Ein wichtiger Link

Wildgans hat mit diesem Artikel die Leitsätze, die ich bisher fürs Schreiben wichtig hielt, Jack Kerouacs  Wie schreibt man moderne Prosa aus Unterwegs, letzte Seite, erneuert. Endlich. Über 50 Jahre musste ich darauf warten.

Die böse Stimme aus dem Off

„Herr Irgendlink, haben sie noch irgendwas von Wert für ihre Leser?“

Diese bohrende Stimme aus dem Off.

„Öhmm,“ druckse ich herum, „nuja, liege auf der Südterrasse und schaue den Wolken beim Quellen zu. Mann, geht’s da ab! Haushohe Dinger, die sich wie unheimliche Monster zum Zu-Tode-fürchten über dich beugen und von Norden oder Osten wälzt Donner über das Land. Au warte. Mir kann das alles nix anhaben, weil ja Blitzableiter auf dem alten Scheunendach sind und ich, wenn es so richtig kracht, mich im alten Silo verkrieche, welcher ringsum mit Stahlbeton versiegelt ist, der perfekte Faraday’sche Käfig.“

„Tatata, nu mal langsam,“ befiehlt die Stimme aus dem Off, „nicht so euphorisch, nicht so privat, und hör‘ endlich auf über das Wetter zu labern. Gib denen mal wieder etwas von gesellschaftlicher Relevanz. Seit drei Tagen herrscht Schweigen in diesem Blog. Sag‘ mal was über den Sinn des Lebens oder über die Art und Weise, wie man sich selbst freischaufelt, um sich für immer wohl zu fühlen.“

„Öhmmm??“

„Na, die Sache mit dem Sterben und dass Menschen ab 40, so wie du, nix mehr taugen, weil sie sich selbst überlebt haben, weil sie eigentlich schon längst tot sein müssten und weil ihnen das, insbesondere dir selbst, eine Menge Schmerzen ersparen würde.“

„Ach daaas. War doch nur komisches Gedenke. Hab ich mal eben aus dem Kopf gekramt, als Idee, um sie zu prüfen, zu verwerfen, mich in den Liegestuhl zurück zu lehnen, tief einzuatmen, den wuchtigen Wolken beim Quellen zu zuschauen. Mann, sind das Dinger, ich finde …“

„Nu lenke nicht ab, wir sind doch hier nicht im Wetterblog …“

„Bäah, böse Stimme aus dem Off, sei endlich still,“ platzt mir da der Kragen, „wir sind in der Art Blog, die ich gerade daraus forme, und wenn es in diesem Artikel über das Wetter – Mann, was für geile Gewitterwolken – geht und böse Stimmen aus dem Off, die einem zu tiefgründigen Geschwafel verleiten wollen, dann ist dies heute und jetzt ein Wetter- und Böse-Stimmen-aus-dem-Off-Weblog. Schließlich bin ich derjenige, der das alles auch noch aufschreiben muss, also lass mich. Basta.“

Da schweigt endlich diese Stimme. Ich prüfe das lederne Notizbuch auf neue, tiefgründige Einträge. Vielleicht kann ich der Stimme doch noch gerecht werden; Fehlanzeige, der letzte Beitrag vor einer Woche, kaum leserlich, gibt nicht viel her. Durchforste mein Hirn. Stille. Nichts.

Bleibt mir nur eins, ich muss über diese unglaublich quellenden Riesenwolken schreiben und wie Vögel mit roten Federn am Hals darunter fliegen, sowie die Sehnsucht der Katze, endlich fliegen zu können und den fetten Maikäfer und blaaa-blabla-blaaa …

Ein Magen mit Stacheln außenrum

Wie Journalist F. und ich auf der Südterrasse sitzen, in den Himmel starren, kalt weht die Walpurgisnacht und niemand wird die Mülltonne auf dem einsamen Gehöft verstecken. „Noch besser,“ sagt F., „auch vor der Journalistenwohnung wird niemand irgend etwas verhexen.“ Denn wir haben eines gemeinsam: wir sind Einsiedler in einer belebten Welt.

Derweil macht sich der Igel über das Katzenfutter her. Nur zwei Meter entfernt schmatzt das unverschämte Tier.

Passen in eine herkömmliche Katze, wenn sie nicht regelmäßig frisst, etwa vier Dosen Futter, so gibt sich das wilde Stacheltier geradezu als schwarzes Loch. „Mindestens acht Dosen,“ wette ich. „Mhmm“, sagt Journalist F., „das ist ein Magen mit Stacheln.“

Ein Hohelied auf die Bloggosphäre

Der Wind rauscht in den Pappeln an der Südgrenze des einsamen Gehöfts und ich frage mich, was hat das mit der Erklärung der Bloggosphäre zu tun, den du ein paar Artikel zuvor prophetisch angekündigt hast?

Alles.

Denn Bloggosphäre heißt vor allem Bloggen und sich um den Rest nicht allzuviel scheren. Fahr dein Ding und schreibe das, was du schreiben musst. Lies notdürftig Korrektur und drücke den Knopf Veröffentlichen. Mehr ist Bloggen eigentlich nicht. „A Man must do what a Man must do – ein Mensch muss tun, was er tun muss.“

Wir Blogger sind denkende, schreibende, mitteilende Wesen, die meist absichtslos, ihre Botschaften in die Welt tragen auf diesem einfachen, kostenlosen Medium, das im Prinzip jedem, der sich ein wenig damit beschäftigt, offen steht. Wir sind die Speerspitze der modernen Demokratie, die Avantgarde der informierten Gesellschaft. Deshalb sollten wir uns aus dem Schatten, der uns von bösen Zungen immer wieder geworfen wird, bloggen sei nichtssagend, unausgereift, wertlos, eine Pharce und überhaupt: „Was haben diese unaufgefordert publiziernden Hobbyschreiber im Web zu suchen“, endlich lösen.

Auf ein neues Selbstbewusstsein.

Es ist egal, ob du über den Sinn des Lebens bloggst, über Katzen, das Stricken oder dein kleines, niemanden scheinbar etwas angehendes Leben schwafelst. Dennoch hat es einen Wert im vielstimmigen Chor der Demokratie. Denn hier darf falsch gesungen werden und jede Stimme zählt, egal wie sie klingt. Eigentlich ziemlich ähnlich wie die geniale Col-Art des Schweizer Künstlers Marc Kuhn, der seit 1968 mit gemeinsamen Malaktionen aufmerksam macht auf das große, Unauslöschliche, was die menschliche Gesellschaft so unerschütterlich, so überlebensfähig, so brilliant, so bunt macht.

Die Bloggosphäre ist sicher das Beste, was der menschlichen Gesellschaft jemals gewachsen ist. Niemand hat sie gewollt. Niemand konnte sie sich vorstellen. Niemand hat sie geplant. Sie ist per Mutation im Internet binnen zehn, fünfzehn Jahren gewachsen und wir alle haben dazu beigetragen.

Was macht das Bloggen aus?

  • Jeder kann es tun, wenn er möchte
  • freie Themenwahl, bei der sich innige Kreise von Gleichgesinnten wie von selbst entwickeln. Da können die (z. B.) Stricker noch so sehr über die Sinnblogger lästern, ein jeder hat in seiner Sphäre, seiner Blase aus Gleichgesinnten, ein Forum
  • was wir einzig nicht tun dürfen: denen, die uns nichts sagen, die uns nicht inspirieren, das Lebensrecht absprechen. Im Web ist genug Platz für alle.
  • du profitierst, sobald du deinen ersten Blogeintrag schreibst, weil unmittelbar (theoretisch) jeder ihn lesen kann und sich deiner Kommentarfunktion bedienen kann, um mit dir in Kontakt zu treten, dich zu bestätigen, dir Tipps zu geben.

Das Phänomen Weblog ist, wegen der vielen Laien, die daran teilnehmen dürfen, leider verschrien als literarisch hobbyistische Zeiterscheinung, die sich nicht allzu lange halten wird. (Auch ich, der ich lange schreiben geübt habe und mich mit Wortgebrauch leidlich auskenne, sehe mich noch immer als Laie). Und finde es gemein, einem Menschen gegenüber, der einzig wegen des Mangels an Übung nicht so gut in der Lage ist, Gedanken oder Gefühle auszudrücken, sein natürliches Recht, sich trotzdem zu äußern, abzusprechen.

Es war schon immer ein Zeichen von Größe, anderen zuhören zu können, auch wenn sie nicht den ach-so-heiligen-mühsam-erarbeiteten-Verhaltenskodex beherrschen, den man sich selbst im Laufe seines Lebens erarbeitet hat.

Ja. Vielleicht hätte ich höchstpersönlich während der französischen Revolution den Schalthebel der Guillotine betätigt, um die Körper uneinsichtiger Adeliger, die sich etwas darauf einbilden, dass sie mit Messer und Gabel essen können, vom Kopf zu trennen. Nichts ist schlimmer, als Arroganz.

Weil es nicht richtig ist, geradezu rassistisch, andere Menschen mit ähnlichem Potenzial wie man selbst, als schlechtere Menschen abzutun und sie auch so zu behandeln.

Ich schweife ab.

Aber so ähnlich wird die Bloggosphäre diskutiert. Die angeblich Besseren erheben sich über die vermeintlich Schlechteren, nur um zu bestimmen, ich bin gut und du bist schlecht, ich habe das Recht hier zu sein und du nicht. Was für ein Quatsch.

Noch schlimmer sind die Literaten, die die Bloggosphäre argwöhnisch belächeln. Irgendwann werden auch ihre Köpfe rollen.

Nun gerät dieser Artikel zu einer Hommage an die Demokratie, wenn nicht gar an die Anarchie.

Dabei unternehme ich doch nur den Versuch, so etwas Unerklärliches, wie die Bloggosphäre zu erklären.

Rein technisch wäre die Sache ja auch ganz einfach:

Es gibt Blogger, die schreiben über verschiedenste Themen und bauen in ihren Blogs ein lineares Buch, welches man in der Regel vom neuesten bis zum ältesten Beitrag frei und umsonst lesen kann. Daneben gibt es Blogleser, die sich mehr oder weniger für die Blogs und ihre Themen interessieren, darin stöbern, sich inspirieren lassen. Oft sind Blogger auch Blogleser. In den Kommentarsträngen der einzelnen Artikel ergänzen die Leser die jeweiligen Artikel, was den Blogs eine gewisse Dreidimensionalität verleiht. Das große Potenzial der Weblogs ist sicher die Möglichkeit, Links zu setzen, zu vernetzen, Unvorhergesehenes einzubauen.

Ich darf an dieser Stelle verraten, dass dieser Artikel nie geschrieben worden wäre, wenn nicht StrichundStrich (siehe Linkliste rechts) in einem Kommentar zu dem Artikel Irgendlink wider die Blogvernichtung dazu animiert hätte.

Eines der Geheimnisse der Magnifikanz von Weblogs ist die Rückkopplung, die sich zwischen Leser und Schreiber direkt einstellt.

Ein Hohelied auf das Medium Weblog, zweifellos, hey, und das ist doch auch der Titel dieses Aufsatzes. So soll es sein – und dies ist ein weiterer Blick hinter die Kulissen: Artikel entstehen spontan, unvermittelt und gelangen beinahe ungefiltert ins Netz. ganz wie im richtigen Leben.

Was ist mit den Pappeln? Ach ja, glatt vergessen: 20 Meter hohe Dinger, die gerade im besten Frühling ever spriesen; und das ist ja der eigentliche Sinn dieses Weblogs, über das Wetter zu schreiben und dass es gut ist, immer gut war, und auf alle Zeit gut werden wird, denn das ist mein geheimes Wettertagebuch, liebe Gäste: Sehet die Blogger, sie stricken nicht, sie suchen nicht nach dem Sinn, sie fabulieren einzig über das Wetter und Blogg ernährt sie doch ;-)

Reduktion der Möglichkeiten

Die Amarok von Mike Oldfield liebe ich deswegen so sehr, weil das gut einstündige Musikstück so klingt wie ein Mann, der sich über eine Kiste Bier her macht: brachiale Einsätze, als würde man mit einer Bauschippe eine Bierflasche öffnen, wechseln mit harmonischen Passagen, die sich anfühlen, als rinne gut gekühlte Gerstenflüssigkeit sanft durch die eigene Kehle.

Da!

Nach all den Jahren bin ich bereit, das Weblog als eigenständiges Buch zu betrachten. Keine Ahnung, ob es für den Langzeitleser einen Nährwert bildet, ob man einen roten Faden erkennt, ob es den Langzeitleser überhaupt gibt. Ich sitze im Atelier, wo sich die Reggaerockers mit schwarzem Stoff eine Höhle eingerichtet haben, um etwa einmal die Woche zu üben für ihre vielfältigen Auftritte. Die Reggaerockers sind in den letzten Tagen ein bisschen bekannter geworden, weil Leadsänger O. kürzlich in dem TV-Spektakel Schlag den R. aufgetreten ist und leider verloren hat. Zum Glück, muss ich sagen, sonst hätte er vielleicht meinen Eltern ein unausschlagbares Angebot gemacht und das einsame Gehöft mitsamt Proberaum und Irgendlink gekauft. „Dein Arsch gehört mir,“ hätte O. grinsend gesagt und fürderhin fänden auf der jetzt so friedlichen Südterrasse unkontrollierte alkoholische Exzesse statt. Wie dies in Rockmusikerkreisen so üblich ist. Ich starre aus den riesigen Fenstern des Proberaums. Die Nacht hat seichte Helligkeit erlangt. Es ist kühl. Ich habe mir eine Wolldecke um den Bauch gebunden und ein paar Jacken übergestreift. Der Mond steht in scharfer Sichel. Von Wolken keine Spur.

Allmögliche Gedanken um die Zukunft. Vermögensberater J. rückt mir auf die Pelle, will einen Termin, um mir etwas zu verkaufen, schließlich bin ich, im Gegensatz zum letzten Jahr, als er mich selbstständigen Hungerleider besuchte, nun ein betuchter Arbeitnehmer, dem es sich lohnt, Beratung angedeihen zu lassen. Ich sollte ein bisschen Andreas Altmanns „Sucht nach Leben“ lesen, bevor ich mich mit ihm treffe. Um mich zu immunisieren. (Ja, ich habe es gekauft, liebe Sonia, es ist großartig).

So jongliere ich, im Atelier sitzend, mit allen Gedanken und Plänen und Ideen, die mich die letzten Tage beschäftigten:

  • wie geht es weiter mit der Arbeit
  • wenn es endet, wirst du pilgern? Ja.
  • Versprochen? Sicher.
  • was danach!
  • und die Liebe? Gewisse Möglichkeiten, widerspricht dem Pilgern leider
  • werde wortbrüchig
  • bleib dir treu
  • Wortbruch schließt Treue nicht aus

Mein Blick fällt auf ein Messieeck, das die Reggaerockers in einer Ecke des Proberaums eingerichtet haben. Rocker sind immer unordentlich und sie räumen nur dann auf, wenn das Fernsehen vorbei kommt oder sonstige Presse. Überquillender Bierkasten, drappiert mit leeren Flaschen Sprudel und Mixgetränken, im Mülleimer Red Bull. Dass die auch nie lernen, dass auf den kleinen Red Bull Dosen 25 Cent Pfand sind. Ich fummele alle Red Bull Dosen aus dem Müll und entdecke drei volle Flaschen Bier. Die wollten sie vor mir verstecken. Die kennen mich. Nehme die Flaschen an mich. Damit machste dir jetzt einen schönen Abend. An Schäbigkeit ist dieser Mister Europenner manchmal nicht zu überbieten.

Folge weiter den Gedanken: letztlich zählt doch nur noch das Schreiben. Nach dem heißen Jahr in der Lohnsteuerklasseeins-Hölle, kannst du doch als Künstler nirgendwo mehr landen. Du kannst bestenfalls noch so eine Art Bukowski-Typ im Weblog-Format werden. Weniger Sex, leider, und andere Themen, als der große Kalifornier. Aber abgefuckt genug bist du, um solch ein Leben zu führen.

Zu guter Letzt kommt mir in den Sinn, dass ich schon seit zwanzig Jahren auf eine finale Frage hoffe, einen Scheidepunkt im Leben, an dem es auf die Auswahl zwischen den Möglichkeiten nur noch eine einzige Antwort gibt, weil es nur noch eine Möglichkeit gibt.

Das Perfide im Leben ist, dass man immer verschiedene Wahlmöglichkeiten hat und sich für Eines entscheiden muss. Dass man die anderen Möglichkeiten direkt ausschließt, wenn man sich entschieden hat. Schrecklicher Verzicht. Sei es nur, dass man grundsätzlich zwei oder mehr Frauen symphatisch findet, mit denen man sich einlassen würde. Sobald man sich für Eine entscheidet, entscheidet man sich gegen die Anderen. Klar. Wäre ich Bukowski, hätte ich das Problem nicht. Oder dass man sich, sobald man sich für den sicheren Job in diesen Krisentagen entscheidet, gegen das Pilgern entscheidet. Und so weiter und so fort.

Seit zwanzig Jahren träume ich davon, dass die Frage kommt, die nur eine Antwort zulässt und die Antwort lautet:

Schreib!