Wie so ein wetten-dassischer Baggerführer | #kursnord

Das tat weh. Der gestrige, gelöschte Blogartikel. Selten war ich um den Verlust eines Textes trauriger. Es war einer der beiden Kerntexte unseres gemeinsamen Kursnord-Blogbuches. Meines Teils des Buches, denn Frau SoSo tut ihr übriges in ihrem Blog. Sie bloggt sogar täglich. Vermutlich ergänzen wir einander gut.Ein simpler Copy-und-Paste-Fehler hatte dazu geführt, dass der Artikel, an dem ich eine gute Stunde geschuftet hatte, mit dem Großbuchstaben G überschrieben wurde. Ich pflege meine Blogartikel zunächst mittels Bluetooth-Tastatur in die Notizbuch-App des iPhones zu hacken, grob und voller Tippfehler. Zudem muss ich in diesem zweiten Arbeitsschritt nicht nur die Tippfehler eliminieren, sondern mit abgekoppelter Tastatur die skandinavischen Umlaute, die ich auf der Tastatur nicht finde und andere Sonderzeichen über den Smartphonebildschirm in den Text streicheln. So weit so gut. Dann kommt der nächste Schritt: alles auswählen und den aufpoppenden Dialog Kopieren antippen, um es in die WordPress-App zu fügen. Der Kopieren-Dialog taucht manchmal nicht auf, weshalb ich auf dem Bildschirm herumtippte, in der aufpoppenden Tastatur das große G traf, statt direkt zu widerrufen irgendwas hektisch Unkoordiniertes machte et voilà la misère.

Das mitten im Idyll unseres Zeltplatzes unter lau beschatteten Kiefern an einer feinen Picknick-Bank, Kaffee schnurgelte auf dem Trangia, alles perfekt … so knapp, sagte ich, sooo knapp und mache dazu eine Geste mit Daumen und Zeigefinger, war der Artikel davor, in die WordPress-App kopiert und mit einem Titel versehen veröffentlicht zu werden. Sogar den Titel hatte ich schon aus dem Fließtext auserkoren. Das mache ich oft, dass ich den Titel eines Artikels mittels intuitiver Suche irgendwo im Artikel finde. Meist steht er im unteren Drittel. Wegen der Dramaturgie.

Wie man sieht, habe ich den Artikel noch einmal geschrieben, während Frau SoSo die häuslichen Arbeiten übernahm, das Zeltlager zusammen räumte, mir gnädiger Weise ihre Tastatur lieh, da meine – verflixtes HP-geplante-Obsoleszenz-Drecksding – obendrein noch den Geist aufgegeben haben schien und kein E mehr ausgab. Gestern hatte sich alles gegen mich verschwor: irgendwo an einem Nagel mit der schlabbernden Hose hängen geblieben, beim Geschirrspülen geschusselt, Tassen zu Boden geworfen. Das sind die Tage, an denen man ganz vorsichtig sein sollte und bloß keine Kettensäge anwerfen … dachte ich und kniete mich rein, den Artikel zu rekonstruieren. Man sieht (im vorigen Beitrag), es geht solala. Aber ich stelle fest, dass er etwas holprig geworden ist. Den Weg im Kopf zum zweiten Mal zu gehen ist fast unmöglich. Ich glaube, es nennt sich Schreibflow. Man merkt es einem Text durchaus an, ob er im Flow geschrieben wurde, oder ob man ihn, wie auf einer Landkarte in einer Art Verbinde-die-Punkte-Spiel rekonstruiert, nachgezeichnet hat. Denn die Eckpunkte waren ja allesamt noch da. Ich wusste, woüber ich schreiben musste, bloß die eleganten Wortketten wollten nicht mehr wiederkehren, die mir manchmal – einfach so – in den Sinn kommen. Erst gegen Ende des Artikels, als ich vom gezwungenermaßen zu rekonstruierenden Thema abschweifte, spürt man wieder den Flow.

Vielleicht bin ich nur gut in der Direkten, dachte ich später, als wir auf der E4 gen Süden brausten. Die Straße ist oft tief eingeschnitten in den eiszeitlichen Fels, so dass oft hohe Felswände emporragen, über denen sich das ewig ungetrübte skandinavische Himmelsblau trübt. Direkt wie diese Straße. Direkt wie die Bauarbeiter, die sie einst bauten. Wie ein grober Baggerführer, der in einer verrückten Achtziger-Jahre-Wetten-Dass-Schnapsideen-Wette mit der derben, tonnenschweren Baggerschaufel ein Frühstücksei köpft, so bin ich im ersten direkten Schreiben. Wie die stoischen Fichten … Abfahrt Hoga-Kusten-Brücke. Sie sieht ein bisschen aus wie die Golden-Gate-Brücke. Nur nicht so lang, nicht so rot, nicht so sanfranziskoisch melancholisch nebelumwabert – if you are going to Hogaaa Kusten, summt es in meinem Ohr und schon biegen wir ab, unterqueren die Brücke, fahren hinauf zum Parkplatz, wo ein Hotel, ein Infozentrum, ein Wohnmobilparkplatz und eine Butik lauern. Souvenirs kaufen, Softeis essen. Das erste für diese Ferien übrigens und die Frau am Eisstand sagt, sie haben erst gestern die Softeismaschine in Betrieb genommen und schon beginne ich eine Verschwörung zu wittern, das Anti-Midsommerfest am 22. Mai, wenn die Softeismaschinen auf einen Countdown hin in ganz Schweden angestellt werden, aber das ist natürlich quatsch. Wie so ein wetten-dassischer Baggerführer, ja, genau, so ist mein Hirn, wenn es anfängt Blogartikel zu denken und den willfährigen Fingern geheißt, das Gedachte in Worte umzusetzen und das ist dann der Flow, da kannste bei der Brücke stehen und darüber schreiben, wie du in den Souvenirsshop gehst, eine Postkarte kaufst, Salzlakritze und irgendwelche Dinge zum Herschenken und gleichzeitig in einem Nebensatz zurückkehren zu deinem Baggerführer, der das Ei köpft, ha, mehr noch, Wetten Dass war ein Dreck dagegen: mein Schreibflow-Baggerführer nimmt noch genüsslich einen Löffel und einen Salzstreuer und führt sich das wachsweich gekochte Hühnerprodukt zu Munde.

Die E4 nördlich von Sundsvall ist ein zwei- bis dreispuriges Etwas, das man in den Fels gehauen hat, um möglichst wenige Steigungen zu haben und das auf Brücken die oft weit ins Land führenden Fjorde überbrückt. Meist sieht man nur Wald und Fels und Brücken und andere Autos, Wohnmobile und LKW. Und Radarkontrollen. Das sind längliche, meterhoch aufragende Dinger mit dunkelblauem Rand, einer Kamera und einem Blitz. Sie werden grundsätzlich 200 Meter vorher angekündigt. So fahren wir Richtung Süden, vorbei an Timrå, wo ein riesiges Monument am Parkplatz des Indalsälven-Deltas lockt. Schießmichtot, ich komme gerade nicht auf den Namen des Künstlers, an dessen Stil es mich erinnert. Sagen wir Picasso. Ist immer gut. Weiter über eine Brücke über Sundsval und später biegen wir ab nach Bergsjö, um einen Campinplatz zu finden, auf dem wir 2010 waren. Geführt von einem uralten Jazzmusiker mit Nierenproblemen. Aber den Platz gibt es nicht mehr (oder wir finden ihn nicht – vergiss nie, deine alten Tourbücher einzupacken). Dennoch, nach acht Jahren ist es gut möglich, dass die alten Leutchen, die den Platz am See betrieben haben, aufgegeben haben oder gar schlimmeres.

Schon spät manövriert uns Frau SoSo durch die Wälder westwärts zu einem Alternativplatz in Ljusdal. Direkt der Sonne entgegen wie zwei Westernhelden, die am Ende des Films in den Sonnenuntergang reiten.

Was mein Hirn betrifft, so hat es diesen Artikel heute Morgen direkt nach dem Aufwachen schon einmal geschrieben. Fluffig leichtes Etwas von Text inklusive eines gedachten Schichtenmodells, in dessen Kern eben es selbst steht, das denkende Hirn am zu schreibenden Text, der aber nicht geschrieben wird, weil das Hirn ja denkt und erlebt und die Arme noch müde sind und die Technik zu schreiben nicht vorhanden und die zweite Schicht, diese hier, in der ich dies notiere, die ist auch noch gut. Der Flow. Nicht gut ist die dritte mögliche Schicht, einen schon einmal geschrieben Text zu rekonstruieren.

Jetzt bloß kein Copy und Paste-Fehler.

2 Antworten auf „Wie so ein wetten-dassischer Baggerführer | #kursnord“

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