14 Damen im Zug

Wieder radeln. Diesmal war ich mit Schulfreund I. verabredet. Er würde mich am Bahnhof Kaiserslautern aufschnappen. Von dort per Auto, die Fahrräder huckepack in unsere alte Heimat, die Nordpfalz. Alle paar Jahre wandeln wir mountainbikend auf den Pfaden unserer Jugend, schauen, was sich verändert hat.

Am Bahnhof Homburg, welchen ich auch gerne als den verspucktesten Bahnhof zwischen Wladiwostok und Lissabon bezeichne, wartete ein Mann mit unglaublich verschobenem Gesicht. Im riesigen Kopf thronte das rechte Auge dezimeterweit über dem linken. Die Haut war ledern, die Nase krumm. Ich erschrak bei seinem Anblick. Er bemerkte, dass ich erschrak, schaute weg. Mit schlechtem Gewissen versteckte ich mich hinter einer Säule und dachte über das Besondere nach, sowie darüber, ob ich ihn vielleicht ansprechen sollte. 100 Fahrgäste warteten auf den Zug. Der Besondere stand isoliert. Keiner traute sich, hinzusehen. Wie schlimm musste er sich fühlen. Die Uhr tickte zäh. Genug Zeit, mir Folgendes klar zu machen: Normalerweise stehst du doch auch an Bahnhöfen und sprichst niemanden an. Wieso also nun den Besonderen? Stellte mir vor, er sei eine besonders schöne Frau, auch sie würde ich nicht ansprechen und das Gefühl hinter verstohlenem Blick wäre ungefähr das gleiche: unterdrückte Neugier. Ich sprach mein Gewissen frei. Der Zug rollte ein, die Hundertschar zwängte sich durch die Türen. Im Fahrradabteil hatte sich eine Gruppe 47-jähriger Frauen breit gemacht, so dass ich mit Fahrrad neben dem Besonderen zu stehen kam. Die Damen schlürften Sekt, schnatterten frivol, unterhielten sich über die Archaik analoger Fotografie und dass es zu dunkel ist, ein Gruppenfoto zu knipsen. Trotzdem versuchte eine Blonde mit ausladendem Hintern, dicht an mich gepresst in Höhe Bruchmühlbach Miesau einen Schnappschuss. Eine schwarzhaarige Dame stach besonders hervor. Ich dichtete ihr fetischistische Neigungen an. Manchmal trafen sich unsere Blicke. Sie begann mit ihren Kolleginnen ein Gespräch über Schuhe und warum sie rosa sind und warum die Absätze so hoch sind. Ihr Koffer war auch rosa. Aha, dachte ich süffisant. Nun gab es zwei Besondere, eine mit rosa Stöckelschuhen und den Mann mit dem schiefen Gesicht. Ich schaute aus dem Fenster. Der Mann mit dem schiefen Gesicht schaute durchs andere Fenster. Im Spiegel der Scheiben beäugten wir uns immer dann, wenn der Zug an dunklen Baumreihen vorbeisaußte. Seine Beine und Hände warn jung wie die eines Kindes. Er konnte höchstens 18 sein, vielleicht jünger. In einer langgestreckten Kurve rumpelte eine brünette 47erin an meine Schulter, Anlass genug, ein Gespräch zu beginnen. Ich fragte: „Wohin fahren sie?“ „Nach Heidelberg.“ „Bleiben sie länger? Wegen der Koffer?“ „Nur bis morgen. Wir Frauen brauchen nunmal viele Dinge.“ Aha, Fetisch, dachte ich und sagte, „jaja, man sollte auf nichts verzichten müssen.“ In meiner Phantasie waren die Koffer mit rosa Strapsgürteln vollgestopft, sie hatten einen Stripper engagiert, der sie abends im Hotel unter dem Schloss unterhalten würde und noch so Einiges mehr. Unser Gespräch mäandrierte jedoch in Richtung Kunst und Lebensart, machte einen Schlenker über die schweren Zeiten und das Glück zwischen den Fugen in der Bastion der Verunsicherung. Bis hin zum Wetter, welches ausgesprochen schön zu werden schien an diesem Tag.

In Kaiserslautern endete der Zug. 13 Damen, die Besondere und der Junge mit dem schiefen Gesicht, sowie ich allesamt raus aufs Gleis und jeder für sich weiter in die verschiedensten Himmelsrichtungen.

Ich überlegte, wie wohl das Gespräch verlaufen wäre, wenn ich mit dem Jungen zusammengerempelt wäre und nicht mit den Damen? Sein Gesicht ist ein dominantes Merkmal. Wie ein Schild steht es zwischen ihm und der Welt. Ein hartes Los. Es ist kein rosa Stöckelschuh, den man nach Belieben austauschen und über den man sich lustig machen kann. Kein Fetisch, welchen man je nach Laune versteckt oder offen zeigt. Es ist immer da.

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Bis vorgestern gab es für Traktorkatastrophen übrigens noch keinen Treffer im weltweiten Web. Wer weiß, vielleicht hat sich das nun geändert?

Welch guter Tag

Tat ziemlich gut, die gestrige Radtour. Mit jedem Rund der Pedale vergaß ich ein Stück Kunst- und Joomla!-sorgen. Kurz hinter Zweibrücken, genauer, bei dem Geocache Zweibrücken-Süd hatte ich alle belastenden Gedanken abgelegt. Ich schaute in dem Erdversteck, ob sich alles in Ordnung befand, damit die lieben Mitcacher auch ihre Freude daran haben, entnahm eine modrig riechende Puppe, denn das Erdversteck hängt per Magnet an der Innenseite eines alten Trafokastens. Es sollte nicht zu schwer sein, sonst rutscht es.

Ruhig und grau lag der Weg. Im Straßengraben flanierten Getränkedosen, Müll, Kippenschachteln, eine Porno-CD, je nach Trittfrequenz mal schnell, mal langsam bis hinüber in die Klosterstadt Hornbach, hinaus nach Frankreich, wo der Weg unbeschreiblich malerisch wird, sich die Straße auf 4 Meter breite verjüngt. Uralte Mühlen lullen einen in eine längst vergangene Zeit, in welcher der träge Takt der Mühlräder den Rhytmus bestimmte. Nicht unähnlich dem leichtfüßigen Rhytmus des Radlers. Ein grauhaariger Zausel auf einem uralten Rad begegnete mir, grüßte „Hallo“, fuhr nach Norden. Bei der Moulin de Eschviller hatte sich eine Schar papageienbunter Touristen breit gemacht. Sie schlürften Weizenbier, aßen Flammkuchen. Ihr Busfahrer sonnte sich auf dem Trittbrett des knallgelben Busses. Hochlandrinder garnierten die Wiesen. Es dürfte hinreichend bekannt sein, dass die Luft lau und warm war an diesem Tag, ein leiser Wind aus Süden wehte. Das kleine Volmunster (sprich Wollmünster) war Umkehrpunkt meiner Reise . Das Dorf verfügte bis vor einigen Jahren über eine Allimentation, einen Lebensmittelladen vom Typ Tante Emma, in dem es wunderbare Kekse zu kaufen gab. Nun ist er geschlossen, stengt for ever. Fensterläden zugeklappt. Die Orte zwischen Bitche und Zweibrücken sind unglaublich verschlafen.

Hungrigen Magens zurück bis nach Hornbach, wo vor dem Supermarkt eine Alte mit grünem Regenschirm saß und unverständliches Zeug redete, aber freundlich. Sie sah das modrig riechende Püppchen aus Zweibrücken-Süd auf meiner Fronttasche, fragte: „Schenken sie mir das? Ich könnte es in mein Fenster stellen.“ „Aber gerne,“ sagte ich.

Weiter weiter weiter, den erwähnt lauen Wind im Rücken, entlang des alten Bahndamms hinunter nach Zweibrücken, bis mir der Zausel vom Hinweg entgegen kam, schiebend. Ich rief: „Haben sie eine Panne?“ Er verstand: „Vous êtes en panne?“ „Ah non, iisch schiiebe nurh ein biisschen ääs iist bessäär für den ‚intärn“. Womit geklärt wäre, wes Nationes Kind er ist.

Vorbei an den Dosen und der Porno-CD die Abendglocken der Stadt passierend, durchs Jammertal zurück aufs einsame Gehöft und sofort nach der Dusche ins Bett.
Welch guter Tag, dachte ich und schlief friedlich ein.

Gruppenfoto der Begnadeten

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Von links hinten nach rechts vorne: begnadeter Traktorkatastrophenmaler QQlka, begnadeter abstrakter Maler A., begnadete Filmemacherin A., begnadete Musikerin S., begnadeter Dilletant I., begnadete Schmuckdesignerin T., begnadetes Allroundtalent B., begnadete Siebdruckspezialistin A., begnadete Fotografin J., von der auch dieses Foto stammt.

Nicht im Bild begnadeter Journalist F.