Gotthard E-Book

Bis Ende Januar will ich mein E-Book „Gotthard“ fertig haben. Basierend auf den live gebloggten Artikeln vom letzten Sommer geht es zunächst per Rad, dann zu Fuß mit Rucksack und Zelt bis auf den Gotthard-Pass und darüber hinaus ins Tessin.

Co-Bloggerin SoSo hatte schon letztes Jahr ihr Pilgertagebuch „Zur Quelle hin“ im Schweizer Ebü-Verlag veröffentlicht.

Der Versuch, das E-Book mit Bildern auszustatten ist etwas mühselig, aber es könnte klappen. Falls jemand die ersten Kapitel als .epub testen möchte, sage er/sie mir doch bitte Bescheid. Dann sende ich einen Downloadlink.

Das Buch wird mit unveröffentlichten Artikeln und Bildern bereichert und bietet einen chronologischen Lesekomfort – in der Kategorie Gotthard gibt es die Original-Blogartikel wie sie unterwegs per iPhone täglich frisch geschrieben wurden. Allerdings stehen in der Kategorie die neuesten Artikel oben, der Beginn der Reise findet sich auf Kategorieseite zehn ganz unten.

Im Rahmen des „Buchbaus“ erforsche ich auch nicht oder falsch recherchierte Fakten – sei es, dass die Vauban-Festung Neuf-Brisach achteckig ist, statt – wie in der Mittagshitze des Reisegefechts dahingeschludert und direkt gebloggt – fünfeckig. Oder sei es auch die Lösung des Rätsels mit den seltsamen Feldscheunen in Rheinfelden/Möhlin.

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Rätselhafte Bauwerke bei Möhlin/Schweiz

Was habe ich mir den Kopf zerbrochen, wozu die Scheunen einen so hohen Turm haben. Sind das Feuerwehrhäuser mit Türmen zum Schläuche aufhängen? Irgendwie unlogisch, draußen auf dem Feld. Und wozu gleich zwei davon. Auch auf der Wikipediaseite von Möhlin konnte ich auf die Schnelle nichts zu den Bauwerken finden.

Gestern habe ich die Twitter Followerpower angezapft und von einem freundlichen Tweet-Kollegen endlich einen heißen Tipp gekriegt.


Danke, Patrick Kym für die schnelle Info.

Womit ich zu einem zweiten Buchprojekt komme, das ich dieses Jahr angehe:  Alle Erkenntnisse zum Thema Liveschreiben, die sich über mehrere Jahre und etwa 15 bis 20 Artikel in diesem Blog verteilen werde ich in einem E-Book zusammenfassen, um denjenigen, die sich für diese direkte und schnelle Art, journalistisch bis humorig über den (Reise)alltag zu berichten einen kleinen Ratgeber in die Hand zu geben. Ich glaube, dass künftig ein stetig wachsender Bedarf an Autoren und Autorinnen besteht, die ohne redaktionelle Umwege hochwertige Inhalte ins Netz stellen. Sei es so wie ich, reisend und offenen Herzens die Welt erlebend, oder als Auftrags-Journalisten, mit ruhigen Fingern am offenen Herzen der Berichterstattung werkelnd.

Gotthard

In der Rubrik Gotthard sind alle Blogbeiträge der Reise von der Pfalz auf den Gotthard zusammengefasst. Die Tour Ende Juni bis Mitte Juli 2014 führte von Zweibrücken per Fahrrad in den Aargau und von dort aus zu Fuß der Reuss entlang bis zu ihrer Quelle auf dem Gotthard. Bevor es gelang, exakte Höhen zu messen, galt der Gotthard als der höchste Berg Europas. Seit jeher fasziniert dieses „Nadelöhr“ in den Alpen die Menschen. Vier Flüsse entspringen am Massiv, in jede Himmelsrichtung je einer: Rhône, Rhein, Ticino und Reuss.

Anmerkung: Die Einträge in der Rubrik Gotthard sind noch nicht umgekehrt. Chronologisch steht also der letzte Eintrag ganz oben. Ich arbeite an einer „andersrumen“ Sortierung.

20140707-191752-69472138.jpgRundumblick auf dem verregneten Gotthardpass am 7. Juli 2014

 

Von Linescio nach Brugg

Wenn man in der Suchmaske der SBB, der Schweizer Bahn, nach einer Verbindung von Linescio im Tessin nach Brugg im Aargau sucht, wird man schnell fündig. Mit dem Bus geht es hinunter ins kaum fünf Kilometer entfernte Cevio im Vallemaggia, weiter nach Locarno und von dort per Bahn via Bellinzona, Arth Goldau und Zürich nach Brugg. Fünf Mal umsteigen in gut fünf Stunden. Man könnte die Tickets online buchen, per Kreditkarte bezahlen und den Busfahrer den erzeugten QR-Code vom Smartphone scannen lassen.
Das grüne Stück Wildnis jenseits des Friedhofs von Linescio sieht nicht danach aus, als ob man dort überhaupt Handyemfang hätte, geschweige denn komplizierte Tickettransaktionen zu unternehmen. Nur die nicht gedeckte Kreditkarte hält uns davon ab. Schlapp hängt das kilometerlange Stahlseil der Lastseilbahn nach Morella. Strahlender Himmel. Die Kirchturmuhr schlägt Elf. Wir lungern spiel-mir-das-Lied-vom-Tod-esque herum. SoSo die Mütze ins Gesicht gezogen vor dem Leichenkapellchen. Ich inspiziere das Dorf. Der Bus sechsunddreißig Minuten entfernt. Eine Bremse sticht mich ins Knie. Mit dem Handrücken wische ich sie weg, zertrete das torkelnde Tier. Luftmundharmonika spielend, jammernd, schwitzend, ungeschlacht aussehend. Wie ein Panther streife ich die enge Dorfstraße auf und ab. Ein Handwerker macht Pause. Der Postbote leert den Kasten, erbietet den Gruß. Dann der Bus. SoSo kauft die Tickets bis Brugg. Ich hätte nicht geglaubt, dass man in einem Provinzbus eine derartige Verbindung buchen kann. Aber in der Schweiz ist scheinbar alles und jeder immer und überall ans Internet angeschlossen. Die große Rutsche zurück nach Hause kann beginnen. Souverän steuert der Kondukteur den vierzig Personen Bus durch die Haarnadelkurven hinunter ins Tal. Dieses Mal ist die Fahrt noch spektakulärer, als auf dem Weg herauf, weil das Fahrzeug in den Wendepunkten mit der Schnauze press am Abgrund steht. Zerbrechlich wirken die rostigen Geländer, an denen ich mich garantiert nicht festhalten würde mit dem schweren Wanderrucksack auf dem Rücken. Locarno. Ein Trinkwasserbrunnen direkt auf dem Bahnsteig. Zwei drei Schlucke. Bellinzona, fünf Minuten Umsteigezeit und ein knallgelb lasierter Bauzaun, den ich schon in dem Artikel Mehr Astloch gezeigt habe. Den Gotthard von unten betrachten zehn, zwanzig oder dreißig Kilometer weit. Regnerisch ist es im Norden. Die berühmte Kirche von Wassen. Auf dem Wanderweg, der mitten durchs Dorf führt, hatten wir sie gar nicht gesehen. Wie lang ist das jetzt her? Eine Woche? Die Kehrtunnel um Wassen ermöglichen multiple Blicke auf die Kirche. Spiralförmig führen sie spieleisenbahnartig immer wieder in den Berg, rein und raus und wenn der Zug lang genug wäre, könnte man vom letzten Wagen hinunter schauen zum Tunnelausgang, wo die Lokomotive herauskommt. Charles Bukowsky kommt mir in den Sinn. Seine humorig derbe Geschichte, in der er philosophiert, dass, wenn er nur gelenkig genug wäre, er sich selbst einen blasen könnte. Ob der Zugschaffner manchmal auch solche Dinge denkt? Ich meine, das Ende des Zugs im Tunnel verschwinden zu sehen, wenn er vorne rauskommt. Zürich. Kopfbahnhof. Unvorstellbar viele Gleise nebeneinander. Wir landen im falschen Zug, würden durchrauschen bis Genf. Nur die frühzeitige Ansage im Abteil rettet uns. Schnell raus. Von Gleis Vierzehn nach Gleis Achtzehn. Gemächlich. Dann Brugg. Der Grüezigraben, der mitten durch die Unterführung führt, die das Dorf Windisch mit der Stadt Brugg verbindet. SoSos Wohnung. Dunkel, kühl, trocken, sauber, keine Stechmücken. Ausbreitversuch zweier Wanderrucksäcke. Es gibt selbstgemachte Pizza.
Bushaltestelle Linescio Paese

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Kirche in Wassen beim zweiten Vorbeifahren, wenn man mit dem Zug von Süden passiert.

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Ausrollen

Der Körper passt sich dem Felsen perfekt an, dass man glauben möchte, der Felsen passt sich dem Körper an. Keine Druckstelle, kein Schmerz, die frisch getankte Wärme, die in dem tonnenschweren Block noch von den Sonnenstrahlen vor ein paar Minuten gespeichert ist, gibt mir das Gefühl, in einem Bett zu liegen. Die Schuhe und Socken, ausgezogen und zu einem halbrunden Ding geformt, dienen als Kissen. Die Augen zu Schlitzen geformt. Über die Gebirgskämme torkeln Wolken, verdunkeln den Himmel. Vor mir liegt das Dorf wie ein ideal aufgeteiltes Bild. Der Goldene Schnitt. Eine Trockensteinmauer zieht sich schlängelnd vom ersten, frisch renovierten Haus über die Alpwiese, vorbei an einem Strauch und einem halb zerfallenen Stall bis ganz hinüber zu dem einzig belebt scheinenden Haus, vor dem stolz die Schweizer Flagge gehisst ist. Fast dreizehnhundert Meter hoch. Morella über dem Rovannatal. Wie eine Zunge streckt die saftgrüne Alpwiese aus dem unwirtlichen Steilhang, der abwechselnd aus Fels oder aus steilstem Wald besteht. Was haben wir geackert, um da hinauf zu kommen, die SoSo und ich. Ein Ausflug zum Lago Sascola ist durchaus lohnend, sagte ich ihr. Eiskalter Gebirgssee. Klarstes Wasser. Es ist göttlich, darin ein Bad zu nehmen und im Stillen denke ich zurück an den Spätsommer 2001, als ich da hinauf geklettert bin und tatsächlich es mir nicht habe nehmen lassen, in dem vielleicht acht Grad kalten See zu baden. Zwei Stunden dauert es da hoch, sage ich zur SoSo, ist vielleicht fünfzehnhundert Meter hoch. Halbwissen. Erinnerungslücken. Reiseerlebnisschönfärberei. Teufel noch eins, auf dem Wanderwegschild unten bei unserem Hüsli steht plötzlich etwas von fast vier Stunden. Mein Hirn kramt neue Höhenabschätzungen hervor: war der See vielleicht siebzehnhundert Meter hoch gelegen, damals? Jenseits der Baumgrenze? Da gab es nämlich kaum noch welche. Egal. Zum Ausrollen stapfen wir auf’s Geratewohl los. Es gibt sowieso nur drei Richtungen: entweder das Tal hinunter nach Cevio, von wo wir per Bus hier herauf geackert sind, oder das Tal hinauf irgenwie Richtung Bosco Gurin, was übrigens eine deutschsprachige Siedlung ist im ansonsten italienischen Tessin. Und als drittes: hinauf nach Morella und wenn die Kräfte reichen weiter bis zum Lago Sascola. Sie reichen nicht, die Kräfte. Nach knapp zwei Stunden über serpentinöse, Steinplatten belegte Pfade erreichen wir die saftige Alp, die nur zu Fuß oder per Hubschrauber erreicht werden kann. Für den Warentransport gibt es eine kilometerlange Seilbahn, an der ein Kasten hängt, in den die Leute ihr Gepäck oder den Müll tun können und die hinunter führt nach Linescio. Als es zu tröpfeln beginnt, ist mein Schlaf auf dem Bettfelsen beendet und wir beginnen den Abstieg. Begegnen einem jungen Papa mit vielleicht acht Kilo schwerem Kind auf dem Rücken und ein kaum sechsjähriger Bub trottet den beiden hinterher. Familienausflug ins Rustico auf der Alp. Weitere Wanderer. Drei grobschlächtige Kerle, die räuberhotzenplotzesque auf uns zu taumeln, sollllche Bergwanderstiefen, reinholdmessnerisch. Wieder unten im Hüsli lassen wir unseren „freien“ Tag, den ersten Tag unserer Wanderung ohne schwere Rucksäcke, bei einem Bierchen ausklingen. Wohin weiter? Das Centovalli haben wir ja verlassen, weil es da keinen Flusswanderweg gibt, so wie wir es von der Reuss im Norden gewöhnt waren. Auch hier im Rovannatal gibt es kein explizites Schönwegchen, das einem halbwegs schmerzlos, sprich flach, weiterbringen könnte. Tessin, der Senkrechtkanton. Kraxeln ist hier pflicht. Dafür aber ist das Wandern außergewöhnlich spektakulär. Familiäre Angelegenheiten erfordern auch meine baldige Anwesendheit daheim auf dem einsamen Gehöft, erfahre ich per Telefon, und zweieinhalb Wochen wandern ist ja eigentlich genug. Die Schweiz von Norden nach Süden haben wir durchquert. Mir zuprostend erforscht SoSo auf dem Smartphone die Verbindungen zurück nach Brugg. Nur gut fünf Stunden wird es dauern, zunächst per Bus, dann per Bahn durch den Gotthardtunnel. Sogar eine Onlinebuchung, hier im Niemandsland, wo eigentlich gar kein Handyempfang sein dürfte, wäre möglich, wenn unsere Kreditkarten mit genug Geld geladen wären. Ausrollen. Wie Tourdefranceradler, die eine zweihundertfünfzig Kilometer Etappe hinter sich haben. Die Muskeln, das Hirn, den Geist wieder zurecht trimmen für Lärm, Hektik, Uhrzeit, Forderungen. Ausrollen, das haben wir getan an diesem Tag, war es ein Sonntag. Ich glaube ja.

Monsieur Irgendlink, moi même, starrt im Halbschlaf die Alp Morella an.Alp Morella im Tessin

Gepäck und Müll waren auf den Abstieg nach Linescio
Transportseilbahn im Tessin