Irgendlink wird dekadent

Die Reise hat eine gewisse, schicksalhafte Komponente. Ausgerechnet im Hagelsturm bin ich vor anderthalb Wochen bei Klausbernd und Hanne in Cley. Ausgerechnet im noch ekligeren Sturm am vorgestrigen Sonntag krieche ich für zwei Tage im mit 28 Pfund bisher günstigsten B&B, dem Areldee, bei Peter unter. Radlerfreundlich, sauber, ruhig. Ausgerechnet mein Zimmer liegt alleine im Zwischengeschoss, so dass ich die Nachbarn und ihre Fernseher nicht im Geringsten höre. Manchmal denke ich, ein Zwölfspänner Schutzengel reitet vor mir her und räumt mir, just in dem Moment, wenn die Reise an Ekelfaktor überhand nimmt, den Weg frei.

Aber vielleicht ist es nur eine jener Sichten, die man im Nachhinein so leicht als schicksalsbedingt einsortiert. Letztlich ist mein bisheriges Leben so verlaufen, dass immer im rechten Moment das passiert, was ich gerade benötige.

Im Areldee hatte ich sämtliche Packtaschen vom Rad montiert, das Zelt im Zimmer getrocknet. Sehr sinnvoll ist dort die Garderobe direkt über dem Heizkörper angebracht, so dass man alles, was feucht ist leicht trocknen kann. Peter hat Ahnung davon, was Radler benötigen. Die Hostels in Sunderland leben zum einen von den Radlern, die den dort endenden Coast to Coast Way radeln – immerhin etwa 15.000 pro Jahr begeben sich auf die etwa hundertfünfzig Meilen lange Strecke zwischen den beiden Küsten. Zum anderen quartieren sich in den B&Bs Fußballfans ein. Am kommenden Wochenende ist es ein Marathon, der für Vollbelegung sorgen wird.

Schicksal, dass ich seit Boulogne erstmals die Fronttaschen vom Rad nehme und feststelle, dass der Gepäckträger, durch die Rüttelei auf den etwa vierzig Meilen Bahntrassenradweeg der letzten Tage, nur noch an einem seidenen Faden hängt. Mit dem Schweizermesser schraube ich ihn wieder fest.

Schicksal, dass ich den gestrigen 34ten Tag bei mäßigem Nordostwind zwar im Nebel, aber trocken verbringe. Auf der Fähre über den Tyne hockt der Kassier direkt neben dem Eingang. Hinter ihm steht ein Ghettoblaster, der den Fahrgastraum beschallt. Coole Mugge, Sweet Home Alabama in einer 200Xer Cover Version. Spritzig wie der River, den wir überqueren. Eine Herde Muttis sitzt an der Frontscheibe und die Kids sind allesamt im gleichen, grüngelben Outfit Regenjacken, winziger Rucksack, und jetzt kommts: ANGELEINT. Wie Hunde. Nu sag mal.

North Shields. Jede Menge Fish and Chips-Restaurants. Ich erinnere mich, dass die drei Jungs, die ich auf der Fähre von Calais nach Dover getroffen habe, recommendet haben: Du musst unbedingt Fish and Chips essen in England! So wie vielleicht Pfälzer empfehlen, wenn Du in ein Restaurant gehst, bestelle unbedingt Saumagen.

In Blyth ist es dann so weit. Coastline Schnellrestaurant mit Meeresblick. Ich bestelle Cod mit Chips und dazu gibt es ein weiches Brötchen und Erbsenpaste und Ketchup. Der Fisch im Frittiermantel schmeckt nach nichts, die Chips sind schwer. Nicht übel, aber für den Magen eine Herausforderung. Finally setze ich noch ein Softeis drauf, direkt aus der Maschine. Ich habe den Eindruck, dass die Engländer beim Engländermachen von innen nach außen vorgehen.

Blythe ist ein kleiner Moloch. Ich muss den Hafen weiträumig umfahren. Wieder diese Enge. Meterhohe Stahlzäune. Kilometerweit. Erst kurz vor der Druridge Bay gelange ich in menschenleere Gefilde. An jedem Weg sind Schilder angebracht, die das Overnight Camping verbieten. Schöne Düne, die geradezu einlädt, das Zeltchen aufzustellen. Vermutlich Brutschutz für die Vögel? Ich respektiere das. Im wie ausgestorbenen Hauxley ragen hinter ein paar Häusern Caravans, die auf einen Campingplatz hindeuten. Aber ich finde den Eingang nicht. Als wäre es eine Fatamorgana. Vermutlich ist es sowieso ein Non Comfort-Platz ohne Dusche und alles. Fürs Zelten nicht geeignet, genau wie der riesige Leisurepark mit Schwimmbad am Ortseingang von Amble. Nicht sehr schön, diese modernen, weißen Kunststoffburgen, die bis zu 12 Meter lang und drei Meter breit sind. Es handelt sich dabei nicht um Wohnwägen, die man transportieren kann, sondern um mühsam mobile Ferienhäuschen auf winzigen Rädchen, die man mit einem LKW antransportiert und die für immer vor Ort bleiben.

Amble ist still. Ich überlege, ein B&B anzufragen. Ich bin verwöhnt. es regnet nicht und es scheint auch wärmer zu sein. Bleckende B&B-Schilder. Ein Mann auf der Straße. Ihn frage ich nach einem Campingplatz und der reibt sich das Kinn, Hmm, yesss, hmmm, komm mal mit, hmmm, schwer zu erklären. Er starrt in Richtung Campinplatz durch ein Haus hindurch: Folge dem Fluss bis nach Warkworth, hmm, dann fähst du am Castle vorbei durch eine Allee, Bäume, Bäume, Bäume bis zu einer Häuserzeile, und dort links ab und außenrum und hintendran ist der Camping. Falls Du es dir überlegst und B&B machen willst, geht ins Heritage Inn, Sag Liz und Steve nen schönen Gruß von Jim Penner.

Drei Meilen bis Warkworth. Das Castle kann sich sehen lassen. Die Stadt ist totenstill. Am zentralen Platz stoppe ich vorm Heritage Inn, mache ein paar Fotos, hadere, kannst ja nicht schon wieder, und ach, all das Geld, und das Wetter ist doch okay, oder. Ich muss an das Trauma von Fletcher’s Non-Comfort-Mister-Superteuer-Camping für nichts in Great Ayton denken, lege intern eine Schmerzgrenze fest, die das Heritage Inn kosten darf, 40 Pfund. Wenn es mehr ist, gehe ich zelten. Bloggesurteil.

Für 35 Pfund checke ich ein, beziehe ein Einzelzimmer, full english breakfast inclusive Und ganz wichtig: WLAN. Seit Blyth gibt es keine mobile Datenverbindung mehr, und selbst der Telefonempfang ist mäßig.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

7 Antworten auf „Irgendlink wird dekadent“

  1. Kein Angst, du weißt doch „mit der Not wächst das Rettende“ (Hölderlin, der zwar ziemlich verrückt war und deswegen kluge Gedanken äußerte).
    Genieß dein B&B und Newcastle Brown Ale
    Klausbernd und die Buchfeen und natürlich Dina auch

  2. Eigenartig finde ich das Reisen in der heutigen Zeit … trotz Zelt ist es nicht so einfach, einen Platz zum Übernachten zu finden. Einfach so drauf los fahren wird zum Abenteuer …
    Dekadent finde ich es aber nicht, wenn du dir ein B&B gönnst. Dann bin ich mal gespannt auf Schottland …
    LG, May ;-)

  3. bei uns waren die wärmsten tage, die es im april je gegeben hat. krems der hitzepol europas. und in england einer der schlechtesten und nassesten monate, die die dort jemals hatten. armer irgendlink. das erlaubt doch jedes b&b. ausserdem hast du deine klospülungsstudien noch nicht ganz abgeschlossen.
    eine kritik will ich hier anbringen: du hast mir gar keine lust auf die insel gemacht. :-)
    viel kraft mental und in den wadeln für die nächsten paar hundert kilometer.
    ganz liebe grüße
    ingrid

    1. Ohje, Ingrid, das wollt ich Dir und der Insel nicht antun. Wie kann ich das Bild wieder gerade rücken? Die Insel ist klasse.
      Deine Wetterinfos äußerst interessant. Dann kann ich mich bald auf die vergleichsweise aride Küste Norwegens freuen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: