Le Col de la Macht

Europapalarment Strasbourg. Über den Kanalradweg rein in die Stadt. Die Menschen kriechen aus den Betten. Stau auf der Autobahn bei Brumath. Die TGV Bahnbaustelle vom letzten Jahr ist noch immer nicht beendet. Also führt der Radweg entlang der Nationalstraße, wo gegen Sieben schon reichlich Pendler in die Stadt driften. Auch Radler in feiner Anzugshose und Hemd. Parlamentarier? Die Front National kommt mir unweigerlich in den Sinn und das Wahlergebnis der letzten Europawahl will so gar nicht zu den freundlichen Menschen passen, die mir Fremdem begegnen. Man spricht mich auf Englisch an, smalltalkt. Zwei Frauen im Kopftuch. Friede. Obendrein dünkt mich, dass in Frankreich viel weniger Nationalflaggen hängen, als bei mir daheim. Keine Spiegelbikinis, keine Autoschiebefenstereinklemmnationalflaggen. Kein WM Schnickschnack. Aus manchen Fenstern hängt hier im Elsass sogar die Deutschlandfahne. Ein Graffiti von vor vierzehn Jahren kommt mir in den Sinn. Die Parole Vive Le Pen hatte jemand kurzerhand in Vive Le Penis umgewandelt. Schmunzelnd im Morgenmenschenstrom. Feuerwehrauto Tatü. Krankenwagen Tata, schicke, herzlose Mehrfamilienhäuser im Eropaparlamentsstil mit viel Glas und Rundungen. Für die Besserverdiener. Bunt angemalte, angsteinflößende Monsterwohnblocks. Ab Reichstätt verstädterte Zone. Reichstätt und sein Autohausstrich. Wenn man über die Autobahn in die Stadt rauscht, von Haguenau aus, liegen linker Hand kilometerweit glänzende, verglaste Autohäuser aller Marken. Verkaufgeschulte Luden inside.
Nun vorm Parlament stellt sich mir die Frage, muss man so einen Glaspalast für Teuergeld da hin stellen? Können die nicht in ganz normalen Gebäuden arbeiten, die im Bau und im Unterhalt ein vernünftiges Maß aufweisen? Hmm. Ich bin nicht hier, um die Welt zu verstehen.
Bilder: Irgendling vorm Col de la Macht, das erste dreidimensionale MudArt Kunstwerk von Heiko Moorlander, Totenkopfgraffiti unter einer Kanalbrücke.
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12 Antworten auf „Le Col de la Macht“

  1. du bloggst schneller als ich kommentieren kann. :-)
    im ernst: ich finde es klasse, dass du so dicht schreibst. macht spass, dich so begleiten zu können.
    ich war noch nie wirklich in strasbourg – nur schon tausendmal durchgebraust!!!

    fahr gut weiter – und schreib wieder!

  2. Toll, Jürgen, mal wieder ein paar Reiseeindrücke von Dir zu bekommen. Das ist Frühstückslektüre, wie ich sie mir wünsche. Keine körperliche Anstrengung und doch dabei, das macht Spaß. Dort wo Du jetzt bist, habe ich auch schon mein ähnlich schwer beladenes Fahrrad bewegt. Ich wünsche Dir viel Lebensfreude, kein Regen und den Wind von hinten.
    Grüße aus dem Norden von Stefan

  3. Ich werd verrückt: der Monsieur macht ’ne neue Livereise… und ich hab prompt den Start verpasst! :-(
    Hab jetzt aber alles nachgelesen und bin ab sofort wieder täglich mit dabei! :-)
    Danke, dass ich mitkommen darf!
    Liebe Grüße und gute Fahrt,
    Andrea

  4. wunderbar, du bist wieder unterwegs und wir dürfen dir folgen, eine wunderbare Beschäftigung, wenn ich nicht gerade selbst beschäftigt bin …

    du schreibst: du bist nicht hier, um die Welt zu verstehen, -m- die Welt oder die Menschen und ihr Tun?

    habs fein und komme gut durch auf deinen Wegen …
    herzliche Grüsse Ulli

    1. Hast Recht: die Menschen. Aber sie sind ja Teil der Welt. Ich glaube an den Ablauf von Prozessen. Anders lässt sich das Schwarmverhalten nicht erklären.

  5. Endlich. Er unterwegsradelbloggt wieder. Ich habe den Eindruck, Deine Texte sind unterwegs ganz einfach aufzulesen: Drei Radumdrehungen über einen Weg gemacht, dann einmal übers Eifohn rollen und fertig ist ein Blogeintrag.

    Ernsthaft: Unterwegs scheinen mir Deine Texte eine Leichtigkeit zu haben (wie frei schwebende Ballons), die Du zuhause nur selten findest (dort eher Windräder oder sowas) …

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