My Instagram, my Gutenberg

Mensch blickt durch das sechseckige Sichtfenster einer Käsepackung Saint Agur. Augen und Nase im Fensterchen, groß im Vordergrund die Finger desjenigen, der die Verpackung in die Kamera hält.

Gib dem Gutenberg-Editor eine Chance, Monsieur Irgendlink. Der Failtoban-Bug, der mich vor zwei Jahren zum Gutenberg-Verzicht verdammte, scheint jedenfalls behoben. Nun ein bisschen Blogrohexperimente und sogleich den Instagram-Blocktyp entdeckt und, wie oben zu sehen, eingebaut.

Und warum schreibe ich diesen Beitrag? Weil Künstlerin B. zu Besuch war und wir für sie ein Jakobswegblog auf die Reihe bringen wollen. Da muss ich mich als ‚Lehrer‘ und Administrator doch mal wieder in die Sache einarbeiten. Bisher im eigenen Geköchel unterwegs war es nicht nötig, sich mit Gutenberg zu beschäftigen.

Okay. Nähkästchenplauderei gehört auch dazu. Ich werde den Blogbetrieb, also den eigenen Blogbetrieb, in diesem Jahr wieder aufnehmen.

Ach. Am 3. Mai startet B.s Jakobsweg-Projekt. Bis dahin betreiben wir digitale Bildhauerei und richten ihr Blog ein.

Die Puzzeligkeit allen Webexistierens

Individuelle vs. kollektive Identität

Manchmal wünschte ich, ich wäre meine eigene Nachwelt. Ein Literatur- und Kunstforscher am Institut für digitale Frühgeschichte, irgendwann in ein paarhundert Jahren und ich könnte dann auf unsere Zeit zurückblicken, so wie wir es heute tun auf frühere Zeiten der Kulturgeschichte. Mir lägen dann sämtliche Informationen über die Frühphase einer im Aufbau befindlichen Soziale-Medien-Welt vor und wie sie (womöglich) alles bisher Dagewesene an Literatur und Kunst in den Schatten stellen würde, weil die Sparten sich mischen. Weil es – Hypothese ein – nicht mehr nur das geschriebene literarische Buch gibt. Und nicht mehr nur den Maler/die Malerin, der/die Öl auf Leinwand malt und nicht mehr nur den Komponisten/die Komponistin. Weil sich nämlich alles mischt und in digitaler Form dargestellt wird, was einst haptisch analog war. Literarische Werke, die angereichert mit Programmcode sich verselbständigen, Bücher, durch die man, gesteuert per GPS und per räumlicher Trigger erst das nächste Kapitel vor Ort geliefert bekommt. Die Welt des Spiels mischt sich mit der Welt der Kunst in dieser meiner Vision einer fernen Zukunft. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir nicht alles kaputt machen auf dieser Erde, es schon bald möglich ist, etwa mit einem E-Book-Reader durch die Lande zu spazieren, der einem zunächst nur ein erstes Romankapitel bereitstellt. Der Leser/die Leserin erhält in diesem Kapitel Anweisungen, wo und wie die Geschichte weiter geht und begibt sich, per GPS gesteuert à la Geocaching zum nächsten Schauplatz, wo per Mobilfunknetz das nächste Kapitel herunter geladen wird. Im Prinzip sind wir sogar schon so weit. Es gibt diese interaktiven GPS-Schnitzeljagden ja schon längst. Werigo Cache heißt das Zauberwort. Literarisch hat das allerdings noch niemand gemacht, soweit ich weiß. Die Wherigo-Software lässt auch nur eine gewisse Zeichenanzahl zu, was die literarischen Möglichkeiten einschränkt. In der Tat hatte ich mir schon überlegt, die Programmiersprache LUA zu erlernen, mit der es mutmaßlich möglich wäre, solche „Dynamic Novels“ zu kreieren.

Ist ein LUA-kundiger Mensch unter uns, der Lust hätte, das mit mir auszuprobieren?

Anderes Thema. Während ich diesen Blogartikel schreibe, sind weitere Browserfenster geöffnet. Facebook und Twitter und Konsorten. Davon gibt es ja so viele – und überall postet man seine Ideen und Kommentare. Wie Kometen verströmen wir unsere geistigen Bestandteile im leeren Raum zwischen den sozialen Medien. Selbst die Kommentarstränge im eigenen Blog enthalten oft Kleinodien von unschätzbarem Wert. Wir lösen uns quasi im Internet auf. Hier wäre es – aus Sicht meines imaginären Forschers der digitalen Frühgeschichte – wichtig, wenn jeder ernsthafte Künstler eine Art Fingerabdruck hinterlassen würde, damit man seine Spur durch den Djungel der sozialen Medien so gut wie möglich nachvollziehen kann. Ich meine: ich denke doch jetzt und hier an diesem Artikel und schreibe ihn grob nieder, während drüben in Facebook und Twitter die Alarmglocken läuten, ich ab und zu rüberswitche und das, woran ich jetzt denke, fügt sich bewusst oder unbewusst in die dort, woanders, stattfindenden Diskussionen ein.

Vor Kurzem habe ich einen uralten Blogeintrag wieder gefunden, der über diverse Kommentarverstrickungen in die Kommentare eines anderen Blogs führte und es war so eine Art roter Faden zu erkennen, Plattform übergreifend. Ein Teil der Gesamtinformation ist hier in diesem Blog gelagert, ein anderer Teil in Kommentaren, die durch meine großartigen Leserinnen und Leser eine reiche Schatzgrube sind und weitere Teile des Puzzles sind irgendwo in Mails, in Facebook-Posts usw.

Und all das Unsichtbare. In den frühen, reinen HTML-Dokumenten zwischen 2001 und 2005 habe ich manchmal Text direkt im Quelltext versteckt. Habe die Kommentartags dafür missbraucht, nicht gar zu öffentliche Passagen zu notieren. Das neue Medium war ein wunderbarer Spielplatz. Es gab eine Phase, in der ich Texte mit der Vigenere-Methode chiffrierte. Das war nichts Brisantes. Ich hatte nur Spaß am Experimentieren. Das ist es wohl, was uns Künstler ausmacht. dass wir eben nicht nur zielorientiert arbeiten, obwohl wir ganz gewiss ein Ziel vor Augen haben. Dass wir eben nicht primär einen materiellen Zweck verfolgen, obwohl es einem manchmal ganz gut tun würde :-). Und dass wir eben nicht immer einen Sinn hinter einer Sache erkennen lassen wollen, sondern dass wir spielerisch und für Außenstehende unverständlich irgendwelches Zeug machen – warum? – weil es uns Spaß macht, weil wir den Akt des Schaffens über den Grund des Schaffens stellen. Weil wir inszenieren, wirken lassen und uns nicht darum kümmern, ob da noch Fragen offen bleiben … wir selbst stellen uns diese Fragen ja auch nicht. Weshalb sollten wir dann die Disziplin aufbringen, diese ungestellten Fragen anderen zu beantworten?

Quelltextliteratur hin, Vigenerechiffre her, heutzutage erlaubt einem ja das Blogsystem, Artikel als privat oder öffentlich zu markieren und auf dem Server erledigt dann PHP den Rest, zeigt den Lesenden nur das an, was man auch zulässt. Aus unzähligen Datenbanktabellen werden die Seiten dieses Blogs wie ein Flickenteppich von den PHP-Skripten zusammengesetzt. Die Spalte rechts und links dieses Artikels sind Einzelteile, die wiederum aus Einzelteilen zusammengesetzt werden. Der Titel dieses Artikels steht in einer anderen Tabelle, als die Veröffentlichungszeit. Die Kommentare, die da noch kommen, sind wieder woanders gespeichert. Ich nutze die Privatfunktion von WordPress ziemlich oft. Wahrscheinlich auch für diesen Artikel.

Gerade wird mir die Puzzeligkeit allen Webexistierens bewusst. Der Irgendlinkblog ist ja auch nur ein Puzzlestück im großen Ganzen des Internets. Und das ist es vielleicht, womit sich die Institute der digitalen Frühgeschichte, so es sie denn mal geben wird, in ferner Zukunft beschäftigen müssen. Wie hat das alles zusammen gewirkt?, werden sie sich fragen, wie konnte es diese ungeheuerliche Größe entwickeln? Und wie ist es den Individuen, die am Aufbau beteiligt waren, gelungen, ihre Identität zu wahren? Vielleicht ist eine der großen Fragen in dieser imaginären Zukunft, was (individuelle) Identität in dieser Zukunft bedeutet und wie sie sich verändert hat zur Identität, wie wir sie heute kennen. Es zeichnet sich ja schon ab, wie wir unser Ichsein im Web verändern, wie wir in verschiedene Rollen springen, je nachdem, ob wir in einem beruflichen Netzwerk unterwegs sind oder in einem Hobbynetzwerk oder in unserem privaten Blog. Es droht Zersiedelung und die Auflösung unseres Namens, unserer Urheberschaft gar. Wir ergießen uns in einen riesigen Pool kollektiver geistiger Produkte und Charaktere.

Eigentlich habe ich das Problem der Zersiedelung ja schon vor über zehn Jahren erkannt. Spätestens, als ich meine zweite eigenen Domain angemeldet habe, war klar, dass sich meine Gedanken und Ideen, mein digitales Schaffen fürderhin auf diese beiden Wege verzweigen würden. Nach und nach kamen weitere Domains hinzu. Sie sind alle im Punkt „Meine Seiten“ hier links aufgelistet. Ab ca. 2012 landete ich bei Facebook, Google+, Twitter, Tumblr. Spätestens seit diesem Sommer brechen die Dämme und ich verteile mich wie Brei in den Kanälen. Wobei ich schon versuche, ein bisschen Ordnung zu halten. Fundament allen Schaffens soll immer noch das Irgendlink-Blog sein. Von den Luftgestalten outerweb, den sozialen Dingsdas verweise ich gerne und oft auf dieses Fundament. Aber nicht nur. In den ersten Jahren Twitter etwa nutzte ich die Plattform nur als Linkmüllhalde, in die per Automatismus Blogeinträge aggregiert wurden. Immer, wenn ich hier auf WordPress den Veröffentlichen-Knopf drückte, bimmelte bei Twitter die Glocke und der Artikel wurde verlinkt. Ebenso bei Facebook. Aber damit macht man sich keine Freunde. Damit gewinnt man genau gesagt Null Follower. Nein nein. Man muss da schon in „echt“ interagieren, sich einbringen, sich mit den Menschen, die hinter den Accounts stehen auch befassen. Sie haben es auch nicht verdient, dass man sie zu einer Klick-Herde zusammentreibt und sie zu digitalem Nutzvieh umfunktioniert.

Irgendlink wird Strickblogger, nein, Blogstricker

Was haben eigentlich Bloggen und Stricken gemeinsam, wenn man nicht gerade ein Strickblog führt und darin über das Stricken berichtet?

Die Exkursion in die Burgenbloggerei habt mir kürzlich die Ähnlichkeiten gezeigt. Ich beschäftigte mich intensiver mit Schlagworten und Kategorien und wie man die Inhalte des Blogs schmackhaft in den sozialen Medien platziert. Einhergehend mit Aufräumarbeiten und einer Neustrukturierung des seit vielen Jahren in Betrieb stehenden Irgendlink-Blogs kam ich nicht umhin, Analogien zum Stricken zu finden. Ein Gewebe aus verschiedenen Fäden durchzieht das Blog. Bloß sind sie ein bisschen ungeordnet. Wenn man sie entwirren würde und technisch versiert verknüpfen, wie etwa einen Norwegerpulli, könnte eine große Sache daraus werden. Im Backend kann ich die Funde beobachten, auf die täglich fremde Menschen stoßen und so ins Irgendlink-Blog gelangen. Ein Jakobsweg im Winter-Artikel zum Beispiel. Und ein Fahrradsurvival-Artikel, der die Geheimnisse des französischen Ventils lüftet. Das sind Fäden, die es weiterzuspinnen gilt. Potentielle Kategorien. Schlagwortwolken.

Bei den Blog-Aufräumarbeiten, mit denen ich in diesem Frühling begonnen hatte, kam ich an den Rand der Verzweiflung: wie kann man ein Blog mit mehreren tausend Beiträgen neu verschlagworten und kategorisieren, ohne es komplett von A bis Z durchzulesen? In einer vernünftigen Zeitspanne wohl kaum. Also versuchte ich mich meiner Fäden zu erinnern und benutzte die interne Suchfunktion, um Artikel aufzuspüren, die eine eigene Kategorie bekommen sollten. Zum Beispiel die bald entstehende Kategorie Liveschreiben (steht übrigens weit oben auf meiner Liste zu produzierender eBooks), die 2012 als lose Folge von Artikeln begonnen wurde und sich bis heute durch das Blog zieht. Ein roter Faden.

Mühsam, ihn zu entwirren.

Demjenigen, der vor einer ähnlichen Herausforderung steht, sein Langzeitblog neu zu strukturieren, kann ich nur eins raten: Blogge so weiter wie bisher, aber gewöhne dir an, schon im laufenden Betrieb deine Artikel zu verschlagworten und zu kategorisieren. Betitele jedes hochgeladene Bild, fülle auch die Felder Beschreibung, Alternativ-Text und Bildbeschriftung aus (gilt für WordPressblogs). Was zählt ist die Gegenwart. Hier spielt die Musik. Hier kannst du durch diszipliniertes Arbeiten Ordnung-en-passant schaffen. Die Vergangenheit ist etwas für die Nachwelt, für diejenigen, die sich dereinst für deine Kunst, dein Blog, deine sonstigen Hinterlassenschaften interessieren (oder, und das ist die Regel, einfach alles in die Tonne treten, was du jemals geschaffen hast). Trotzdem, wenn du magst, kannst du der Nachwelt helfen, indem du anfängst aufzuräumen, aber vergiss nicht das Jetzt. In diesem Jetzt lebst du. Dieses Jetzt ist das Fundament deiner Zukunft. Hier musst du glücklich sein!

Jetzt muss ich den Artikel kategorisieren: Hmmm? WordPress? Webwissen? Blog aufräumen? Onlinepublishing? Ich könnte ihn auch in der blogeigenen Knoddelkiste belassen … privat ist er allemal, zunächst … aaach, ich springe über meinen Schatten, mache ihn öffentlich. Vielleicht nutzt es ja jemandem?