Heißer Sound und die Erinn’rung daran – äh woran?

Das nigelnagelneue Auto meiner Eltern. Ein superschicker, weißer, stromlinienförmiger Schlitten mit SOLCHEN Schlappen und Alufelgen und obendrein einem Bordcomputer, dessen Display bald so groß ist, wie das meines betagten Computers.

Was muss sich der Verkäufer vor einigen Monaten die Hände gerieben haben, als es ihm gelungen ist, die Karre, die schon einige Zeit im Verkaufsraum stand, meinen Eltern anzudrehen. Was das Auto alles kann, musste er dabei kaum erwähnen, denn meine Eltern wissen ja nicht, wie ein Computer funktioniert, was ein USB-Anschluss ist, dass man da ein Smartphone anstöpseln kann, eine Freisprechanlage, eine Mediathek, und das Bedienen des Touch-Displays per Gesten muss ihnen vorkommen wie pure Magie. Es genügte ein satter Rabatt, um die alten Leutchen zum Kauf zu bewegen.

Nun ist das Auto kaputt.

Mein naives, ungeschultes Radlerohr würde auf ein defektes Radlager tippen – aber das kann doch nicht sein, das Auto ist noch keine 10.000 Kilometer gelaufen. Meine Mutter hingegen meint, da stimmt etwas nicht mit dem Auspuff. Mein Vater schließt sich dem an. Früher hatte er immer alles selbst repariert am Auto, aber die Zeiten haben sich geändert. Man muss eine Grenze ziehen. Man darf den Kunden nicht zu viel Selbständigkeit gewähren. Deshalb gibt es heute Spezialwerkzeuge noch und nöcher und die Dinge werden so gebaut, dass man sie nur mit Mühe zerlegen kann. Ich habe gehört, dass man bei manchen Autos nicht einmal mehr eine Glühbirne selbst wechseln kann. Und die finale Hürde, um Kunden vom Do-it-yourself abzuschrecken, bietet die Elektronik. Ebenso unheimlich wie faszinierend. Mein Vater hat gefallen gefunden an dem Touchscreen, mit dem man das Navigationsgerät programmieren kann. Seither fährt er selbst bekannte Strecken immer mit Navi und lässt sich von der Stimme aus den Lautsprechern dirigieren, amüsiert sich, wenn exotische Routen über Waldwege ans Ziel führen. Das Programmieren des Navis geht ihm allerdings nicht so leicht von der Hand.

Das Lärmproblem müsst ihr in der Werkstatt melden, sagte ich den Eltern. Das Auto hat doch noch Garantie. Die müssen das umsonst reparieren. Kann ja wohl nicht sein, dass da jetzt schon der Auspuff abfällt und das Radlager jault.

Gesagt getan. Vermutlich hatte man an jenem Tag, als meine Eltern das Auto zur Diagnose brachten, einen Heidenspaß, denn die Reparatur des kaputten Auspuffs – meine Mutter lag also goldrichtig mit ihrer Vermutung – dauerte kaum eine Minute. Eben so lange, bis die fähigen Hände des Mechatronikers auf dem Touchcreen den Knopf „Heißer Sound“ ausfindig gemacht hatten. Damit könne man den Auspuff lauter stellen. Es handele sich um eine versteckte Funktion, die besonders beliebt sei bei jungen, männlichen Fahrern, die noch nie Sex hatten und die allnächtlich im harten Konkurrenzkampf auf den Parkplätzen der Clubs bestehen müssen.

 

Ein Mann ohne Fahrrad? Welch schreckliche Vorstellung.

Die Rückkehr nach exzessiven Lifereisen ist kein Zuckerschlecken. Ungebremster Aufprall im Alltag mit all seinen Querelen und den zurückgelassenen offenen Baustellen.

Eben noch radelte ich in Andalusien und schaffte es via Gibraltar und Tarifa bis zum Flughafen Jerez de la Frontera, wo mich ein Flieger verschluckte mitsamt Radel und dem Reisegepäck, zisch nach Madrid und spätabends dann in Zürich und nach ein paar Tagen in der Schweiz per Bahn zurück in die Pfalz. Puuuh. Eiskalte Künstlerbude. Kein Wasser zwar, das war wegen der Frostperiode noch abgestellt, aber hey, ein kuscheliges Bett, immerhin, das erste gemütliche Bett seit Ende Februar. Mit Eigengeruch.

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Am zweitletzten Reisetag brach der Webserver zusammen und alle Inhalte die in den letzten zwei Monaten auf dem Projektblog europenner.de geschrieben wurden, waren weg. Sowie etliche andere Webseiten aus dem Irgendlink-Cluster und noch ein paar Freundes- und Verwandtenseiten.

Ich nahms entspannt. Schließlich war das ja unter anderem auch ein Thema der Reise: der Niedergang, das Enden, der Tod, das alles schwang ja mit in den letzten Wochen. Ich bin gemeinsam mit dem Tod durch halb Europa geradelt.

Und nun bin ich zurück. Vollgetankt mit spanischer Gelassenheit. Das Radel, die Ausrüstung und ich, alles hatte sich aufgelöst (so sehr, dass ich in der beinahe menschenleeren Abflughalle in Jerez für einen Moment geliebäugelt hatte, ohne Gepäck heimzukehren, das Radel jemandem zu schenken, bzw., das, was noch davon übrig ist). Allein, ein Mann ohne Fahrrad? Schreckliche Vorstellung.

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Ein guter Freund hat mir die Freundschaft gekündigt. Eigentlich einer meiner besten. Diese Kälte. Ich hatte ihn mal wieder auf das ‚Problem‘ angesprochen. Gleich am ersten Tag nach der Rückkehr. Telefonate, Anrufbeantworter, SMS, die er wahrscheinlich ignorierte, bis ich ihm eine SMS schrieb, auf die er nur mit ja oder nein antworten sollte: ob er mir den Schlüssel für das Auto geben könne, das er seit einem Jahr vor meinem Atelier stehen hat. Er schrieb ja und ich besuchte ihn, um den Schlüssel abzuholen, und um zu reden. Eiskalter Empfang. Schlüssel. Da. Nimm. Wie so ein Hund.

Was denn noch?

Wann er es denn abhole.

Herumdrucksen.

Also sagte ich, dass es Miete kosten würde, ab jetzt. Mehr Kälte und ein sehr knapper Abschied. Spätnachts kam eine SMS mit zwei Jahren Frust und Anschuldigungen und es sei ja genug Platz bei mir.

Wozu Miete? Fast schon ein guter Titel für eines der vielen nichtgemalten Paul Klee Bilder. Kurzum, mein Freund war stinksauer, enttäuscht, wähnte sich im Recht.

Ich mich auch.

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Der Server ist unreparierbar. Wir brauchen einen neuen, sagte mein Cousin, der Admin. Er ist derjenige, der davon Ahnung hat. Er hat die Backups und im Prinzip ist alles ganz einfach, aber eben auch Arbeit und Zeit ist nie da in diesen Alltagen.

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Warum ist unterwegs – radelnd und sich siebzig achtzig Kilometer am Tag voranschaffend auf den Straßen Europas – so viel Zeit und so wenig Sorgen, aber daheim im echten Leben kocht alles heiß, treffen die Fronten aufeinander, fährt man am Limit, treibt in permanentem Schadensbegrenzungsmodus? So muss sich mein Freund mit dem Auto fühlen. Ewiger Schadensbegrenzungsmodus.

Ich als Künstlerleichtfuß kriege ja nur die Spitze des Eisbergs mit. Ich hab ja gut reden. Geradezu spielerisch analysiere ich die Situation und sage mir, hey, das lief doch alles prima, ich war weg, habe meine letzte wichtige große Reise gemacht und die letzten Puzzlestücke für mein schreiberisch-künstlerisches Gesamtkonzept eingesammelt und dabei festgestellt, dass die Sache mit dem Tod, dem Niedergang, dem Verlust doch ganz natürlich ist, hey, ich habe Frieden gefunden …

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Runter in die Stadt. Das war letzte Woche. Meine Bank ist weg. Verflixt. Ich wollte doch nur Kontoauszüge ziehen, aber der Automatenraum ist zu und an der Tür hängt ein Zettel, dass sie nun am anderen Ende der Fußgängerzone ist. Beim Busbahnhof. Übles Pflaster und wie es das Schicksal will, lümmelt vor dem nigelnagelneuen Glaspalast mit der automatischen Schiebetür eine Bande irgendwelcher komischer Jungs mit unisono knallroten Baseballmützen, die Los Angeles-Bande des kleinen Mannes sozusagen, Ghettoblaster, Gangstermusik, grimmige Gesichter. Würden Sie in diesem Schalterraum Geld abheben? Arglos hinausspazieren, ihren Atem spüren? Die Stadt ist trist.

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Der Galerist um die Ecke. Noch so eine Baustelle. Seit über einem Jahr liegen Bilder bei ihm, die er in Kommission verkaufen wollte. Das ist sinnlos. Wenn Bilder ein Jahr beim Galeristen liegen und nicht verkauft werden, wird er es auch in zwei Jahren nicht schaffen und nicht in drei und auch nicht in vier. Es ist genau wie mit einem Auto, das jemand vor der Ateliertür geparkt hat. Es ist nicht im Interesse des Galeristen, Bilder zu verkaufen, ähm, ist es doch, aber es gibt diese Art Galeristen, die die Künstler als Rohstoffquelle sehen und, solange es sie nichts kostet, die Rohstoffe horten. Ich holte also die Bilder ab, damit ich sie im eigenen Atelier aufhängen kann, wo sie zwar vermutlich auch nicht verkauft werden, aber eben, es ist wie mit Autos … ich rede wirr? … im Prinzip ist es egal, ob ein fremdes Auto auf deinem Grundstück steht, oder deine Bilder im Archiv einer Galerie vergammeln.

Ich habe Freundschaft geschlossen mit der Vergänglichkeit. Das macht stark. Ich erzählte dem Galeristen von der Reise und deutete an, dass ich rein künstlerisch eine Episode abgeschlossen habe. Die Galerie hat sich mächtig verändert. Aus einem Ausstellungsraum sind drei geworden. Statt Ausstellungen im drei-Monatsrhythmus gibt es nun alle vier Wochen eine Ausstellung. Das erhöhe den Entscheidungsdruck beim Kunden, höre ich. Entscheidungsdruck. Gutwort.

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Nun hier. Spätabends. Das Irgendlinkblog hat der Cousin grob restauriert. Es fehlt noch die Kommentartabelle. Deshalb wird es nicht funktionieren, hier einen Kommentar zu schreiben, aber wir arbeiten an dem Problem und ich kann das wohl selbst zurechtfummeln.

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Obschon ich keine Lust habe.

Ich habe erkannt in den letzten Monaten.

Unterwegs auf Europas Straßen habe ich vielleicht das Ganze gesehen. Mein eigenes kleines Übel wie das Übel der Welt. Den programmierten Niedergang. Wie alles wächst und vergeht. Wie es zum Vergehen hergestellt, geboren, erzeugt wird. Waren wie Ideen. Alles. Auch ich. Und dazwischen Möglichkeiten. Was ich kann, was ich nicht kann, was mir liegt, was mir nicht liegt.

Und ich sah die Welt. So viele Menschen. Elende. Reiche. Böse. Gutmütige. Normale. Spinner. Mich. Meine vielen lieben Freunde. Den Tod. Die Vergangenheit. Das bisschen Zukunft, was mir noch bleibt. All das sah ich. Hab alles durchlitten. Alles genossen. Weiß wo ich stehe. Weiß wo die anderen stehen. Vielleicht Du, Du und Du, aber vielleicht bilde ich mir das auch  nur ein in meiner kleinen Künstlermorgenblütenselbstherrlichkeit? Ich ahne den Prozess, den wir durchlaufen.

Ich bin höchst zufrieden.