Wie ich einen Palast betrat und aus einer schäbigen Hütte hervor kroch

Bilderrahmen. Ich brauche Bilderrahmen. Schöne, wertige Alurahmen mit echtem Glas. Wenn ich Glück habe, verkaufen sie sie mit passendem Passepartout und ich habe keine Arbeit. Einfach Bild rein, zuklipsen, fertig.

Nicht zu teuer sollten sie sein, aber der Preis spielt keine Rolle, wenn die Qualität stimmt. Ich kenne die Rahmen mit den klangvollen schwedischen Namen von früher. Es war ein Fest, vor zehn, fünfzehn Jahren in den Laden zu gehen, den Einkaufswagen vollzupacken mit durchaus wertigen Bilderrahmen. Echtes Holz oder Alu und echtes Glas. Sauber geputzt, entgratet.

So mache ich mich auf eines morgens zur Ausstellung, die ich aufbauen will, mit einem Schwenk vorbei am Rahmendealer. Dauert nicht lange. Ein en Passent Kauf. In Gedanken war alles ausgeklügelt: Pickup Bilderrahmen, rüber zur Ausstellungshalle, Bilder in Rahmen. Aufhängen. Fertig.

Trister Tag, zehn Uhr früh. Leerer Parkplatz vor riesigem Palast, in dem es neben Rahmen auch allmöglichen Tand zu kaufen gibt. Teelichte, Kaffeekannen, Handtücher, Bettlaken, einfach alles, was das Konsumentenherz begehrt. Auch Möbel. Man kann sich das Interieur seines kompletten Einfamilienhauses in diesem Laden zusammenstellen. Ein Paradies, das auf den unvoreingenommenen Fremden wirkt wie aus purem Gold gebaut.

Auto parkt direkt vorm Eingang. Ist noch nicht viel los. Der Laden öffnet erst um zehn.

Wo, bitteschön geht es zu den Rahmen, frage ich an der Info. Von früheren Besuchen weiß ich, dass man als braver Besucher eigentlich sämtliche Abteilungen des Geschäfts in labyrinthischer Querulanz durchlaufen muss, um zur Kasse zu kommen. Aber ich weiß auch, dass es geheime Abkürzungen gibt. Unscheinbare Türen zwischen den Abteilungen für Ehebetten und Küchen, die man nur mit scharfem Blick erkennt und an denen warnende Schilder hängen: Durchgang verboten. Nur für Mitarbeiter.

Die Frau an der Info sieht sich ängstlich um und es ist wohl der Frühe der Stunde geschuldet, dass sie eine Ausnahme macht und das Geheimnis verrät: Bis zu den Küchen, dann  die Tür zur Caféteria nehmen und dann …

Ich tigere los. Hab ja kaum Zeit. Im Kopf rahme ich ohnehin schon die Bilder in feinstem Alu hinter Kristallglas. Bei den Teelichten widerstehe ich, obschon es sie in grün, rot, blau und allen anderen Farben im Hunderterpack zu kaufen gibt. Unverschämt billig.

Die Rahmenabteilung hat die gefühlte Größe eines Fußballfelds. Fein sortierte Regale. Unheimliche Preise, bei denen man sich fragt, wie ist das denn möglich!? Sooo billig! Kaufrausch. Musste zugreifen, Mann. Jetzt!

Ich lade die benötigte Menge in den Einkaufswagen und noch ein paar mehr. Man weiß ja nie. Werde stutzig. Die Dinger fühlen sich leicht an. Glas ist schwer. Mit dem Fingernagel kratze ich die Folie auf und unter der Folie die Schutzfolie, bis ich auf Acryl stoße. Ich unglücklicher Golddigger, ich. Meine Goldader ist ein schäbiger Scheiß aus Irgendwas. Ganz bestimmt kein Glas. Dabei sehen die Dinger genauso aus wie die Glasrahmen, die ich vor fünfzehn Jahren gekauft habe. Auch die Namen sind gleich wie früher. Der Preis sogar günstiger. Auch das Alu fühlt sich im Tasten komisch an. So warm. So weich. Der Klopftest ergibt, es ist Kunststoff. Ich habe den Wagen mit fabrikneuem Müll beladen. Angewidert stelle ich alles wieder zurück in die Rahmenständer, schaue nach anderen Modellen, finde keine. Auf der gefühlt mehr als zwei Hektar großen Bilderrahmenabteilung gibt es keinen einzigen Bilderrahmen mit echtem Glas oder echtem Holz oder echtem Alu.

Ein drei Kubikmeter großer innerer Müllcontainer im Kopf tut sich auf und am liebsten würde ich den ganzen Schrott hineinwerfen und entsorgen.

Wenn sie am Material sparen, sparen sie auch an den Menschen! Ein Schauer läuft mir über den Rücken. In diesen Produkten steckt kein Funken Lebensglück. Nur Frust und Ausbeutung und Menschen, die in grausamer Zwangslebenslage ihre kostbare Lebenszeit vergeuden, um irgendwie mit der Arbeit, die sie in die Produktion Minderwertstens stecken, über die Runden zu kommen. Um schließlich Minderwertstes zu kaufen. Es ist zum Heulen.

Den Wagen lasse ich provokativ mitten im Labyrinth stehen, haste entlang des Parkours zur Kasse, widerstehe allem Billigen, krauche, innerlich auf Knien, vorbei an der Kasse, die für selbstscannende Kreditkartenzahler vorgesehen ist, ignoriere die Köttbullar- (Fleischklößchen) und Softeisteria, werfe mich wie ein Held aus einem Roland-Emmerich-Film, in Zeitlupe fliegend, durch die unheimlich behäbig drehende Ausgangstür, hinter mir der imaginäre Feuersturm einer lebensbedrohlichen Explosion.

Draußen. Blanker nasser Teer. Halb elf. Immer noch nur wenige Autos auf dem Parkplatz. Der All-German-Konsument schläft noch. Oder muss arbeiten.

Auf zum Auto. Regisseurwechsel. Emmerich hab ich überlebt. Nun Spielberg in Interpretation eines absolut scary Steven-King-Romans. Der Himmel blutet. Verzerrte, kahle Bäume. Krähen. Unheimlicher Wind aus dritter Dimension. Nackenhaarsträubende Stille. Hinter mir eine schäbige Hütte, in der was weiß denn ich für eine gottverdammte teuflisch unerklärbare Schandtat stattgefunden hat. Der Palast, den ich betrat hat sich in eine windschiefe Kaschemme verwandelt. Irgendwo dreht ein quietschendes Windrad. Ich bin allein. Der Wagen will nicht anspringen …

Schnitt.

Die Bilder hänge ich ungerahmt auf schneeweißen Nägeln an die Wände der Galerie. Ohne DIESE Rahmen wirken sie ohnehin besser. (Kaufen Sie meinen Horrorthriller ‚DIESE‘).

Schreibe in mein ledernes Notizbuch: ‚Der Kapitalismus ist die fragezeichenste Form des Niedergangs‘.

Was sich für eine Eigenschaft hinter dem ‚fragezeichenste‘ verbirgt? Schönste? Beste? Schlimmste? Ich weiß es nicht. Ich überlasse es Euch, liebe Leserinnen und Leser.

 

2 Antworten auf „Wie ich einen Palast betrat und aus einer schäbigen Hütte hervor kroch“

  1. Wie ich deine Schreibe und deine Wahrnehmungen mag!!!
    Danke, klar, ich kenne diesen Palast, die Hast, die Augenwischerei, es bleibt: Bauer, Nepp und Tendelei – wem dient das?
    Herzensgrüße an dich, Ulli

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