Irgendlinks schwerster Fall

Wenn es ans Ausbaldowern von Kunstreiseprojekten geht, bin ich wie ein Kampfhund, beiße mich fest, kann nicht mehr loslassen. Jo Nesbø hat in seinem Roman „Der Erlöser“ eine eindrucksvolle Szene geschrieben, in der sein Held, Harry Hole einen Drogensüchtigen in einem Containerhafen sucht. Dabei muss der Kommisar in ein, von Hunden bewachtes Gelände eindringen, wird erwischt von einem unheimlichen Vieh, einem „Schwarzen Irgendwas“, der dafür bekannt sei, dass er sich so fest in seine Beute verbeißt, dass er noch nicht einmal loslässt, wenn man ihm den Kopf abschlägt. „Irgendwas“ steht für den Namen der Hunderasse. Ich hab ihn vergessen. Aber „Schwarzer“ kam darin vor, und in meiner Phantasie hat das Vieh einen schlanken Körper und einen Kopf, der nur aus Maul besteht.

Bin ich wirklich so verbissen, wenn es um die Kunst geht? Projektversessen war ich schon immer. Diesertage geht es heiß her im Hintergrund der Irgendlink-Webseite. Designumstrukturierung, Statistik, potentielle Werbeplätze habe ich eingebaut. Die Größe des Projekts verlangt das.

Heute stapfen  wir durch die Kälte, die SoSo und ich, wobei mich manchmal wie ein Blitz die Idee überkommt, ich könnte an der Runde „Ums Meer“ scheitern. Dann wird mir ganz flau. In der Nähe von Charleroi etwa – kaum 300 km westlich von Zweibrücken – könnte ich mich einsam und verlassen fühlen, das Wetter könnte mies sein, die Gegend  wäre hässlich und die Menschen gemein und alle Widrigkeiten, die das Reiseleben zu bieten hat, könnten wie ein Kübel Mist über mir ausgeschüttet sich anfühlen und ich könnte die Lust verspüren, direkt umzukehren und mich daheim hinter den Ofen zu setzen und ein gutes Buch zu lesen. Wollen. Verdammt! So wird es auch kommen. Es wird diese absoluten Hänger-Tage geben auf der Reise, an denen ich sofort-zu-Hause-sein-will. Und es wird die Tage geben, an denen ich an dem großen Projekt jämmerlich zweifeln werde.

Hatte ich je von meiner kürzesten Langstrecken Radtour erzählt? Sie führte im November 1990 nach Gibraltar. In dem kleinen Dorf in der Nordpfalz, in dem ich bei Minusgraden und dichtem Nebel startete, verhöhnte mich eine alte Frau auf dem Weg zum Metzger, Spinner, zischte sie quer über die Hauptstraße und packte ihren Enkel fest bei der Hand. Ich schaffte es bis nach Johanniskreuz im Pfälzer Wald. Wo sich, dank der Höhe, der Nebel lichtete. Im Queichtal bei Annweiler wieder dichte, nervenzermürbende Suppe, so dass ich kurzer Hand in einer Telefonzelle zu Hause anrief und mich abholen ließ. Die kürzeste Langstrecken Radtour meines Lebens. Abends freute ich mich vor der Glotze an einer Folge von „The Unknown Stuntman“. Zwei Monate später radelte ich während des ersten Golfkriegs bis nach Valencia.

Es beunruhigt mich, das kommende Projekt derart an die große Glocke zu hängen. Ich suche nach einem Weg, mir meine unbedarfte Freiheit (die ja immer da ist, so wie Luft) und die arglose Unbeschwertheit zu verinnerlichen. Schon merkwürdig, dass man ständig am Wegesuchen ist im Leben. Und dass im Nachhinein alles so einfach war und die Lösung so offensichtlich gewesen sein wird.

Ich erinnere mich, dass es eiskalt war im „Erlöser“. Dass ich mir vorgestellt habe, wie schlimm es sein muss bei der Kälte mit einem Hund am Bein (sprichwörtlich) draußen zu sein. Eine winterliches Oslo hat Nesbø gezeichnet, und zudem ein knallhartes Drogenmillieu, so dass mir ehrlich gesagt die Lust vergangen ist, noch einmal mit dem Fahrrad durch Oslo zu radeln – es liegt auch nicht explizit am Nordseeradweg. Dennoch, wenn es das Oslo aus meiner Erinnerung wäre und Jo Nesbø in seiner Krimireihe die guten Erinnerungen nicht „überschrieben“ hätte, es wäre einen Abstecher wert. Hole löst den Fall. Er ist nämlich auch einer, der sich festbeißt. Alle Fälle hat er gelöst, von Mal zu Mal ein bisschen malträtierter.

Meditation oder Schmiergeld

Eine Zahl zwischen 7 und 122, fragt sie.
63.
Und jetzt eine zwischen 1 und 5.
5.
Wie hast du herausgefunden, was dir beim Sex die größte Lust bereitet, liest sie, oder hast du es noch gar nicht herausgefunden?
Derweil schmiere ich Pausenbrote für die Arbeit. Ist Brotkauf verdeckte Schmiergeldzahlung?
Darüber kannst du heute meditieren, sagt sie und klappt das Buch mit den vielen Fragen zur Besinnung zu.

Vielleicht muss die Zeit rennen

Wie fremd sich der Rechner anfühlt. eine knappe Woche hat er im Rucksack gelegen. Ich bin gar nicht dazu gekommen, die Reisesachen auszupacken. Das Jahr fürs Feine hat es verdammt noch eins in sich. Gestern dachte ich: Der März ist eigentlich schon rum. So viele Termine gibt es. In Tateinheit mit darüber-nachdenken, ob man mit jedem Mal, das man versucht, das Leben zu entschleunigen, es nur noch schneller macht. Den Camino zu wandern muss somit der Supergau gewesen sein. Nie hat sich ein Jahr schneller herein geschoben, als 2011. Wie ich so im Bett liege und ein Buch lese in der gemütlichen, vom Wind umzausten Künstlerbude, muss ich immer wieder darüber nachdenken, ob der Monat in Nordspanien schuld daran ist, dass 2011 sich so schnell dreht.

Vielleicht liegt es aber auch an der Feinarbeit. An den Relationen. Mir kommt dieser Berg im Süden Islands in den Sinn, auf welchen man von Osten kommend als Radler einen knappen Tag zufährt und das Ding zum Greifen nah wähnt, aber es kommt und kommt nicht näher; ein schlechtes invertiertes Bild vielleicht, wenn man das Radfahren versus das Autofahren als Arbeit am Feinen versus Grobarbeit betrachtet und einen Tag lang in der Westwindzone des Südens als eine Art ewige Gegenwart empfindet, wenn nicht sogar als auf der Stelle stehen. Mit dem Auto hat man die Geröllhalde südlich der Gletscher vielleicht in drei Stunden durchquert und der riesige Berg steht plötzlich vor einem. Wenn Du am Feinen arbeitest, bist du wie der Radler – bewegst dich, ohne sichtlich voran zu kommen.

Letztes Wochenende habe ich begonnen, Bern aufzuräumen. Mein Stadtportrait ist in geschätzten vier vollen Arbeitstagen fertig. Die Innenstadt und alle Quartiere links der Aare habe ich fast vollständig gescannt. Als Basis meines Portraits dienen mir die Straßennamen. Da es sich bei Bern um eine europäische Hauptstadt handelt, bin ich so akribisch. 2004 habe ich das viel größere Mainz derart portraitiert – aber ich hatte nicht den Anspruch, die gesamte Stadt zu scannen. Die Feinarbeit war mir einfach zu viel. In Mainz klaffen einige Lücken, was den Straßenindex betrifft. Die Konzeptausstellung war trotzdem gelungen. Bern soll ein Meisterstück werden. Zwei volle Arbeitstage habe ich letzte Woche damit verbracht, mit Stadtplan und Textmarkern und Computer die vergessenen Straßen heraus zu finden, immer wenn ich eine im Index des Stadtplans entdeckte, die noch nicht im Bilderordner war, markierte ich sie mit einem Punkt. Zuvor hatte ich alle Dateien in ein Verzeichnis kopiert und ihnen die Namen der jeweiligen Straßen verpasst. Auch Arbeit. Man verzeihe mir die Nähkästchenplauderei. Dann markierte ich die Straßen im Stadtplan – hinaus zu fahren und sie zu fotografieren war ein Kinderspiel. Grobarbeit.

Auf allen Ebenen geht es ans Feine. Sogar außerhalb meiner kleinen Künstlerwelt. So habe ich den Eindruck, dass auch die Tackerwerkstatt derzeit auf Feinarbeit geschaltet ist – sieht man mal von dem Mega-Einsatz am Viehmarkt in Trier, neulich, ab – den lieben langen Tag repariere ich Möbel, eine sehr langsame Arbeit, da all die Tackernadeln, die beim Bau gesetzt werden, wieder herausgezogen werden müssen, um schadhaftes Leder zu erneuern.

Vielleicht muss 2011 das Jahr fürs Feine sein. Vielleicht muss die Zeit rennen.