Irgendlink gelobt erneut: ich werde meine lieben Leserinnen und Leser nie wieder erschrecken mit Sätzen, in denen die Worte Bloggen, Schreiben, nein, nicht, nie wieder, adieu, machts gut, in Zusammenhang gebracht werden.

Dies erst mal als beruhigende Zwischenmeldung.

Vor einer halben Stunde traf ich Geocachefreund O.-H. Hatten uns eine Weile nicht gesehen und tauschten auf der Straße im Dörfchen K. das Neueste aus. Noch immer klingt mir das Lachen im Ohr, als ich ihm von der neuen Arbeit erzählte und dabei das Ö-Wort benutzte. Er schlug sich auf die Schenkel und hüpfte im Kreis und lachte und lachte. Ein freundliches Lachen, natürlich. Es kennzeichnet die Abstrusität meiner Situation. Noch vor einem Jahr schloss man Wetten ab, unter welcher Brücke ich enden würde.

Irgendlink gelobt …

… ich werde nie wieder bloggen.

Neben mir der Arbeitsvertrag und was mich völlig verdutzte am Morgen, das Gelöbnis mit Wappen der Stadt in bunt – „die bunten Kopien sind für Sie, die schwarz-weißen für uns“, sagte Herr M., der als Zeuge bei der Feierlichkeit zugegen war.

Dabei ging es doch nur mal wieder darum, einen Knebelvertrag über ewige Knechtschaft zu unterzeichnen. Dennoch war ich völlig überrascht, als mich der Dienstherr in das Besprechungszimmer bat und mir den bunten Bogen Gelöbnis überreichte, welches ich ihm nachsprach.

Es gibt doch immer wieder Situationen im Leben, die man noch nie erlebt hat. Im Knebelvertrag verpflichtete ich mich, alle Überstunden der nächsten Zehntausend Jahre zu übernehmen, sowie nachts und, was noch viel perverser ist, frühmorgens zu arbeiten. An multiplen Stellen. Für einen Hungerlohngehalt.

Da lobe ich mir doch den guten alten Owner, dessen Arbeitsvertrag aus einer einzigen Zeile bestand, die noch nichtmal einen vollständigen Satz ergibt:

Für immer für nichts.

Mehr muss nicht. Aber diese Verwaltungsleute sind da ja super korrekt und wissen, Einfaches in Kompliziertes zu verwandeln, was nicht immer schlecht sein muss. Ich liebe Lyrik, gebe ich offen zu.

Nun gestehe ich, dass mir das Gelöbnis schon ein bisschen auf den Magen geschlagen ist, weil da Zeilen enthalten sind, die irgendwie, wenn man sie richtig verdreht, dem Bloggen widerstreben. „Ich gelobe, keine schmutzigen Tätigkeiten zu tun, die dem Ansehen der Stadt S. schaden könnten“. Ursprünglich formuliert, um den Konsum von Erotikseiten aus dem Internet zu unterbinden und einen christlichen Lebenswandel der Mitarbeiter zu erzwingen, kann diese Zeile sicher auch anders interpretiert werden: „Ich gelobe, nie wieder zu bloggen; wohlgefällig will ich Schweigen über die Dinge, die mir täglich auf dem Präsentierteller geliefert werden, und die das Leben so wunderbar bunt machen“.

„Freiheit der Kunst“, sagte Journalist F., „mach dir da mal keine Gedanken, Artikel 5 glaube ich“.

„Mich wundert schon lange, dass dein Kopf nicht rollt“, antwortete ich.

Später, zu Hause, beging ich den Fehler, nach meinem richtigen Namen im Netz zu suchen und ihn mit gewissen Schlagworten zu garnieren, die ich hier nicht nennen mag. Erstaunlicher Weise landete ich bei einigen sehr neuralgischen Dingen in diesem Weblog. Wieso ist das mit meinem Namen verknüpft? Er steht hier nie geschrieben. Ich bins doch, Irgendlink und nicht etwa dieser Knildegri Schneider, Hut Knamsun oder Ganther Grüss oder Manning Henkel oder Fätz Schranking.

Junger Mensch, wenn du dich je ins Netz begibst, hüte dich – auch nur irgend ;-) – deinen echten Namen ins Spiel zu bringen.

Kurzfristig überlegte ich, eine Reinigungsaktion zu starten. Aber dann wurde mir klar, dass die Sache gar nicht so dramatisch ist. Ich kann höchstens die neue Arbeit verlieren. Und das ist es ja, was ich seit Anbeginn will. Seit ich tackere, will ich nicht tackern, seit ich kulturorganisiere, will ich keine Kultur organisieren. Manchmal komme ich mir mit dem Scheitern vor, wie Stieflriemen-Bill, der nicht sterben kann.

Okay, ich gebe zu, das Amt gibt weitaus bizarrere Geschichten her, als die Lohntackerei. Es ist wert, darüber zu schreiben. Es fängt alleine schon damit an, dass es im Amt einen Schrank geben muss, in dem sich ein schwarzes Loch gebildet hat, in dem sämtliche Schokolade, die in seine Anziehung gerät, für immer verschwindet.

Dieser seltsam glänzende Schein des Geldes, wird mir auf Einmal klar, verklärt den Blick, als würde man an einem Sommertag versonnen in den blauen Himmel nach Süden schauen und der leise Wind spielt mit den Blättern jungfrischer Bäume, die irgendwie zu überleben versuchen. Was ist Geld? Fetzenweise bedrucktes Papier, dem der Mensch viel zu viel Bedeutung zuweist.

Manchmal gelingt es mir, mich aus dem Alltagstrubel zu lösen, und dann wird mir für den Bruchteil der Sekunde bewusst, wie bedeutungslos alles ist, was wir so wichtig nehmen und wenn ich noch realistischer an die Sache herangehe, grenzt das an totale Selbstaufgabe, an Überwerfung mit allem, was jemals einen Wert hatte, und es führt die Dinge und die Machenschaften dahin zurück, woher sie eigentlich kamen, ins Ungreifbare der Zeit, ins menschlich überhaupt nicht Wahrnehmbare, in eine Welt, die gar keine Welt ist, und in der nichts und niemand existiert und somit auch nichts und niemand bewertet werden kann. Somit wirkt in dieser Welt etwas filigran bedrucktes wie Geld geradezu lächerlich.

Irgendlink, die schneeweiße Alpinakatze der Kultur

Die Vision von der senkrechten Karriereleiter mit den vielen Sprossen, die von Unten nach Oben immer klebriger werden, so dass man ab einer gewissen Stufe gar nicht mehr davon loskommt, weil man einfach festklebt, ist sicher an den Haaren herbei gezogen.

Dennoch verbeißt sich der Mensch in sein Metier, seine Taten, seinen Job oder das Amt, das er bekleidet, fester, fester, fester mit jedem weiteren Arbeitstag. Als freischaffender Hungerleider betrat ich die Lohnsteuerklasse1-Hölle, nichtsahnend, dass mit jedem Schritt voran der Weg zurück unmöglicher würde.

Ab welchem Punkt wirst du nicht mehr zurück können, junger Hungerleider? Ab dem allerersten, denn der Weg der Karriere ist eine Einbahnstraße. Job um Job und Arbeitsstelle um Arbeitsstelle kletterst du weiter und verfängst dich mehr und mehr im Netz dieser leistungsorientierten Gesellschaft – einzig das Scheitern kann dich noch retten. Doch das willst du nicht, nicht wahr? Denn Scheitern ist etwas Böses, etwas Erdniedrigendes; es ist unerträglich; es steht dir nicht an. „Jawoll, es steht mir nicht an, zu scheitern!“ Wirst du sagen und dich gleichzeitig zurück sehnen in die Leichtigkeit des Leichtfußlebens, das du einst pflegtest.

Nienienie sollte das Leichtfußleben enden, tanzend zu psychedelischer Musik auf einer Blümchenwiese mit all ihren psychedelischen Auswirkungen und dem leichten locker lecker Leben – nienienie sollte es enden.

Das letzte Jahr Lohntackerei, dieser wunderbare feste Job war ein echter Glücksfall, habe ich mir immer vorgegaukelt. Es war die nötige Ruhe für meinen strapazierten Künstlerkopf und all die Sorgen, die den Selbstständigen quälen. Abends radelte ich nach Hause von der rein körperlichen Arbeit und es herrschte unglaubliche Stille im Kopf. Keine Geldsorgen, keine Termine, kein organisatorisches Zeug, wann man welche Ausstellung macht und an welcher Stelle man die nächsten öffentlichen Gelder anzapft.

Ruhe dich aus auf diesem Job, kannst ja jederzeit wieder aufhören, habe ich mir derweil immer gesagt. Dass es kein Zurück gibt auf dem schlüpfrigen Weg in die abhängige Beschäftigung, habe ich erst jetzt begriffen. Anstatt die derzeitige Flaute zu nutzen, und einfach ein paar Wochen durch die Gegend zu radeln, verharre ich wie paralysiert und hoffe darauf, dass endlich ein Anruf vom Owner kommt, der nächste Großauftrag ist da, ihr dürft weiter tackern. Ohyeah, Ringo reitet wieder.

Ein Anruf kam auch. Letzten Freitag. Nicht vom Owner, sondern von meinem heiß geliebten Zweit-Arbeitgeber, der mich in Künstlerzeiten immer mit einwöchigen Honorarverträgen gerettet hatte. Amtsleiter R. am Apparat: „Kannst du Montag Halbzehn? Musst zum OB“. Das trieb meinen Puls in exorbitante Höhe, denn ich begriff: Oberbürgermeister geben sich nicht mit irgendwelchen Honorarläusen ab, es sei denn, die Bude brennt.

Nur deshalb also dieser Klamottenkaufmarathon, Bewerbungsfotos, Lebenslauf, Zeugnisse, PiPaPo, all die Edelschicki-Dinge, die ich am Wochenende aus dem Nichts stampfte. Sonntag sogar noch einen Fotografen aufgetrieben für Bewerbungsfotos. Gegen 22 Uhr verließ die Bewerbung den heimischen Drucker. Ich legte mich ins Bett und wälzte mich bis morgens um Acht, so aufgeregt war ich.

Vor dem Rathaus im Städtchen S. herrscht ein heiden Tohuwabohu. Gehweg, von Baggern aufgerissen. Überall lehnen Bauarbeiter mit Zigaretten im Mund an Absperrzäunen. Die Eingangstür zu finden ist nicht gerade leicht dieser Tage und den OB hörte ich schon von Weitem, wie er im ersten Stock durch die angelehnte Tür seines Amtssitzes nörgelte: „Ein Saustall ist das da draußen, da muss man sich ja schämen.“ Angetan, geradezu beruhigt ob meiner perfekt sitzenden Garderobe, den fein geschniegelten Haaren, dem extravaganten Kontrapunkt, den ich gegen die verkommene Baustelle vor der Haustür setzte, bat er mich ins Sitzungszimmer. „Dieser Mann wird uns retten“, muss er gedacht haben, „ganz sicher, mit seinem Sakko und den akkurat gelegten Haaren ist er wie die schneeweiße Alpina-Katze“. (Ihr kennt die Werbung?) „Jeder Raum, den er durchquert, wird auf wundersame Weise sauber“.

Ich phantasiere.

Egal. Vielleicht lag es gar nicht an den Äußerlichkeiten. Letztenendes ergab sich aus der Vorstellung ein waschechter Vollzeitvertrag.

Erst später, als man mir gratulierte und das Zauberwort „Öffentlicher Dienst“ aussprach, wurde mir klar, welches Glück ich habe. Bzw. wie klebrig die Sprosse ist, an der ich mich z. Zt. festklammere.

Hier gibt es kein Entrinnen. Ich muss heiraten, ein Haus in S. kaufen und der Partei vom OB beitreten. (Oder drei Klappen mit einer Fliege: Frau in der Partei vom OB mit Haus in S. heiraten … jawoll. Das ist mein perfider Plan).

Ich saß auf einem Stein –

– und dachte: „Bein mit Bein?“

„Hee, wassen das fürn Stuss“, meldete sich eine innere Stimme, „wir wollten doch über den neuen Autorennamen nachdenken, Mister Irgendlink, den du annehmen wirst, wenn du für Geld Literatur unters Volk bringst. Kack Jerouac wolltest du dich nennen oder Michael Höllenbeck oder Christdith Damenfrau oder noch besser Künther Krass, weil das schon so schön nach Revolution klingt, nach Punk und Blut und Schmerz, sowie einem frühen Tod an einer Überdosis Hasch. Und du kommst nun daher mit Folter von der Wagelweide, Schafram von Weidenbach und Schwanz von Fickingen. Du bist doch kein Minnesänger.“

„Franz von Sickingen war doch gar kein Minnesänger, sondern nur ein Ritter. Vergiss doch den Autorennamen. Erstmal was schreiben. Ich finde es einfach wichtig, über Bein mit Bein zu schreiben. Da hat sich noch keiner rangewagt, auch nicht der große Calbert Anus. Bein suggeriert so schön die körperliche Unversehrtheit, nach der sich die Leute vor knapp 1000 Jahren so sehr sehnten. Die hatten doch nichts. Die hatten nur Pest, drakonische Strafen wie Nase abschneiden oder Bein abhacken. Ihren Urin kippten sie aus dem Fenster direkt auf die Straße, es gab keine Kanalisation und wo du auch hinwolltest, haben Wegelagerer oder Zöllner dich drangsaliert. Da find ich den Vogelweide gut, wie er auf seinem Stein saß und dachte: Bein mit Bein. Im Original heißt das: Ich saz ûf eime Steine und dahte Bein mit Beine. Dummerweise falsch übersetzt mit: Ich saß auf einem Steine: Da deckt‘ ich Bein mit Beine. Herrjeh, deckt ich Bein mit Beine, das gibt doch gar keinen Sinn, es sei denn, er war selbst so ein Vollstrecker, der den anderen die Beine abgehackt hat als Strafe für Ehebruch und sie auf einen Haufen geworfen hat, deckt‘ ich Bein mit Beine – ahahaa – das tägliche Schicksal eines Vollstreckers der Beinabhackstrafe für Ehebrecher? Glaubt doch niemand. Nenee, es muss heißen: Ich dachte Bein mit Bein. Daran lässt sich nichts kritteln.“

Die innere Stimme schweigt endlich.

Eigentlich saß ich auf einer Holzbank; von Süden näherte sich ein Gewitter, ich wollte das Leben besingen, Gras, Blumen, Ameisen und Bäume. Kurz zuvor hatte ich einen Ameisenhaufen mit dem Rasenmäher zerstückelt und ich dachte über das tausendfache Leid nach, das ich verursacht hatte. Allein durch den ungeschickten Einsatz einer Benzin getriebenen Höllenmaschine. Ich glaube via Auge um Auge, Buddhismus vs. Altes Testament kam ich in assoziativen Schüben auf Bein mit Bein und so ist dieser ganze Stuss hier entstanden. Jahrhunderte mussten vergehen, um diesen Text zu schreiben.