Bei den Paddlern von Ulm | #Umsland Bayern

Wie fühlt sich eigentlich der Weg an? Mehrere Tage radelnd, eine Woche oder gar mehrere Wochen am Stück vom Ausgangspunkt bis zum Ziel. Hinterher wird es immer ein wunderbares Abenteuer gewesen sein. Ich glaube, unser Erinnerungsvermögen tickt so. Es blendet die weniger schönen Etappen einfach aus und was bleibt und im eigenen Tourgeschichtsbuch steht, sind die Blitzlichter der Reise. Ihr hättet dabei sein sollen, als ich am gestrigen Samstag auf dem Donauradweg von Dillingen nach Ulm radelte. Etwa vierzig Kilometer. Der Donauradweg ist ja ein touristischer Mythos. Vielfach prämiert. Und er ist tatsächlich ein Zuckerstückchen. Fast autofrei. Perfekte Infrastruktur. Von den Übernachtungsmöglichkeiten, Restaurants bis hin zu Infotafeln an den Ortsrändern, die den Radlerinnen und Radlern alles verraten, was für sie nötig ist. Reparaturstellen, Fahrradläden, Bed & Bike-Unterkünfte, Sehenswertes.

Aber Infrastruktur und guter Ruf sind schnell verspielt, wenn man endlose Kilometer auf einem Schotterweg durch dichten Auwald radelt. Der tristgraue Himmel dimmt die Stimung zusätzlich. Kurzum, das gefühlt über zehn Kilometer lange Stück durch den Wald um Günzburg geriet gestern zu einer elenden Schinderei. Eine Weile noch erfreute ich mich an den Erinnerungen ans quirlige Lauingen. Den ziemlich schief wirkenden, über fünfzig Meter hohen bunt bemalten Schimmelturm, das Albert Magnus-Denkmal und die mannshohe Polyester-Eistüte auf dem Marktplatz, garniert von Käse- und Wurststand-Markttreiben.

Ein quadratischer Turm mit rundem Dach neben einer Durchfahrtstraße, die von Häusern gesäumt ist.
Der Schimmelturm in Lauingen

Doch dann? Ringsum nur noch dichter Wald, einzig gelindert von ab und zuen Passagen auf dem Donaudamm. Alle zweihundert Meter ein halbmeter breites Blechschild mit den Flusskilometern bis zum Schwarzen Meer. Wir befinden uns bei Zweitausendfünfhundert-nochwas. Wenn man die alle nebeneinander legt, hat man eine Fläche von 0,5 mal 0,2 Meter mal fünf mal Zweitausendfünfhundertnochwas mit Stahl bedeckt. Wenn die Schilder denn durchgehend in einer Frequenz wie in dieser Gegend aufgestellt sind. Aber vielleicht stehen sie ja nur hier, um dem tristen Flussreisenden, moi-même, eine Rechenaufgabe zu geben, während er knirschenden Reifens durchs Dickicht radelt? In meiner Not stoppe ich bei jedem Hochsitz und fotografiere ihn und fluche, warum stehen hier nicht alle paar Kilometer Skulpturen im Wald. Ein Opel Manta mit Teufelsrochenschwingen zum Beispiel, ein Ufo, barocke Putten, Einhörner oder Hundefänger’sche Kreise. Warum nicht? Waruuum, schallt es imaginär. Ich werd‘ noch irre. Erst bei den beiden Elchingens, Ober- und Unter-, kommt man wieder aus dem Wald. Gleich ein Baggersee. Ich erwäge ein Bad. Da habe ich längst mein Inputs-Hungertuch bis zur Gänze ausgenagt. Die skurrile Baustellentür an einer Gerüstbaustelle nahe Lauingen zum Beispiel, das Bild ist im Artikel zuvor zu finden, oder die Ruine eines Römertempels in einem Wohngebiet. Ich weiß nicht, ob ich ohne die Erinnerung an diese Abwechslungen den Wald um Günzburg überstanden hätte.

Ich übertreibe natürlich. Die triste Vorregenstimmung macht mich unleidig. Aber das ist genau das Thema des Langstreckenreisens über mehrere Tage oder gar Wochen. Der Weg bietet harte, unbarmherzige Abschnitte, die von Rosinen durchsetzt sind. Manchmal sind diese Rosinen irgendwelche von Menschen für Menschen gemachte Dinge, Museen, Orte, Schönheiten, manchmal naturgeschaffene Wunder, Baumruinen, Wasserfälle, Hexenfelsen, manchmal auch Menschen selbst, wie etwa Franzisco aus Brasilien. Vor einer in die Stadtmauer eingelassenen Phalanx aus Bronzetafeln steht er mit seinem klapprigen Sperrmüllrad und schaut sich die vielleicht zwanzig Tafeln an. Besonders fasziniert ihn die, auf der Brasilien abgebildet ist. Dort kommt er her. Aus São Paulo. Direkt unter der Stelle, an der São Paulo liegt, ist auf der bronzenen Landkarte der Ort Entre Ríos eingezeichnet. Das Ensemble an Tafeln zeigt die Oyssée der Donau-Schwaben in alle Welt, die getrieben von Not und durch Vertreibung ihre Heimat verlassen mussten und sich an fernen Orten im Banat, in Australien, in Ulm/USA und sonstwo eine neue Existenz aufbauen mussten.

Es ist zum Heulen, dieser Tage Naziaufmärsche en gros erleben zu müssen und an dieser Stelle ein Monument der Vertreibung und Flucht der eigenen Landsleute ebendieser Nazis zu sehen.

Franzisco ist seit einigen Monaten im Land. Er kam in der Hitze und wunderte sich, dass das Klima ziemlich ähnlich ist, wie bei ihm in São Paulo. Er hatte Schnee erwartet. Er hat noch nie Schnee gesehen. Das wirst Du, sage ich. Der Winter ist nah in Kaltland, wirf einen Schneeball für mich.

Gegen Abend habe ich also das Dickicht um Günzburg gemeistert und konnte die Tristesse aus meinem Innern vertreiben. Am Abzweig zum Iller-Radweg steht eine Infotafel. Rüber über die Radlerbrücke, den Fluss entlang. Die Iller kommt dann schon. Problem: der Iller-Radweg ist gesperrt. Rot-weißes Band, niedergetrampelt. Ein Radler kommt aus der Sperrung. Der Sturm vor drei Tagen habe den Wald zerfetzt, man komme vielleicht durch. Also riskiere ich es. Übersät mit Zweigen und Laub ist die Schotterpiste. Einmal muss ich das Rad tragen. Ab Iller-Kilometer 1,6 wird es besser. Zeltplatzsuche. Frage einen entgegenjoggenden Jungen, ob es weiter oben gute Zeltmöglichkeiten gibt und er sagt, komm mit. Zwei Kilometer bei den Paddlern von Ulm. Und so kam es, dass ich zurück fuhr zur Donau und mich im hießigen Kanuverein einmietete – neben zwei anderen Radlerzelten – und in der ziemlich unaufgeräumten Küche des Vereinsheims, an der Steckdose hängend, diesen Artikel schreibe. Der Kühlschrank surrt und vorhin schwätzte ich mit einer Keramikerin, die morgen einen Marktstand betreibt und an ihr und am Kühkschranksurren werde ich mich festklammern, wenn ich mal wieder kilometerweit durch dichten Wald radeln muss.

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