Der See am Ende des Tunnels

Da ist nicht nur Licht am Ende des Tunnels, in der Mitte hat man in regelmäßigen Abständen Lampen aufgehängt, die gegen Siebzehn Uhr kaum seichter scheinen, als das Tagesrestlicht. Wir unterqueren die Südautobahn durch eine Röhre auf dem Wanderweg zum winzigen Lago di Soundso, welcher zwischen den beiden Nordflanken des Lago die Lugano liegt, erreichen eine hölzerne Platzform im Schilf. Es tut mir Leid, aber starr ruht der See. Die Oberfläche ist gefroren. Der Blick verliert sich in wenigen Metern an einer grauen Wand, hinter der pures Nichts sich zu befinden scheint. Vier Mädchen tummeln fotografierend auf dem Wanderweg. Eine Joggerin verbrennt Festtagsspeck. Zwei Deutschschweizer führen ein ernstes Gespräch, das sich fetzenweise hinter der Wand aus Nebel verliert.

Unterquerung der Autobahn bei Lugano

Mühle am Lago di Muzzano

Lago di Muzzano

Eine halbe Million Arbeitsstunden, oh Herr

Ankunft am Zielort. Ein winziges Dorf namens H. an der A. nur etwa 50 km nördlich von München. Oberbayern steht auf den Hinweisschildern. H. in Oberbayern also. Ich habe nie begriffen, dass Oberbayern absolut flach ist. Im einzigen Gasthof checke ich ein. Eine Gruppe kehliger Menschen debattiert lauthals. Die Wirtin entschuldigt sich für ihre Gäste, sie seien nicht immer so. Im Restaurant sitzt ein Junge mit T-Shirt, auf dem etwas gedruckt ist „Kraftwerk Revision“. Die Wirtin klärt mich auf, dass seit ein paar Wochen der Gasthof ausgebucht ist, weil das nahe Kohlekraftwerk verkauft wurde und die neuen Besitzer es nun renovieren. Im Netz recherchiere ich, dass das Kraftwerk einer der größten Arbeitgeber ist, dass es verbessert wird, praktisch neu gebaut in den nächsten Monaten, höherer Wirkungsgrad, umweltfreundlicher. 1,7 Millionen Menschen versorgt es. Fast 500 Megawatt. Die vielen Strommasten in dem flachen Flusstal zeigen, dass die ganze Gegend unter Strom steht. Ich kann nicht behaupten, dass es mir hier zwischen Gerste und Mais in dieser unerwartet unpitoresken Flachheit gefällt.
Im Restaurant fällt mir an diesem Abend ein Tisch vierer Männer auf, genauer zwei Jungs, ein mittelalter und ein älterer ruhiger Herr. Der Mittelalte führt mit markanter Stimme Wort zu den Themen Freelancer, Stundenlöhne, Löhne im Allgemeinen, Arbeitsrecht und Technik. Hauptsache Wort führen. Er kommt aus Mannheim und verdient vier Euro weniger pro Stunde, als der Ältere. Die Gruppe arbeitet offenbar für die Revision. Vier Mann von den vielen, die die 500.000 Arbeitsstunden, so stehts im Netz, der Revision erledigen. Mir steht freitagsfrüh um acht ein etwa zweistündiger V. I. P. Loungeaufbau bevor. An diesem Abend ahne ich noch nicht, wie gemein das Schicksal zuschlagen kann.