Die elliptische Zirkulation unserer feinen Künstlertraumsonnen in Vibration versetzen

Hellblau blassrotes Schriftmotiv, trikolorisch geteilt von zwei schrägen Linien. Schrift "Unter den Heilpflanzen ist das Fahrrad eine der wirksamsten".

Die letzte fette Wolke des Winters schiebt sich langsam von vorne nach hinten. Szenerie ist das kosmodämonische Pflegeheim, in dem Freund Journalist F. seit nunmehr zwei Jahren wohnt (besser gesagt: ist). Die Luft ist recht kühl. Frau Soso und ich hantieren mit Handys, wechseln Sim-Karten, was F. selbst zu schwer fällt, als dass er eben mal die Karte vom einen ins andere Handy wechseln könnte. Beides alte Gurken, die sich im Zweikampf der Macken tagein tagaus miteinander messen. Mal hat das alte iPhone die Nase vorn und die Karte muss da raus und ins Android hinein, mal ist es umgekehrt. Nun ist es wohl definitiv, dass das iPhone den Kampf der Macken gewinnt, denn am Android ist die Ladebuchse dermaßen verwirkt, dass es nur noch mit wackelnden Kontakten und viel Glück aufzuladen geht. Eine Übertragung von Daten via USB-Stick funktioniert jedenfalls nicht mehr.

Immer öfter denke ich in den letzten paar Wintern, ob dies wohl der letzte Winter ist, den ich erlebe. Umso hoffnungsfroher macht mich die fette dunkelgraue Wolke über der Pflegeheimszene letztes Wochenende, wie sie sich unendlich langsam gen Horizont verzieht und am Rand ein goldener Sonnenschimmer aufleuchtet, Mal zu Mal größer wird, bezeugt von uns wackeren vor dem Pflegeheim Sitzenden, die es kaum erwarten können, dass die ersten Strahlen endlich über den Rand der Wolke schwappen. Sofort fühlen sich die durch die feuchte, kaum bewegte Luftmasse gekühlten eiskalten Knochen besser an. Ich weiß gar nicht, wie Journalist F. das aushält im Rollstuhl mit teils bloßen Körperteilen, sei es der Hals oder die Knöchel des Fußes, ich jedenfalls bin heilfroh, dass ich die Wollknieschoner und den Nierenschützer angezogen habe, zwei paar Socken. Den  kuscheligen Schal, den mir Freundin Lakritze einst strickte hab ich vergessen, aber nun kommt ja die Sonne.

Ob dies der letzte Winter ist denke ich – wie erwähnt – in den letzten Jahren immer öfter. Die Künstlerbude mit ihrer nur Holzofenheizung und der offen liegenden, Frost gefährdeten Wasserleitung bietet den charmanten Minimalkomfort wie seit bald zwei Jahrzehnten, kaum etwas hat sich verändert seit jeher. Nur ich. Ich werde empfindlicher, spüre den Frost schmerzhafter als auch schon. In den Zehen beginnt der Tod (fasst der Tod Fuß), kriecht sich über die Jahre heran an den Kern des Körpers, beinaufwärts in den Bauch, die Brust, zum Hals, zum Hirn und dann nimmt er dich mit in die Hölle oder in den Himmel oder nirgendwohin und du hörst in einem kalten Monat in naher Zukunft einfach auf, zu existieren. Punkt aus. Der Kalte Tod ist wie die fette Wolke über dem Pflegeheim unheimlich langsam und wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihm, dem kalten Tod oder ihr, der fetten Wolke dabei zuzuschauen wie sich etwas bewegt in der Hoffnung auf eine Erwartung für irgendwas, Wärme oder Erlösung, dann kann man sich dadurch das Leben zu Hölle machen. Das Gegenwärtigsein.

Warum schreibe ich das? Weil ich es mir zum Ziel gesetzt habe, öfter zu bloggen in diesem Jahr. Eine meiner feinen, brotlosen Kernarbeiten wieder aufzunehmen. Ich meine, mein Ziel Anfang Jahr wäre gewesen, einmal pro Woche einen Blogartikel auf irgendlink.de zu schreiben, einmal pro Monat in den Knotenpunkten und in allen anderen Blogs, die ich führe oder an denen ich beteiligt bin, mich wenigstens zu bemühen. Allen voran das Erdversteck.

Bloggen braucht Disziplin, was umso schwerer ist, wenn man dafür nicht materiell entlohnt wird, jaja, Geld, gute alte Droge des materiellen Austauschs hat schon eine magische, beschleunigende Wirkung. Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun würden oder Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie zwar gerne tun würden, sich aber nicht trauen oder zu träge dafür sind, oder sonst welche Gründe. Wie auch immer, würde ich bezahlt fürs Bloggen, nur mal angenommen, würde das dann etwas nützen? Vermutlich ja. Vermutlich wäre es aber auch vergleichbar mit den Gravitationsphänomenen, die man bei simplen Massenbegegnungen im Weltraum beobachten kann und mit denen es etwa möglich ist, die eigentlich unsichtbaren Exoplaneten, die es zu Hauf gibt da draußen, nachzuweisen. Geld als dunkle nicht sichtbare Masse, die die elliptische Zirkulation unserer feinen Künstlertraumsonnen in Vibration bringt. Ein komischer Vergleich. Mir war danach. Ich schaue zu viele Exoplanetenfilme.

Klammen Fingers gelingt uns die Operation an Journalist F.s beiden Handys und als wir fertig sind, zünden wir uns eine Zigarette an. Die Sonne ist da. Nebenan vor dem automatisch sich auf und zu schiebenden Eingang sitzt der Kettenraucher auf seinem Rollator und raucht Kette. Der Kettenraucher heißt so, weil er ständig hier draußen vor der Pforte sitzt. Derweil eine Frau am Rollator gehend durch die Schiebetür kommt, uns alle freundlich grüßt, eine Schleife von etwa fünf Metern dreht und eine halbe Minute später beim Wiederbetreten des Pflegeheims noch einmal freundlich grüßt, so als sähe sie uns zum ersten Mal.

Die Alltage im unendlich grauen, potentiell letzten Januar waren geprägt von Projektvorbereitungen. Ich skizzierte neben der Nordkap-Tour drei weitere Herzensprojekte, die ich möglicherweise in diesem Jahr durchführen könnte. Nicht alle, nur eins von den vieren. Also entweder oder Hessen, Baden-Württemberg oder die Schweiz. Mal schauen. Klar erkennbar, ist das Hessenprojekt am besten skizziert und das wohl wahrscheinlichste. Es hängt von zwei Gesundheitschecks Ende Monat ab wie sich das Jahr entwickelt. Über allem Jahresplan gaukelt immer noch die Raumforderung in der Niere, die ja auch eine einschneidende Lebensveränderung bedeuten könnte, wenn es sich dabei um einen bösartigen Tumor handelt. Die letzten Wochen konnte ich mich zum Glück durch Ignorieren und Verdrängen vor Hysterie bewahren. Was insbesondere in ruhigen Momenten, dann, wenn sich das Hirn mit aller Macht auf mögliches Leid und Sorge stürzt, viel Kraft kostete. Nur noch zwei Wochen bis zum MRT. Dann darf ich wieder echte Pläne machen, oder eben nicht.

Hier ein paar Karten.

Jenseits des Freestyles der Liveblogprojekte arbeitete ich an meinem Seedshirt-Shop. Ein Projekt, das ich zu Beginn des Winters intensivierte. Falls die geneigten Leserinnen und Leser dieses Blogs also Hemden oder Pullover oder Tassen kaufen möchten, schaut doch gerne mal vorbei. Es ist ein noch nicht so aufgeräumter Allesladen der feinen Künste. Aber das macht den Charme eines in Entstehung befindlichen Universums ja aus.

Hier ein paar Motiv-Schmankerl.

Last but not least die Zahlschranke des Artikels, wie immer ganz am Ende – aber es wäre fein, wenn Du mich auf meinem Steady HQ Profil unterstützen würdest. Alternativ verrate ich Dir meine Kontonummer.

Ans Kap oder UmsLand Hessen?

Jagdflugzeug als Skulptur auf einer grünen Wiese. Der linke Flügel und die spitze Nase bohren sich ins Grün.

Was ist es eigentlich, was mich so fasziniert am Nordkap als Reiseziel? Man riet mir ab. Die ganzen 3600 Kilometer durch Deutschland und Schweden auf dem Weg dahin im Jahr 2015 riet man mir ab. Fahre da nicht hin. Das ist langweilig. Ein Fels im Nebel mit einer von Menschen für Menschen gemachten Kugel darauf. Überlaufen. Touristen. Es gibt Schöneres, zum Beispiel Vardø.

Vardø bei Vadsø bei Kirkenes stelle ich mir auch nicht anders vor. Fels, Fels, Fels und drunten brandet die Barentssee. Bis zum Kap sind es von Vardø nur gut 250 Kilometer. Die russische Grenze ist nah. Bei schönem Wetter kann man die Kriegsschiffe in internationalen Wassern aus den Wellen ragen sehen, stelle ich mir vor. Unheimlich. Ich schweife ab.

Seit 2021 plane ich ein Remake meiner AnsKap-Radtour 2015. Aus pandemischen Gründen scheiterte das Vorhaben. Ich feiere sozusagen zwei Jahre nicht ans Kap radeln. Aber stimmt das? War die Pandemie tatsächlich der Grund, die Reise nicht anzutreten? Oder bin ich einfach nur alt geworden und drücke mich um meine Lebensträume herum, versuche ich unbewusst das Unbequeme, was das lange Reisen mit dem Fahrrad mit sich bringt zu vermeiden und schiebe äußere Einflüsse wie die Pandemie vor als Grund fürs Scheitern eines Vorhabens, das ich in Wahrheit gar nicht vorhabe?

Der echte Irgendlink auf dem Prüfstein. Komm, Junge, erzähl dir endlich die Wahrheit. Du willst es nicht. Du willst es. Du willst es, aber. Du willst es nicht, es sei denn … all die Zweifel. All das Weltgeschehen.

Wenn mein Leben ein Roman wäre und ich nur ein erfundener Protagonist, dann stünden dieser Jahre die äußeren und die inneren Konflikte blank und ganz klar. In einem alternden, vom Zerfall bedrohten Körper (ich erinnere an die unklare Raumforderung, siehe Beitrag zuvor), denkt und agiert einer, knallhart konfrontiert mit malmenden äußeren Mechanismen der Pandemie und des Kriegs.

Was denkst du wie das abgeht in der Kapregion, wenn die Sache in der Ukraine sich ausweitet! Die russische Grenze ist gerade mal 200 Kilometer entfernt. Lass die Finger davon, fahr meinetwegen nach Portugal.

Langanhaltendes Rumoren in der Gegend um Lakselv, ein tiefes Brummen wie Nachbrenner, Düsenantrieb, Tausendgestank und abscheuliche Gewalt liegt in der Luft. Ich bin fast alleine auf der E6. Der letzte schöne Sommertag. Weites sumpfiges Land oder Waldland oder ein See. Karger Bewuchs, ab und zu ein paar Rentiere, Holzlaster, spätsommerliche Wohnmobile. Zum Gruß und als Beifall für den Kapradler ein Hupen hie und da. Wenige zig Kilometer bis Lakselv, ein kleines Städtchen an der Barentssee. Natürlich gibt es einen Flughafen, Supermarkt, Tankstelle. Das Donnern in der Luft scheint mir nicht von zivilen Maschinen  zu rühren. Die würden starten, wegfliegen, leiser werden. Bald schon wird sich die Straße hinabstürzen zum Fjord. Links und rechts Schilder mit Warnungen. Militärisches Gebiet. Aha. Wie daheim zu Füßen von Ramstein also. Kampfjets, die nachhaltig nachbrennend und unsichtbar in der Luft liegen. Den akustischen Raum rings um den Fjord minuten-, ach was, viertelstundenlang beherrschen, nichts anderes zulassend als Lärm.

Muss ich mir das noch einmal antun?

Screenshot einer Postkarte zeigt eine Felswand mit zwei unheimlichen schwarzen Augen, die sich offenbar als Magmaströme in den Gesteinsschichten ausprägten.
iDogmakarte 128 2015

Wenns möglich ist, warum nicht! In meiner Erinnerung kratze ich allmögliche Orte zusammen, die ich während der Reise 2015 durchquerte. Einige, seltsamerweise nicht einmal die schönsten, sind immer da. Harte Gesteine die aus erodierten Erinnerungen ragen. Unheimlich geschundene Nutzwälder in Schweden etwa; jener verregnete Tag in Batskärsnäs im nördlichsten Bootshafen Schwedens; die starrenden Magmaaugen in einer Felswand an der E69; Steinmännchenstrand am Porsangerfjord und schließlich die drei Kilometer lange neun prozentige Sturzfahrt hinunter in den Nordkaptunnel …

Nichts ersetzt die Gegenwart. Früh morgens, einsames Gehöft. Mein Geburtstag 2023. Kann nicht mehr schlafen, also stehe ich auf, schüre den Holzofen ein, beginne bei 16 Grad, stelle das Nordkap in Frage. Wie so oft dieser Tage. Eigentlich musst du doch gar nicht mehr reisen, Herr Irgendlink. 2016 mit der letzten großen Tour nach Gibraltar hattest du all deine Ziele erreicht.

Mit dieser Reise geht eine Trilogie zu Ende. Ums Meer 2012, Ans Kap 2015 und Gibrantiago sind die Rohdaten für eine Europenner-Trilogie. Ich kann endlich beruhigt heimkehren und auch da bleiben und mich auf ein Leben als Schriftsteller freuen. In Gedanken fabuliere ich, dass mit diesen drei Reisen und den Kunstfotos daraus auch fast schon ein kleines Lebenswerk fertig geworden ist.

Ich bin sehr zufrieden. (Europenner-Blog 2016)

Das Ziel ist nicht das Ziel. Der Weg ist auch nicht das Ziel. Es gibt keine Ziele. Alles läuft auf Orientierungslosigkeit hinaus und mit ihr kommt das Vertrauen. Vertrauen darin, dass es immer irgendwie weiter geht. Auch im Stillstand geht es weiter. Nur eben so langsam, dass man es nicht bemerkt. Auf diese Weise wirst du ein Ziel erreichen, ohne ein Ziel zu haben, vertrau dir. Postuliere ich altklug.

Das Jahr ist offen. Das Nordkap im Visier wie jedes Jahr. Na klar. Was soll ich denn sonst ins Visier nehmen … achje, da gibt es Vieles. Das Viele ist mein Fallback, falls das mit der Raumforderung schief geht. Dann mache ich die kleinen feinen Dinge. Durchs Elsass zur Liebsten radeln. Ha, die Tour, nur 350 Kilometer, wiederholste doch auch immer wieder und es ist immer anders, immer neu, immer abwechslungsreich, obwohl du oft die gleiche Strecke radelst. Wenn man sich von der viel beschrienen Bucketliste der Zutuns in dieser Welt verabschiedet, findet man seinen Frieden. Dann weicht jeder Druck. Darf wieder und wieder, darf anders. Man kann alles immer wieder tun und es wird Freude bereiten. Es wird trotzdem etwas Neues. Im Alteingelatschten können wir immer Neues entdecken, sagt die Hoffnung, sagt die Ahnung. Wir dürfen uns nur nicht blenden lassen von den Verlockungen vermeintlichen Neuens.

Im mürbenden Nachdenken über den Sinn der bevorstehenden Reise gebiert sich die Erkenntnis, dass das Einzige was ich an Langstreckenabenteuern noch tun könnte und was wirklich neu wäre, eine Umradelung der Erde wäre. Möglich wärs. Tun werde ich es nicht. Warum? Weil ich an einer früheren Stelle des Lebens eine andere Abzweigung genommen habe. Mich ein zwei Jahre rauszunehmen, die Liebsten und Nächsten zurück zu lassen, wäre eine Gewalttat gegen die Liebsten und auch gegen mich.

Künstlerbude, fast sechs Uhr früh. Der Artikel nimmt einen komplizierten Lauf, so dass ich ihn wohl erst einmal in den Privatmodus setze. Ist es den Lesenden zuzumuten, hin- und her- und abzuschweifen? Dieses katzengleiche, sich mit einem Wollknäuel balgende Künstler- und Schreibendenhirn. Putzig.

Kap oder nicht? Alles ist offen. Im Mai könnte ich starten. Ich habe ein Winterzelt gekauft, das ich mir selbst zum Geburtstag schenke. Ich habe aber auch Radrouten Hessens herunter geladen, denn ein Hessen wäre natürlich auch ein feines Projekt. Beständigkeit, Beharrlichkeit. Abwarten. Vorankommen im Verharren. Zusehen wie sich die offenen Fäden der Zukunft zu Gegenwart verwinden, für den Moment klar und stark und unzerreißbar und schon Momente später spleisen die Fasern, löst sich alles auf, verschwindet in einer mal zu mal verschwimmenden Unschärfe der Erinnerung bis zur Unkenntlichkeit des Nichts.

Ich spraye ein Graffito auf die Paywall am Ende des Artikels.

 

 

 

Nicht alle sind gleichzeitig unglücklich. Das ist unsere geheime Superkraft.

Wie durch einen verträumten Filter geschautes Bild einer Eisenbahnstrecke, in der Horizontalen um etwa 15 Grad gekippt, was den Betrunken-Blickwinkel noch verstärkt.

Wohlan. Das Jahr mag beginnen. Als ich aus den Ferien irgendwo in der Gegend um Bagnols-sur-Cèze zurück kehre, liegt ein ganzer Stapel Post auf dem Tisch. Weihnachtspost von lieben Menschen, aber auch behördliches und ein paar Briefe zur Pflegschaft von Freund Journalist F. Diese Briefe reiße ich zuerst auf, fieberhaft, und ja, danke, Maschine, danke System, danke liebe Verwaltungsangestellten, meine Widerrufe wurden erhört und der Journalist wird gnädiger Weise unterstützt, erhält medizinische Hilfsmittel, gottlob und ich bin happy. Auch über die Post von Freundinnen und Freunden, bin ich so froh, postweihnachtlich umschmiegt von Liebe und freundlichen Worten, Preziosen hie und da und so drifte ich durch den heutigen Tag. Erst einmal Journalist F. mit Medikamenten versorgen. Wir treffen uns wie Dealer und Junkie vorm örtlichen Großklinikum, wo uns der nasse Janauarwind umpfeift, ich ihm zwei Päckchen reiche, die ich zuvor in der Apotheke des Großklinikums gekauft habe, er mir Scheine in die Hand drückt, jaja, Dealer und Junkie, so sage ich es zu ihm und er lacht und schon muss er weg, hinein ins kosmodämonische Klinikum zur leidigen Dialyse, die sein Leben bestimmt.

Ich schwinge mich aufs Fahrrad, nennt mich nassforsch, und drehe eine Runde durch die Gegend, besuche unterwegs wohnende Freunde, wünsche ihnen Prost Neues Jahr zwischen Tür und Angel. Krankheit und Leid leider beim einen, aber auch Ruhe und Glück bei anderen. Nicht alle sind gleichzeitig unglücklich. Das ist unsere geheime Superkraft.

Von Homburg nach Zweibrücken über den Bliesradweg im Nieselregen, das Leben sinnierend, eigentlich geht es mir ja gut denkend. Wäre da nicht das Damokles Schwert einer Raumforderung – so steht es auf einem Überweisungsschein, der in einem der unerfreulicheren Briefe steckte, die auf meinem postweihnachtlichen Posteingangstischchen lagen.  „RF Niere“ für den Urologen mit der Bitte um Weiterbehandlung. Was mich mich ein bisschen verschachert fühlen macht. Mein Hausarzt gibt mich weiter an den nächsten … nimm reichlich, Kollege, es ist genug für alle da. Egal. Die Raumforderung – ich musste dieses RF erst einmal per Suchmaschine herausfinden, was es überhaupt bedeutet, beunruhigt mich ja schon seit Ende November, als sie bei einem Routinecheck festgestellt wurde. In den Weihnachtsferien drunten an der Cèze war sie zum Glück weg. Beschwerden gibt es auch keine, aber eben, Doktor Google, mein Freund und Angstmacher, sagt zum Thema Raumforderung nicht nur Beruhigendes.

Ich gehe etwas beunruhigt ins neue Jahr.

Eigentlich hatte ich es mir viel entspannter vorgestellt: den Januar und den Februar in der arschkalten Künstlerbude zu überstehen und mit den ersten starken Sonnentagen nach Norden aufzubrechen. Ziel , per Fahrrad bis zur Ostsee, Dänemark, ein bissel Schweden zum Üben und dann den Königsweg zum Nordkap zu nehmen durchs Fjordland.

Nein nein, es geht mir wirklich nicht schlecht. Ich bin nur ein wenig besorgt ob des Unbekannten, das in mir ist (und mich zum Glück überhaupt nicht quält – die junge Ärztin, die den Ultraschallfund Ende November machte, sprach gar von Nierensteinen. Das klingt doch gleich etwas weniger dramatisch als malignes Irgendwas …)

Doch zurück zum Jahresplan und zu diesem Blogeintrag. Ich schweife ab. Ende 22 hatte ich angefangen, mein Arbeiten neu einzurichten, nachdem ich bemerkt hatte, dass ich schleichend so gut wie gar nicht mehr in meinem ebenso geliebten wie brotlosen Künstlerberuf arbeitete, sondern stattdessen Hausmeister- und IT-Arbeiten und Kümmerjobs und Gutestun erledigte, alles natürlich auch wichtig. Es schien mir nur … nunja, das Bloggen und die Kunst und das Schreiben kamen eindeutig viel zu kurz. Ein sechswöchiges Covidintermezzo im Oktober tat sein Übriges, Mann Mann Mann, wenn man das hochrechnet, wenn viele so lange an der Krankheit laborieren … hundert kumulierte Jahre des Siechtums.

Ich schwankte, ob ich nicht besser den Künstlerberuf drangebe und mir ein feines Angestelltennestchen irgendwo in einem Amt einrichte. Doof nur: ich bin zu alt dafür. Außerdem liebe ich es, nicht handelnd dennoch voran zu kommen. Das ist auch so eine Superkraft.

Mehr Disziplin. Mehr Ich wagen. Mehr bloggen. Das sind meine Ziele. Bei einer Passwort- und tote-Accounts-Aufräumaktion kam mir eine Webseite für die ich mich mal angemeldet hatte unter die Finger. Schon wollte ich den Account einstampfen, als mir bei näherem Betrachten klar wurde, dass es sich mit Steadyhq ja um eine Art Werkzeug handelt, das ich als vielseitig interessierter Appspressionist vielleicht gut nutzen kann. Ein Spaten, mit dem ich den monetären Garten umgraben kann. So richtete ich also ein Profil ein und verzahnte es sogleich mit diesem Blog.

Das damit eine Art Paywall erhalten sollte. Aber keine Sorge, den Weiterlesen-für-Bezahlung-Link füge ich erst ganz unten in diesem Artikel ein. Danach kommt garantiert kein Wort mehr. Du darfst natürlich gerne trotzdem …
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Hab Dank!

Endstation Tweetsucht

Ringsum zieht man in die Schlacht. Es ist ein faszinierendes Phänomen. Ein Wirbel an Wut, Anklage, Widerrede, Gewalt mitunter. Jeder Mensch kennt seine eigene kleine Lösung und bläst sie in diversen sozialen Kanälen ungeniert hinaus in die Welt. Es kommt mir vor wie ein Schwarzes Loch an Streitthemen, in das man unweigerlich hinein gesaugt wird und zum Mitstreiten verurteilt wird, wenn man sich darauf einlässt.

Selbst friedlichste Zeitgenossinnen und Zeitgenossen (Typen wie ich eigentlich) geraten in den Strom, mischen sich in sinnlose Taubenschachdiskussionen ein und ziehen ihre Freundinnen und Freunde mit hinein.

Von Facebook hatte ich mich schon vor zwei Monaten zurückgezogen und das klappt auch recht gut. Instagram dito. Nur Twitter spült mir noch den alltäglichen Kleinkrieg ins Hirn. Endstation Tweetsucht.

Nachdem ich die letzten Tage dumme Leute und Bots (ich habe die seltene Gabe, Bots fast immer auf den ersten Blick zu erkennen und sie einzuordnen) blockend auf Twitter unterwegs war, habe ich die Reißleine gezogen und mich abgemeldet. Von der Radikalmaßnahme, den ganzen Account zu löschen, sah ich ab, da dies auch bedeutet hätte, dass einige wichtige Schlagworte, die ich selbst geprägt hatte, ihre Wurzeln verlieren würden. Niemand könnte mehr nachvollziehen, worum es ursprünglich unter ging, oder was es mit den auf sich hat, mit und was zum Teufel ist denn , und

Mal schauen, wie lange ich durchhalte. Blogtexte wie dieser werden automatisch zu Twitter gepostet. Tweet gewordene Sackgassen, in denen du nie eine Antwort erhalten wirst.

Im Grunde verwandele ich mich selbst in einen Bot.