Seine erste Visitenkarte

„Gestern kam ein Paket für ihn“, sagt sie zu ihrer Freundin.

„Und, hast Du es ausgepackt? Was war es?“

„Visitenkarten. 10.000 Stück.“

„Ist er so wichtig?“

„Eigentlich nicht. Ganz normaler Angestellter. Aber als er heimkam, hat er die Karten gleich angefingert, sie hin und her gedreht, gegen das Licht gehalten. Dann hat er mir mit dunkler Stimme eine gereicht, ‚Hier, meine Karte, rufen sie mich an, wenn sie etwas brauchen.'“

„Ahahaha, wie cool ist das denn. Macht ihr öfter solche Spielchen?“

„Nö. Später, beim Kochen, umarmt er mich rücklings und schnauft mir ins Ohr, aber Irgendwas hat mich gekratzt, und als ich mich umdrehe, rate mal, was er im Mund hatte?“

„Ähm?“

„Die neue Visitenkarte. ‚Pfaby, hfier, mpfeine Pfisitenkhrte‘, hauchte er, ‚ruf mich an, wenn du ef brauchft‘.

„Muhaha, hat er echt?“

„Ja. Da fand ich es auch noch lustig. Aber der spätere Abend ist dann im Fiasko geendet. Zuerst steht er einen halbe Stunde vor dem Spiegel im Bad und übt Visitenkartenüberreichen, ‚Gnädigste, meine Karte!‘ hier … und ‚Herr Generalvorstand, sie haben schon meine Karte?‘ dort … Mal hielt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger, mal zwischen Zeige- und Ringfinger, mal schnipptte er sie nonchalant durch die Luft und ich sollte sie auffangen. Als Freunde von ihm klingelten, hat er ihnen erst einmal seine neue Karte gereicht. Sie haben dann bei einem Bier Häuschen aus den Karten gebastelt.“

„Klingt ja nach ’nem echt netten Abend?“

„Ja suuuper. Ich bin dann irgendwann ins Bett. Überall liegen jetzt seine Visitenkarten auf dem Boden im Bad, Küche, Keller. Er hat sie sogar hinter den Scheibenwischer des Autos in der Garage gesteckt, in den Briefkasten geschmissen, und dort wo vorher mein Bild in seinem Geldbeutel war, ist jetzt auch seine Visitenkarte. Eine hat er sogar gerahmt. Weil es so gelärmt hatte, als er aus dem Fenster die Passanten belästigt hatte, um ihnen seine Visitenkarte zu geben, hab ich ihn aus dem Bett mit dem Handy angerufen.“

„Und?“

„‚Bin gleich bei Ihnen, Frau Direktorin‘, hat er gesagt.

„Und?“

„Nachts um zwei weckte er mich laut rülpsend und weißte, was er an hatte?“

„Doch nicht …?“

„Oh doch, seinen schwarzen Lederstringtanga, aber es kommt noch schlimmer.“

„Igitt.“

„Genau, da steckten nämlich Visitenkarten drin.“

„Was steht eigentlich drauf auf der Karte?“

„Öm? Weiß nicht.“

 

 

Reise ist Kunst

Ich komme – hoffentlich – wieder in eine Phase des kreativen Arbeitens. Will sagen, ich kann mich wieder mehr dem Blog widmen, nachdem endlich die Vorbereitungen für die Kunstmesse in Mainz ab 16. März und für das Ums Meer Projekt vom Tisch sind. Schon Samstag, als die ersten Pakete mit Bilderrahmen, Bildern, Postkarten, Visitenkarten, eben allem, was das moderne Kunstbübchen so braucht, ins Haus trudeln, wird mir bewusst, wie aufwändig die letzten Wochen waren. Selten bin ich vor zwei Uhr ins Bett gekommen. SoSo hat mich glücklicher Weise massiv unterstützt und ein waschechtes Sponsoring/Spenden/Pressepaket erstellt mit Kontaktlisten und wohlgeformten Texten. Ihre Arbeit trägt schon Früchte, hat sie doch gleich zwei Zeitungsartikel bei den beiden führenden Tageszeitungen der Stadt ausgelöst, die letzte Woche erschienen sind.

Der „Presserummel“ macht mich leider unruhig und das ist geradezu schizophren: munter leutselig in diesem Blog drauflos zu zwitschern, wenn aber die Printmedien berichten, sich so seltsam entblößt vorzukommen. Insbesondere, wenn auch die Blogadresse genannt wird. Vielleicht ist es mein Argwohn, diejenigen, die heutzutage noch Zeitung lesen, könnten das Blog-Gerede womöglich nicht verstehen, falsch verstehen, sich ein Bild von einem eigenartigen Menschen machen? Verflixt, ich bin eigenartig!

Journalist und Künstlerkollege K. war vor zwei Wochen zu Gast für ein Interview. Dabei erzählte er mir von einem Berliner Künstler, der aus Pirmasens stammt und der sich strikt weigert, in der hießigen Presse aufzutauchen, weil er nicht möchte, dass seine Verwandtschaft durch den Bericht womöglich ein falsches Bild von ihm kriegt.

Mir geht es eigentlich genauso. Nur, dass es einfach nicht möglich ist, im Internet groß herumzuposaunen, „ich radele live ums Meer und hänge es an die große Glocke“, und dabei gleichzeitig anonym zu bleiben. Dilemma.

Heute frühmorgens auf dem Weg zum Brotjob, lichten sich die letzten Nebel (das meine ich sinnbildlich), Schleier vor verschwommen abstrakter Zukunft,  und ich greife eine alte Idee wieder auf, die ich zusammen mit meinem Freund QQlka vor einigen Monaten erdacht habe: die Tonaufnahmefunktion auf dem iPhone besser zu nutzen und bei der bevorstehenden Livereise verstärkt auf Sprachbeiträge zu setzen und auf Videos. Wie es funktionieren kann, die große Datenmenge, die dabei entsteht, ins Netz zu bringen, weiß ich allerdings nicht. Aber ich bin ja Pionier.

Während der monotonen Tackerstunden, in denen ich einige Möbel reparierte, kamen immer wieder Gedanken, die ich sofort notierte. So ähnlich funktioniert ja auch die Livereise: der Artist in Motion durchquert die bunte Welt und versucht, die Atmosphäre so gut wie möglich in Text und Bild festzuhalten. Am Abend oder in ruhigen Minuten am Wegrand beginnt die minimalistische, journalistische Arbeit und in kurzen Statements wird das Tagesgeschehen hier in diesem Blog veröffentlicht.

Ganz wie auf dem Jakobsweg. Nur, dass alles anders wird. Gegen Feierabend kommt mir die kühne Idee, das Projekt derart an die große Glocke zu hängen, dass wir die Presse rund ums Meer informieren. Kleinstädte wie Zweibrücken mit eigenen Tageszeitungen, gibt es bestimmt zwanzig dreißig Stück an der Nordsee. Dazu Radiosender, Fernsehen, pi, pa und po. Ob das so spaßig wird? Ständig interviewt werden ist Knechtschaft.

Als ich vorhin meinem alten Freund Don Hirtho zum Geburtstag gratuliere, erzählt er mir von einem längst vergessenen Kunstprojekt, bei dem ich ihm offenbar von meiner ersten Zweibrücken-Andorra-Radtour jeden Tag eine Ansichtskarte geschickt habe. Hatte ich völlig vergessen. Ich hatte schon immer einen Hang zu seriell-abstrakten, selbstgebastelten Reisekonstrukten mit künstlerisch-intelektuellem Touch :-)

 

Das 1 Milliarde Euro Projekt

Für die Einen ist es nur eine Eins mit neun Nullen, für diejenigen, die Violetta Vollraths 1 Milliarde Euro Projekt kennen, wird dieses mathematische Abstrakt emotional erfahrbar. In den Jahren 2008 und 2009 malte die Mainzer Künstlerin 42 (unverkäufliche) Bilder, die auf-einen-Blick veranschaulichen, was eine Milliarde Euro überhaupt sind. Zitat aus ihrer Seite bei Picasa, auf der auch alle Bilder und Milliardenanalogien zu finden sind:

Lange bevor die Finanzkrise unglaubliche Geldsummen in die Medien brachte, wurde mir bewusst, dass Geldsummen meist isoliert vor einander genannt werden und mein Gedächtnis meist nicht ausreicht, um z.B. unseren Bundeshaushalt von rund 250 Milliarden € mit einer Erdbebenhilfe für die Türkei von 20 Millionen (1/10 000) oder einem Jahreseinkommen der 65 bestverdienenden Deutschen von 3 Milliarden zusammenzubringen. Jedes der 42 Bilder (Acryl/Stifte auf Papier, überw. 50 x 70 cm) macht den Wert 1 Milliarde € sinnlich und emotional erfassbar. Sie will als eine Botschaft an den Betrachter verstanden werden, ist deshalb nicht verkäuflich (ggf. als Reproduktionen), sondern soll an möglichst vielen Orten ausgestellt werden. Mit entsprechender Erläuterung durch Eltern oder Lehrer ist die Reihe auch für Kinder geeignet.

Eine einem einen

Noch nie hatte ich die Gelegenheit, einen Satz zu schreiben, in dem die Worte „eine einem einen“ hintereinander vorkommen. Auf der Rottenkinckschow wurde ich endlich inspiriert. Das untige Bild, das mich inspiriert hat, habe ich kurzerhand von der Webseite abgemalt. Das Original ist eine sehr schöne Tuschezeichnung.

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Pausenhofsyndrom

Während der Arbeit rette ich heute früh folgenden Satz ins Notizbuch des iPhones:

Ein großes Problem des Menschen liegt im Impuls, dazugehören zu wollen. Unmöglich die Vorstellung, als Einzelgänger neben einer „Gruppe“ stehen zu müssen. Es kostet viel Kraft, zu etwas gehören zu können, Besitzer von irgendetwas zu sein, eine Gesinnung zu haben, so-und-so sich zu kleiden, zu schminken, auszusehen, diese oder jene Musik zu hören, Gefallen an dem zu finden, was auch anderen gefällt. Aber auch dann, wenn der Mensch bewusst nicht wozu-auch-immer gehören will, muss er eine immense Kraft aufwenden, nicht dazugehören zu müssen. Der erstrebenswerte Zustand ist vermutlich, dass es ihm egal ist, ob er dazugehört, oder nicht.

Überall, wo Menschen sich versammeln und einer Meinung oder geteilter Meinung sind, entstehen Oppositionen, in denen sich die Individuen zusammenschließen, nur, um dieses elende Gefühl, alleine dazustehen, nicht zu ertragen. Beinahe „instinktesk“ bilden sich auf diese Weise Gruppen, Parteien, Vereine, Interessengemeinschaften: die mit den rosa Pullovern, die mit den gelben Gummistiefeln, diejenigen, die diesen Musikgeschmack haben, jene Tierart retten wollen etc. Unikate gibt es nicht.

Die Notiz wäre in den Tiefen des Smartphones versunken, wenn nicht SoSo ähnliche Gedanken gehegt hätte und wir am Abend nicht darüber diskutiert hätten.