Am weißen weiten Sandstrand von WordPress

Bis spät nachts prügele ich mich herum mit einem neuen Blog-System. Ein unheimlich kompliziertes Ding mit zu vielen Einstellungsmöglichkeiten und Zusatzmodulen. Wieviele Nächte? Kaum war es je früher als zwei Uhr, dass ich ins Bett komme. Nebenbei schnurgelt der Ofen. Gestern war zum Verzweifeln. Das nigelnagelneue System ist zweisprachig angelegt und man kann von unterwegs bloggen, direkt aus dem iPhone. Das ist wichtig für das große Projekt nächstes Jahr. Zum Verzweifeln sind nur ein paar Kleinigkeiten. Ich muss an die Geschichte denken, die Großvater G. erzählt hat von den Hausaufgaben meines Neffen, dritte Klasse. An einer Aufgabe war der Großvater schier verzweifelt. Schier unlösbar, sagt er. So ist es, hat mein Neffe geantwortet. Die Aufgabe lässt sich nicht lösen. Sie haben den Kindern eine Aufgabe untergejubelt, bei der sie zu dem Schluss kommen müssen, dass die Aufgabe unlösbar ist. Unlösbar heißt die Lösung.
In meinem neuen CMS, das an den Umfang von Typo3 gut heran reicht, gibt es aber keine unlösbaren Aufgaben. Nur Probleme. Und es gibt Suchmaschinen und Foren, um sie zu lösen; Quelltext, Shell, Dateirechte, Verzeichnisbäume, Verwirrung so weit das Auge reicht. Außerdem mein Hirn, in dem zunächst das gesamte System abgebildet werden muss. Es ist wie sich in einem neuen großen Haus auskennen lernen. Man muss erst einmal lernen, wo sich was befindet und welchen Schlüssel man braucht um jenste Tür aufzusperren. Tagsüber gönne ich mir eine Erholungspause bei friedlicher Lohntackerei. Der Möbelbau entspannt mich, nimmt mir die geheime Wut. Meine Hände legen los wie junge Hunde auf grünen Frühlingswiesen, um es einmal kitschig auszudrücken. Aber schon kurz vor Feierabend vertieft sich die Hirnmaschine wieder in das neue, fremde System – es ist eine Investition in die Zukunft, beruhigt mich eine innere Stimme, lerne das System und das Seitengestalten, es kommt dir künstlerisch zu gute und Geld lässt sich damit auch verdienen.
Geld, Geld, Geld.
Es bereitet mir auch Freude, die Dinge ans Laufen zu kriegen, ihr müsstet mein zufriedenes Gesicht gesehen haben, als ich auf die Sprachfähnchen auf der Webseite geklickt habe und nach Herzenslust von Deutsch nach Englisch umgeschaltet habe, hin und her, wieder und wieder und es gibt doch nur zwei Testeinträge auf der Seite und ein bisschen Datengerümpel bis jetzt. Mein wanderlustiges Hirn füllt tagsüber, während der Tackerstunden in der Möbelfabrik schon fleißig Inhalte ein. Das System hat ein explizites Buchmodul, welches wie geschaffen scheint, um die Jakobswegreise dort hinein zu füllen. Mit echten Kapiteln und PDF Export und und und.
Euphorie ist eine gähnende Katze, die sich den Rücken biegt und die Krallen an einem Hackklotz wetzt.
Ich schreibe diese Zeilen morgens in im Vakuum. Noch bin ich aufnahmefähig und bereit. Bevor das neue System mich vereinnahmt. Vorfreude aufs Tackern. Froh, mal wieder hier, am weißen, weiten Sandstrand von WordPress zu liegen, diesen Artikel zu tippen im guten alten WordPress-Irgendlink-Blog.

Writers in Prison Day

Heute ist „Writers in Prison Day“. Als bloggender Schreiber in einem relativ freien Land kann ich mich glücklich schätzen. Die Türkei, höre ich im Dradio Kultur, hält mit 86 inhaftierten Journalisten und Journalistinnen den Weltrekord.