Appspressionismus – eine neue Kunstrichtung erblickt das Licht der Welt

Gestern war das Wort plötzlich da: wie nennt man das eigentlich, wenn Leute mit dem Smartphone und deren Erweiterungen, den so genannten Apps, Kunst schaffen? SmartPhoneart? Mobile Art? iPhoneart? iPhoneography? Oder ganz dogmatisch iDogma?

Was, wenn daraus eine Kunstrichtung entstehen würde, ein ganz profaner Ismus? Würde man von Smartphoneismus sprechen? Wie wird sich die kunstinteressierte Nachwelt in 10 oder 20 Jahren mit dem Phänomen der digitalen mobilen Kunst zu Beginn dieses Jahrtausends auseinandersetzen? Wird das mühsame Fummeln auf den winzigen Touchscreens überhaupt als künstlerische Betätigung wahr genommen? Und ist das, was da raus kommt Kunst? Oder wird die geradezu immense Flut an Bildern, die diese wilden Alltagskünstler, die im bürgerlichen Leben einer ganz normalen Arbeit nachgehen, ins Netz stellen, am Ende ungesehen verebben?

Auf dem Sektor Smartphonekunst gibt es kein vernünftiges deutsches Wort, mit dem man das Phänomen beschreiben könnte.

Im Artikel zuvor habe ich erstmals das Wort Appspressionismus gebraucht. Auch nicht gerade deutsch. Aber ein Ismus ist es.

Eine Suche kurze Zeit später egab Erstaunliches: nur 2 Ergebnisse nach 0,17 Sekunden Suchzeit. Beide führen auf den Artikel, den ich gerade geschrieben hatte.

Sei dahin gestellt, was aus dem Appspressionismus wird.

Interessant finde ich diese moderne Form der digitalen Geburt: Kaum nehmen die Dinge, Worte, Ideen im Kopf Gestalt an, kann man sie auch schon mittels Kurznotizen in Blogs, Facebook oder Twitter ausplaudern – eine appspressionistische Schwangerschaft quasi, die nur wenige Minuten dauert, bis ein neuer Begriff im Netz die Runde macht

Appspressionismus – oder die Kunste, die ich rief

Es wird höchste Zeit, dass ich wieder auf die Straße komme. Ich vergleiche das ZuHauseLeben immer mit einer großen, undefinierbaren Ebene in der Wüste, in der eine sprudelnde, quirlige Stadt sprießt, die in ihrem Gewirre aus Straßen und Möglichkeiten keine klare Linie erlaubt. Wie ein Spielsüchtiger streiche ich durch mein Las Vegas der Gutbürgerlichkeit. Oh ich schillernder Siegfried und Roy des Alltags.

Im Gegenzug das DaDraußenLeben auf den Straßen, nach Andorra radeln zum Beispiel, oder die Pilgertour nach Santiago letzten Winter. Das ist ein klares, fließendes Leben. Irgendwo in den Bergen meines Geistes entspringt ein wilder Bach. Am Ende der Reise, wenn ich das Ziel erreicht habe, versickert er stets vor den Toren meines Las Vegas in der dürrend heißen Wüste. Puuh.

Da tropft der Schweiß.

In diesem Kreislauf aus  Hinaufackern in die Berge, dem Fluss folgen, in der Wüste des Alltags versickern, besteht mein Leben. Früher habe ich darüber nachgedacht, wie es wäre, für immer zu reisen und nie wieder ins Las Vegas zurück zu kehren. Ich kam zu dem Schluss, dass es unmöglich ist, weil ich den Glitzer und Glammer und Glommer der Stadt brauche, ihren Schutz, die Nähe zu den Menschen.

Heute hat es eine andere Dimension. Meine Stadt des Alltags ist schmutzig. Sie leidet an Wassermangel. In den kühlen Kellern, in denen man einst Pokerrunden um Tausender spielte, verstauben die Tische, liegt Gerümpel.

Schnitt.

Der längst vergessene Abstellraum auf dem einsamen Gehöft steht voller Kisten, Computer, defektem technischen Zeug. Ein Wandschrank ist vollgestopft mit alten Kleidern. Zwei Teddybären starren vom obersten Regal – in der Ecke an der Wand stapeln sich zig nicht verkaufte Bilder. Soll so die Nachwelt dein Leben vorfinden, fragte ich mich letztes Wochenende. Ein Konglomerat aus Privatem, Professionellem und nie Gewolltem, das jedem Müllcontainer gut anstehen würde. Grinsende Müllpressen lieben solche Ensembles.

Kurzerhand räume ich den etwa 12 qm großen Raum im Haupthaus des einsamen Gehöfts leer – Anlass dafür: wenn in der Schweiz ein Sack Kleider umfällt – aber das ist eine andere Geschichte.

Mit den Kleidern habe ich leichtes Spiel. Ich stopfe sie in Säcke und werfe sie vom Balkon, um sie später ins Auto zu verfrachten und zum Kleidercontainer zu bringen. Die Kunstwerke zu entsorgen ist schwieriger. Teilweise handelt es sich in der Tat um ganz außergewöhnlich miserable Kunstwerke, von denen ich heute nicht glauben kann, dass ich sie einmal als Bemerkenswert empfunden habe. Während ich sie pauschal, stapelweise  auf dem Schubkarren quer über den Hof ins Atelier schiebe, führt mein Hirn eine Gedankenschleife etwa wie folgt: wenn du damals dachtest, das hier – mit abschätzigem Blick betrachte ich ein 40×60 cm Bild von einem zerfallenden Militärgebäude – sei Kunst und es gut fandest, nun aber merkst, es ist nur Schrott – wie ist es dann mit deinen aktuellen Arbeiten, von denen du selbstherrlicher, kleiner Schmierenkünstler ja auch immer denkst, boa, was für ein Hammerwerk, dafür krieg ich bestimmt Millionen. Hm, Herr Irgendlink? Meine Schwester, die auch auf dem einsamen Gehöft Räume leer räumt, starrt mich entgeistert an. Offenbar denke ich nicht, ich rede mit mir selbst.

Ich rette die Teddybären und zwei handgestrickte Pullover, einen Hänsel und Gretel Kleiderbügel ohne Hänsel und alle Socken, die meine Oma jemals gestrickt hat in eine separate Tüte.

Eine Bilderserie, auf die ich immer noch stolz bin, die „Straßen von Mainz“, von der sogar zwei Bilder verkauft sind, macht mir dennoch Sorgen. Um sie aufzuhängen und zu zeigen, bräuchte ich ein Wandstück von etwa 12 Metern Länge, schön weiß und frostsicher. Ach und vielleicht noch ein genau so großes Wandstück für die „Straßen von Sankt Ingbert“. Die gammeln nämlich auch im Atelier. Ich habe zu viel Kunst und zu wenig Wände und noch viel weniger Publikum, das das sehen möchte. Was tun? beende ich meine Kunstdilemma Gedankenschleife. Der Abstellraum ist mittlerweile leer.

Mit Grauen denke ich an die kürzlich abgeschlossene Bilderserie „Die Straßen von Bern“. Wenn ich sie jemals von der Festplatte in die echte Welt bringen möchte, so wie Mainz und Sankt Ingbert, werden daraus etwa 30 Bildtafeln mit je 54 Einzelfotos, 1×1 Meter groß. Erst jetzt wird mir bewusst, dass es dafür keinen Ausstellungsraum gibt, außer vielleicht das Zentrum Paul Klee.

Montags habe ich mich dem Deutschen Straßenmuseum angedient, die Bilderserie als Dauerleihgabe dort hinzugeben. Noch keine Antwort erhalten. Das große Problem liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Wohin mit der Kunst? Langsam reift der Plan, nur noch digital zu arbeiten und alles, was schon ist, pö a pö zu scannen und anschließend zu schreddern. Wenn es digital ist, kann ich es frostsicher und staubfrei im Internet unterbringen.

Ein weiteres Kunstproblem bahnt sich an. Ich bin iPhonesüchtig. Jeden Tag kommen etwa 10 (für den heutigen Stand meines Geschmacks) gute Bilder hinzu, die ich nur mit der iPhone Kamera und diversen Apps gemacht habe. iPhoneographie nennt sich das. Appspressionismus, liebe Nachwelt, wirst Du einmal diese Kunstrichtung benennen.

Letztes Wochenende handele ich. Um der aktuellen Kunstflut Herr zu werden, lege ich eine eigene iDogma iPhone Fotoseite an, begebe mich zusätzlich in eine Community der iPhoneography und stolpere so ganz nebenbei über ein Printportal für hochwertige Fotos, wo man eine gut sortierte Galerie anlegen kann (so ganz hat er also die echte Welt nicht aufgegeben, der Herr Künstler – in der Whitewall-Galerie kann man sich gegen Salär die digitalen Bilder ausbelichten und zuschicken lassen).

Nie wieder möchte ich ein eigenes Kunstwerk in den Händen halten müssen. das ist wahrscheinlich das Extremste, was das iDogma hervor bringt. Ein rein digitales Leben, ohne Abstellkammern, ohne Staub, Schmutz und Vergänglichkeit.

Und die Straße? Auf der reist es sich am Besten, wenn man so wenig Gepäck wie möglich mit sich schleppt. Ich habe etwas ganz feines entdeckt für die nächste Live-Reise.

Motivationsmotive vs. düstre Aussichten

Dringend pissen musste ich 1991. Das Auto mit den Kajaks auf dem Dach schlängelte durch das Dörfchen Cruas. Wir waren in die Nacht hinein gefahren. Unser Ziel, die Ardèche, hatten wir beinahe erreicht. I. stoppte kurz hinter dem Ortsschild, längst hatte ich die Hoffnung begraben, ich könnte von einer Mole in die Rhône pinkeln. Eine Bahnlinie und ein Friedhof, Felder, Dunkelheit und Weinberge trennten uns vom Fluss. Welch‘ Wohltat, an einem Decathlon Werbeplakat endlich Wasser lassen zu können.

Dann inspizierten wir den Friedhof, um uns die Füße zu vertreten. Nur noch wenige Autos fuhren so spät. Hinter dem Friedhof ragten hell erleuchtet die Kühltürme eines Kraftwerks. Auf den vorderstenAtomkraftwerk Cruas Meysse war ein 30 Meter großes spielendes Kind gemalt. Eine unwirkliche Szene wie aus einem anderen Universum. Obwohl ich erst seit ein zwei Jahren fotografierte, wagte ich, die Nikon F 301 auszupacken, positionierte sie auf einem Grabstein, schätzte die Belichtungszeit und machte genau zwei Aufnahmen. Film war teuer. Damals konnte man ja die Ergebnisse nicht direkt auf dem Display sehen. Erst nach der Kanutour, als der DIA Film von der Entwicklung kam, lernte ich meine erste nennenswerte Fotolektion: DIA Filme erfahren bei langen Belichtungszeiten eine Farbverschiebung. Die Bilder waren giftgrün und im Himmel breitete sich die Wolke des verdampfenden Kühlwassers gelb aus. Wegen der hohen Kontraste, war von dem spielenden Kleinkind, das auf dem Kühlturm einen etwas autistischen Eindruck machte, so gut wie nichts zu sehen.

1991 hatte ich alles andere im Sinn, als einmal Fotokünstler zu werden. Auch geschrieben habe ich bis dahin noch kaum ein Wort. Alles was mit Kunst und Kreativität zu tun hatte, war mir ein Buch mit sieben Siegeln. Es bereitete mir Angst.

Im Lauf der Zeit wurde mir klar, dass es genau diese Motive waren, das missglückte Langzeitbild vom AKW Cruas Meysse und noch ein paar andere Zufalls-irgendwie -gut-Bilder, die mich auf meinem Weg zum Fotografen voran gebracht haben. „Motivationsmotive“ nenne ich sie. Eines, das allererste, ist noch vor dem initialen AKW-Bild entstanden. Es zeigt einen in der Luft baumelnden Strommast in Griechenland, geknipst in dunstiger Mittagsstimmung mit einer Kodak oder AGFA Kleinbild Kamera.

Wenn ich dieser Tage wie im Rausch mit dem iPhone fotografiere und hunderte von Bildern mache, die die Ergebnisse von damals sowohl in Qualität, als auch in Raffinesse bei weitem übertreffen, wird mir einmal mehr klar, wie lang der Weg ist, den man gehen muss als kreativer Mensch. Wie lang und beschwerlich und wichtig diese alten Stellen sind, die markanten Punkte, an dem man seine eigene Welt einst besungen hat. Nur durch das, was ich erlebt, geliebt, gelernt, verloren habe, ist das, was als nächstes kommt möglich.

1991 war ein ruhiges Jahr: Tschernobyl hatten wir vergessen. Der Jubel über den Mauerfall war verflogen. Rostock Lichtenhagen sollte erst noch kommen. Und all der andere Mist. Ich frage mich, wie man sich in so einer Welt als Künstler entwickelt. Und warum. Und ob es Flucht ist, Künstler zu sein. Vom Sinn es zu sein, ganz zu schweigen.

Love Tractor Reloaded

Mit Hochdruck arbeite ich an meiner iDogma Seite.
Habe am Wochenende einen Shop eingerichtet, bei dem man echte Fotos der iDogma Werke erstehen kann. Kaum Zeit zum Bloggen oder gar arbeiten.
Den Love Tractor, den StammleserInnen aus meinem Jakobsweg-Livebericht im November 2010 kennen, habe ich mit grandiosen Apptricks bearbeitet. Vielleicht etwas für den Shop?