Die Geschichte vom Pilger, der nach Pirmasens kommt und in einer Sackgasse endet

Nun überschlagen sich die Ereignisse. Früh an diesem Sonntagmorgen spinne ich an einer Kurzgeschichte und twittere so vor mich hin, treibe meine Späße, kündige die Story an.

Die Walnüsse donnern aufs Dach. Es regnet. Ich will den Tag ruhend verbringen. Das Thermometer der Künstlerbude verzeichnet 15 Grad. Ich sollte den Ofen anschüren. Bin zu faul und so kalt ist es ja nicht. 15 Grad sind in dieser Jahreszeit seit Jahren normal in der Bude.

Ich mache ein paar Notizen. Eckpunkte der Story, lege gedanklich eine Strecke an mit Szenen der Geschichte. Zwei Zigarettenautomaten und zwei Schuhläden kommen vor in der Geschichte. Ein verlassener Eisenbahntunnel. Muss nichts Populäres werden, einfach nur mal wieder etwas Anderes schreiben als einen Blogartikel.

Dazu angestachelt hatte mich Kollege Q., der gestern im Metalabor eine wunderbare Kurzgeschichte vorlas, die er geschrieben hatte. Das Metalabor ist ein jährlich stattfindendes Zusammentreffen sich den Kopf zerbrechender Menschen im Taunus. Da ist Raum für alles. Jeder bringt etwas mit, ein Video, einen Vortrag zu einem Thema, das ihm oder ihr am Herzen liegt oder eben eine Kurzgeschichte. Das Metalabor ist eine Mischung aus Thinktank und Barcamp.

Also ja, Herr Irgendlink schreibe mal wieder eine richtige Geschichte, satt dich im eigenen Blog tot zu laufen. Das Problem: Ich will Geld für die Geschichte.

Vielleicht erst einmal die Walnüsse zusammen raffen? Schließlich lebt man nicht vom Geschichte verkaufen alleine. Mein zweites Standbein soll werden: Ich steige ins Ölgeschäft ein. Die Nüsse jage ich durch die alles zermatschende Ölpresse, die ich mir kürzlich zugelegt habe. Walnussöl bringt einen guten Preis habe ich gehört.

Es regnet nicht so sehr. Gerade genug, dass die Nüsse schwer werden und aus ihrem Kokon fallen und aufs Dach prasseln und auf den Boden. Ich strippe die Regenjacke über, die langarmigen Gummihandschuhe und die Gummistiefel. Wie ein Schlachter sehe ich aus. Ich nehme einen Korb und watschele im Ententanz unter den Nussbäumen auf dem einsamen Gehöft. Was für eine Schlammschlacht. Fast verliere ich die Lust. Aber nicht, bevor der Korb voll ist. Drei Äpfel gehen auch ins Körbchen. Derweil, also während des Akts des Nussraffens läuft in einem Hintergrundprozess meines Hirns die geplante Geschichte. Du kannst das, ermutige ich mich. Es ist nur noch Arbeit. Geh endlich ran, bin ich versucht, mich anzutreiben. Aber nuja, ist ja Sonntag. Ich will ruhen. Ich will Geld UND ruhen? Achwas, ich will nur endlich die Geschichte aus meinem Kopf kriegen. Vom Pilger, der nach Pirmasens wandert und an den Zigarettenautomaten vorbei kommt durch den Tunnel, vorbei am Bettler an einer Ecke zur Sackgasse, wo er beinahe in Hundescheiße tritt.

Ziemlich nass kehre ich an den Arbeitsplatz zurück. Immer noch 15 Grad. Erst einmal einen Kaffee. Da es draußen auch nicht viel weniger als 15 Grad hat, setze ich mich auf die zweitunterste Stufe der Treppe zur Künstlerbude und starre in den Garten. Viel Grün. Ein Gartenzwerg aus Beton. Ein zugeklappter Sonnenschirm. Ein Avokadobaum im Topf. Überall liegen Nüsse. Am wohnungsnächsten Baum, der sich über Schirm, Avokado und Betonzwerg spannt, habe ich noch keine Nüsse gesammelt. Es ist eine Pracht. Das hölzerne Gold.

Nippe am Kaffee und dann überschlagen sich die Ereignisse, wie eingangs dieses Artikels erwähnt. Nicht etwa so, dass es Ereignisse gibt, deren Auswirkungen man sehen könnte, sie überschlagen sich in meinem Kopf. Die Geschichte soll perfekt werden, verlagsfähig. Lektoriert, korrigiert, kaufbar und von allen gewollt.

Ich setze mir ein Ziel für den Tag. Bis abends will ich die Kurzgeschichte im Kasten haben. Als grobe Skizze. Später, wenn alle Kommafehler raus sind und das Ding eine gute Form hat, kommt es, für sagen wir mal 99 Cent in den Irgendlink-Shop als Epub und PDF.

Rasant, rasant, Herr Irgendlink. Die Kaffeetasse ist leer. Ich habe Hunger. Es ist schon Mittag. Noch neun Stunden, um mein Ziel zu erreichen. Fast ist es wie pilgern im eigenen Kopf, denke ich.

Zurück in der Wohnung schreibe ich einen Tweet.

Erstrebenswert ist ein Leben mit weniger Geld und weniger Zeit. Nicht quantitativ, sondern die ökonomischen Machtinstrumente Zeit und Geld betreffend.

Das ist schon ein bisschen verquer. Die Machtposition, die Zeit und Geld auf mich ausüben, indem ich beides nutzen muss, entmutigt mich oft. Beides sind Konventionen, denen man sich unterwirft. Man begibt sich in Korsetts aus Zeit und Geld. Nutzt sie als Tauschmittel mit den Anderen auf dem Planeten … okay, ich könnte mich darauf einlassen, okay, ich lasse mich ja auch darauf ein.

Wenn der Tausch wenigstens fair wäre.

„Ich will auch was abhaben.“

Ich mag den Spruch. Exkursion zu einer Aarebrücke, nahe Olten, unter der ich 2016 durch radelte. Jemand hatte an den Beton gesprayt: „Ich will auch etwas abhaben.“ Das fand ich süß. Kindlich. Es machte etwas mit mir. Alle wollen etwas abhaben. Muss nicht viel sein. Es klang wie ein zartes, seid doch nett zu mir, ich brauche gar nicht viel. Ich stilisierte den Menschen, der das geschrieben hatte im Laufe der Jahre zum Helden, zur Heldin. Ein unterschwelliges Votum auf Bedingungslosigkeit, fand ich.

Exkurs zur Aarebrücke  bei Seite, Herr Irgendlink. Word! Du hast die Geschichte auf Twitter angekündigt. Jetzt musst du liefern.

Also ran an den PC, bring es zu Ende. Werden doch nur vier fünf A4 Seiten. Die verkaufste dann 100.000 Mal und zack, haste was ab und weil du ja mit Geld nichts anfangen kannst, haben alle deine Freundinnen und Freunde auch gleich was ab.

Da steht sie nun, diese Zahl. Die Maximalforderung. Macht mich unruhig. Ich streife eine zweite Jacke über, eine zweite Hose, dicke Socken.

Maximalforderungen allüberall. Im Hinterstübchen habe ich ein Vermarktungskonzept, ich ökonomisches Genie, ich Kunstbübchen. Die Sache muss viral gehen. Das bin ich, das sind wir alle der Geschichte schuldig. Ich verkaufe sie gratis, nötige alle, die ich kenne, die Geschichte zu rezensieren et voilà. Die naive Kunstbübchenmethode der Vermarktung. Ha!

Hunger im Bauch. Außer Kaffee gab es ja noch nichts heute. Drüben in der Küche steht ein Joghurt. Liegt eine frisch geknackte Walnuss. So ausgemergelt kann ich doch nicht damit beginnen, das Meisterwerk vom Pilger zu schreiben.

Erst einmal warmbloggen. Mache diesen Blogartikel auf, hacke rein was geht. Vieles, was sich an in meinem Innern sich überschlagenden Ereignissen angesammelt und was ich in diesem Blogartikel erwähnen wollte, habe ich vergessen. Egal. Das Wenige zählt.

Das wurde mir gestern im Metalabor klar. Der eigene Perfektionsanspruch steht mir oft im Weg, überhaupt anzufangen.

Verhindert dieser Blogeintrag nun die eigentlich angedachte Geschichte? Ich glaube nicht. Ich bin nur hungrig. Werde etwas kochen. Der Tag ist noch lang. Kochen, ruhen, Geschichte schreiben, so mache ich das jetzt.

Schneepflugintelligenzquotient

Am heutigen ersten Weihnachtsfeiertag feiern wir die längst überfällige Geburt des Schneepflugintelligenzquotienten – deutlich wird: es geht auch ohne Dreilige hei Könige. Doch zunächst ein Bild. Der Ostzipfel des Lago di Lugano bei Magliaso. Nicht Klinik unter Palmen ist angesagt, sondern Palmen unter – vermutlich – Erlen.

Irgendlinks Palmen unter Erlen
Obschon es recht warm ist, liegt selbst im Tal noch massenhaft Schnee. Schmutziges, mit Kies vermischtes Zeug, das man am Gehwegrand zu meterhohen Haufen zusammengeschoben hat. Parkplätze sind somit knapp. Am Anreisetag, bzw. In der Anreisenacht am 23. 12. lag der Gotthard im dichten Schneetreiben. Als wir die Tunnelröhre verließen, eine Weile auf ca. 1000 Höhenmeter, mit sechzig vorankriechend. Ungefähr hundert Kilometer hatte es gedauert, den Schneepflugintelligenztest zu knacken: in regelmäßigen Abständen leuchteten am Straßenrand hochreflektöse Schilder grün und rot. Nördlich des Gotthard war so eine Art Narrenkappe darauf. Südlich eine deutlichere Sprache: man konnte ein Schneepflugauto mit ausgeklapptem Pflug darauf erkennen. Erst bei Belinzona wurde mir klar, dass das rote Schild stets vor Straßenüberquerungen steht, das grüne dahinter. Damit der Schnee nicht auf die zu überquerende Straße geworfen wird. Die Debilitätsgrenze der Scheepflugintelligenz liegt bei 400 Kilometern. Mit 123 Kilometern habe ich einen guten Durchschnittswert erreicht. Fast schon ein kleines, bauesoterisches Mysterium.

Was war eher da, die Möbel oder das Haus?

Es begab sich, dass ich erschrak, samstagsabends, als ich die steile Treppe durchs stockdunkle Treppenhaus hinauf kletterte in die Cousins-Wohnung. Er stieg mit Stirnlampe vor, sagte: „Manchmal, wenn die Sehnsucht nach dem Pfälzer Wald mich packt, laufe ich die Treppe ganz weit innen.“ Tastend prüfte ich die Stufen: „Sie sind wie eine Dreier Tour im Dahner Felsenland, nicht?“

Angekommen in der Wohnung versetzten mich die vielen Möbel in Angst. Das alles durchs Treppenhaus? Doch der Cousin führte mich direkt ins Schlafzimmer, wo sich Kisten und Tüten stapelten, das Bett kaum noch auszumachen war. „Die Möbel nicht, die gehören dem Vermieter.“ – „Und die Glotze?“ – „Auch nicht.“ Alles Schwere schien dem Vermieter zu gehören, respektive, schien sich schon seit ewigen Zeiten, vielleicht sogar seit dem Bau in der Bude zu befinden. Auch ein Phänomen: was war eher da, die Möbel oder das Haus?

Bauesoterik in den Niederlanden

Wie das Bild Fahrrad am Kran (Eintrag zuvor) deutlich zeigt, haben die Niederländer das Bedürfnis, den Mangel an Bergen durch eine Überbetonung der dritten Dimension zu kompensieren. Ein bauesoterisches Phänomen. So werden längliche Gegenstände, die man normalerweise liegend transportiert, grundsätzlich gen Himmel ausgerichtet. Stolz lässt man sie meterhoch ins Firmament ragen.

Umzüge, wie man sie hierzulande in der Stille enger Treppenhäuser vollzieht, trägt der Niederländer stolz nach Außen: „Seht nur, ein Kran! Hohohooo!“ Und an diesem Kran werden sämtliche Habseligkeiten auf- oder abgeseilt, selbst Betten, Fernseher, Kommoden. Aus bauesoterischer Sicht beeindruckend sind zweifellos z.B. auch die fein säuberlich aufgeschütteten Sandbunker, auf deren Gipfel exponierte Neuwagen zum Kauf verlocken.

Doch zurück zum Umzug: Bauesoterik hin, Bauesoterik her, ein kleiner Kran vor dem Fenster hat für die Bewohner des dritten Stocks unbestrittene Vorteile (wo wäre man hierzulande auf die Idee gekommen, jemandem, der im dritten Stock wohnt, beim Umzug behilflich zu sein, vor allem wenn die Treppe wie folgt aussieht:

Treppe in Amtserdam

Und was ist mit den Unterhosen, die zwischen den Pobacken verschwinden?

Bizarrer eiskalter Morgen. Kokolores musste früh raus, weshalb wir einen schnellen Kaffee nahmen, den Hund und eine halbe Wohnungseinrichtung im Auto verstauten und uns beide in dicke Winterklamotten packten, denn die sibirische Kälte hat heute Nacht die Pfalz erreicht. Ein eiskalter Wind drückte von Osten. Sterne funkelten.

Zwischen Tür und Angel fragte Kokolores: „Sag mal, rutscht dir die Mütze auch immer ins Gesicht?“ Ich sagte: „Ja …“, rieb mir grübelnd das Kinn, doch Kokolores hatte schon eine Erklärung parat: „Vielleicht wäre sie lieber ein Schal?“ Solche Kommentare erheitern meinen Tag. Auf der Suche nach der Jacke spann ich an einer Allgemeinen Formel zur Unglückseligkeit der westlich zivilisierten Winterkleidung. In meiner Theorie waren die Kleidungsstücke beseelt. Mehr noch, sie waren schizophren, neurotisch und psychisch gestört. In einer dunklen Ecke tastete ich nach der Jacke, fand ein Stück Stoff, das sich anfühlte wie eine Hose, zog es hervor. Es war die Jacke. Kokolores schmunzelte: „Die wäre wohl lieber eine Hose, so wie sie die Kappe hängen lässt und um die Taille betont eng fällt?“ – „Da ist etwas wahres dran.“ Ich strippte das widerspenstige Kleidungsstück über den Pullover, der sich anfühlte wie ein Mantel. Der Schal leistete erheblichen Widerstand, als ich den Reißverschluss zuzog. „Ich glaube, die Sache lässt sich nur bauesoterisch erklären“ sagte ich, „die Welt ist verrückt, der Mensch ist verrückt und da ist es kein Wunder, wenn auch seine Kleidungsstücke ein bisschen komisch sind.“ Kokolores verabschiedete sich mit den Worten: „Und was ist mit den Unterhosen? Jaja, die Unterhosen, die immer zwischen die Pobacken rutschen …?“