Diesertage

Ein voller Kühlschrank. Eine warme Wohnung. Im 6-Minuten-Takt fahren die Tram Nummer 8 und die 7 die Schlossstrasse hinunter.
Da ich in Bern bin, ist noch immer kein Alltag eingekehrt. Es gibt auch kein Weihnachten, keine Glotze und keine Musik. Wir sind schon Spinner, Sofasophia und ich. Am Heiligen Abend ins Kino, Harry Potter Film gucken. Noch sechs weitere Hansels in der Vorstellung. Der Filmvorführer drückt mächtig auf die Tube. In der Schweiz gibt es zur Mitte des Films meist eine Pause, in der man aufs Klo kann und Eis essen. Und schwätzen. „Wenn sie möchten, kann ich gleich weiter machen“, ruft er in die Runde. Er will Feierabend. Klar an diesem Tag.
Bei Filmende reißt er unsanft die Tür auf. Licht zerstört die traurige Athmosphäre. Gegen 17 Uhr emtern die SoSo und ich einen Bücherladen; ich kaufe Kerkelings ‚Ich bin dann mal weg‘. Brot kaufen wir noch und eine Flasche Rioja für 12 Franken.
An den Ampeln rufe ich all den kleinen, weihnachtsgestressten Sündern, die bei Rot laufen hinterher: „Santiago ist weit“. Vergeblich. Im heiligen Jahr werden sie es sowieso nicht mehr schaffen, in Santiago anzukommen.
Zu Hause lese ich SoSo Kerkelings kôstliche Jakobswegerlebnisse aus dem Sommer 2001 vor.
Kapitel um Kapitel. Wir sind schon in Santo Domingo de la Calzada.
Zwischendurch schauen wir im Web nach dem Kungsleden, einem 450 km langen Fernwanderweg in Lappland, Nordschweden. Klingt ziemlich spannend. Er scheint mit Hütten gut erschlossen. Die Landschaft ist Atemberaubend. Auf der Suche nach Information nach dem koreanischen Oleskil, Chaeuk sagte immer Ole-Way, beiße ich bei den Websuchmaschinen auf Granit. Der angeblich mehrere 100 km lange Fernwanderweg auf einer Insel in Südkorea ist nicht aufzufinden. Schön blöd von mir, dass ich mir nicht habe Buchstabe für Buchstabe durch Chaeuk diktieren lassen, wie dieser Weg heißt. Dabei hätte es mir eigentlich eine Lehre sein müssen, dass ich über zehn Tage mit meinem südkoreanischen Wanderfreund verbringen musste, ehe ich seinen fernöstlichen Namen über die für meine Ohren zunächst wie ‚Töng‘ klingende Sprechweise zu ‚Theo‘ bis schließlich zu Tschä-Uk wandelte. Das ist immer noch nicht ganz richtig. Chaeuk hat vielen anderen europäischen Pilgern gesagt: „Nenne mich einfach Kim, das ist mein Nachname“. Kim ist in Korea ein Name von der Häufigkeit wie bei uns Müller. Auch die beiden anderen Koreaner, die ich kennen gelernt habe, Bjongsu und der, der sich mir in Pamplona als Bruce Lee vorgestellt hat, heißen mit Nachnamen Kim.
Der Oleskil, so kommt es an Silben aus Chaeuk-Tömgs Mund, wird sicher ganz anders geschrieben. Warum kann das Ding nicht einfach Kim-Weg heißen?
Werte Sofasophia hatte eine Überraschung für mich, als ich ’nach Hause‘ komme: Die gesamte Jakobswege-Sequenz dieses Weblogs vom 18. November bis zur Landung in Zürich am 22. Dezember gedruckt als Buch. Mit Kommentaren und Bildern fast 200 Seiten im DIN A5 Format. In chronologischer Reihenfolge.
Das vermutlich erste iDogma Buch der Welt. Geschrieben auf der winzigen, glatten Tastatur des Smartphones.
Was Stieg Larsson in ‚Vergebung‘, dem dritten Teil seiner großartigen gesellschaftspolitischen Krimitrilogie schildert, ist tatsächlich möglich. Man kann, so wie Protagonistin Lisbeth Salander, auf der schwer zugänglichen Tastatur eines modernen Smartphones zusammenhängende Texte von beliebiger Länge schreiben. Wenn die Umstände es erfordern. Musste Romanheldin Salander im Krankenhaus unter der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden heimlich ihre 40-seitige Biografie schreiben, habe ich es in den Weiten der spanischen Mesieta getan.
Das Schreiben in den Pilgerherbergen, meist nachts auf dem Bett kauernd war nicht gerade einfach. Vor allem, dass es mir gelungen ist, mich zu konzentrieren und die Dinge auf den Punkt zu bringen, ist ein Glücksfall. Der Mensch auf Pilgerschaft auf dem Camino ist in einem anderen Zustand als zu Hause. Die Konzentrationsfähigkeit nimmt unterwegs zu. Viele störende Einflüsse, allem voran die Alltagssorgen sind abgeschaltet. Das Wesentliche ist zum Greifen nahe. Gute Ideen dito. Zum Nachdenken hat man tagsüber beim einsamen Marsch genug Zeit und an bizarren Erlebnissen wird es einem auf dem fast 800 km langen Camino Frances wohl nie mangeln.
Es war aber nicht der Weg und die Methode alleine, die diese 200 Seiten zu schreiben möglich gemacht haben. Ohne meine fast zehnjährige Erfahrung als Blogger, als Direktschreiber des Alltags, hätte ich wohl kaum ein Wort zu Papier – äh – auf den Server gebracht. Es ist wie der russische Maler Viktor Nikolajev mir 1993 beigebracht hat: der Kreative Mensch ist gut, wenn er seine Kreativität frei auslebt. Brilliant oder gar meisterlich wird er erst, wenn er die nötige Erfahrung gesammelt hat. Binnen zehn Minuten pinselte der Moskauer ein abstraktes Gemälde auf eine 1 x 1,2 m große Leinwand, ließ es trocknen und verkaufte es ein paar Tage später für 1500 Mark. Das Bild wäre nie entstanden, wenn er nicht seit 20 Jahren sich Bild um Bild darauf hin gemalt hätte.
Genauso muss es sich mit meinen Live-Blog-Produkten verhalten. Den Camino Livebericht hätte ich in dieser rohen und direkten und dennoch erstaunlich fließenden Form nicht schreiben können, ohne die zehn Jahre Bloggen, üben und die Idee verfeinern.
Und dennoch habe ich das Gefühl, dass es eher ein Anfang ist, als ein Ende.
Ich habe viel gelernt über das Livebloggen in den letzten fünf Wochen.

Irgendlinks Caminobuch, chronologisch geordnete Blogeinträge vom 18. November bis 22. Dezember 2010. Wegen der vielen Seiten Auf 2 Bände verteilt. Made by Sofasophia.

Uff

(geschrieben am 23. Dez. 2010, früh; nun als Geschenk für alle Weihnachtsmuffelinnen am Heiligen Abend veröffentlicht)
Habts gut da Draußen, meine Lieben.

Alle haben mich gewarnt. Vor allem der Soulsnatcher und Andrea, vor dem Heimkommen und dem Nicht-mehr-reisen-tun. Seltsam befinde ich mich in einer Art Vakuum ohne Ziel und Richtung, in der sich mein Dasein ausbreitet, als sei gerade das Weltall explodiert. Anstatt stur geradeaus in Richtung Reiseziel zu wandern und der Existenz einen geradezu einfachsten alller Sinne zu geben, herrscht ein schwabbeliger Zustand ohne jegliche Richtung. Ultreia, wo bist du? Sustreia (?), wie sehr habe ich deine Wichtigkeit unterschätzt (Ultreïa ist der Hinweg auf dem Jakobsweg, Sus-Irgendwas der Rückweg).
Ich könnte Koch sein und an einem feinen Menü arbeiten just jetzt gegen 11 Uhr an diesem 23. Dezember im Jahre des Herrn 2010, diesem meinem heiligen Jahr. Oder an einem Buch arbeiten könnte ich, überlege ich, als ich mir im Bad die Zähne putze. Das Rauschen der Wasserleitung zwecks Wiederbefüllens des Spülkastens klingt wie ein Gebirgsbach. Durchs geschlossene Fenster sirrt die neue Trambahn hinaus nach Bümplitz.
Die Nichtreise ist nunmal nicht Reisen. „Sich an einem Ort befinden ist nicht wie von einem Ort zum anderen zu wollen“, fabuliere ich Binsenweisheiten, auf die man aber erst mal kommen muss.
In Gedanken schnippele ich Gemüse koreaisch klein. Millimeterdicke Zucchinischnitzel, Karotten und Tomatenwürfel, ich Koch ich, der eigenen Verzweiflung. Essen bereiten ist eine der elementarsten Tätigkeiten der menschlichen Existenz. Neben dem Verzehr. Langsam kommt der Hunger. Auf mehr, auf eine neue Reise, auf tägliche kleine iPhoneberichte, auf ewiges unterwegs sein. Aber das führt doch zu nichts, mein Junge, Kunstbübchen, Padawan, musst doch auch mal ankommen. Ruhe, innehalten -Stillstand ist der buckilge Stiefbuder jeglicher Bewegung, sowohl im Geiste, als auch rein physisch, schießt es mir durch den Sinn. Die Tram bremst quietschend am Halt Steigerhubel gleich neben dem Haus. Für ein paar Sekunden Ruhe. Leute steigen ein, aus, gehen ihres Weges. Dann fährt sie wieder an auf fest verlegtem Gleis. Wenn meine Seele eine Tram wäre, wäre sie an der täglichen Endhaltestelle todunglücklich. Im menschlichen Körper ist die Seele geborgen. Jeder Tag ist ein neuer Aufbruch. Am Morgen ist Hunger. Koreanisches Omelette, so wie es Chaeuk in Portomarín zubereitet hat, wäre jetzt genau das Richtige.

Raus aus Santiago

Normflughöhe. Den Start im Regen in Santiago gut überstanden. Nachts schlafe ich so schlecht wie seit 5 Wochen nicht mehr. Ich mag es nicht, meinen Körper in die Obhut der mobilen Sammelbehälter der modernen Zivilisation zu geben. Zu nachtschlafender Zeit verlasse ich die Pension Estrela. Kurzer Abschied von Rodrigo. Es war gut, dass er mit im Zimmer war. So kontte ich das Pilgergefühl bis zum Ende beibehalten.
Am Morgen regnet es in Strömen. Die Stadt ist totenstill. Im Rundbogen an der Nordseite der Kathedrale – dort wo tagsüber der Sackpfeifenmusiker jaddelt – hat es sich eine verkümmerte Gestalt bequem gemacht. Was heißt hier bequem. Der Mann kauert zitternd neben seinem Rucksack. Keine Ahnung, ob er ein spät angekommener Pilger ist, der auf die Morgenmesse wartet, oder einer aus dem Bettlerspalier. Ich kann ihm keine Münze geben, weil ich kaum noch 10 € in der Tasche habe. Glaube nicht, dass man den Flughafenbus per Kreditkarte zahlen kann.
Die Rua do Franco ist wie ausgestorben. Über Nacht hat sie all ihren Glanz eingebüßt. Die Aquarien mit den lebenden Langusten, Krebsen und Hummern sind hinter verrammelten Türen verschwunden und die abends so zynisch schön beleuchteten Fleisch-Arrangements in den Schaukästen der Restaurants zeigen nun ihr kaltes morbides Gesicht. Natürlich ist auch das Spalier der Bettler wie weggeputzt. Vorne strahlt eine Gestalt mit Sicherheitsweste per Dampfstrahler das speckige Pflaster. Im fahlen Gegenlicht sieht der Mann im Dunst aus wie Mondlandung oder wie ein Scout in dem Western Vierzig Knaben westwärts (Bezug zu einem noch nicht geposteten Artikel).. Er hält inne, grüßt, lässt mich passieren, strahlt weiter. Kleinlaster beliefern die Läden. Missmutige Typen mit Sackkarren beginnen den Tag. Vorhut einer verzweifelten Menschengesellschaft zwischen Hoffen und Betäuben. Wie auch immer.
Den Camino zu laufen scheint mir die beste aller Illusionsspritzen. Oder eine Art Wissen um Hoffnung?
An der Bushaltestelle warten schon einige Flugwillige mit kleinem Gepäck. Keine PilgerInnen.
Der Bus kommt spät. Der Fahrer steigt aus, geht grußlos an uns vorbei. Ein Mann wie eine kastilische Telefonzelle: zugegen, aber nicht funktionsbereit. Nach einer viertel Stunde kommt er wieder. Niemanden kümmert das. Hier stehe ich mit echten Profis an der Haltestelle. Die wissen, dass wir nach dem Mañana-Prinzip alle ankommen. Irgendwann. Zum Glück halte ich mich an die seit Urzeiten gültige Regel, zwei Stunden füher am Flugplatz sein zu wollen. Eine Praxis, wie sie in meiner Familie, der echten zu Hause, unumstößlich eingehalten wird. Noch nie hat ein Link den Flieger verpasst. Trotzdem bin ich nervös. Der Bus kostet 3 €. Egal wo man einsteigt. Leid tut mir ein bis auf die Knochen nasser Junge, der an einer Haltestelle ohne Dach die Verspätungspause abgewartet hat. Missmutig bezahlt er den Preis. Vorbei an der Pilgerstrecke, raus aus Santiago. Im Abstand von etwa 150 Metern passieren wir zwei Ortsende-Schilder. Die beiden Santiagos haben nur ein halbes Eingangsschild, dafür eben zwei Ausgangsschilder. Tse.
Seltsamerweise ist der Bus pünktlich am Flugplatz. Der Fahrer ist die nicht funktionierende kastilische Telefonzelle der Herzen. Checkin klappt reibungslos. Rucksack wiegt ohne Kamera, Wasser und Essen doch nur 8,5 kg.
Warten warten warten. Auf Gate 3 werden wir eingeschifft. Ein Typ, der aussieht, als sei er ein Pilger, erkundigt sich in gebrochenem Spanisch nach einer gewissen Cynthia. Jaja, die arbetet hier, versichert er. Die Spur der Fluglemminge bremst er damit sichtlich aus. Auch in der Tür zum Flieger fragt er nach Cynthia. Alle hinter ihm warten nun auf Cynthia. Vor Reihe Acht wird er endlich fündig. Die Chefstewardess kennt diese Cynthia. Sie arbeitet heute auf dem Flug nach Barcelona. Liebe und Hoffnung checken heute an verschiedenen Gates ein.

Blick aus dem Fenster Flug Iberia 5637. Alpen in Sicht.

Spalier der Bettler

Ich müsste jetzt nicht bloggen. Es ist 3:38. Ich bin hellwach. Hellwacher, als all die anderen Hellwachs auf der Reise. Zum ersten Mal seit fünf Wochen wünschte ich, die Zeit verginge. Zum erstenmal nehme ich Zeit wieder wahr, gibt es ein Vorhin und ein Nachher und ein Bis-dann. Das Haus rumpelt. Durchs Doppelglasfenster summt ein Auto. Die Stadt ist still. Im Bett neben mir schnauft der klägliche Rest meiner Familie. Rodrigo ist ein guter Zeichner. In seinem schwarzen Moleskine hat er ein paar Skizzen von Unterwegs gemacht: die Kathedrale in Leon etwa. Und, direkt neben den Bauarbeiter stehend, die ewig lamge Brücke von Obrigo. Jenes eigenartig krumme Ding, das aussieht als wäre es natürlich gewachsen.
Unter welch flüchtigen, abgelenkten Bedingungen wir doch Kunst schaffen unterwegs. Im vorderen, größeren Teil des Skizzenbuchs hat Rodrigo Textskizzen gesammelt, feine Handschrift, stets mit schwarzem Fineliner. Wer weiß, was in den fünf Wochen alles an Kunstwerken, Dichtungen, ja sogar an Musik auf dem Weg entstanden ist. In allen Menschensprachen mit allen Menschenempfindungen. Meine Zukunftsvision vom Camino-Computer kommt mir in den Sinn. Darüber habe ich noch gar nicht berichtet. In den Tiefen des iPhones schlummert diese verrückte Vision zusammen mit anderen unveröffentlichten Ideen und Beschreibungen als Sprachnotiz.
Ich bin nervös wegen des Flugs. Wünschte, es wäre 13 Uhr, sicher in Zürich gelandet. Das letzte Mal, dass ich derart unruhig war, war im ICE mit über 300 Sachen durch die Champagne. Wir Menschen sind einfach nicht geeignet, schneller als mit Schrittgeschwindigkeit uns fort zu bewegen.
Sagt der Pilger.
Im Pilgerbüro kehre ich gestern noch mal ein, um einen neuen Pilgerpass zu beantragen. Wie wohl die Welt aussieht für jemanden, der dort arbeitet, jemanden, der tagein tagaus diejenigen empfängt, die manchmal tausende von Kilometern gelaufen, geradelt oder geritten sind bis hierher? Jeden Tag neue, spannende Menschengeschichten. Wie Mörtel, den der große Weltenmaurer auf die Wand bringt um Stein für Stein etwas Großes zu schaffen. Im Pilgerbüro drängt sich eine zierliche Schönpuppe vom Galizischen Regionalfernsehen vor, um wichtig die Modalitäten für einen kurzen Dreh zu klären. So dass ich mich umdrehe und gehe. Jetzt nicht auch noch ins Fernsehen kommen: „Mein Name ist Georgium Linlulum und ich bin extra den Weg glaufen, um für ein paar verrückte Spinner, die gerne Weblog lesen jeden Tag einen Text auf einer kaum Fingernagelgroßen Maschine zu schreiben …“. Neenee. Den Ausweiß erstehe ich abends für 75 Cent.
Hat mich der viel besungene Jakobseegvirus gepackt?
Santiago Stadtstimmung.
In einem Rundbogen auf der Nordseite des Kathedralenkomplexes dudelt fast den ganzen Tag ein Kerl auf einem galizischen Dudelsack. Rodrigo hat mir gestern Abend den Namen des Musikinstruments verraten. Habs leider wieder vergessen. Gute Geräuschkulisse. Als ich mit dem iPhone einen Tonmitschnitt mache, spricht mich ein Mann an, ob ich Wifi suche. In der Tat gehören zum modernen Bild einer Stadt diejenigen Leute, die, das Smartphone in der Hand durch die Straßen laufen auf der Suche nach einem offenen Drahtlosnetzwerk. Geigerzähler der überinformierten Gesellschaft.
Die Rua do Franco ist eine quirlige, schmale Gasse mit Restaurants und Souvenirsläden. An ihrem Anfang nahe der Kathedrale stehe ich kopfschüttelnd vor einem Souvenirsladen, der per Lautsprecher Galizische Volksmusik spielt. Schöne Musik. Die CDs sind, wie alle Souvenirs, ja sogar Getränke und Essen unheimlich teuer. T-Shirts kosten um 20 bis 25 €. Kleine versilberte Kathedralenfiguren 8 €. CDs knappe 20 €. Angewidert wegen dieser dunklen Seite des Pilgertums drehe ich mich um und will meines weges gehen. Ungemolkene fette Pilgerkuh, ich. Man hat mich offenbar beobachtet. Nach ein paar Schritten wird die Musik lauter gedreht. Jetzt erst Recht nicht!! Ich habe ohnehin nur noch 20 € im Seckel und keine einzige Münze mehr. Die Rua do Franco am Morgen zu durchqueren ist ein einziger Spießrutenlauf. Zig Bettler stehen Spalier. Frauen, Männer, alt und jung. Viele knien demütig auf einem schmutzigen Büßrrlappen. Andere sprechen dich offen an. Einer kommt sogar im Restaurant an unseren Tisch. Nach der Hälfte der Rua do Franco habe ich alle meine Münzen vergeben. Thomas bedient ein Punkerpärchen mit zwei Hunden. „Wir brauchen eine Taktik“, raune ich ihm zu, „Sonst schaffen wir es nicht bis ans andere Ende der do Franco.“ Vielleicht ist es ja ein selbst gemachtes Problem: die grundgütige Spendenbereitschaft von uns Pilgern lässt uns so lange Münzen spenden, bis wir selbst bedürftig sind und uns ins Spalier der Bettler einreihen am Ende der Rua do Franco? Jeder entwickelt dabei seine eigene Technik. Diejenigen, die büßend, gesenkten Kopfes vor einem knien, sprechen die Katholiken an. Die penetranten Typen, die sich dir mit klimpernden Münzen in der Hand nähern und dir eine Geschichte erzählen gehen auf Künstlerfang. Die manchmal schrecklich falsch spielenden Musiker, Jongleure, Feuerschlucker erhaltwn ihr Geld von jener Art Leistungsbürger, die noch immer überzeugt aind, dass wer arbeiten will auch Arbeit findet in dieser Gesellschaft, naiv glaubend, dass man somit auch glücklich werden kann. Bettler mit Hunden gehen auf Tierfreunde. Und so weiter und so fort.
Ich müsste diese Zeilen nicht schreiben, meine Lieben. Die Arbeit an diesem meinem ersten live geschriebenen Buch, das auf dem iPhone getippt wurde ist eigentlich abgeschlossen. Betrachtet diesen Text als Supplement eines verzweifelt Ängstlichen, der auf seine A 320 wartet und deshalb nicht schlafen kann.
So schließe ich denn mit den Worten der Mutter von Blogkollege Axel:
„Flieg‘ vorsichtig, Junge.“

klitzekleines Schlusswort

Liebster Irgendlink

Ein bisschen, ich gestehe es, habe ich mich zuweilen wie eine Voyeurin gefühlt oder wie eine Wanze, derart mitpilgernd mit all den anderen Blog-Lesenden in deiner Hosentasche, im Jackenärmel oder im Rucksack …

Wie ein Mäuschen, das in sicherer Distanz zu Sardi in einer Ritze unter dem Bett neben Wollmäusen und vergessenen Stinksocken mitlauschte. Dem Schnarchen. All den Träumen. Den Gedanken. Den Gesprächen.

Fern und doch ganz nah. Ich bin froh, dass du es geschafft hast und einen Teil deiner Erlebnisse und Gedanken mit mir, mit uns geteilt hast. Danke!

Doch nun bin ich froh, dass du zurück kommst. Obwohl nicht religiös gibt es da einen wunderbaren Satz im Heiligen Buch der Christenheit:

Alles hat seine Zeit.
Pilgern hat seine Zeit. Heimfliegen hat seine Zeit.

Gute Landung im doppelten Sinn!

Herzlich, deine Sofasophia