Tag 65 – die Strecke

Der Vestlandske Hovedveg hat mich wieder. Werde noch ca. anderthalb Stunden radeln. Zwei Radler haben mir schöne Plätze empfohlen – eine ehemalige Agrarschule, einen Strand und noch einen – allles nahe von Grimstad, schreibt Irgendlink kurz vor acht.

Um zehn mailt er: Im Zelt nu, neben Trinkwasserreservoir. Windig, kühl. Zelten eigentlich verboten. Aber man hat mich hier her geschickt. Baden auch verboten. Aber vorhin war jemand baden. Hum.

Heute mal wieder ein Link zum Kartenausschnitt auf OpenStreetMap. Diese Karte hat Irgendlink auf seinem iPhone – auf der GPS-Kit-App. Der rote Weg 1A ist die Radroute, der er folgt. Zum Link: bitte hier klicken!

>>> Åros Feriesenter – Nähe Wasserreservoir bei Grimstad: zum Kartenausschnitt von heute: bitte hier klicken!

Nummer dreiundzwanzig

Kaum zu glauben! Schon die 23. Bildtafel mit je sechzehn Kunststraßenbildern. Heißt 3670 gefahrene Kilometer und 367 Kunststraßen-Aufnahmen.

Km 3520 – Km 3670

Um des Reisens Willen

Eine Putzhilfe putzt nicht, um zu putzen. Ein Softwareingenieur installiert keine Software, um Software zu installieren. Hausmakler verkaufen keine Häuser, um Häuser zu verkaufen und Fischer fangen keine Fische, weil sie Fische fangen wollen. Alle tun das, was sie tun, weil sie damit das nötige Geld verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Nicht jeder hat Spaß an dem, was er tut. „Prostitution“, klingt es mir noch in den Ohren. Das hat der Jazzer Ian gesagt, den ich am Pfingstmontag nähe Kvinesdal getroffen hatte. Ihr Lebtag verbringen viele Menschen damit, ihren Körper und auch ihren Geist in die Dienste anderer zu stellen.

Meine Arbeit als Tacker kommt mir in den Sinn. Ich hatte Spaß daran. Ich habe Möbel gebaut, um des Möbel bauens willen. Auch die Organisation eines Kleinkunstfestivals im Amt ohne Wiederkehr hat mir Freude bereitet. Ich habe das Festival organisiert, um des Festivalorganisieren Willen. Über Kunst brauchen wir gar nicht zu reden und über das Schreiben und über das Livereisen. Das, was für viele wie ein langer Urlaub scheint, ist harte, disziplinierte Arbeit, die das Endprodukt „Live geschriebenes Buch im Web – auf irgendlink.de verfolgbar“ hervorbringt. Natürlich mache ich es um der Sache Willen. Und natürlich mache ich nicht alles, was ich tue nur um der Sache willen. Der nützliche Nebeneffekt Geldverdienen hat sowohl beim Möbeltackern, als auch beim Kleinkunstfestivalorganisieren eine tragende Rolle gespielt. Mit der Kunststraße – alle zehn Kilometer ein Foto der Strecke, geogetagged lokalisierbar und nachvollziehbar – verhält es sich auch so. Die konstruiere ich nicht, um des Kunststraßenbauens Willen. Deshalb habe ich kürzlich von Scheitern geredet.

Wenn ich am Ende der Reise supplement zum vorliegenden Buch auch noch das Rohmaterial für eine Konzeptkunstausstellung in der Tasche haben will, muss ich möglichst genau dem Nordseeküstenradweg folgen und ihn auch zu Ende radeln. Nur wenn die Tour vollendet ist, kann ich mit dem Rohmaterial bei entsprechenden Stellen Vorschläge machen und mich um eine Finanzierung der Fotoinstallation kümmern. Wenn ich eine Expedition zum Südpol dokumentieren wollte und ausstellungsfähiges Material beischaffen würde, könnte ich nicht in Hans-Im Glück-Land oder wie die Archipel dort unten alle heißen, einfach sagen, sodele, ich fahre mit meinem Schlitten rüber zu dem markanten Berg dort und das ist dann mein Reiseziel. Daheim erzähle ich der Südpolinteressengemeinschaft, die brennend auf die Ausstellung wartet, dass der künstlerische Geist frei ist von jeglichem geografischen Schnickschnack und dass der Südpol sowieso nur aus dem Nordpolneid eifriger junger Abenteurer gemacht ist, die bei der Erstbegehung des nördlichsten Punkts der Erde zu spät dran waren.

Ha.

Erstmals bin ich mit Stechmücken konfrontiert beim Abbau des Lagers an der Hegrestad Bru. Ein heftiger Schiebeanstieg zum Frühstück. Nach einer halben Stunde bin ich in Mandal. Das Mobilfunknetz ist ausgefallen. Ob es am Fon liegt? Der Servicemann der Jazzkneipe, in der ich das Wifi nutze, sagt, sein Fon funktioniere noch. Sorge. Ich aktualisiere die Netzwerkeinstellungen übers Wifi, jage Bilder raus und Texte. Die manische Depression der mobilen Datenübertragung, wobei die manische Phase durch Verfügbarkeit von Strom und Netzwerk symbolisiert ist und die depressive Phase durch deren Mangel. Abgeschnitten von der Möglichkeit zu kommunizieren. Ich weiß, das ist weit hergeholt.

Mandal! Liebe Li Ssi, danke fürs Augenmerk. Mit Deiner Zehgeschichte und dem unfreiwilligen Fjordbad 1971, worüber Du kommentiert hast, sehe ich das feine Städtchen ganz anders. verbringe Stunden dort. Überhaupt ein Trödeltag, was der Kunststraße gut reinläuft, denn nachmittags und abends habe ich die Sonne im Rücken. Das vereinfacht das Fotografieren.

Schärenküste mit vielen Felseninseln. winzige Yachthäfen, Wochenendhäuschen, unauffällig besiedeltes Land. In einem Weiler namens Tregde frage ich einen Mann in seinem Vorgarten nach Wasser. Fülle die zwei Liter Flasche. Man weiß nie, ob man wild zelten muss. 16 Uhr. Direkt aus dem Berg, 60 Meter tief, komme das Wasser, sei ein bisschen kalkhaltig, aber gut, und ob ich Fisch möge. Arglos sage ich ja, folge dem Mann hinters Haus durch eine Laube hindurch bis zum Meer, wo er eine Reuse aus dem Wasser zieht, drei lebende Fische darin, die zappelnd nach Luft um ihr Leben ringen. Schon sage ich, die sind viel zu grfoß für mich, hat er schon einen in der Hand, bricht ihm mit einem Messer das Genick, schlitzt ihn auf, nimmt ihn aus, schneidet den Kopf ab, wirft mit einer Rückhand, die John Mc Enroe gut angestanden hätte, Innereien und Kopf ins Meer, filetiert, verpackt. Da!

Der Mann ist zweiundsechszig, war sein Lebtag Fischer, nun ist er pensioniert und fängt die Fische um des Fischefangens Willen und um abends etwas zu essen zu haben. Mit Pfeffer und Salz und ein bisschen Butter soll ich das Tier zubereiten.

Später treffe ich vor der uralten Kirche Harkmark auf Ko (abgekürzt für Jacobus) aus Eindhoven, seit sieben Wochen und dreitausend Kilometern auf dem Nordseeradweg. Er hat echte Karten mit eingezeichnetem Radweg für das Stück Kristiansand bis Schweden und für Dänemark, die er mir mit einigen Tipps überlässt. Ich könne sie ihm nach Gebrauch zurücksenden. Das Suchen der abgeradelten Karten gerät zur kleinen Inventur an seinem Fahrrad. Sämtliche Packtaschen räumt er aus, so dass es mir fast peinlich ist. Auf die Dänemarkkarte bin ich jedoch sehr scharf – ich erinnere mich, das Land 1992 auf dem Rückweg aus Island auf Hauptstraßen durchquert zu haben, was die Reise etwas hektisch gestaltete. Ko ist 60, arbeitet für eine Laminatfirma, die allerdings zur Zeit keine Beschäftigung für ihn hat, weshalb er sich eine Auszeit gönnen kann. Bei vollem Lohnausgleich. Klasse. Ich erinnere mich an Chaeuk aus Korea, den ich auf dem Jakobsweg kennen gelernt hatte. In Korea kann man in der Mitte des Arbeitslebens eine bezahlte Auszeit nehmen. Und in der Schweiz gibt es glaube ich, zumindest im Bereich Pädagogik, ein ähnliches Modell. Kur ohne krank zu sein.

Ob Ko Fisch mag? Aber natürlich. So wandert eines der beiden Fischfilets, die noch vor Kurzem gezappelt haben, in seine Packtasche.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

Tag 64 – Bilder

In Mandal … (Draufklick für groß)

Mandal zum zweiten …

… und Mandal zum dritten.

Mandal für Li Ssi

Über der Tür eines Tattooladens in Mandal

Schärenküste

Gesunkener Kahn zum ersten … (groß auf pixartix_dAS bilderblog)

… und zum zweiten.