Dreisprung nach Bergen

Wer müde ist, friert. Wer hungrig ist, friert auch. Und wer friert, friert erst recht. Die Ankunft in Lerwick war niederschmetternd. Das erwartet sonnige Wetter entpuppt sich als eiskalter Regen. Da nützt mir auch SoSos Meldung nichts, dass ab 9 Uhr die Sonne rauskommen soll. Die Fährfahrt hat mir meine Grenzen gezeigt.

Ich bin zu alt für solche Abenteuer. Schmunzelnd denke ich an frühere Fährfahrten: 1988 von Kiel nach Oslo, Nachtfähre ohne Kabine. Wir packten unsere Schlafsäcke im Flur aus und benutzten Bierdosen, die wir im Duty Free Shop gekauft hatten als Kopfkissen. Mit einem T-Shirt als Kissenbezug. Islandfähre 1992. Bei rauher See beruhige ich eine Dame, die eine panische Angst hat, das Schiff könne sinken. In einer Acht-Mann-Kabine finde ich genug Ruhe. Vor der Rückfahrt übernachte ich im Windfang eines Anglershops im Hafen von Seydisfjördur. Nordwinde treiben Schnee bis auf Meereshöhe. Es ist gerade mal Ende August. Le Havre nach Irland 1993. Eine Nacht bei Whisky auf dem Achterdeck mit seltsamen Kerlen aus Bayreuth.

Es gibt keine traffic free Radwege auf den Shetland Inseln. Auf den Orkneys auch nicht. Die Radroute verläuft auf mäßig befahrenen Hauptstraßen. Die Angst, übersehen zu werden, ist unbegründet. Die Menschen fahren vorsichtig, nicht zuletzt, weil auch Schafe auf der Fahrbahn laufen könnten. Orkney hat so gut wie keine Bäume, geschweige denn Wald. Shetland auf der südlichen Hauptinsel ebenso. Ich radele durch kahles Weideland, Blick auf Buchten und Klippen, Bäche und Moore, Torfabstichfelder, weit auseinander liegende Farmen, graue rechteckige Bauten ohne jegliche Zier. Ab und zu sind Sehenswürdigkeiten auf braunen Schildern ausgezeichnet. Museen. Und Brochs (im Artikel zuvor habe ich Brough geschrieben). Brochs sind Rundbauten, aus mächtigen Steinwänden, erbaut vor ca. 2500 Jahren. Die Wände sind oft hohl, so dass zwischen der inneren und äußeren Wand Kammern lagen, für Tiere und Menschen. Im Kern mehrstöckig, unten das Feuer, oben im Dachgebälk wurden Fische zum Räuchern aufgehängt. Ein Broch direkt bei Lerwick ist gut dokumentiert. Durchmesser vielleicht 20 Meter. Ein kleines Labyrinth mit 1,5 Meter hohen Tunneln und Durchlässen bis in den Kern des Bauwerks.

Über zwei starke Anstiege verlasse ich die Stadt, stoßweise von Autos geplagt, die, meist vier fünf Stück hintereinander an mir vorbei fahren. Entgegen kommen sie auch in Kolonnen, so dass ich mir vorstelle, an den zwei Enden von Shetlands Hauptinsel Mainland befinden sich Ampeln, die den stoßweisen Verkehr steuern auf eine ganz ausgeklügelte Art. Die A-Straße ist nicht so extrem befahren, aber der Lärm der Reifen auf dem rauhen Asphalt schmerzt in den Ohren.

Würde ich wieder nach Shetland kommen? Definitiv ja. Und ich würde ein paar Tage einplanen, die Inseln zu erkunden. Orkneys dito. Die beiden Kleinodien in der Nordsee kommen auf der Reise viel zu kurz. Ich nutze sie eigentlich nur für den Dreisprung nach Bergen. Würde ich die Inseln auch ansteuern, wenn ich auf der Nordseeroute radeln wollte? Definitiv nein. Es macht keinen Sinn, wenn man nicht die Absicht hat, mindestens eine Woche auf den Inseln zu verbringen. Nur als Sprungbrett nach Bergen sind sie zu schade und der „Heckmeck“ mit dem Transport ist lästig. Wenn ich die Runde noch einmal starten würde mit meinem jetzigen Wissen, würde ich nach Aberdeen zurückkehren oder nach Inverness und von dort aus nach Norwegen fliegen. Der Sprung über die Inseln hatte bei der Planung des Nordseeradwegs seinen Sinn: mit der Smyril Linie konnte man bis 2008 von Lerwick nach Bergen übersetzen. Seit die Linie eingestellt ist, muss man fliegen.

Das Sumburgh Hotel, das ich morgens durch die Dame im Touristbüro in Lerwick habe buchen lassen, liegt direkt neben dem Flugplatz. Man muss die Landebahn überqueren, wenn man zum südlichsten Zipfel der Shetlands gelangen möchte. Mit Schranken, die von Hand zugezogen werden, wird die Bahn für Starts und Landungen freigegeben.

Es gibt genügend Wildzeltplätze direkt beim Flugplatz. 12 Kilometer nördlich in Levenwick gibt es sogar einen offiziellen Campingplatz. Dennoch bin ich froh, mir den Luxus des Hotels gönnen zu können. Wifi, Strom, Wärme, Dusche, Bett. Abends frage ich vorsichtshalber beim Flugplatzpersonal am Flybe-Schalter, wie das mit dem Radel läuft, wieviele Gepäckstücke ich haben darf. Pi pa po. Nicht erfreulich. Angeblich muss ich das Radel in eine Box packen, die es nicht am Flugplatz gibt, oder in eine Tasche. Lenker muss eingeklappt werden und Pedale abgeschraubt. Das ist kein Problem. Aber die Box. Der Junge am Schalter zweifelt, ob es auf der Insel überhaupt Verpackungsmaterial gibt für Räder. Wenn, dann in Lerwick. Haha. Gepäckstücke darf ich eines aufgeben. Jedes weitere kostet 10 Pfund. das Problem lässt sich mit Geld lösen. Das Radelproblem kann ich dank exorbitanter Müdigkeit ignorieren, beschließe, es morgen früh darauf ankommen zu lassen.

Im Hotel schlafe ich ungeduscht sofort ein. Nun wieder wach, schreibe diese Zeilen, habe in der Dusche auf dem Spirituskocher Nudeln zubereitet. Sämtliche Taschen ausgeleert im Zimmer verteilt. Große Inventur. Ich will die fünf Packtaschen am Rad auf zwei reduzieren, sowie ein Handgepäckstück.

Ankunft in Lerwick

Flugplatz Sumburgh

Das einzige exzeptionelle Bild des Tages. Alles, was wegfliegen kann, muss mit Gewichten gesichert werden. Wohnwägen und Container und kleine Hütten werden oft mit Ketten verankert.

10 Antworten auf „Dreisprung nach Bergen“

  1. diese bilder! jedes erzählt eine eigene geschichte.
    ich hoffe, du hast dich aufgewärmt und von den fähre-und-regen-strapazen des letzten tages erholen können.
    mit dem flug wird alles gut klappen! (meine zuversicht in flybes ohr …)
    good luck!!!

  2. Könnte ich noch einmal von vorn anfangen, würde ich einen von der EU subventionierten Fährbetrieb zwischen Nordschottland und Bergen einrichten. Nicht täglich. Die Reisenden müssten einige Tage auf den kleinen Inseln In-Between innehalten.

    Lieber Irgend, hab einen guten Flug und freu Dich aufs Weiterradelnkönnen.
    Alles Liebe wünschen Dir und der Homebase
    frau freihändig und herr hauptstadtmediator.

    P.S.: Adresse fürs Ei kommt morgen via E-Mail, reicht das?

    1. Danke Frau FF. Ich würde die Galere freiwillig rudern. So EU subventioniert.
      Das Ei liegt wohlbehalten im Nest. Kontaktperson in Bergen muss ich mit: „Es sieht nach Sonne aus“ ansprechen. Zieladresse brauch ich spätestens Donnerstag. Dieser Kommentar vernichtet sich in fünf Minuten selbst.

  3. Brrrrrrr… mir friert’s bei lesen. Ich hoffe, du hast im Warmen gut geschlafen.
    Hmm, in solche Situationen flüstere ich mich selbst zu; so wie es kommt, ist es gut.
    Daumen drücken! Für viele freundliche und wohlwollende Mitarbeiter am Flughafen heute. Guten Flug!
    Liebe Grüße von der Süd-Ostseite Norwegens,
    Dina

  4. Guten Flug, lieber Irgendlink, und viel Glück mit dem Radeltransport und dem Wetter und dem Sommer… und überhaupt! Wird schon alles gut werden!
    Liebe Grüße, auch an die Homebase,
    Andrea

  5. Mein Bruder musste sein Fahrrad ebenfalls in einer Box verpacken, ich war bei der „Sezierung“ dabei und hab’s fotografiert- allerdings für seinen sehrsehr langen Flug nach Oz….Sonne, Glück und gute RadelEnergie
    Wir drücken dir hier alle die Daumen…Grüße aus Mainz!

  6. Der Norwegenabschnitt steht also vor der Tür. Ich hoffe für dich, dass damit auch die Regenzeit ein Ende hat. Und halte die Sonne, sofern sie denn vorhanden ist, ja fest!!!

    Mit Spannung und voller Interesse wurde die bisherige Reise verfolgt und es gab den ein oder anderen Moment, in dem ich mich fragte, ob ich mich auch solch einer Tour stellen sollte.

    In 2 Wochen starten wir von Larvik aus unsere eigene kleine Nordseeküstenradweg-Tour durch Norwegen – Irgendwie ist es ein echt seltsames Gefühl, irgendwo zwischen Ungewissheit und Abenteuerlust.
    Ich bin ganz guter Dinge und hoffe inständig, dass wir uns über den Weg radeln.

    Viel Glück und vor allem beschwerdefreies Radeln und viele viele tolle Eindrücke!

    Gruß aus Zweibrücken

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