Die große Konsumentenpumpe – die Ursprünge, vielleicht

„Die Reize, die von der Gesellschaft ausgehen, sind immer eindeutig“, sagte Konzeptkünstler R. vor vielen Jahren, „wenn du dies und das tust und dich genau so und so verhältst, dann kriegst du soundsoviel D-Mark dafür.“ Das erzählte er mir im Spätsommer 2001 in der Endzeit der Mark. Er saß nackt auf einem grünen Stein am Rhein im südwestlichsten Zipfel Liechtensteins. Dort befindet sich in einem kleinen Wäldchen eine Lagerfeuerstelle und ein paar Bretter, die über Steinhaufen gelegt zu Bänken werden. Munter plätschert der noch junge Fluss. Konzeptkünstler R. war schon Wochen unterwegs, und hatte in regelmäßigen Abständen direkt am Fluss, den man auch Vater nennt, aus den Steinen, die der Fluss bei den Hochwassern im Frühling mit sich führt, kleine Türme gebaut. Meist lief er nackt, kauerte sich bei Regen unter dem dichten Geäst von Tannen, wollte den großen Strom Westeuropas so nah wie möglich und so weit wie möglich erfahren. Seinen Weg in die Nordsee hat er mit einem beeindruckenden, aber vermutlich niemals wahr genommenen Kunstprojekt markiert: in regelmäßigen Abständen schichtete R. Steinstapel und dort, wo er keine Steine fand am großen Vater, flocht er Äste, Strandgut und Müll zu markanten temporären Objekten.

Es ist nicht leicht, einen nackten, zerzausten Mann am Fluss kennen zu lernen. Ich bin ein Kind der Siebziger, von Scham erzogen. So ist es eigentlich ein Wunder, dass ich mich mit dem nackten Mann überhaupt abgegeben habe. Als ich ihn erstmals sah in der Abenddämmerung auf der Suche nach einem Platz zum Übernachten – ich war mit dem Fahrrad rheinaufwärts unterwegs – hielt ich ihn für einen Perversen, mindestens aber für einen Spinner. Ich glaube, seine friedlichen Augen, die sich neben der schrägen Nase über einen braunen, langen Bart drängten, waren ausschlaggebend, dass ich nicht Hilfe schreiend davon gerannt bin, vielleicht auch das zaghafte Winken, mit dem er mich wortlos begrüßte.

Ich sollte erwähnen, dass der Platz im äußersten Südwesten Liechtensteins, direkt am Rhein unter Felsen einer der besten Lagerplätze ist, die man als Europenner finden kann. Ein Teerweg mündet nach Süden am Fluss entlang in einen schmalen Wanderpfad und genau an der Stelle ist der Lagerplatz unter Fichten mit den beschrieben Bänken. Genügend Raum, um ein kleines Zelt aufzubauen. Blick aufs Flussbett und die, vom Weg ins Tal rund gehobelten Kieselsteine, die einen Durchmesser bis 30 cm erreichen können.

Der Konzeptkünstler und ich kamen ins Gespräch. Mit der alten, guten F301 machte ich vielleicht die einzigen Fotos, die von seinem Rhein-Projekt je gemacht wurden. Wenn mir mal jemand erzählt hätte, dass ich mit einem versponnenen, nackten, bärtigen Typen einen Abend am Rhein philosophische Gespräche führen würde, hätte ich ihn, zumindest zur damaligen Zeit, schallend ausgelacht. Heute, zehn Jahre später, sind mir so viele Spinner und Spinnerinnen begegnet, die sich bei näherem Hinschauen als hochklare Denker herausstellten, dass ich so etwas für ganz natürlich halte. Wahrscheinlich bin ich selbst ein Spinner geworden.

Aber ich lenke ab. Ich erinnere mich noch gut an die ersten philosophischen Worte des Konzeptkünstlers: dass die Reize in der westlich ziviliserten Gesellschaft immer eindeutig sind, und dass sie immer etwas mit Geben und Nehmen, Tausch und Wirtschaft zu tun haben, und dass es grundsätzlich in dieser Gesellschaft nur um eines geht: Geld, Geld, Geld.

Nun, fast zehn Jahre danach, rekapituliere ich die Binsenweisheit des modernen, gelebten Lebens: leiste, dann wirst du belohnt. Was man uns allerdings verheimlicht hat – es gilt als best gehütetes Geheimnis der Konsumgesellschaft – belohnt wird man immer nur mit billigen Glasperlen. „Das Leben des modernen Konsumenten ist ein einziger, billiger Schund“, sagte mein Freund R. im Jahr 2001. Schon damals kamen seine Worte zu spät. Und wer hätte auch einen nackten, faselnden, ungekämmten Kerl am Rhein ernst genommen?

Wie ich diesertage in der Lohntackerwerkstatt Werberadio höre, wird mir mit einem Schlag die Verzweiflung der Konsumgesellschaft bewusst, indem ich mich auf die Werbespots konzentriere und mir überlege, „brauchst du das? – Nein“ denke und dann mich frage, „brauchen die das“ – dabei mache ich ein besorgtes, Gesicht und versuche mir all die Mitmenschen vorzustellen, die ich noch nicht kenne auf der Welt, Dich, Dich und Dich, der Du dies liest und ich sage mir, die brauchen den beworbenen Gegenstand doch auch nicht. Aber sie werden ihn kaufen. Mehr als einer von ihnen wird schwach werden, wenn der große Werbeagent mit verlockender Stimme säußelt. Warum? Weil man sie zu willenlosen, erniedrigten Konsumsklaven erzieht mittels suggestiver Werbung, kauf mich, ich bin das was dir noch gefehlt hat in deinem Leben. ICH. Ich mache dich glücklich, ich bin dein 2000 Euro teurer Hochleistungsdampfstaubsauger, der dir auch die Fenster reinigt ohne Streifen und ich bin das wunderbare Allradauto mit der Sonderlackierung, mit dem Du deine Garage auch noch bei Minus 5 Grad im tiefsten Winter verlassen kannst, ich bin das informativste Fachmagazin der Fotografie, das Dir selbst die letzten Geheimnisse verrät, hey, ich bin ein Cerankochfeld und ein Microprozessor und ein Flachbildschirm von drei Metern Größe. Kauf, kauf, kauf.

„Ich bin unempfänglich“ gegen jede Werbung, habe ich einst dem Konzeptkünstler erzählt. Es war eine dunkle Nacht, man hörte beinahe nichts, kein Auto, kein Hintergrundsaußen einer Landstraße, noch nichteinmal einen Flieger. Einzig der Fluß, auch Vater genannt, murmelte im Hintergrund Unverständliches.

Wie sehr ich gelogen habe. Das Geheimins der Werbung ist: sie kommt an. Immer. Selbst Jahre, nachdem man sie gehört hat, funktioniert sie im Hinterstübchen deines Daseins, egal, ob du es willst oder nicht. Ein Physiker ist bekanntlich ein Mensch, der sich mit der Wirkungsweise von Kräften beschäftigt. Ihm ist es egal, in welche Richtung eine Kraft wirkt. Hauptsache, die Kraft wirkt. Und Hauptsache, die Gleichung, die sein Kräfteparallelogramm beschreibt, geht irgendwie auf. Nur so ist es zu erklären, dass es eigentlich egal ist, was eine Kraft in uns beworbenen Konsumenten ausrichtet. Wenn ein Konzern sein Produkt in deinem Gehirn installiert, ist es im Prinzip egal, ob es ein gutes, oder ein schlechtes Gefühl hinterlässt. Wenn du im Supermarkt vor einem Regal stehst und das Produkt siehst neben vielen anderen Produkten, die zwar gleichwertig sind, wirst du das Produkt kaufen, das du aus der Werbung kennst, egal, ob du es dort hassen gelernt hast, oder lieben.

Ich schweife ab. Ich wollte gar nicht so weit ausholen. Ich habe Radio gehört während der Arbeit. Ich wurde infiltriert. Man spielte mir das Lied vom süßen Leben vor. Schunkelnd stimmte ich ein in die Melodie. Für einen Moment träumte ich vom Glück, glaubte gar, ich könne es schaffen.

3 Antworten auf „Die große Konsumentenpumpe – die Ursprünge, vielleicht“

  1. Warum auch immer …. Dein Entwurf „Große Konsumentenpumpe / 1000 Sklaven der Freiheit “ hat es in meinen Feedreader geschafft und ich habe ihn bis zum Ende gelesen. Er hält mich keineswegs vom Malen ab oder vom Bloggen. Er inspiriert. Irgendlink at his best ;-)

    Brot und Spiele für die Konsumenten. Es war früher so, es ist heute so und es wird noch mehr werden, wenn die Arbeit für die Massen noch weniger wird. Die Menschheit muss beschäftigt sein um nicht zu revoltieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: