen. Die Abwesendheit von Geräuschen fast jeder Art. Insektensummen. Teichplätschern. Diesiger Hochsommerhimmel zwischen müde hängendem Laub. Frühe Herbsttendenz. Trocken ist es seit Monaten. Das Laub fällt.

Die Wasgau Seen Runde führt meist über Waldwege und Pfade und tangiert die zahlreichen Teiche in den sanften Flusstälern um Fischbach und Ludwigswinkel. Über die Jahrhunderte trotzte der Mensch den einst sumpfigen Flussauen Landfleckchen um Landfleckchen ab, terrassierte die Rinnsale zu Teichen. Dementsprechend erklärt sich das lokale Nahrungsangebot, geräucherte Forelle und Honig, sowie winterwärmende Holzpolder allüberall. Wald, Wiese, Hochlandrinder, Forellen. Und viel viel Natur.

Wir befinden uns mitten in einer grenzübergreifenen Bisophäre, die sich von Kaiserslautern im Norden bis nach Saverne in Frankreich durch Pfälzer Wald und Nordvogesen zieht. In Fischbach bei Dahn lockt ein Baumwipfelpfad und das Biosphärenhaus mit zahlreichen Informationen und kleinen Abenteuern. Holzskulpturen entlang der Wege. Vor anderthalb Jahren hatten wir den Baumwipfelpfad einmal besucht. Und so die große edelstahlene Rutsche kennengelernt, auf der man am Ende des Pfades über verspielte Kurven abwärts rutschen kann und vor deren unterem Ende wir nun stehen und ich den imaginären Buchmacher spiele: „Komm’se rein, komm’se rein, Dam’un’Herrn, mal gewinnt man, mal verliert man!“ Einziger Gast und Zuschauerin ist Frau SoSo.

Niemand rutscht. In einem Western würde man die beängstigende Stille mit rollenden Büschen darstellen, Staubwirbeln, Grillenzirpen. Wie ausgestorben wirken die Holzstegekonstruktionen im lichten Mischwald oberhalb des glänzenden Rutschenschlunds. Es ist schon spät. 17 Uhr? 18 Uhr? Vielleicht ist die Attraktion schon geschlossen? Zu heiß heute? Alle auf Malle? Weit weg in den Ferien?

Ein paar Meter weiter werden wir eines Besseren belehrt. Der Wohnmobilstellplatz beim Eingang des Biosphärenhauses ist voll. Dicht an dicht stehen die weißen Concorde-Burgen und jede für sich bildet mit der linken Seite der nachbars Burg eine Art Burghof, in der die Menschen, denen die Burg gehört auf Liegestühlen lümmeln, Gasgrills brutzeln, Matten ausgelegt sind, Fliegengitter und Sonnenschirmchen.

Kleines, enges Touristenterrain und wir Wilden, wie wir mit unseren Schalks in unseren Nacken lachend aus den wie verlassenen Wäldern kommen, beobachten verstört.

Vermutlich ähnlich verstörend wäre es für die Menschen der Zivilisation, wenn sie tatsächlich beim Schlund der Rutsche auf einen Buchmachertypen treffen würden, der sie auffordert, Wetten abzuschließen, ob als Nächstes ein Bub oder ein Mädchen aus dem Schlund kommt, ein Rotschopf oder ein langhaariger Zottel, ein Hund vielleicht? The Palatin-Bookmaker-Performance, wenn auch nur theoretisch, ward geboren.

Kurze Zeit vorher hatten wir noch eine weitere kuriose Performance-Idee. Beim Wanderpfad gab es einige informative Spielereien mit Schautafeln und Erklärungen über Natur und Geologie. So auch ein paar Steine und Plexiglasröhren mit Sand verschiedener Regionen.

Da müsste man mal eine Hundeleine an dem großen Fels festmachen, scherzte ich mit Frau Soso, und sich einen Tag hinstellen und so tun, als wäre der Fels ein Hundchen. Den Vorbeikommenden erzählen, der macht nix, der will nur spielen, ja, sooo isser feiiin, und wenn andere Hundegassigänger vorbeikommen, fragen Bu’sche oder Mädsche und wenn sie sagen, Bubsche, ihnen antworten, ah, dann kann ich ihn ja losmachen. Da können sie ein bisschen spielen.

Auch Frau SoSo berichtet über die Begebenheiten -> hier.

 

Waldbrand, Kipling, Wunderland

Auf der heutigen Wanderung wollten wir eigentlich zu den Cascades d’Anglais. Da das Tal, durch das der Weg führte aber schon im Schatten lag, liefen wir einen Berggrat hinauf Richtung Canigou. Stets in der Sonne. Ein Traum. Auch Rudyard Kipling hatte einst die Aussicht von hier oben genossen, als er als Badegast in den Schwefelquellen hier verweilte.
Durch ein Kiefernwäldchen – oder sind es Pinien? – kamen wir auf über 900 Meter. Die Rinde der Bäume zeigte die Wunden verschiedener Waldbrände.
IMG_3091.JPG

Abstraktes Autoparken in Lugano

Im Spiegel des Schlafzimmers sieht man den Monte Soundso, eine beigefarbene Matte über silbergrauem Wäldchen, die dreieckig in den Himmel ragt. Wie ein Gemälde von Paul Klee, kaum zehn Kilometer entfernt. Unterm Monte Soundso, dessen Name mir gerade nicht einfällt, liegt das Dorf Bré. Auf der anderen Seite befinden sich der Monte Bré, Lugano, der Lago di Lugano, ein Berg, der aussieht, wie der Zuckerhut von Rio und dessen Name mir gerade auch nicht einfällt. Viele andere Berge. Im Süden ebbt das Gebirge, Chiasso und Mailand erahnbar unter Hochnebelfetzen. Wir haben die im etwa 30 Grad Winkel den Berg hinaufächzende Drahtseilbahn zum Bré genommen. Die schrägen Kabinen regen mein bauesoterisches Bewusstsein an. Der Mensch und seine Bewegungsmöglichkeiten, seine Chancen, seine Einschränkungen, Blind- und Taubheiten. Die Unerreichbarkeiten im Leben und wie sie dennoch erschlossen werden können. So muss sich ein Wissenschaftler fühlen, der mit der Pipette Säure auf Lackmus träufelt.
Vom Bré aus hat man eine wesentlich bessere Sicht auf die Matte in unserem Schlafzimmerspiegel zehn Kilometer entfernt. Und Lugano. Das, was sich mir im Landkartendenken immer als Kleinstadt offenbarte, sieht von Oben riesig aus. Ein Talkessel voller Häuser wälzt sich Richtung See. Parken in Lugano ist ebenso kompliziert, wie in Bern, wie in fast allen großen Städten der Schweiz. Das unbezahlte Ding sucht man vergebens. Die meisten Parkplätze sind zudem auf zwei Stunden beschränkt. Viel zu kurz für den Ausflug zum Bré.
In diesem Artikel hatte ich schon einige Möglichkeiten des abstrakten Autoparkens in der Schweiz erörtert. Nun kommt noch folgende Idee hinzu: Mit einem Eimer Farbe und Pinsel tarnst du dein Auto als Parkbank und stellst es unauffällig im Park ab.
Täuschend: im Bild rechts unser Auto, links die echte Bank.

Als Parkbank getarntes Auto in Lugano
Auf dem Monte Bré: Blick nach Süden über den Lago di Lugano.

Lago di Lugano gesehen vom Monte Bré
Das Dorf Bré oberhalb von Lugano.

Kirche in Bré oberhalb Lugano

Der See am Ende des Tunnels

Da ist nicht nur Licht am Ende des Tunnels, in der Mitte hat man in regelmäßigen Abständen Lampen aufgehängt, die gegen Siebzehn Uhr kaum seichter scheinen, als das Tagesrestlicht. Wir unterqueren die Südautobahn durch eine Röhre auf dem Wanderweg zum winzigen Lago di Soundso, welcher zwischen den beiden Nordflanken des Lago die Lugano liegt, erreichen eine hölzerne Platzform im Schilf. Es tut mir Leid, aber starr ruht der See. Die Oberfläche ist gefroren. Der Blick verliert sich in wenigen Metern an einer grauen Wand, hinter der pures Nichts sich zu befinden scheint. Vier Mädchen tummeln fotografierend auf dem Wanderweg. Eine Joggerin verbrennt Festtagsspeck. Zwei Deutschschweizer führen ein ernstes Gespräch, das sich fetzenweise hinter der Wand aus Nebel verliert.

Unterquerung der Autobahn bei Lugano

Mühle am Lago di Muzzano

Lago di Muzzano