Vom gesellschaftlichen Innendruck – soziales Glaukom

Schon wieder so spät.

Auf der Suche nach etwas, was wirklich in die Tiefe geht im Web. So ein Blog zum Beispiel, wie ich es mir selbst zutrauen würde zu schreiben, mit viel Muse und Fleiß, aller Energie des Universums – bin sicher, dass es solche Blogs gibt, werte Kolleginnen und Kollegen, die einem mit dem notwendigen emotionalen Input versorgen, Zeile für Zeile an einem wohlverdienten Feierabend, und man könnte das dann lesen und sich sagen, wow, das isses, das stimuliert mich. Es regt mich an, hilft mir weiter. Oder wenigstens: es tröstet meine Seele. Jemand der alles gibt – das sollte sich anfühlen wie ein guter Roman ala Hesse oder meinetwegen auch Celine passagenweise. Nur eben in Blogform und täglich neu, so dass man sich abends nach vollbrachter Arbeit die Seelenpakete abholen kann.

Konsumentenfreundliche Seelenschreibe.

Das einsame Gehöft liegt unter seichtem Sternenhimmel. Viel ereignet hat sich nicht heute. Ich bin mit der Omnibusseite ein paar Schritte weiter gekommen. Stehe unter selbstgebasteltem Zeitdruck, weil ich meinem Auftraggeber nächste Woche einen Online-Entwurf präsentieren will. CSS gewälzt. Frühmorgens stand ich ganz schön auf dem Schlauch, bis es irgendwann klick gemacht hat, und ich habe die Sache kapiert. Perverserweise hatte ich das Problem schon vor Wochen gelöst und wusste es nicht mehr.

Eben im Atelier, dieser 50 Meter langen Scheune, gehockt und über mein Leben nachgedacht. Das ist ja ziemlich verwirkt. Das bisschen Erfolg der letzten Wochen sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass ich für den normalen weltwirtschaftlichen Betrieb untauglich bin. Ich bin der Europenner, jene Figur, die ich vor zehn fünfzehn Jahren an einem stürmischen Herbsttag erfunden habe. Damals war so eine komische Zeit, in der alles und jeder mit dem Wörtchen „Euro“ werben wollte und so prangten auf den Plakatwänden vor dem Supermarkt des Städchens Oppenheim riesige Eurokids mit ihren feinen tornisterähnlichen Schulranzen. Keine Ahnung, wer mit Eurokids werben wollte. War jedenfalls hip und der Wind fetzte durch die engen Gassen hinunter zum Rhein, ich wollte Joghurt kaufen oder Bier oder beides. Die Eurokids hingen in Fetzen. Das machte mich schadenfroh und ich erfand den Europenner, eine Figur, die durchs Sieb der Gesellschaft gerasselt ist, nicht wirklich unter der Brücke leben muss, wie all die anderen armen Teufel, aber auch nicht wirklich funktioniert im Getriebe der zeitgenössichen Wirtschaft. Warum nicht funktioniert? Das weiß ich nicht mehr so genau. Im Nachhinein wird klar, das ein Stück dieser Kunstfigur an mir kleben geblieben ist. Ich könnte, glaube ich, Beamter sein oder Bauingenieur oder Rechtsanwalt, vielleicht sogar Künstler. Aber all dem hängt der Geschmack von Kompromiss an – besser, von Nichterfüllung der Bedingeungen. Welcher Bedingungen? Bedingungen, die man sich irgendwann einmal ausgedacht hat, und die stimmen müssen, damit man sich absolut wohl fühlt.

Nun könnte man sagen, es ist nicht möglich, sich absolut wohl zu fühlen in einer Welt wie dieser. Wir alle müssen Kompromisse eingehen, wir alle stehen unter dem Druck, zu handeln und mit dem Einen, was wir geben, kaufen wir etwas Anderes, was wir nehmen dürfen, sei es Sicherheit oder Liebe. Wir kaufen sie dadurch, dass wir alltäglich ein und die selbe trostlose Tätigkeit ausüben, obwohl sie uns anekelt, obwohl die Kollegen scheiße und unmotiviert und so ganz und gar fehl am Platz sind. Das perfekte Glück gibt es nicht. Es gibt nur glückliche Momente, Nischen, in denen wir für kurze Zeit nisten wie Schwalben.

Der gesellschaftliche Innendruck. So eine Art Grüner Star des Konsums oder des Begehrens. Das wurde mir bewusst beim Besuch bei Freunden. Wie anders sie leben. Sie haben die neuesten Sofas, Dreisitzer aus Leder. Schrankwände voller Bücher, pyramidonale Kerzen von Ikea stehen auf dem Glastisch. Ihre Wohnung hat Zentralheizung. Sie kleiden sich anständig, gehen alle zwei Wochen zum Frisör, riechen gut. Nicht, dass ich schlecht röche, aber mich unterscheidet einiges vom herkömmlichen Menschen. Wenn ich den herkömmlichen Menschen in seiner herkömmlichen Wohnung besuche, bin ich stark minderwertigkeitskomplex-gefährdet. Schließlich haben sie all das, was ich nicht habe. Aber der Forscher obsiegt in der Regel und dann wird mir am Beispiel dieser herkömmlichen Wohnungen klar, wie hoch der gesellschaftliche Innendruck ist auf uns Menschen, wenn wir bei den Nachbarn zu Besuch sind und sehen, was sie so alles haben, was sie sich leisten können, und wie sieht es bei uns aus? Unter aller Sau, wir müssen nachrüsten, wir brauchen Schrankwände und Sofas mit Rizzimotiven und Ikeakerzen auf Glastischen. Das spornt uns an.

Ich bin nicht ganz frei davon. Aber fast.

Ich rede von einem Gefühl wie es einem in einem Supermarkt samstags manchmal überkommt, wenn Hinz und Kunz einkauft und alle streben auf der Suche nach Grillfleisch, Brötchen, Käse durch die Einkaufsstraße, Kasse im Visier. Alle sind versucht zu rennen, um vor dem Nächsten anstehen zu dürfen.

Eine Entschleunigung des Begehrens scheint verlockend.

Die Grenze, der Markt, schließt um Acht und immer kommen alle raus. Das ist eine grundlegende Erkenntnis wie etwa: wir werden geboren und wir sterben.

Dazwischen könnte so etwas wie Glück liegen.

Im Cache war Hoffnung

Irgendwie das Bedürfnis, etwas aufzuschreiben. In diversen Blogs ansatzweise Kommentare hinterlassen, sie wieder gelöscht, weitergelesen, auf einer Welle durch das weltweiteweb geschwappt, mich treiben lassen von hie nach da. Nun beschlossen, einfachen Tagebuchstil zu verfolgen, hier im heimischen Blog. Hoch lebe der Alltag. Hoch lebe das eigene kleine Leben. Es gibt nichts, was sich besser anfühlt, nichts, worum man andere beneiden müsste.

Frühmorgens rief Cache-Kollege O.H. an. Mein Geocache „Im Cache ist Hoffnung“ war seit 7:22 Uhr freigeschaltet. O.H. scheint direkt nach dem Aufstehen die Datenbank auf www.geocaching.com zu fleddern, um zu schauen, was es Neues gibt an der Schnitzeljagd-Front. Den zweiten Cache, den ich gestern in die Datenbank gestellt habe, „Hau Ruck“ ganz in der Nähe, würde er auch noch machen.

Später kam eine Mail, wir könnten uns bei „Im Cache ist Hoffnung“ treffen auf ein Feierabendbier. Da sagte ich natürlich nicht nein, schließlich liegt das Versteck an meiner Feierabend-Radelstrecke. „Im Cache ist Hoffnung“ hat was. Das Versteck ist in einem ehemaligen Freilichtaltar, kleine Tupperdose mit Logbuch und ein bisschen Kleinkram zum Tauschen, wie das in der Cacher-Szene so üblich ist. Eine friedliche Sache. 17 Uhr trafen wir uns vor Ort. Muss schon merkwürdig wirken: zwei Männer mitten in grüner Wiese lümmeln auf dem ehemaligen Altar.

Ein LKW näherte sich, und ein Allradauto. Sie überquerten die Wiese, kamen direkt auf uns zu. Auf dem LKW lag ein vier Meter großes Kreuz.

Im Cache war Hoffnung

Die werden den Betrieb hier doch nicht wieder aufnehmen wollen, raunte ich O.H. zu.

Natürlich nehmen die den Betrieb wieder auf. Die Männer kippten das Stahlkreuz von der Pritsche. Vermutlich wunderten sie sich, was wir dort zu suchen haben.

Nun habe ich ein Problem: das coole Versteck muss ich wohl aufgeben, weil diese Christen hier wieder beten wollen – schon am Vetertag, konnte ich dem Gespräch zwischen Pfarrer und Kreuzzulieferer entnehmen.

„Im Cache ist Hoffnung“ ist ein Geocache nach meinem Geschmack. Im Sockel des alten Kreuzes, welches von Vandalen vor einiger Zeit zerhackt wurde, habe ich die Kiste mit Logbuch etc. versteckt. Auf dem Sockel sind die Worte: „Im Kreuz ist Hoffnung“ eingemeißelt. Das fand ich witzig und den Ort prima geeignet für einen Geocache. Hoch über der Stadt mitten in einer Streuobstwiese, ideal, um sich feierabends auf ein Bier zu treffen und ein paar predigende Worte zu wechseln, nuja, nun wird bald wieder in echt gepredigt. Ist ja auch was.

Das Grießbrei-Milch-Dilemma

Panorama Rapsfeld und Obstbaumallee

Noch so ein brillianter Tag. Morgens habe ich bis zu den Kopfschmerzen „geHTMLt“. Die Omnibusseite. Gegen 15 Uhr ging nichts mehr. Draußen Sonne und Dolce Vita. Also aufs Radel gesetzt und zwei neue Geocaches ausgebracht. Das war ziemlich entspannend. Vorhin wollte ich an der Bus-Seite weiterschuften, aber der Kopf war leer, also habe ich die Caches in die Datenbank bei www.geocaching.com eingestellt, damit die werten Cache-Kolleginnen und Kollegen gleich morgen nach Feierabend hinausfahren können, um den abenteuerlichen Pfaden zu folgen.

Was noch? Mittags rief die Hauptstadtethnologin (HE) an und wir erörterten das Problem, verreisen zu müssen, aber noch zwei Liter Milch offen zu haben. Was tun? Milch trinken geht nicht, denn die HE trinkt kaum Milch.

Man könnte Grießbrei davon kochen, und ihn einfrieren, sagte die Hauptstadtethnologin. Das warf das Problem auf, der Gefrierschrank ist voller Brötchen. Dann taue die Brötchen auf und iss sie, sagte ich. Soviel packe ich aber nicht, erwiderte die HE.

Dilemma.

Immerhin ist deine Gefriertruhe nicht voller Vögel, Hamster und Marder, so wie der von Frau Kokolores, witzelte ich.

Das Milchproblem: Du könntest die Milch in Plastiktüten füllen und sie zwischen die Brötchen in die Lücken quetschen, sagte ich.

Eine Möglichkeit, zweifellos.

Nimm besser Kondome, die sind stärker als Plastiktüten.

Die haben aber eine Feuchtfromm-Beschichtung.

Auswaschen?

Immer noch Dilemma.

Die Milch an Nachbarn zu verschenken schien der HE etwas verschroben – was sollen die denn denken?

Es stellte sich heraus, das einer der beiden Liter Milch eigentlich gar nicht ihr gehört, sondern ihrem Freund.

Ein Verlagertes Problem.

Dank Flatrate konnten wir die Sache bis ins kleinste Detail erörtern – ich erspare meinen Lesern weitere Einzelheiten.

Am Ende beschlossen wir die Grießbrei-Lösung, den Grießbrei kann man auch prima im Flieger mitnehmen, weil er nicht so flüssig ist wie Milch und sich auch länger hält.

Nun erwarte ich am Wochenende eine Lieferung Hauptstadtethnologin nebst Grießbrei – wenn der Raps (siehe oben) nicht mehr so stark blüht und die geschädigten Bronchien der HE mit Pollen überflutet.

 

The Kunst must go on

Dieser brilliante Frühling! Wenn es wahr ist, dass man auf dem Höhepunkt sterben sollte oder abdanken oder aufhören, dann wär’s wohl im Herbst vorbei. Besser als jetzt kann das Leben nicht mehr werden. Alles brummt: die Bienen, die Wirtschaft, Motoren, das Leben pulsiert, so dass man die Adern – wo auch immer – sich heben und senken sieht.

Guter Tag.Während Ubuntu 7.04 (das heißt, dass die Distribution 2007 im April ausgegeben wurde) herrunterlädt dusche ich mich, rasieren glaub ich auch, um mich fein zu machen für den Kulturtrip mit Journalist F. Zuerst: langweilige Fotoausstellung zum Thema Minirock mit perfekten Fotos auf Aludibond, dann Ausstellung im örtlichen Altenheim. Von der hab ich allerdings nichts mitgekriegt, weil ich meinem Onkel W. einen Kurzbesuch abgestattet habe. Lange nicht gesehen, das Befinden des alten Herrn liegt mir am Herzen – ich kann mich mit seiner Lone-Wolf-Mentalität gut identifzieren.

Später nach Pirmasens zur Aktion Kunstprozesse, eine Wohlfühlausstellung, die in den nächsten beiden Wochen wachsen wird. Fühlte mich an meine subkulturelle Zeit in Mainz erinnert und so etwas öffnet das Herz.

Wie tief muss man sinken, um Einlass in den langweiligen siebten Himmel der Kunst zu erhalten, muss all dem Coolen, Schmutzigen, Gottlosen, Unehrenhaften, Nienieniebezahlten entsagen. Ein bisschen sehne ich mich zurück in die gute alte Hungerleider-Zeit, in der man noch nicht rechnete und auf Profit aus war.

Gut, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Seit ich für den örtlichen Omnibusgiganten arbeite, fühlt sich jedoch Zeit ein bisschen anders an und man wird nachdenklich, wenn man Dinge tut, mit denen man kaum etwas verdient.

Trotzdem The Kunst will go on.

Irgendwann.