Pfälzer Jakobsweg Lambsborn – Zweibrücken

Die Zeit die rennt die Uhr die tickt tickitick tickitick tickitick tack tack.

Lambsborn, Blase der Nichtzeitigkeit, Sonnenaufgang. Ich habe einiges verpasst letzte Nacht, musste ich mir sagen lassen. Zwei Menschen seien gegen halb eins über den Friedhof gestolpert und haben laut meinen Namen gerufen: „Irgeeend! … Irgeeend Lihiiink…!“ Zwischen düstren Gräbern, die keine Antwort geben können. Aufgrund eines geheimen Komplotts sind Blogkollege Engelbert und Gattin Beate aus Bruchmühlbach herauf gefahren, Bier und Wurstbrot und Kaffee-Thermoskanne im Gepäck. SoSo hatte ihnen meinen Standort gemailt, damit sie mich vor Ort überraschen können mit all den Leckereien. „Er ist beim Friedhof Lambsborn, Parkbank neben Leichenhalle“, hatte sie ihnen erzählt. Dass die Parkbank etwa 60 m oberhalb auf einer Kirschbaumwiese steht und ich um halb eins schon tief schlafe, hatten die VerschwörerInnen nicht bedacht.

Mist.

Tagsüber schleicht mich Kopfweh an, die letzten 12 km ziehen sich bei Hitze. In Bechhofen trinke ich in der Bäckerei Lapot einen Kaffee, kaufe Zuckerteilchen, lasse einen wunderschönen Pilgerstempel in den Pass drücken. Der letzte für die nächsten Wochen.

Kaum zu Hause fahren auch schon Engelbert und Beate im einsamen Gehöft vor, bringen die gestrigen Brote mit echter spanischer Chorizo Wurst, mjam mjam. Schwätzchen auf der Südterrasse und Engelbert schlägt mir ein interessantes Wanderprojekt vor: kreuz und quer durch sein dichtes, deutschlandweites Netz aus Seelenfärblerinnen und Seelenfärblern. Klingt gut: live Bloggen und abends immer Gastlichkeit und ein schöner warmer PC zum tippen. „Gut, dass es Dich gibt, Mensch“, taufe ich das Projekt insgeheim – wenn ich einen frappierenden unter den vielen Unterschieden zwischen dem Camino Frances und dem Pfälzer Jakobsweg finde, dann ist es der vergleichsweise Mangel an Menschen, denen man begegnet. In den letzten fünf Tagen habe ich keinen einzigen anderen Pilger/Pilgerin getroffen, nur selten Gespräche länger als zwei Minuten geführt, musste insbesondere auf dem Stück vor Johanniskreuz mit einer Art Waldkoller kämpfen, den grauen und den schwarzen Tod abhängen … davon später mehr.

Die „Hurra, wir pilgern wieder!“ Geschichte, wie Kommentatorin Andrea einen so wundervollen Titel geprägt hat, ist vorerst zu Ende. Ich bin auf dem Sprung in die Tackerwerkstatt, wo man mich sehnsüchtig erwartet. Mir graut vorm Arbeitsberg. Aber ich sehe es positiv. Bei der Bullenhitze und mit dem gestrigen Kopfwehkoller in Erinnerung, tut mir die kühle dunkle Werkstatt sicher gut.

Europenner

Außerhalb Lambsborn. Westwind. Eine grüne, fette Raupe läuft über die Isomatte. Vom Waldrand höre ich „Sitz … fffeiiin … und lauf“ hoffentlich kommt das in Dressur befindliche Hundchen nicht hier herunter. Gerade stülpe ich die gelbe, Einfamilienhausähnliche Jacke über. Der Wind ist recht stark. Mit beachtlicher Geschwindigkeit treibt ein Heißluftballon vorbei. Wie Gott. Können alles sehen von da oben: herrchen und Hund und mich wie ich das Europennerlager zusammen packe. Lambsborn liegt nur knapp unterhalb der Windradgrenze. In einer Dell, pardon, einer Mulde unterhalb der Sickinger Höhe. Eigentlich hatte ich gestern die Fritz Claus Hütte angepeilt, 5 km zuvor. Da mir unklar war, ob sie offen ist und Pilger aufnimmt, versprgte ich mich in Landstuhl mit Dem Nötigsten. Ein Spießtutenlauf durch die Zick-Zack-Stadt. „Der Edekaladen ist direkt gegenüber der Tabledance Bar“, erklärteit eine Friseurin. Vorbei an Häusern von zweifelhaftem Ruf. Eine amerikanische Soldatenstadt. Selbst kleine Buben von drei vier Jahren haben kurz geschorene Haare.
Mit einem Rucksack schwer wie letzten Winter auf dem Camino ächze ich durch eine Mondlamdschaft voller grüner Felsbrocken. Nur der dichte Wald will nicht so ganz das Mondklischee erfüllen. In meimer Vorstellung ist die Fritz Claus Hütte schlimmszenfalls zu, ich schlafe draußen vor der Tür, verzehre die Leckereien, die ich in Landstuhl gekauft jabe und habe eine ruhige, billige Nacht. Es kommt schlimmer. Musik von Weitem, zig Autos vor der Tür mit fremden Kennzeichen und weißen Schleifen an den Scheibenwischern. „Eine Hochzeit“ konstatiere ich vor einer langhaarigen Frau, die sich gerade in ihrem Auto eine Strumpfhose überzieht. Rotes Röckchen, weißes Blüschen, schicke Schminke. Sie hat genau die gleiche Stimme, wie die Staatsanwältin der Münstertatorte.
„Ziehen sie den Rucksack ab und mischen Sie sich unauffällig umter die Gäste“, scherzt sie.
„In dem Rucksack ist meine Verkleidung als Mutter der Braut“.
Spaß beiseite. Selbst wenn ich mich rein mogeln würde, ist mir nach dem harten Wandertag doch eher nach Ruhe. Die Liveband spielt Nirvana, als ich Richtung Elendsklamm absteige. Gegen Dunkelheit Lamnsborn. Noch eine halbe Stunde zu Kollege T. Oder auch Blogkollege Engelbert wohnt gleich um die Ecke. Und die Eltern von Boris. Sein Stiefvater ist gar Rom-Pilger. Die würden sich freuen.
Kurz vorm Dorf aber der Fingerzeig Gottes: einsame Bank, frisch gemähte Wiese, kirschbäume, Stille und der Clou: an der Bank ist ein Rohr befestigt, in dem eine Isomatte steckt.

Irgendlink lernt

Irgendlink lernt:
Das grüne N mit dem roten Pfeil weist immer das nächstgelegene Naturfreundehaus aus.
Die Küche von Naturfreundehäusern schließt um 18 Uhr.
Die Wegmarkierungen im Pfälzer Wald sind nicht für Anfänger oder Unaufmerksame.
Wenn du im Kalmit-Massiv stürzst, kann es lange dauern, bos dich jemand findet. Du bist allein.
Die bewirtschaftezen Wälder sind mit Zahlen und Buchstaben gekennzeichnet. A ist ganz unten im Tal, von 134d bis 134a gibt es keinen gangbaren Weg. Forstwege führen meist parallel zur Talsohle. Einen Berg verlassen ist eine pfadfinderische Herausforderung.
Der Apotheker in Schopp weiß mit Sportmedizin gut Bescheid.
Ein Camino in Deutschland kostet etwa 50 € pro Tag. In Spanien nur die Hälfte.
Nimm dir endlich Wildgans‘ Tipp zu Herzen, Leberwurst und Wollsocken zum Wandern.
Plane für Landstuhl ein paar km mehr ein. Die Stadt ist ein Labyrinth.